TE Bvwg Beschluss 2018/3/26 W264 2189843-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.03.2018
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Entscheidungsdatum

26.03.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W264 2189843-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , alias geboren am XXXX , StA. Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.2.2018, Zahl: 1111529002/160535273/BMI-BFA_STM_AST, den Beschluss:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 3, 2. Satz VwGVG

behoben

und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl

zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden kurz als "BF" bezeichnet), ein inzwischen volljähriger afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal und schlepperunterstützt in Umgehung der Grenzkontrollen als mündiger Minderjähriger nach Europa und stellte am 14.4.2016 im Bundesgebiet den Antrag auf internationalen Schutz.

Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am gleichen Tage wurde der BF - welcher angab Dari/Neupersisch (Muttersprache) und auch Paschtu zu sprechen - zu Beginn der Einvernahme in Deutsch/Dari an, die anwesende Dolmetsch (Dolmetsch für die Sprache Dari) zu verstehen und nach laut Erstbefragungsprotokoll erfolgter Rückübersetzung bejahte er die Frage "Haben Sie alles verstanden?" und ist dokumentiert: "Haben Sie Ergänzungen / Korrekturen zu machen? - ? nein".

Er beschrieb seine Reiseroute und gab als seine Geburtsdaten XXXX und Ghazni, Dairmorda an. Er verneinte Beschwerden und Krankheiten, welche ihn an der Einvernahme hindern oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigen würden. In dem Erstbefragungsprotokoll scheint betreffend den BF die Volksgruppenzugehörigkeit "Hazara" sowie als Glaubensrichtung "Schiit" auf. In der Niederschrift über die Erstbefragung ist betreffend seine Schulausbildung "keine" angegeben und bei "letzter ausgeübter Beruf" ist "Hilfsarbeiter" angegeben.

Als Familienangehörige gab er an, dass sein Vater auf dem Weg in den Iran und seit ca. sieben Monate verschollen sei. Er gab folgende Familienangehörige an:

Er gab seine Mutter XXXX (Alter unbekannt), seinen Bruder XXXX (ca. 6 Jahre), seinen Bruder XXXX (ca. 7 Jahre), Schwester XXXX (ca. 8 Jahre) und Schwester Saira (ca. 12 Jahre) an.

Sein Onkel väterlicherseits habe ihm die Reise (Kosten iHv 400.000 Afghani) organisiert. Als Fluchtgrund gab er an, Afghanistan wegen des Krieges verlassen zu haben. Es gäbe dort keine Sicherheit, die Taliban würden Reisende töten und hätten auch eine Nachbarin des BF getötet, deren Bilder in den Zeitungen und Nachrichten präsent gewesen seien. Außerdem habe seine Familie einen Grundstücksstreit mit dem Onkel des Vaters gehabt. Für den Fall einer Rückkehr brachte er Angst vor den Taliban und vor dem Krieg vor. Hazara würden getötet werden, so der BF.

2. Der BF wurde zum Zwecke der Feststellung seines Alters am 27.4.2016 einer Altersfeststellung unterzogen. Laut Befund über die Bestimmung des Knochenalters vom 27.4.2016 wurde als Ergebnis "Schmeling 3. GP 29" errechnet.

3. Der BF wurde als unbegleitet minderjähriger Fremder vom Jugendwohlfahrtsträger Land Steiermark vertreten und bevollmächtigte dieser mit Erledigung der BH Graz-Umgebung vom 25.4.2016, ohne Zahl, bestimmte Mitarbeiter der Caritas Diözese Graz-Seckau mit der Vertretung des BF im Asylverfahren.

4. Mit Bericht der LPD Steiermark, Landeskriminalamt - Ermittlungsbereich 3 - Sexualdelikte vom 4.12.2016, Zahl: XXXX , wurde der BF als Beschuldigter geführt (versuchte Vergewaltigung am 3.12.2016 auf der Bahnstrecke XXXX ). Darin wird als Beruf des BF "Maurer" angegeben. Der BF war im angelasteten Tatzeitpunkt im 17. Lebensjahr und wurde über ihn

5. Mit Beschluss des LG für Strafsachen XXXX vom 6.12.2016, Zahl:

XXXX wurde über den BF wegen den Haftgründen der Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr die Untersuchungshaft verhängt.

