Entscheidungsdatum
22.03.2018Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W255 2150221 -1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Vorsitzenden und den Richter Mag. Gerhard HÖLLERER sowie den fachkundigen Laienrichter Dr. Rainer GEISSLER als Beisitzer über die Beschwerde und den Vorlageantrag von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland (KOBV), gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Burgenland, vom 19.12.2016, Passnummer: XXXX , in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 22.02.2017, Passnummer: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wie folgt abgeändert:
Dem Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass vom 20.05.2016 wird stattgegeben. Die Voraussetzungen für die Vornahme liegen vor.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer ist seit 18.11.2004 Inhaber eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H.
2. Am 20.05.2016 stellte der Beschwerdeführer beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Burgenland (in der Folge als "belangte Behörde" bezeichnet), einen Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises und legte ein Konvolut an Unterlagen vor.
Dem Hinweis auf dem Antragformular der belangten Behörde entsprechend wurde dieser Antrag als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gewertet.
3. In dem von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 01.09.2016 wurde nach Durchführung einer persönlichen Untersuchung am selben Tag folgende Funktionseinschränkung medizinisch festgestellt
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos. Nr.
GdB %
1
Zustand nach Unterschenkelamputation rechts Fixer Richtsatzwert
02.05.44
50
Es wurde ein Grad der Behinderung von 50 v.H. eingeschätzt. Die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel wurde für zumutbar erachtet.
4. Mit Schreiben vom 23.09.2016 gab der Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland (KOBV) die Vertretung des Beschwerdeführers bekannt und legte eine Vollmacht vor.
5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 19.12.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 20.05.2016 auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) abgewiesen.
Begründend stützte sich die belangte Behörde auf das Gutachten vom 01.09.2016, wonach die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht gegeben seien. Das Sachverständigengutachten wurde dem Beschwerdeführer als Beilage übermittelt.
Abschließend wurde in der Begründung des Bescheides angemerkt, dass über den Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO nicht abgesprochen werde, da die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" nicht vorliegen würden.
7. Mit Schreiben vom 30.01.2017 erhob der vertretene Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Darin führte er im Wesentlichen aus, dass er an einem Zustand nach Unterschenkelamputation, Bluthochdruck und Phantomschmerzen leide. Er sei nur unter Verwendung einer Gehprothese mobil, sodass er ein öffentliches Verkehrsmittel nicht erreichen oder besteigen könne. Das Gutachten entspreche nicht den Tatsachen. Die Kombination von Phantomschmerzen und hohem Bluthochdruck führe zu Problemen beim Überwinden von Niveauunterschieden, beim Ein- und Aussteigen und bei der Sitzplatzsuche. Die belangte Behörde hätte weitere Fachgutachten einholen müssen. Weiters werde darauf hingewiesen, dass er im Besitz eines Parkausweises gemäß § 29b StVO sei. Aufgrund des desolaten Zustands wollte er ein Duplikat beantragen.
Der Beschwerdeführer legte einen Befund eines Krankenhauses vom 14.03.2010 vor und stellte einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Weiters stellte er einen Antrag auf Ausstellung eines Parkausweisduplikats gemäß § 29b StVO.
8. Aufgrund des neu vorgelegten Befundes holte die belangte Behörde eine Stellungnahme aufgrund der Aktenlage einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Innere Medizin vom 06.02.2017 ein. Darin wird ausgeführt, dass die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel zumutbar sei.
9. Mit Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vom 22.02.2017 wurde die Beschwerde vom 30.01.2017 gemäß §§ 40, 41, 45 und 46 BBG abgewiesen, da die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht vorliegen würden. Das Sachverständigengutachten und die Stellungnahme wurden dem Beschwerdeführer als Beilage übermittelt.
10. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 01.03.2017 wurde der Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO abgewiesen.
