TE Vfgh Erkenntnis 2018/3/14 E4329/2017, G408/2017

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Veröffentlicht am 14.03.2018
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

FremdenpolizeiG 2005 §52 Abs1, §53 Abs3, §55, §60
AsylG 2005 §55
EMRK Art8

Leitsatz

Kein Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Versagung der Aufhebung bzw Verkürzung eines zehnjährigen Einreiseverbots; Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen im Inland im Zeitpunkt der Antragstellung nicht erforderlich sowie Möglichkeit der Anfechtung vor Ablauf der Hälfte des festgelegten Zeitraums gegeben bei verfassungskonformer Interpretation der Regelung betreffend einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art8 EMRK

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

II. Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde, Antrag und Vorverfahren

1.       Gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen des Kosovo, wurde mit Bescheid der Landespolizeidirektion Steiermark vom 11. Oktober 2013 eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen und diese – angesichts mehrerer strafrechtlicher Verurteilungen, zuletzt vom 23. Jänner 2013 zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Jahren – mit einem auf die Dauer von zehn Jahren befristeten Einreiseverbot gemäß §53 Abs1 iVm Abs3 Z1 FPG verbunden. Mit Erkenntnis vom 12. März 2014 wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde ab. Die Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

Unmittelbar nach seiner Haftentlassung am 14. März 2016 reiste der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

Am 9. Jänner 2017 beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung des gegen ihn erlassenen Einreiseverbotes und begründete seinen Antrag insbesondere mit dem Wohl seiner minderjährigen Kinder, beide österreichische Staatsbürger. Sein 2009 geborener Sohn aus einer ehemaligen Beziehung leide – was ein psychologisches Gutachten nachweise – bereits seit 2014 erheblich unter der Trennungssituation. Die Tochter des Beschwerdeführers aus seiner nunmehrigen Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin wurde im April 2017 geboren.

2.       Mit Bescheid vom 1. Juni 2017 gab das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) dem Antrag des Beschwerdeführers gemäß §60 Abs2 FPG keine Folge. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, in der die Aufhebung, in eventu die Verkürzung des Einreiseverbotes beantragt wurde, wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 30. Oktober 2017 als unbegründet ab. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst aus, dass §60 Abs2 FPG die Verkürzung eines gemäß §53 Abs3 Z1 bis 4 FPG erlassenen Einreiseverbotes unter den Voraussetzungen vorsehe, dass der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen und seither einen Zeitraum von mehr als die Hälfte des seinerzeitigen Einreiseverbotes im Ausland verbracht hat. Vom Gültigkeitsbeginn des Einreiseverbotes am 14. März 2016, dem Tag der Ausreise aus dem Bundesgebiet, bis zum Entscheidungszeitpunkt seien nur rund eineinhalb Jahre vergangen. Somit fehle es bereits an der formellen Voraussetzung des Verstreichens der Hälfte der ursprünglich verhängten Dauer von zehn Jahren. Schon deshalb könne der Beschwerdeführer mit seinem Begehren nicht durchdringen.

3.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, der Sache nach auf Art144 B-VG gestützte "Bescheidbeschwerde", in der die Verletzung "in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Artikel 8 EMRK […] durch die Anwendung der verfassungswidrigen Bestimmung des §60 Abs2 FPG" behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Unter einem stellt der Beschwerdeführer den auf die Aufhebung des §60 Abs2 FPG, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 68/2013, gerichteten Antrag auf "Gesetzesprüfung gemäß Art140 Abs1 Z litc B-VG".

Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer mit seiner nunmehrigen Lebensgefährtin die Ehe schließen und mit ihr sowie der gemeinsamen Tochter ein Familienleben führen möchte. Die Bestimmung des §60 Abs2 FPG ermögliche jedoch, unabhängig von einer konkreten Zukunftsprognose, weder die Aufhebung des Einreiseverbotes noch die Verkürzung um mehr als die Hälfte seiner Dauer. Der Beschwerdeführer habe daher vor 2021 keine Möglichkeit, in Österreich ein Privat- und Familienleben zu führen.