6. Mit Abschlussbericht der LPD Steiermark, Landeskriminalamt - Ermittlungsbereich 3 - Sexualdelikte vom 22.12.2016, Zahl: XXXX , wurde der BF wegen des Verdachts auf versuchte Vergewaltigung, geschlechtliche Nötigung, sexuelle Belästigung und öffentliche geschlechtliche Handlungen der StA Graz angezeigt.

7. Die von der StA Graz in Auftrag gegebene Altersfeststellung erfolgte durch das Ludwig Boltzmann Institut in Graz und wurde mit dem gerichtsmedizinischen Gutachten vom 9.1.2017 (fälschlich lautet dieses auf dem Dokument: 9.1.2017) ein "Mindestalter von 17 Jahren im Zeitpunkt der Untersuchung am XXXX " festgestellt. Im Gutachten ist im Rahmen der Befundung festgehalten, dass mit dem BF eine Verständigung in deutscher Sprache problemlos möglich gewesen sei. Er habe angegeben, dass er vier jüngere Geschwister habe - nämlich zwei Schwestern und zwei Brüder. Seine Mutter lebe in Pakistan, er konsumiere weder Drogen, noch Alkohol.

8. Mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX vom 28.6.2017, Zahl XXXX , wurde der BF wegen des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 und Abs 2, 1. Fall StGB sowie des Vergehens der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlung nach § 218 Abs 1 Z 2 StGB unter Anwendung des § 5 Z 4 Jugendgerichtsgesetzes nach § 201 Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und zur Leistung eines Schadensersatzbetrages von EUR 5.000,-- an das Opfer schuldig erkannt.

Gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB wurde die Vorhaft von 4.12.2016 bis 28.6.2017 auf die verhängte Strafe angerechnet.

9. Am XXXX vollendete der BF das 18. Lebensjahr.

10. Am 23.1.2018 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA; im Folgenden kurz "belangte Behörde") im Beisein eines Dolmetsch in seiner Muttersprache Dari niederschriftlich einvernommen und über die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Rechtsberaters und auf dessen Sprechstunden sowie auf die Möglichkeit der Beiziehung einer Vertrauensperson informiert. Des weiteren wurde der BF die Mitwirkungspflicht sowie auf die Wahrheitspflicht hingewiesen und wurde ihm mitgeteilt, dass es unumgänglich sei, die Wahrheit zu sagen, nichts zu verschweigen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte selbstständig und über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen. Auf die Folgen einer wahrheitswidrigen Aussage und der damit verbundenen allenfalls für ihn nachteilig verlaufenden Glaubwürdigkeitsprüfung wurde er ausdrücklich hingewiesen. Ferner darüber, dass falsche Angaben seine Identität bzw. Nationalität betreffend strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können und Täuschungen über die Identität, die Nationalität oder über die Echtheit von Dokumenten zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer rechtzeitig eingebrachten Beschwerde führen. Über die Rechtsfolgen und der im allgemeinen nicht möglichen Einbringung neuer Tatsachen in dem Fall, dass seinem Ersuchen um Gewährung von internationalem Schutz von der belangten Behörde nicht nachgekommen wird (Neuerungsverbot) wurde er ebenso hingewiesen.

Zu seinem Familienleben befragt führte er aus, dass im Protokoll über die Erstbefragung das Alter seiner Geschwister falsch sei und wisse er nicht, ob es eine Rückübersetzung gegeben habe, da er damals sehr müde gewesen sei von der Reise.

Er sei ledig, Schiit und Hazara und sei in Ghazni in Jaghori in XXXX geboren. Er habe dort mit seiner Familie gelebt, welche sehr viele Grundstücke gehabt habe. Im Alter von drei Jahren sei er mit der Familie nach Pakistan, Quetta, gegangen und dort aufgewachsen. Er gab an, er sei Meister in Teppichknüpfen (sechs bis sieben Jahre ausgeübt) als Maurer und im Bergbau gearbeitet zu haben. Er sei dort nicht in die Schule gegangen und sei in Österreich alphabetisiert worden.

Die Fluchtkosten iHv ca. 5.000 Euro habe er so finanziert, dass 1.000 Euro davon aus seinen Ersparnissen gestammt hätten und den Rest die Mutter finanziert habe.

Befragt ob er im Heimatland Afghanistan auf Grund seiner Herkunft oder Familie Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Stellen gehab habe, verneinte er mit der Aussage "Ich war noch zu klein, aber mit dem Staat hatte meine Familie keine Probleme."

