TE Bvwg Erkenntnis 2018/3/21 W262 2164686-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.03.2018
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Entscheidungsdatum

21.03.2018

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W262 2164686-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia JERABEK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Claudia MARIK sowie den fachkundigen Laienrichter Dr. Ludwig RHOMBERG als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 08.06.2017, OB XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin stellte am 13.04.2017 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (in der Folge als "belangte Behörde" bezeichnet), einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses sowie einen Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO und legte ein Konvolut an medizinischen Unterlagen vor.

2. Die belangte Behörde holte in der Folge ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin ein. In dem - auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 02.06.2017 erstatteten - Gutachten vom 07.06.2017 wurde auszugsweise Folgendes festgehalten:

"...

Anamnese:

Antragsleiden Multiple Sklerose

Derzeitige Beschwerden:

Ich war jetzt auf Rehab in Kittsee wegen meiner MS. Da ist mir geraten worden um einen Behindertenpass und gleich für ein Parkpickerl für das Auto anzusuchen. Die Problematik hat 2010 angefangen. Ich wurde 3 Jahre lang mit dem Kreuz behandelt. Ich war dann bei einem Neurologen, der durch Zufall draufgekommen ist, dass ich eine MS habe. Zu einer Verschlechterung des Gangbildes ist es allerdings erst in den letzten Monaten gekommen. Die Rehab hat mir sehr gut getan, diese Behandlung bräuchte ich allerdings jeden Tag. Ich habe ein Brennen ab den Knien abwärts in beiden Beinen. Prinzipiell habe ich allerdings mehr Beschwerden mit dem rechten Bein. Mit dem Harn habe ich keine Probleme, auch sonst keine.

...

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

Zufriedenstellend

Ernährungszustand:

adipös

Größe: 159,00 cm Gewicht: 90,00 kg Blutdruck: 140/80

Klinischer Status - Fachstatus:

66 Jahre

Haut/farbe: rosig sichtbare Schleimhäute gut durchblutet

Caput: Visus: unauffällig Zähne: saniert, Rachen bland, Hörvermögen nicht eingeschränkt

keine Lippenzyanose, Sensorium: altersentsprechend, HNA frei

Collum: SD: schluckverschieblich, keine Einflusstauung, Lymphknoten:

nicht palpabel

Thorax. Symmetrisch, elastisch

Cor: Rhythmisch, rein, normfrequent

Pulmo: Vesikuläratmung, keine Atemnebengeräusche, keine Dyspnoe

Abdomen: Bauchdecke: weich, kein Druckschmerz, keine Resistenzen tastbar,

Hepar am Ribo, Lien nicht palp. Nierenlager: Frei. CHE Narbe

Pulse: Allseits tastbar

Obere Extremität: Symmetrische Muskelverhältnisse. Nackengriff und Schürzengriff bds. uneingeschränkt durchführbar, grobe Kraft bds. nicht vermindert, Faustschluß und Spitzgriff bds. durchführbar. Die übrigen Gelenke altersentsprechend frei beweglich. Sensibilität wird unauffällig angegeben, Eudiadochokinese

Untere Extremität: Zehenspitzen und Fersenstand sowie Einbeinstand bds. mit Abstützen durchführbar, beide Beine von der Unterlage abhebbar, rechts jedoch erschwert, grobe Kraft rechts geringgradig vermindert, freie Beweglichkeit in Hüftgelenken und Kniegelenken, bandstabil, kein Erguss, symmetrische Muskelverhältnisse, Sensibilität wird unauffällig angegeben keine Varikositas, keine Ödeme bds.,

Wirbelsäule: Kein Klopfschmerz, Finger-Bodenabstand im Stehen: 0 cm,

Rotation und Seitwärtsneigung in allen Ebenen endlagig eingeschränkt

Gesamtmobilität - Gangbild:

kommt mit einer UA-Stützkrücke, damit sicheres flüssiges Gangbild, leicht ataktisch

freies Gehen leicht ataktisch stockend

Status Psychicus:

bewußtseinsklar, orientiert, kein kognitives-mnestisches Defizit,

Gedankenstuktur: geordnet, kohärent, keine Denkstörung, Konzentration ungestört, Antrieb unauffällig, Stimmungslage ausgeglichen, gut affizierbar, Affekte angepasst, keine produktive Symptomatik

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Multiple Sklerose oberer Rahmensatz, da mäßiggradige Monoparese rechts

04.08.01

40

Gesamtgrad der Behinderung 40 v.H.

..."