4.       Das BFA und das Bundesverwaltungsgericht haben die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II.      Rechtslage

1.       Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 145/2017, lauten (§53 Abs3 ist in der im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes geltenden Fassung BGBl I 68/2013 abgedruckt, siehe §126 Abs19; §60 Abs2 gilt idF BGBl I 68/2013):

"8. Hauptstück

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Fremde

1. Abschnitt

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Drittstaatsangehörige

[…]

Einreiseverbot

§53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs1 ist, vorbehaltlich des Abs3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art8 Abs2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige

1. wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß §20 Abs2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl Nr 159, iVm §26 Abs3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl I Nr 120/1997, gemäß §99 Abs1, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß §37 Abs3 oder 4 FSG, gemäß §366 Abs1 Z1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl Nr 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§81 oder 82 des SPG, gemäß den §§9 oder 14 iVm §19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl Nr 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;

2. wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1 000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;

3. wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs3 genannte Übertretung handelt;

4. wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;

5. wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;

6. den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;

7. bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;

8. eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art8 EMRK nicht geführt hat oder

9. an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art8 Abs2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;

3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;

4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;

5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§278f StGB);

7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

(5) Eine gemäß Abs3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. §73 StGB gilt.

(6) Einer Verurteilung nach Abs3 Z1, 2 und 5 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.

[…]

Verkürzung, Gegenstandslosigkeit und Aufhebung

§60. (1) Das Bundesamt kann ein Einreiseverbot gemäß §53 Abs2 auf Antrag des Drittstaatsangehörigen unter Berücksichtigung der für die Erlassung der seinerzeitigen Rückkehrentscheidung oder des seinerzeitigen Einreiseverbotes maßgeblichen Umstände verkürzen oder aufheben, wenn der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen hat. Die fristgerechte Ausreise hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen.

(2) Das Bundesamt kann ein Einreiseverbot gemäß §53 Abs3 Z1 bis 4 auf Antrag des Drittstaatsangehörigen unter Berücksichtigung der für die Erlassung der seinerzeitigen Rückkehrentscheidung oder des seinerzeitigen Einreiseverbotes maßgeblichen Umstände verkürzen, wenn der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen hat und seither einen Zeitraum von mehr als die Hälfte des seinerzeitigen Einreiseverbotes im Ausland verbracht hat. Die fristgerechte Ausreise hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen.

(3) Die Rückkehrentscheidung wird gegenstandslos, wenn einem Drittstaatsangehörigen

1. der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird;

2. ein Aufenthaltstitel gemäß §§55 bis 57 AsylG 2005 erteilt wird.

[…]

16. Hauptstück

Schluss- und Übergangsbestimmungen

[…]

Übergangsbestimmungen

§125. […]

(25) […] Vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr 87/2012 erlassene Einreiseverbote bleiben bis zum festgesetzten Zeitpunkt weiterhin gültig und können nach Ablauf des 31. Dezember 2013 gemäß §60 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 68/2013 aufgehoben, verkürzt oder für gegenstandslos erklärt werden.

[…]

In-Kraft-Treten

§126. […]

(19) […] Die §§[…] 53 Abs3 […] in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 145/2017 treten mit Ablauf des Tages der Kundmachung, frühestens jedoch mit 1. November 2017 in Kraft. […]"

2.       Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 145/2017, lauten:

"7. Hauptstück:

Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen

1. Abschnitt:

Aufenthaltstitel

[…]

Aufenthaltstitel aus Gründen des Art8 EMRK

§55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine 'Aufenthaltsberechtigung plus' zu erteilen, wenn

1. dies gemäß §9 Abs2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß §9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl I Nr 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§5 Abs2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl I Nr 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs1 Z1 vor, ist eine 'Aufenthaltsberechtigung' zu erteilen.

[…]

2. Abschnitt:

Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln

Antragstellung und amtswegiges Verfahren

§58. […]

(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß §57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

[…]

(10) Anträge gemäß §55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß §9 Abs2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

[…]

Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen

§60. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Drittstaatsangehörigen nicht erteilt werden, wenn

1. gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß §§52 iVm 53 Abs2 oder 3 FPG besteht, oder

[…]"

III.    Erwägungen

1.       Angesichts der gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erhobenen Beschwerde steht dem Beschwerdeführer ein zumutbarer (und auch beschrittener) Weg zur Verfügung, um die als verfassungswidrig erachtete generelle Norm durch den Verfassungsgerichtshof auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen (vgl. zB VfSlg 18.615/2008).

Der auf Art140 Abs1 Z1 litc B-VG gestützte Antrag ist daher unzulässig.

2.       Die unter einem erhobene Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet:

2.1. Mit einer Rückkehrentscheidung kann gemäß §53 Abs1 FPG ein Einreiseverbot erlassen werden, das einen Drittstaatsangehörigen anweist, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten. Bei der Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes sind das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen und die allenfalls von ihm ausgehende Gefahr für die in Art8 Abs2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zu berücksichtigen, wobei eine solche Gefährdung insbesondere in den Fällen des §53 Abs2 Z1 bis 9 FPG anzunehmen ist. Grundsätzlich ist ein Einreiseverbot gemäß §53 Abs2 FPG für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu verhängen. Wenn, wie insbesondere in den Fällen des §53 Abs3 Z1 bis 8 FPG, aber eine schwerwiegende Gefahr für die öffentlichen Interessen iSd Art8 EMRK anzunehmen ist, sind gemäß §53 Abs3 FPG auch auf die Dauer von höchstens zehn Jahren befristete bzw. in den Fällen der Z5 bis 8 selbst unbefristete Einreiseverbote zulässig.