Es sei gegen ihn kein Gerichtsverfahren anhängig und sei er - außer in Österreich - niemals inhaftiert gewesen. Er sei überhaupt der erste seiner Familie, welcher inhaftiert gewesen sei.

Auf Aufforderung seine Flucht- und Asylgründe zu schildern, gab er an:

"Meine Familie hat Afghanistan verlassen, weil dort Krieg war und die Taliban wollten unser Dorf besetzen". Er verneinte auf Nachfrage eine persönliche Verfolgung für ihn oder seine Familie und führte dazu aus: "Wir waren gezwungen zu flüchten, da die Taliban uns sonst getötet hätten."

Die Frage, warum er Pakistan verlassen habe, beantwortete er so:

"Ich habe dort gelebt. Es ist so, dass dort Schiiten und Hazara überall getötet werden, wo sie gefunden werden. Ich habe selbst miterlebt, dass viele meiner Bekannten getötet wurden und zum Märtyrer wurden. Ich war bei einigen Explosionen selbst dabei, aber ich habe glücklicherweise überlebt. Aufgrund der Lage habe ich Pakistan verlassen."

Auf Frage "Haben Sie alle Fluchtgründe genannt?" verneinte er und wurde er aufgefordert "was wollen Sie noch vorbringen?". Daraufhin führte er aus, dass ursprünglich die gesamte Familie nach Europa wollte, jedoch in Ermangelung von ausreichenden finanziellen Mitteln habe man ihn hergeschickt, dass er hier ein gutes Leben aufbauen könne.

Auf die Frage, was dies mit seinen Fluchtgründen zu tun habe, gab er an: "Nichts. Ich habe nun alle Fluchtgründe genannt." Er gab seine Familienangehörigen mit Alter an und zum Vater namens XXXX führte er aus: "Alter unbekannt, verschollen vor ca. 5 Jahren".

Er gab seine Mutter XXXX (Alter unbekannt), seinen Bruder XXXX (ca. 6 Jahre), seinen Bruder XXXX (ca. 8,5 Jahre), Schwester XXXX (ca. 10 Jahre) und Schwester Saira (ca. 15 Jahre) an.

Mit der Familie habe er seit seiner Flucht noch einmal Kontakt gehabt, nämlich per Telefon, es gehe ihnen gut, so der BF.

Auf die Frage ob er glaube, in irgendeinem Teil Afghanistans zB Kabul, Mazar-e-Sharif oder Jalalabad leben zu können, antwortete er. "Wäre die Situation gut, wäre ich nicht hierhergekommen. Also nein."

Er sei nicht deswegen hierher gekommen, damit er arbeiten könne. Er sei überall arbeitsfähig. Er sei nur hierher gekommen, weil dort keine Sicherheit herrsche und es sei unklar, wie lange er dort leben könne.

Die Frage ob ihm im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohe, beantwortete er mit "Ich haben niemanden in Afghanistan und kenn mich dort nicht aus, ich kann nicht nach Afghanistan zurück. Ich kennen mich nicht aus in Afghanistan."

Befragt nach den Gründen, welche gegen eine Rückkehrentscheidung aus Österreich sprechen, führte er ins Treffen: "Hier gibt es Sicherheit und Ruhe. Ich habe hier einen Fehler gemacht und es tut mir leid. Ich bitte um eine zweite Chance."

Zur Frage nach Angehörigen in Afghanistan gab er an, er glaube, er habe irgendwo Verwandte, aber er kenne sie nicht. Er habe in Österreich einen Verwandten, zu welchem er keinen Kontakt habe (Onkel väterlicherseits). Die Versorgung bislang in Österreich habe so ausgesehen, dass er nun in der Justizanstalt sei und auch vorher von staatlicher Unterstützung gelebt habe, so der BF. In der Justizanstalt Gerasdorf mache er eine Lehre zum Koch und besuche einen Deutschkurs.

In der Niederschrift über die Befragung vor der belangten Behörde ist festgehalten, dass der BF sich auf deutsch mäßig verständigen könne.

