Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. S*****, 2. H*****, beide *****, beide vertreten durch die Schmid & Horn Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei M*****, vertreten durch die Kocher & Bucher Rechtsanwälte OG in Graz, wegen Feststellung (7.000 EUR) und Unterlassung (4.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 7. Juni 2017, GZ 6 R 2/17h-30, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Graz-West vom 18. Oktober 2016, GZ 313 C 709/15z-24, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Berufungsurteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Kläger erwarben mit Kaufvertrag vom 26. Mai 2003 eine aus mehreren Grundstücken bestehende Liegenschaft, die der Verkäufer seinerseits im Jahr 1979 gekauft hatte. Zwei Wiesengrundstücke dieser Liegenschaft (EZ ***** GSt-Nr 136/1 und Nr 137), die den Gegenstand des Rechtsstreits bilden, waren als Weide verpachtet. Die Wiese war eingezäunt, der Zaun konnte aber an der Straße und beim Bachübergang geöffnet werden (durchtrennter Stacheldraht, um einen Zaunpfeiler gewickelt). Der Beklagte ist Eigentümer einer (ebenfalls aus mehreren Grundstücken bestehenden) Liegenschaft mit einem Waldgrundstück (EZ ***** GSt-Nr 147) in Hanglage. Beim Zugang zu diesem Grundstück über die Wiese muss der Bach überwunden werden, wozu in den 90-er Jahren 80 cm „große“ Betonrohre in den Bach eingebaut wurden. Der Beklagte bekam die Liegenschaft, die bereits 1938 landwirtschaftlich genutzt wurde („Bauernhof“), im Jahr 2006 von seinem Onkel übertragen; schon seit 1976 hatte er die Holzfuhren vom Wald durchgeführt (nachdem sein Onkel einen Fuß verloren hatte).
Im Kaufvertrag vom 26. Mai 2003 ist kein Servitutsrecht enthalten, sondern vereinbart, dass die (gesamte) Liegenschaft lastenfrei übergeben wird. Im Jahr 2007 ließen die Kläger eine Forststraße errichten, die (auch) am Wiesengrundstück (Nr 136/1 und Nr 137) entlang verläuft. Am 9. Juli 2015 befuhr der Beklagte diese Forststraße mit seinem Traktor. Er weigerte sich, eine (von den Klägern geforderte) Unterlassungsverpflichtung zu unterschreiben.
Die Kläger begehren, festzustellen, dass dem Beklagten als Eigentümer des Grundstücks Nr 147 der EZ ***** keine Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens mit Fahrzeugen aller Art – in eventu: davon ausgenommen die Dienstbarkeit der Holzbringung mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen in der kalten Jahreszeit, wenn der Boden der genannten Grundstücke gefroren ist – über die Grundstücke Nr 137 und Nr 136/1 der EZ ***** zustehe, und den Beklagten (in eventu mit derselben Einschränkung betreffend die Holzbringung im Winter) zur Unterlassung des Begehens und Befahrens des über das Grundstück Nr 136/1 der EZ ***** verlaufenden Wegs zu verpflichten. Eine Dienstbarkeit habe nie bestanden; der Beklagte habe bei einzelnen Fahrten früher um Erlaubnis zur Nutzung des Wegs gefragt.
Der Beklagte wendete zusammengefasst ein, sein (zur Gänze bewachsenes) zum Graben hin abfallendes Waldgrundstück sei durch ihn und seine Rechtsvorgänger „seit jeher“ über die genannten Grundstücke gepflegt worden; ein anderer Zugang sei nicht möglich. Vor Errichtung des Wegs sei die Dienstbarkeit durch Befahren eines Wiesenstreifens so erfolgt, dass Flurschäden möglichst gering gehalten worden seien. Die Dienstbarkeit sei offenkundig gewesen und über Jahrzehnte ungestört ausgeübt worden, weshalb es keiner Eintragung bedurft hätte. Der Verkäufer habe sich hingegen nie auf der Liegenschaft „blicken lassen“. Um Erlaubnis hätten er oder seine Rechtsvorgänger nie gefragt.