Auf Antrag des Drittstaatsangehörigen kann das BFA gemäß §60 Abs1 FPG ein gemäß §53 Abs2 FPG auf höchstens fünf Jahre befristetes Einreiseverbot unter Berücksichtigung der für seine Erlassung maßgeblichen Umstände verkürzen oder aufheben, sofern der Drittstaatsangehörige nachweist, das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen zu haben. Demgegenüber ermöglicht §60 Abs2 FPG unter den gleichen Voraussetzungen nur die Verkürzung eines Einreiseverbotes, das gemäß §53 Abs3 Z1 bis 4 FPG für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen wurde, wenn der Drittstaatsangehörige außerdem seit seiner Ausreise bereits mehr als die Hälfte des festgelegten Zeitraumes im Ausland verbracht hat. Ein unbefristetes Einreiseverbot gemäß §53 Abs3 Z5 bis 8 FPG kann weder aufgehoben noch verkürzt werden.

2.2. Bedenken gegen die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Rechtsvorschrift des §60 Abs2 FPG sind beim Verfassungsgerichtshof – aus der Sicht des Beschwerdefalles – nicht entstanden:

2.2.1. Aus Art8 EMRK ist keine generelle Verpflichtung abzuleiten, dem Wunsch eines Fremden, sich in einem bestimmten Mitgliedstaat aufzuhalten, nachzukommen (VfSlg 19.713/2012 mwN zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte). Unter besonderen Umständen kann sich aus Art8 EMRK aber eine Verpflichtung des Staates ergeben, den Aufenthalt eines Fremden zu ermöglichen (VfSlg 17.013/2003, 17.734/2005 und 18.517/2008). Dadurch ergeben sich für die Mitgliedstaaten Einschränkungen in ihrer Gestaltungsfreiheit in der Regelung des Einwanderungs- und Aufenthaltsrechts bis hin zur Pflicht, Einreise oder Aufenthalt zu gewähren (vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6, 2016, §22 Rz 72).

In VfSlg 19.713/2012 folgerte der Verfassungsgerichtshof aus dieser sich aus Art8 EMRK ergebenden Verpflichtung, unter besonderen Umständen den Aufenthalt eines Fremden zu ermöglichen, dass der Gesetzgeber grundsätzlich die Prüfung eines auf fünf Jahre befristeten Einreiseverbotes gemäß §53 Abs2 FPG daraufhin zu ermöglichen hat, ob die Gründe, die zur Erlassung des Einreiseverbotes geführt haben, nachträglich weggefallen sind, sich die Familiensituation des Drittstaatsangehörigen maßgeblich geändert hat oder einem gemeinsamen Familienleben im Heimatstaat des Fremden wesentliche Hindernisse entgegenstehen. Weil §60 Abs1 FPG idF BGBl I 38/2011 selbst für nicht straffällig gewordene Fremde die Berücksichtigung solcher Umstände, die mitunter erst nach Verhängung eines Einreiseverbotes eintreten oder zum Vorschein gelangen, unmöglich machte, hob der Verfassungsgerichtshof die Bestimmung wegen Verletzung des Art8 EMRK auf.

2.2.2. Die aus Art8 EMRK folgenden Anforderungen an die Überprüfbarkeit von Einreiseverboten sind auch für die Beurteilung der hier in Rede stehenden Bestimmung des §60 Abs2 FPG idF BGBl I 68/2013 maßgeblich, die der Gesetzgeber in Reaktion auf das zuvor genannte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes als Teil eines nunmehr abgestuften Systems zur Aufhebung und Verkürzung eines Einreiseverbotes geschaffen hat (vgl. die Erläut. zur RV 2144 BlgNR 24. GP, 24). Dass §60 Abs2 FPG in Fällen, in denen ein über fünfjähriges Einreiseverbot erlassen wurde, bis zum Ablauf der Hälfte des festgelegten Zeitraumes keine Möglichkeit vorsieht, besondere Umstände im oben dargelegten Sinn in einer neuerlichen und allenfalls zur Beseitigung oder Verkürzung des Einreiseverbotes führenden Interessenabwägung zu berücksichtigen, bedarf daher eines in Art8 Abs2 EMRK genannten öffentlichen Interesses und muss im Hinblick auf dieses öffentliche Interesse den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit genügen.