Befragt wie er das von ihm begangene Verbrechen und das von ihm begangene Vergehen, für welche er in Haft befindlich sei, in Bezug auf seine Integration sehe, gab er an: "Das war das erste Mal, dass ich Alkohol getrunken habe und ich habe Drogen konsumiert und zuvor hatte ich noch nie Drogen konsumiert. Ich war nicht ganz bei mir und durch schlechte Freunde bin ich zu den Drogen gekommen." Die Frage ob er Frauen als Gebrauchsobjekte sehe, beantwortete er mit "Nein, keinesfalls. Ich sehe alle Frauen wie meiner Mutter und meine Schwestern, ich habe damals einen Fehler gemacht, dafür entschuldige ich mich. Mir ist es überhaupt das Recht, dass ich im Gefängnis bin und ich schäme mich."

Die Frage ob es während der Einvernahme Verständigungsprobleme mit dem Dolmetsch gegeben habe, verneinte er mit und ergänzte, alles einwandfrei verstanden zu haben. Er bitte um eine zweite Chance, wolle hier eine Ausbildung machen und hier arbeiten. Ansonsten habe er seinen Angaben nichts hinzuzufügen.

11. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 19.2.2018 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Zugleich erkannte die belangte Behörde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht (Spruchpunkt VII.). Weiters wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 11.4.2017 verloren hat (Spruchpunkt VIII.). Ferner wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IX.).

12. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde, welche vom Rechtsberater ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe mit Schriftsatz vom 16.3.2018 eingebracht wurde. Darin wird - zusammengefasst - vorgebracht, dass der BF wegen Grundstücksstreitigkeiten im Alter von drei Jahren Afghanistan verlassen habe müssen und darauffolgend in Pakistan aufgewachsen und sozialisiert worden sei. Der Aufenthaltsort des Vaters sei ihm unbekannt, die Mutter samt zwei Brüdern und zwei Schwestern lebe in Pakistan. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage in Pakistan habe er die Flucht nach Europa angetreten.

Die belangte Behörde habe ihre Ermittlungspflicht des § 18 AsylG missachtet, so etwa habe sie sich nicht mit dem verfahrensrelevanten Sachverhalt auseinandergesetzt und dem BF nicht dementsprechende Fragen zu seinem Fluchtvorbringen gestellt bzw dieses Vorbringen in der Beweiswürdigung und rechtlichen Beurteilung gewürdigt. Der BF verfüge in Afghanistan nicht über ein soziales Netzwerk. Das Parteigehör sei mangelhaft gewesen und Informationen zu der Bedrohung von in Pakistan lebenden und dort sozialisierten Rückkehrern ohne familiäres/soziales Netzwerk habe die die belangte Behörde nicht eingeholt. Vor allem Hazara, welche sich lange in Pakistan aufgehalten haben, seien in Afghanistan gravierenden Diskriminierungen ausgesetzt, deren Intensität Asylrelevant habe. Die belangte Behörde habe dazu verabsäumt, Länderberichte zu diesem Themenkomplex einzuholen.

Der BF gehöre zur sozialen Gruppe der in Pakistan lebenden Afghanen. Hinsichtlich subsidiären Schutz für Afghanen (konkret Hazara), welche beinahe das ganze Leben in Pakistan zugebracht hätten, wurde auf die Rspr des BVwG und des VwGH sowie auf Länderberichte und die UNHCR-Richtlinie zur Feststellung internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender verwiesen, welche besagen würden, dass Personen - insbes Hazara - ohne familiäres oder sonstiges soziales Netzwerk in Afghanistan bei einer Rückkehr einer [?] ihrer gem. Art 2 und 3 EMRK geschützten Rechte ausgesetzt wären und ihnen demnach subsidiärer Schutz zuzusprechen wäre. Hingewiesen wurde dabei auf BVwG 18.5.2017, W246 2141183-1, wo aus 2013 stammende Judikatur des VfGH zum Asylgerichtshof zitiert wurde (VfGH 6.6.2013, U2666/2012; 7.6.2013, U2436/2012; 13.9.2013, U370/2012) und sei in der jüngsten Rechtsprechung des VfGH ein Abgehen von dieser gefestigten Judikaturlinie nicht zu ersehen, so die Beschwerde mit Hinweis auf VfGH 23.2.2017, E1197/2016).

Die VwGH-Entscheidung vom 15.3.2016, 2015/19/0180, wurde zum Beweise dafür, dass Hazara ohne familiäre Bindung und mit langem Auslandsaufenthalt in Afghanistan asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt seien, geführt und wurde auch auf den Artikel von Friederike Stahlmann im Asylmagazin 03/2017 hingewiesen.