11. Am 10.03.2017 beantragte der vertretene Beschwerdeführer die Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht. Er führte darin im Wesentlichen aus, dass er aufgrund der bestehenden Funktionseinschränkungen in seiner Mobilität eingeschränkt sei. Die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel sei für ihn unmöglich.
Er stellte einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Neue Befunde wurden nicht vorgelegt.
12. Am 16.03.2017 wurden die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
13. Das Bundesverwaltungsgericht holte in weiterer Folge ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie vom 21.09.2017 und einer Fachärztin für Neurologie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 16.11.2017 ein.
Im zusammenfassenden Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 16.11.2017 wurde auf Basis einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers Folgendes auszugsweise medizinisch festgestellt:
"...
Ad 1:
Diagnosen: Zustand nach Unterschenkelamputation rechts, Exoprothesenträger
Chronisches Schmerzsyndrom mit depressiver Begleitreaktion
Hypertonie
...
Ad 7: Nach Gesamtbeurteilung im Rahmen der Durchsicht der vorliegenden Befunde, sowie der Begutachtung des Beschwerdeführers im Rahmen der orthopädischen und der neurologischen-allgemeinmedizinischen Untersuchung am 21.09.2017 bzw. 13.11.2017 ist festzustellen, dass aus orthopädischer und neurologischer Sicht eine degenerative Verschlechterung der Gangsicherheit vorliegt, dass das Zurücklegen von längeren Wegstrecken, sowie insbesondere die Überwindung von Hindernissen beträchtlich erschwert ist. Diese Einschätzung ist jedenfalls bei der zusammenfassenden Beurteilung der Zugestehung des Zusatzeintrages Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu berücksichtigen ist.
..."
4. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.12.2017 wurden der Beschwerdeführer und die belangte Behörde über das Ergebnis der Beweisaufnahme informiert und ihnen in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, binnen zwei Wochen eine Stellungnahme dazu abzugeben.
5. Mit Schreiben vom 11.01.2018 brachte der vertretene Beschwerdeführer eine Stellungnahme ein. Darin wird ausgeführt, dass er das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zur Kenntnis nehme.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist seit 18.11.2004 Inhaber eines Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 v.H.
Am 20.05.2016 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass.
Beim Beschwerdeführer bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1) Zustand nach Unterschenkelamputation rechts, Exoprothesenträger;
2) Chronisches Schmerzsyndrom mit depressiver Begleitreaktion;
3) Hypertonie.
Hinsichtlich der beim Beschwerdeführer bestehenden einzelnen Funktionseinschränkungen, deren Ausmaß, wechselseitiger Leidensbeeinflussung, medizinischer Einschätzung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel werden die diesbezüglichen Beurteilungen im Gutachten eines Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie vom 21.09.2017 und im zusammenfassenden Gutachten einer Fachärztin für Neurologie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 16.11.2017 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.
Die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" liegen zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt vor.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Behindertenpass und der gegenständlichen Antragstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zu den bestehenden Leidenszuständen und Funktionseinschränkungen sowie zum Vorliegen der Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" gründen sich auf das seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte Gutachten eines Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie vom 21.09.2017 und auf das zusammenfassende Gutachten einer Fachärztin für Neurologie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 16.11.2017, welche jeweils auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers basieren. Darin wird auf die Art der Leiden des Beschwerdeführers und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Die Gutachten setzen sich auch nachvollziehbar mit den im Zuge des Verfahrens vorgelegten Befunden auseinander. Die getroffene medizinische Beurteilung basiert auf den im Rahmen persönlicher Untersuchungen erhobenen Befunden und entspricht auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen (zur Art und zum Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen und deren Auswirkungen wird auf die detaillierten, oben im Original wiedergegebenen Ausführungen im Gutachten verwiesen). Die Gutachter berücksichtigten auch die vom Beschwerdeführer vorgelegten Befunde.