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 08.06.2017 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 BBG abgewiesen, da die Beschwerdeführerin mit dem festgestellten Grad der Behinderung von 40 v.H. die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle. Die wesentlichen Ergebnisse des durchgeführten Begutachtungsverfahrens seien dem ärztlichen Sachverständigengutachten zu entnehmen. Das Gutachten vom 07.06.2017 wurde der Beschwerdeführerin als Beilage des Bescheides übermittelt.

4. Mit gesondert ergangenem Bescheid der belangten Behörde vom 09.06.2017 wurde der Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO abgewiesen (siehe dazu das hg. zu W262 2164686-2/3E ergangene Erkenntnis vom heutigen Tag).

5. Gegen den Bescheid vom 08.06.2017 erhob die Beschwerdeführerin am 30.06.2017 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und führte darin im Wesentlichen aus, dass sie aufgrund ihrer Multiplen Sklerose sehr große Schwierigkeiten beim Gehen habe. Sie benötige eine Krücke und ihr Zustand werde sich auch nicht mehr verbessern. Ihre Erkrankung sei schleichend und komme nicht in Schüben. Die Beschwerdeführerin legte ihrer Beschwerde einen Blutbefund vom 28.06.2017 bei.

6. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 21.07.2017 vorgelegt.

7. In der Folge holte das Bundesverwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie ein. In dem aufgrund einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin erstatteten Gutachten vom 21.11.2017 wurde auszugsweise Folgendes festgehalten (ergänzt um die Fragestellungen des Bundesverwaltungsgerichts):

"...

Anamnese: Keine Begleitung. Es ist seit 2010 eine Multiple Sklerose bekannt mit progredientem Verlauf. Schübe sind nicht erinnerlich, es besteht eine zunehmende Gangstörung

Nervenärztliche Betreuung: Dr. XXXX alle 3 Monate

Subjektive derzeitige Beschwerden: Es werden Gangstörung, nächtliche Krämpfe angegeben

Sozialanamnese: Lebt geschieden, pensioniert, kein Pflegegeld

Medikamente (neurologisch/psychiatrisch): Fampyra , Sirdalud 4mg

Neurostatus: Die Hirnnerven sind unauffällig, die Optomotorik ist intakt, an den oberen Extremitäten bestehen keine Paresen, Feinmotorik rechts etwas reduziert.

Die Muskeleigenreflexe sind rechtsbetont übermittellebhaft auslösbar, die Koordination ist intakt, an den unteren Extremitäten besteht re > li eine spast. Tonuserhöhung, re KG 4 Fersen/Zehenspitzen/Einbeinstand bds. kurz möglich (rechts erschwert), die Muskeleigenreflexe sind rechts betont übermittellebhaft auslösbar.

Die Koordination ist mäßig ataktisch gestört

Die Sensibilität wird allseits als intakt angegeben

Das Gangbild ist mit einer Krücke breitbasig, freies Gehen im Raum möglich, am Gang ohne Pause, Stiegensteigen mit Wechselschritt und einseitigem Anhalten möglich

Grad der Behinderung (EVO)

a) Gesonderte Einschätzung des Grades der Behinderung (GdB) für jede festgestellte Gesundheitsschädigung: Diagnosen: Primär progrediente Multiple Sklerose 04.08.01 40%

Oberer Rahmensatz, da Monoparese re und leichte Extremitätenataxie.

b) Gesonderte Einschätzung des Grades der Behinderung (GdB) für jede festgestellte Gesundheitsschädigung: Gesamt GdB 40.

c) Stellungnahme, ab wann der Gesamt-GdB anzunehmen ist (ab Antrag - 13.04.2017? Wenn später, bitte begründen): Gesamt GdB ab Antrag.

d) Ausführliche fachspezifische Stellungnahme zu den im Verwaltungsverfahren, Abl. 2-26, vorgelegten Unterlagen: Abl. 2-26 :

Keine Änderung der Einschätzung, da zwar eine nachgewiesene multiple Sklerose vorliegt, mit progredientem Verlauf, aber die objektivierbaren neurologischen Funktionsausfälle keinen höheren GdB ergeben.

e) Ausführliche fachspezifische Stellungnahme zu den Einwendungen in der Beschwerde, Abl. 37 und dem beigelegten Befund vom 28.06.2017:

Abl. 37: Keine Änderung der Einschätzung , da zwar eine nachgewiesene multiple Sklerose vorliegt, mit progredientem Verlauf, aber die objektivierbaren neurologischen Funktionsausfälle keine höheren GdB ergeben, das Gangbild ist mit einer Krücke verlangsamt, aber Stiegensteigen im Wechselschritt mit Anhalten ist möglich.

f) Ausführliche Begründung zu einer allfälligen zum angefochtenen Sachverständigengutachten vom 07.06.2017, Abl. 29-31, abweichenden Beurteilung: Keine Änderung zum VGA.

g) Stellungnahme, ob bzw. wann eine Nachuntersuchung erforderlich ist: Dauerzustand.