Der BF laufe Gefahr in Afghanistan als verwestlichte Person wahrgenommen zu werden und habe dann mit einer asylrelevanten Verfolgung zu rechnen. Es lägen "Berichte" über Personen vor, welche aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückgekehrt verfolgt und als Ausländer bezeichnet worden seien und als vermeintlich westliche Spione getötet oder gefoltert worden seien (nähere Angaben dazu oder die Berichte selbst blieb der Beschwerdeschriftsatz schuldig).

Die schiitische Bevölkerung werde nach wie vor gewaltsam durch regierungsfeindliche Kräfte angegriffen.

All das würde dem BF bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan drohen.

Argumentiert wurde auch eine mögliche Gruppenverfolgung der Hazara. Ebenso wurde auf die UNCHR-Richtlinie vom 19.4.2016 hingewiesen und der BF als Angehöriger gewisser Volksgruppen, insbesondere ethnischer Minderheiten zugerechnet. Schiitische Hazara seien gezielt Diskriminierungen ausgesetzt und "in jüngerer Zeit" seien die Fälle von Schikanierung, Einschüchterung, Entführung und Tötung durch die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte gestiegen. Er habe in seiner Einvernahme die Angst vor Verfolgung und Tötung durch Taliban wegen seiner Religion angegeben und habe die belangte Behörde dies nicht ausreichend berücksichtigt.

Der belangten Behörde wurde angelastet, sich nicht ausreichend mit den Länderfeststellungen auseinander gesetzt zu haben, so dass ein massiver Verfahrensfehler unterlaufen sei. Das Verfahren der belangten Behörde könne daher nicht als ordnungsgemäß bezeichnet werden und habe die Entscheidung erhebliche Verfahrensmängel.

Die belangte Behörde unterstelle dem BF eine auswegslose Situation in Afghanistan zu konstruieren, so die Beschwerde.

Es sei notorisch, dass die afghanische Regierung bei Verfolgung von Rückkehrern und Hazara weder schutzwillig noch -fähig sei. Er wäre im gesamten Staatsgebiet einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Hazara wären bei innerstaatlichen Fluchtalternativen laut einer ACCORD-Anfrage vom 2.9.2016 bei der Reise durch unsichere Regionen, wo sie aufgrund ihrer Ethnizität und Religionszugehörigkeit gefährdet seien, einem Risiko ausgesetzt.

Weiters wurde zur Sicherheitslage in Kabul ausgeführt, welche als "prekär" bezeichnet wurde. Der Länderbericht bilde die verschlechterte Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul nur unzureichend ab, so die Beschwerde.

Laut UNHCR in dessen Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des dt. BMI vom Dezember 2016 sei das gesamte Staatsgebiet von einem innerstaatlichen Konflikt betroffen und müsse unter Hinweis auf den auszugsweise wiedergegebenen Bericht der stv. Leiterin des UNHCR-Büros in Kabul vom 12.3.2018 - wo berichtet werde, dass in Kabul sich zahlreichende ZivilistInnen unter den Opfern befinden, weshalb der UNHCR zu dem Schluss komme, dass weder Kabul, noch Mazar-e Sharif noch Herat für ZivilistInnen sicher sei - gesagt, werden, dass das im Dezember 2016 von UNHCR Gesagte heute umso mehr gelte.

Es wurden ein Sachverständigengutachten des Dr. Rasuly vom 29.1.2018 und der Hinweis auf EASO-Berichte von August und Dezember 2017 vorgebracht, worin die Sicherheitslage in Kabul seit Ende 2017 als prekär entwickelt angesehen wird.

Einem Bericht des Pentagon zufolge habe sich die Sicherheitslage in ganz Afghanistan erheblich verschlechtert; Anzahl und Einflussbereich regierungsfeindlicher Elemente würden stetig ansteigen. Taliban seien in 70% Afghanistans aktiv. Seit dem Abzug von US-Truppen hätten Taliban an Kontrolle und Macht dazu gewonnen.

"Ganz besonders Hazara" würden Anschlägen in Großstädten gehäuft zum Opfer fallen und träfe den BF daher ein besonderes Risiko, auch in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif dem innerstaatlichen Konflikt zum Opfer zu fallen.