Der Beschwerdeführer leidet rechts an einem Zustand nach Unterschenkelamputation mit Phantomschmerzen und an einem ausgeprägten chronischen Schmerzsyndrom in beiden unteren Extremitäten. Im Bereich einer chronischen Druckstelle an dem Unterschenkelstumpfes besteht ein Belastungsschmerz. Dem klinischen Status des orthopädischen Sachverständigengutachtens vom 21.09.2017 ist diesbezüglich zu entnehmen, dass eine extreme Berührungsempfindlichkeit der rechten unteren Extremität gegeben ist und der Lagewechsel im Rahmen der Untersuchung massiv erschwert war. Durch die Verschlechterung der Gesamtfunktion und aufgrund der ausgeprägten Schmerzhaftigkeit beider unterer Extremitäten liegt eine zunehmende Gangunsicherheit vor, sodass der Beschwerdeführer im günstigsten Fall nur mehr eine Wegstrecke von 50 Meter zurücklegen kann und danach eine Pause einlegen muss. Auch das Überwinden von Niveauunterschieden ist erheblich erschwert.
Seitens des Bundesverwaltungsgerichts bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit der vorliegenden Sachverständigengutachten vom 21.09.2017 und 16.11.2017. Diese werden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
Zur Entscheidung in der Sache:
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:
"§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
[...]
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
[...]
§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen."
Die in Ausübung der Ermächtigung des § 47 BBG erlassene Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, ist am 01.01.2014 in Kraft getreten und wurde mit 22.09.2016, BGBl. II Nr. 263/2016, novelliert. § 1 dieser Verordnung lautet auszugsweise:
"§ 1. (4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
...
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
..."
In den Erläuterungen zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen wird hinsichtlich der hier maßgeblichen Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 (vormals: § 1 Abs. 2 Z 3) - soweit relevant - insbesondere Folgendes ausgeführt:
"Zu § 1 Abs. 2 Z 3:
Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
Die Voraussetzung des vollendeten 36. Lebensmonats wurde deshalb gewählt, da im Durchschnitt auch ein nicht behindertes Kind vor dem vollendeten 3. Lebensjahr im Zusammenhang mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Wegstrecken nicht ohne Begleitung selbständig gehen kann.
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes ‚dauerhafte Mobilitätseinschränkung' hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.
Die Begriffe ‚erheblich' und ‚schwer' werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend.
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.
Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen."
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde, um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 20.04.2004, 2003/11/0078 [= VwSlg. 16.340 A/2004]; VwGH 01.06.2005, 2003/10/0108; VwGH 29.06.2006, 2006/10/0050; VwGH 18.12.2006, 2006/11/0211; VwGH 17.11.2009, 2006/11/0178; VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142; VwGH 23.05.2012, 2008/11/0128; VwGH 17.06.2013, 2010/11/0021; VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013; VwGH 27.01.2015, 2012/11/0186; VwGH 01.03.2016, Ro 2014/11/0024; VwGH 21.06.2017, Ra 2017/11/0040, je mwN).
Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321 [= VwSlg. 15.577 A/2001]). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hiebei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).
Wie oben unter Punkt II.2. eingehend ausgeführt wurde, wird der gegenständlichen Entscheidung das Gutachten eines Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie vom 21.09.2017 und das zusammenfassende Gutachten einer Fachärztin für Neurologie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 16.11.2017 zu Grunde gelegt. Unter Berücksichtigung der gutachterlichen medizinischen Beurteilungen ist dem Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht mehr zumutbar. Durch den Zustand nach Unterschenkelamputation rechts mit Phantomschmerzen und den hierdurch bestehenden beträchtlichen Funktionseinschränkungen ist dem Beschwerdeführer ein sicherer Transport in den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht möglich.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Im gegenständlichen Fall wurde die Frage der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen überprüft. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund der vorliegenden, nicht bestrittenen schlüssigen Sachverständigengutachten geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.12.2013, Zl. 2011/11/0180) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W255.2150221.1.00Zuletzt aktualisiert am
06.04.2018