..."

9. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.12.2017 wurden die Beschwerdeführerin und die belangte Behörde über das Ergebnis der Beweisaufnahme informiert und ihnen in Wahrung des Parteiengehörs Gelegenheit eingeräumt, binnen drei Wochen eine Stellungnahme dazu abzugeben. Weiters wurde in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass das Bundesverwaltungsgericht in Aussicht nehme, über die Beschwerde ohne Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung aufgrund der Aktenlage zu entscheiden, sofern eine mündliche Verhandlung vor Gericht nicht ausdrücklich beantragt wird. Soweit nicht eine eingelangte Stellungnahme anderes erfordere werde das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung auf Basis der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens erlassen.

Die Verfahrensparteien ließen dieses Schreiben unbeantwortet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin stellte am 13.04.2017 bei der belangten Behörde u.a. einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses.

Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Bei der Beschwerdeführerin besteht eine primär progrediente Multiple Sklerose mit Monoparese rechts und leichter Extremitätenataxie.

Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt 40 v. H.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkung, ihrem Ausmaß und der medizinischen Einschätzung werden die diesbezüglichen Beurteilungen im Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 21.11.2017 der nunmehrigen Entscheidung zugrunde gelegt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellung zur Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Die Feststellung zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, ergibt sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht erstellten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

2.3. Der festgestellte Gesamtgrad der Behinderung und die festgestellte Funktionseinschränkung gründen sich auf das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 21.11.2017. Darin wird auf das Leiden der Beschwerdeführerin und dessen Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen.

Vom befassten Sachverständigen wurden sowohl die im verwaltungsbehördlichen Verfahren als auch im Beschwerdeverfahren vorgelegten Befunde einbezogen, die im Übrigen nicht in Widerspruch zur gutachterlichen Beurteilung stehen und kein höheres Funktionsdefizit dokumentieren, als anlässlich der Begutachtung festgestellt werden konnte.

Der vorliegende Sachverständigenbeweis vom 21.11.2017 wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes als schlüssig erachtet. Die getroffene Einschätzung, basierend auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befund, entspricht der festgestellten Funktionseinschränkung (diesbezüglich wird auch auf die auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen im Gutachten verwiesen); die Gesundheitsschädigung wurde nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung korrekt eingestuft.

Die Beschwerdeführerin, der es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge freigestanden wäre, durch Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen ihrer Wahl die getroffene Einschätzung der Sachverständigen zu entkräften (vgl. etwa VwGH 26.02.2008, 2005/11/0210 mwH), tritt dem Sachverständigengutachten vom 21.11.2017 nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen.

Auch die Einwendungen der Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerde sind nicht geeignet, den vorliegenden Sachverständigenbeweis in Zweifel zu ziehen und eine Änderung des Ermittlungsergebnisses herbeizuführen. Die Beschwerdeführerin vermochte insbesondere nicht darzulegen, wie sich wegen der bei ihr festgestellten - im Rahmen des Gutachtens bereits schlüssig eingeschätzten - Funktionseinschränkung eine Erhöhung des Grades der Behinderung auf über 40 v.H. ergeben sollte.

Die Beschwerdeführerin leidet an einer primär progredienten Multiplen Sklerose. Der Sachverständige ordnete diese Funktionseinschränkung korrekt der Positionsnummer 04.08.01 (demyelinisierende Erkrankungen mit Funktionseinschränkungen leichten Grades) der Anlage zur Einschätzungsverordnung zu. Betreffend die Heranziehung des oberen Rahmensatzes von 40 v.H. führte der Sachverständige nachvollziehbar aus, dass bei Vorliegen einer Monoparese rechts und einer leichten Extremitätenataxie das Gangbild der Beschwerdeführerin zwar breitbasig war, freies Gehen jedoch möglich war. Aus diesen neurologischen Funktionsausfällen konnten somit auch keine Funktionseinschränkungen mittleren Grades objektiviert werden, die eine Zuordnung zur Positionsnummer 04.08.02 rechtfertigen würden.

Die Beschwerdeführerin hat zu dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten im Rahmen des Parteiengehörs auch nicht Stellung genommen. Die Beschwerdeführerin zeigt somit weder durch entsprechend aussagekräftige Befunde, noch durch ein substantiiertes Vorbringen auf, dass eine höhere Einschätzung ihres Leidens hätte erfolgen müssen.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 21.11.2017. Dieses wird daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung eines fachkundigen Laienrichters ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.