Der BF verfüge nicht über eine Berufsausbildung und vor dem Hintergrund der erschöpften Arbeitsmarktressourcen und den hohen Lebenserhaltungskosten in den Städten könne er - so er überhaupt eine Arbeit finden könnte - jedenfalls keine Arbeit finden, mit welcher er seine Existenz sichern könnte. Seine Familie verfüge gerade über genug Mittel, um sich selbst versorgen zu können. Als Hazara wäre er im Konkurrenzkampf um die letzten vorhandenen Ressourcen maßgeblich benachteiligt.

Eine Ausweisung wäre aufgrund der individuellen Gefährdungslage keinesfalls geboten und liege somit keine Grundlage für das Einreiseverbot vor. Die Behörde habe eine individuelle Gefährdungsprognose mit Berücksichtigung der individuellen Umstände unterlassen. Es sei nicht nachvollziehbar, auf Grund welcher Annahmen die Behörde zu dem Ergebnis komme, dass die Erlassung eines "unbefristeten Einreiseverbots" (sic!) angebracht sei.

Es wurde die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt, da eine Abschiebung die reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würden und für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Es wurde beantragt die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, in eventu die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, in eventu die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären, in eventu das unbefristete (sic!) Aufenthaltsverbot aufzuheben, in eventu das unbefristete Einreiseverbot (sic!) iSd Rechtssprechung des VfGH zu befristen, in eventu den Akt zur Verfahrensergänzung zurückzuverweisen.

13. Den Fluchtgrund und / oder die Identität und / oder seine Familienverhältnisse belegende Dokumente wurden dem Gericht mit der Beschwerde nicht vorgelegt.

2. Rechtliche Beurteilung und Beweiswürdigung:

2.1. Anzuwendendes Recht:

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes - AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 28 VwGVG normiert im Abs 1 für den Fall, dass die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen hat. Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Abs 2). Abs 3 normiert: Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem BFA, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem BVwG gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) bleiben unberührt.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.

§ 16 Abs 6 und § 18 Abs 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Gemäß § 15 AsylG hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

2.2. Rechtlich folgt daraus:

2.2.1. Die gegenständliche, zulässige und rechtzeitige Beschwerde wurde mit E-Mail am 16.3.2018 beim BFA eingebracht und wurde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt, wo diese am 21.3.2018 eingegangen.

Ad Spruchpunkt A):

2.2.2. Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht (VwG) den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, sofern die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.

Zur Anwendung der Vorgängerbestimmung des § 66 Abs 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat - an dessen Stelle als Rechtsmittelinstanz in Asylsachen mit 1.7.2008 der Asylgerichtshof und mit 1.1.2014 das BVwG getreten ist - hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 21.11.2002, 2002/20/0315, ausgeführt:

"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art II Abs 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. dazu unter dem besonderen Gesichtspunkt der Auslegung der Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde im abgekürzten Berufungsverfahren nach § 32 AsylG die Ausführungen im Erkenntnis vom 23.7.1998, 98/20/0175, Slg. Nr. 14.945/A, die mehrfach vergleichend auf § 66 Abs 2 AVG Bezug nehmen; zu diesem Erkenntnis siehe auch Wiederin, ZUV 2000/1, 20 f.)"

Mit Erkenntnis vom 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, hat der VwGH einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluss eines VwG aufgehoben, weil das VwG in der Sache selbst hätte entscheiden müssen. In der Begründung dieser Entscheidung führte der VwGH unter anderem aus, dass die Aufhebung eines Bescheides durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht kommt, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies werde jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen werde insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen ließen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hätte, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Der VwGH hat zuletzt weitere Entscheidungen getroffen, in denen er diese Grundsätze weiter ausgebildet hat. So hat er im Erkenntnis vom 19.04.2016, Ra 2015/01/0010, ausgesprochen, dass auch wenn das Verwaltungsgericht die beweiswürdigenden Erwägungen einer Verwaltungsbehörde nicht teilt, dies allein noch nicht dazu führt, dass von einem Unterlassen gebotener Ermittlungsschritte im Sinne des § 28 Abs. 3 VwGVG gesprochen werden könnte (VwGH 20.5.2015, Ra 2014/20/0146).

2.2.3. Im vorliegenden Fall war es die Aufgabe der belangten Behörde zu klären, ob der BF zum einen eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen konnte, und zum anderen, ob darüber hinaus menschen- bzw. asylrechtliche Gründe einer Rücküberstellung bzw. Ausweisung in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen würden und ihm der Status als subsidiär Schutzberechtigter zu gewähren wäre.

