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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
FremdenpolizeiG 2005 §52 Abs1, §53 Abs3, §55, §60Leitsatz
Kein Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Versagung der Aufhebung bzw Verkürzung eines zehnjährigen Einreiseverbots; Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen im Inland im Zeitpunkt der Antragstellung nicht erforderlich sowie Möglichkeit der Anfechtung vor Ablauf der Hälfte des festgelegten Zeitraums gegeben bei verfassungskonformer Interpretation der Regelung betreffend einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art8 EMRKRechtssatz
Zurückweisung des auf Art140 Abs1 Z1 litc B-VG gestützten Antrags auf Aufhebung des §60 Abs2 FremdenpolizeiG 2005 idF BGBl I 68/2013 (im Folgenden: FPG) wegen Unzulässigkeit.
Die aus Art8 EMRK folgenden Anforderungen an die Überprüfbarkeit von Einreiseverboten (vgl VfSlg 19713/2012) sind auch für die Beurteilung der hier in Rede stehenden Bestimmung des §60 Abs2 FPG maßgeblich. Dass §60 Abs2 FPG in Fällen, in denen ein über fünfjähriges Einreiseverbot erlassen wurde, bis zum Ablauf der Hälfte des festgelegten Zeitraumes keine Möglichkeit vorsieht, besondere Umstände in einer neuerlichen und allenfalls zur Beseitigung oder Verkürzung des Einreiseverbotes führenden Interessenabwägung zu berücksichtigen, bedarf daher eines in Art8 Abs2 EMRK genannten öffentlichen Interesses und muss im Hinblick auf dieses öffentliche Interesse den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit genügen.
Dem Gesetzgeber steht es mit Blick auf Art8 EMRK offen, auf Grund der Schwere der begangenen Straftaten die Aufhebung oder Verkürzung eines auf §53 Abs3 Z1 bis 4 FPG gestützten Einreiseverbotes nicht bzw nur eingeschränkt zuzulassen, solange er ausgleichende Maßnahmen vorsieht, die sicherstellen, dass im Hinblick auf Art8 EMRK ausschlaggebende Sachverhalte einer individuellen Interessenabwägung zugänglich bleiben.
Die bloße Möglichkeit, die Wiedereinreise und den Aufenthalt während der Gültigkeitsdauer eines Einreiseverbotes vorläufig und restriktiv zu bewilligen, ohne jedoch das Einreiseverbot zu beseitigen, bietet für sich keinen verhältnismäßigen Ausgleich. In den Bestimmungen über entsprechende Visa bzw besondere Bewilligungen für die Wiedereinreise aus wichtigen privaten Gründen gemäß den §§26a und 27a FPG erblickte der VfGH daher keinen entsprechenden Ausgleich.
Es genügt aber, dass Drittstaatsangehörige, die nicht fristgerecht ausgereist sind, aus diesem Grund ein gegen sie erlassenes Einreiseverbot zwar nicht gemäß §60 Abs1 FPG bekämpfen, jedoch dessen Gegenstandslosigkeit gemäß §60 Abs3 Z2 FPG erwirken können, indem sie einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §55 AsylG 2005 stellen.
In verfassungskonformer Interpretation muss §55 AsylG 2005 dahingehend verstanden werden, dass ein auf diese Bestimmung gestützter Antrag einem in Entsprechung eines Einreiseverbotes im Ausland aufhältigen Drittstaatsangehörigen - wie einem nicht ausgereisten Drittstaatsangehörigen - ermöglicht, auch vor Ablauf der Hälfte der Dauer eines Einreiseverbotes iSd §60 Abs2 FPG bei Vorliegen entsprechender im Hinblick auf Art8 EMRK relevanter Umstände die Gegenstandslosigkeit des Einreiseverbotes zu erwirken.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Fremdenrecht, Privat- und Familienleben, Einreiseverbot, Rückkehrentscheidung, Auslegung verfassungskonforme, EU-Recht, VfGH / IndividualantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:E4329.2017Zuletzt aktualisiert am
30.07.2019