Nicht nur die Erlassung einer die Einreise bzw. den Aufenthalt eines Fremden beschränkenden Maßnahme selbst liegt, insbesondere, wenn ihr die strafgerichtliche Verurteilung des Fremden vorausgeht, in dem gemäß Art8 Abs2 EMRK legitimen Interesse, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten (vgl. zB EGMR 22.4.2004, Fall Radovanovic, Appl. 42.703/98, Z31; 2.4.2015, Fall Sarközi und Mahran, Appl. 27.945/10, Z62; 10.1.2017, Fall Salija, Appl. 55.470/10, Z41), sondern auch die Effektuierung und Bestandskraft dieser Entscheidung (vgl. VfSlg 20.049/2016). Dem Gesetzgeber steht es mit Blick auf Art8 EMRK insofern offen, auf Grund der Schwere der begangenen Straftaten die Aufhebung oder Verkürzung eines auf §53 Abs3 Z1 bis 4 FPG gestützten Einreiseverbotes nicht bzw. nur eingeschränkt zuzulassen, solange er ausgleichende Maßnahmen vorsieht, die sicherstellen, dass im Hinblick auf Art8 EMRK ausschlaggebende Sachverhalte einer individuellen Interessenabwägung zugänglich bleiben (vgl. VfSlg 19.713/2012).

Die bloße Möglichkeit, die Wiedereinreise und den Aufenthalt während der Gültigkeitsdauer eines Einreiseverbotes vorläufig und restriktiv zu bewilligen (vgl. dazu VwGH 16.11.2012, 2012/21/0006), ohne jedoch das Einreiseverbot zu beseitigen, bietet für sich keinen verhältnismäßigen Ausgleich (VfSlg 19.713/2012). In den Bestimmungen über entsprechende Visa bzw. besondere Bewilligungen für die Wiedereinreise aus wichtigen privaten Gründen gemäß den §§26a und 27a FPG erblickte der Verfassungsgerichtshof daher keinen entsprechenden Ausgleich (VfSlg 20.049/2016).

Es genügt aber, wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 20.049/2016 festgehalten hat, dass Drittstaatsangehörige, die nicht fristgerecht ausgereist sind, aus diesem Grund ein gegen sie erlassenes Einreiseverbot zwar nicht gemäß §60 Abs1 FPG bekämpfen, jedoch dessen Gegenstandslosigkeit gemäß §60 Abs3 Z2 FPG erwirken können, indem sie einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §55 AsylG 2005 stellen (vgl. zur Zulässigkeit eines solchen Antrages trotz aufrechten Einreiseverbotes VwGH 16.12.2015, Ro 2015/21/0037).

2.2.3. Vor diesem Hintergrund gewährleistet §55 AsylG 2005 aber auch in der hier maßgeblichen Fallkonstellation, wenn sich ein im Gefolge einer Rückkehrentscheidung ausgereister Drittstaatsangehöriger im Ausland befindet, dass bei Eintreten oder Hervorkommen eines im Hinblick auf Art8 EMRK relevanten Umstandes eine verfassungsrechtlich gebotene Interessenabwägung möglich und auch vorzunehmen ist. Denn in verfassungskonformer Interpretation (vgl. VfSlg 17.033/2003, 19.162/2010) muss §55 AsylG 2005 dahingehend verstanden werden, dass ein auf diese Bestimmung gestützter Antrag einem in Entsprechung eines Einreiseverbotes im Ausland aufhältigen Drittstaatsangehörigen – wie einem nicht ausgereisten Drittstaatsangehörigen (siehe VfSlg 20.049/2016 und VwGH 16.12.2015, Ro 2015/21/0037) – ermöglicht, auch vor Ablauf der Hälfte der Dauer eines Einreiseverbotes iSd §60 Abs2 FPG bei Vorliegen entsprechender Umstände die Gegenstandslosigkeit des Einreiseverbotes zu erwirken.

3.       Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverwaltungsgericht §60 Abs2 FPG im vorliegenden Fall auch keinen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt. Auch sonst ist nicht ersichtlich, dass dem Bundesverwaltungsgericht ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen wäre.

IV.      Ergebnis

1.       Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

2.       Der (Individual-)Antrag ist zurückzuweisen.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Fremdenrecht, Privat- und Familienleben, Einreiseverbot, Rückkehrentscheidung, Auslegung verfassungskonforme, EU-Recht, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E4329.2017

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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