2.2.3.1. Das gegenständliche Verwaltungsverfahren wurde jedoch schon in folgendem wesentlichen Punkt mangelhaft geführt und weist somit relevante Mängel auf:

Bei der Beurteilung der Intensität von Verfolgungshandlungen ist auf die Minderjährigkeit eines Asylwerbers Rücksicht zu nehmen (VwGH 26.6.1996, 2005/01/0247; 15.3.2016 2015/19/0108) und darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass der Zweck der Erstbefragung es ist, die Identität und Reiseroute eines Fremden und nicht die näheren Fluchtgründe zu erheben.

2.2.3.1.1. In casu ist aber darauf hinzuweisen, dass der im Zeitpunkt der Einreise mündig minderjährige BF am 14.4.2016 bei der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unter anderem "Grundstücksstreitigkeiten mit einem Onkel meines Vaters" als fluchtrelevant angab und erwähnte, dass sein Onkel väterlicherseits die Flucht organisiert habe.

Im Zeitpunkt der Niederschrift vor der belangten Behörde am 23.1.2018 war der BF bereits volljährig (18. Geburtstag am 21.12.2017) und wurde ihm nach Des weiteren wurde der BF die Mitwirkungspflicht sowie auf die Wahrheitspflicht hingewiesen und wurde ihm mitgeteilt, dass es unumgänglich sei, die Wahrheit zu sagen, nichts zu verschweigen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte selbstständig und über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Zu Beginn der Befragung am 23.1.2018 gab der BF zur Erstbefragung an "Ich war sehr müde von der Reise" und ist dabei die Anmerkung des Einvernahme-Leiters in Klammern festgehalten wie folgt: "Wird alles im Zuge dieser Befragung geklärt".

Die Angabe "Wir waren gezwungen zu flüchten, da die Taliban uns sonst getötet hätten" wurde nicht etwa durch Nachfrage woraus der BF, welcher angibt im Alter von drei Jahren aus Afghanistan weggegangen zu sein, dieses Wissen bezieht, näher beleuchtet.

Der BF trug als Fluchtgründe die Sicherheitslage ("weil dort Krieg war"), die Taliban ("wollten unser Dorf besetzen") vor, jedoch nicht auch die in der Erstbefragung erwähnten Grundstücksstreitigkeiten. Nach dem Hinweis auf Müdigkeit bei der Erstbefragung hätte die belangte Behörde an dieser Stelle dem BF nach dem Vortrag seiner Fluchtgründe (Protokoll S. 5) die in der Erstbeschwerde vorgebrachten Grundstücksstreitigkeiten vorzuhalten gehabt.

Der BF brachte auch vor, dass das Alter seiner Geschwister bei der Erstbefragung "falsch sei". In Zusammenschau mit den in der Erstbefragung angegebenen Geschwistern hätte die belangte Behörde am 23.1.2018 durch Befragung die Existenz des bereits in der Erstbefragung genannten Onkels väterlicherseits - welchen der BF im Jänner 2018 nicht mehr erwähnte - zu erheben gehabt.

2.2.3.1.2. Zu dem Thema, ob der BF bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat ein Einkommen erwirtschaften kann, um seine grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen zu können, um nicht in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, ist essentiell zu erheben, ob er allenfalls auf Unterstützung des familiären Netzwerks zurückgreifen und / oder aus eigener Arbeit ausreichend Einkommen erwirtschaften kann:

Es wurde jedoch hinsichtlich Ausführungen des BF zu den bisherigen Lebensverhältnissen nicht zu dessen Berufserfahrung (Maurer, Bergbau, "sechs bis sieben Jahre Teppich geknüpft, da bin ich Meister") nachgefragt. Es wäre zu eruieren, ob der BF mit der im Wege dieser Berufsausübung erlangten Erfahrung sich auch bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat ein Einkommen erwirtschaften kann, um seine grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen zu können, um nicht in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Die Angabe "Ich glaube ich habe irgendwo Verwandte, aber ich kenne sie nicht" wurde von der belangten Behörde hingenommen und nicht etwa durch Nachfrage ob die Eltern des im Alter eines Minderjährigen eingereisten BF Geschwister hätten, ob die Großeltern des BF noch am Leben sind, ob allenfalls der in Österreich befindliche Onkel - nach dem ebenso wenig nachgefragt wurde - nähere Angaben liefern könne, mit dem BF näher erörtert.