Zu Spruchteil A)

3.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

"BEHINDERTENPASS

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist."

"§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

(...)"

"§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(...)"

"§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

(...)"

3.3. §§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:

"Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen."

"Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

-

sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-

zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine."

3.4. Die Anlage zur Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sieht - soweit für den Beschwerdefall relevant - auszugsweise Folgendes vor (geringfügige Formatierungsänderungen durch das Bundesverwaltungsgericht):

"04.08 Demyelinisierende Erkrankungen

04.08.01 Mit Funktionseinschränkungen leichten Grades 20-40%

20% Es liegen eindeutige MS Kriterien vor, keine anhaltende klinische Symptomatik

30% Leichte Sensibilitätsstörungen, minimale feinmotorische Defizite, leichtes Harnverhalten, verstärkter Harndrag

40% Monoparese, leichte Extremitätenataxie, Hirnstammbefunde"

3.5. Festzuhalten ist, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war. Bei ihrer Beurteilung hat sich die Behörde eines oder mehrerer Sachverständiger zu bedienen, wobei es dem Antragsteller frei steht, zu versuchen, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. VwGH 30.04.2014, 2011/11/0098; 21.08.2014, Ro 2014/11/0023; 20.05.2015, 2013/11/0200).

Vom Bundesverwaltungsgericht wurde ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie eingeholt. Das auf Basis einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin erstattete Gutachten entspricht den von der Judikatur (sowie von der Einschätzungsverordnung) aufgestellten Anforderungen.

3.6. Wie bereits eingehend ausgeführt wurde, wird der Entscheidung das schlüssige Sachverständigengutachten vom 21.11.2017 zugrunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin 40 v. H. beträgt. Wie ebenfalls bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, waren die Einwendungen in der Beschwerde nicht geeignet, den Sachverständigenbeweis zu entkräften, zumal die Beschwerdeführerin dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Gutachten nicht mehr entgegengetreten ist.

Es ist daher davon auszugehen, dass der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin zum Entscheidungszeitpunkt 40 v.H. beträgt.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

3.7. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.

3.8. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Beschwerde gegen den Bescheid vom 09.06.2017 betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO, wird - angesichts der hierfür bestehenden Einzelrichterzuständigkeit - gesondert ergehen (vgl. das hg. Erkenntnis W262 2164686-2/3E vom heutigen Tag).

3.9. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung

3.9.1. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße und zu begründende Ermessen des Verwaltungsgerichtes gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 VwGVG normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH).

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

3.9.2. Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie; dieses wurde von den Verfahrensparteien unwidersprochen zur Kenntnis genommen. Die strittigen Tatsachenfragen gehören dem Bereich zu, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

3.9.3. Ergänzend ist im Beschwerdefall aus dem Blickwinkel von Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) auf den Umstand hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin vom Bundesverwaltungsgericht bei Einräumung des Parteiengehörs auf die Möglichkeit hingewiesen wurde, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu beantragen, indem ihr seitens des Verwaltungsgerichtes mitgeteilt wurde, dass - sollte sie eine mündliche Verhandlung vor Gericht nicht ausdrücklich beantragen - eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung in Aussicht genommen werde. Die Beschwerdeführerin hat sich daraufhin nicht mehr geäußert.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat die Beschwerdeführerin die Durchführung einer Verhandlung bereits in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Zu den einen Entfall der Verhandlung nach Art. 6 EMRK rechtfertigenden Umständen gehört auch der (ausdrückliche oder schlüssige) Verzicht auf die mündliche Verhandlung. Nach der Rechtsprechung kann die Unterlassung eines Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung von der Rechtsordnung unter bestimmten Umständen als (schlüssiger) Verzicht auf eine solche gewertet werden. Zwar liegt ein solcher Verzicht dann nicht vor, wenn eine unvertretene Partei weder über die Möglichkeit einer Antragstellung belehrt wurde, noch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von dieser Möglichkeit hätte wissen müssen (vgl. VfSlg. 16.894/2003 und 17.121/2004; VwGH 26.04.2010, 2004/10/0024; VwGH 12.08.2010, 2008/10/0315; VwGH 30.01.2014, 2012/10/0193). Dies ist hier aber angesichts des erwähnten Umstands eines entsprechenden Hinweises an die Beschwerdeführerin und der ihr explizit eingeräumten Gelegenheit zur Antragstellung nicht der Fall. Die unterbliebene Antragstellung kann vor diesem Hintergrund als schlüssiger Verzicht im Sinne der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK gewertet werden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die angewendeten Teile des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind - soweit im Beschwerdefall relevant - eindeutig. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W262.2164686.1.00

Zuletzt aktualisiert am

06.04.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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