Die Frage "Haben oder hatten Sie seit Ihrer Flucht noch einmal Kontakt zu Ihrer Familie?" erscheint nicht ausreichend konkret. Es wäre das / die kontakthaltende(n) Familienmitglied(er), die Häufigkeit des Kontakts und der Zeitpunkt des letzten Kontakts zu erheben.

Der Angabe "ja, es geht ihnen gut" wäre ebenso näher auf den Grund zu gehen. Es ist zu erheben, ob es der Familie finanziell so ausreichend gut geht, dass sie dem BF eine wirtschaftliche Unterstützung angedeihen lassen kann.

2.2.3. Mag auch im Hinblick auf seine bisher gemachten Angaben (etwa bei der Erstbefragung) fraglich erscheinen, ob der BF im fortgesetzten Verfahren asylrelevante Fluchtgründe glaubhaft machen können wird, so wird doch bezüglich der Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides) im fortgesetzten Verfahren zu klären sein, wohin in sein Herkunftsland der BF - ohne Verletzung der Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder ohne Gefahr einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes für ihn als Zivilperson - zurückkehren könnte.

Für den Fall des Vorliegens von real risk im Sinne des Art. 3 EMRK in seiner Herkunftsregion wird das BFA auf der Basis von Feststellungen zur Lage von Rückkehrern (etwa nach Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif) die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer allfälligen innerstaatlichen Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG zu prüfen haben.

Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative erfordert im Hinblick auf das ihr u.a. innewohnende Zumutbarkeitskalkül insbesondere nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet (Hinweis auf VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, mwN) sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit

(vgl Art 8 der Statusrichtlinie), so der VwGH in seiner Entscheidung 8.8.2017, Ra 2017/19/0118 mwN).

2.2.4. Zusammengefasst ist festzustellen, dass das BFA in Bezug auf die Ermittlung der Sachlage nicht mit der gebotenen Genauigkeit und Sorgfalt vorgegangen ist und die Sachlage nicht ausreichend erhoben hat.

Der VwGH verlangt in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389). Aufgrund des mangelnden Ermittlungsverfahrens hat die belangte Behörde jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens des im Alter eines Minderjährigen geflüchteten BF nicht vorgenommen, da die belangte Behörde dieses offensichtlich nicht anhand der konkret entscheidungsrelevanten aktuellen Situation gewürdigt hat.

Im gegenständlichen Fall verstieß das Prozedere der belangten Behörde gegen die in § 18 Abs 1 AsylG normierten Ermittlungspflichten. Die Asylbehörden haben in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Rechtsnorm, welche eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs 2 leg.cit. hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen darstellt, hat die belangte Behörde in casu missachtet.

In casu sind der angefochtene Bescheid der belangten Behörde und das diesem zugrunde liegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides unvermeidlich erscheint. Der Sachverhalt erweist sich in Verbindung mit der Beschwerde nicht als geklärt, sodass das Verfahren der belangten Behörde mangelhaft ist.

Die Vornahme der angeführten Feststellungen und Erhebungen durch das Bundesverwaltungsgericht selbst verbietet sich unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des VwGH und unter Effizienzgesichtspunkten, zumal diese grundsätzlich vom BFA durchzuführen sind.

2.2.5. Im fortgesetzten Verfahren wird das BFA die dargestellten Mängel zu verbessern und in Wahrung des Grundsatzes des Parteiengehörs dem BF die Ermittlungsergebnisse zur Kenntnis zu bringen haben.

Zu Spruchpunkt B) - Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

In der rechtlichen Beurteilung wurde unter Bezugnahme auf die Judikatur des VwGH ausgeführt, dass im behördlichen Verfahren notwendige Ermittlungsschritte unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs 3, 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, weil § 28 Abs 3, 2. Satz inhaltlich

§ 66 Abs 2 AVG (mit Ausnahme des Wegfalls des Erfordernisses der Durchführung einer mündlichen Verhandlung) entspricht, sodass die Judikatur des VwGH betreffend die Zurückverweisung wegen mangelhafter Sachverhaltsermittlungen heranzuziehen ist. Im Übrigen trifft § 28 Abs 3, 2. Satz VwGVG eine klare Regelung (im Sinne der Entscheidung des OGH vom 22.3.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, familiäre Situation,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W264.2189843.1.00

Zuletzt aktualisiert am

06.04.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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