Das Erstgericht wies die Klagebegehren sowie die Eventualbegehren ab. Es kam – ausgehend von weiteren, im Berufungsverfahren nicht überprüften Feststellungen (insbesondere zur Erreichbarkeit des Waldgrundstücks des Beklagten, zur Nutzung der Wiese bzw des Wegs für den Holztransport, zu Dauer und Umfang dieser Nutzung sowie zum Zweck der Betonrohre im Bach) – zu dem Schluss, dass der Beklagte eine Servitut (zum Holzabtransport, allerdings nicht eingeschränkt auf den Winter) ersessen habe. Den Klägern hätte beim Erwerb der Liegenschaft auffallen müssen, dass die Wiese von den Eigentümern der dahinter liegenden Grundstücke (also auch vom Beklagten) als Zugang/Zufahrt verwendet wurde; sie seien daher zu Nachforschungen verpflichtet gewesen und nicht als gutgläubig (im Sinn des § 1500 ABGB) anzusehen.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es dem Feststellungs-(haupt-)begehren sowie dem Unterlassungsbegehren stattgab. Die verlegten Betonrohre und die Durchtrennungen des Stacheldrahts bildeten keine derart klaren Hinweise auf das Bestehen einer Dienstbarkeit, dass beim Kauf der Liegenschaft Anlass für weitere Nachforschungen bestanden hätte. Nachträglich ließ das Berufungsgericht über Antrag des Beklagten die Revision mit der Begründung zu, dass ihm im Hinblick auf die Rechtsprechung zu § 1500 ABGB und Nachforschungspflichten beim Erwerb landwirtschaftlich genutzter Flächen möglicherweise eine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen sei.
Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und im Sinn des in jedem Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrags (RIS-Justiz RS0041774 [T1]) auch berechtigt.
1. Eine nicht verbücherte Dienstbarkeit, die nicht offenkundig ist, erlischt durch den gutgläubigen (entgeltlichen) Erwerb des belasteten Grundstücks (RIS-Justiz RS0012151). Der redliche Erwerber wird jedoch nicht geschützt, wenn seine irrige Vorstellung über den Umfang eines fremden Rechts auf – auch nur leichter – Fahrlässigkeit beruht (RIS-Justiz RS0034776 [T4, T6, T11, T23]). Die Sorgfaltsanforderungen an den Erwerber dürfen zwar nicht überspannt werden, weil sonst das Grundbuch entwertet würde (RIS-Justiz RS0034776 [T3]), er muss allerdings Nachforschungen anstellen, wenn der indizierte Verdacht besteht, dass die tatsächlichen Besitzverhältnisse nicht dem Grundbuchstand entsprechen, wenn sich also nach den Umständen des Einzelfalls konkrete Bedenken ergeben (RIS-Justiz RS0034776 [T13, T22]). Eine solche Nachforschungspflicht ist etwa dann anzunehmen, wenn sichtbare Anlagen auf dem Grund oder sonstige Einrichtungen oder Vorgänge, die man von dort aus bei einiger Aufmerksamkeit wahrnehmen kann, das Bestehen einer Dienstbarkeit vermuten lassen (= offenkundige Dienstbarkeit; RIS-Justiz RS0011633, RS0034803; zu allem jüngst 3 Ob 26/17w [Pkt 2.1.]). Fahrlässig handelt derjenige, der den Widerspruch zwischen dem Grundbuchstand und den tatsächlichen Verhältnissen hätte feststellen können (RIS-Justiz RS0011651). Das Unterlassen der Besichtigung der Liegenschaft stellt eine den Vorwurf der Fahrlässigkeit rechtfertigende Sorgfaltsverletzung dar (RIS-Justiz RS0011651 [T6]).
2. Die Revision wendet sich im Wesentlichen gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, im konkreten Fall hätte beim Erwerb der Liegenschaft kein Anlass zu Nachforschungen in Richtung eines Servitutsrechts des Beklagten bestanden, und verweist darauf, dass nach dem vom Erstgericht (teilweise disloziert in der rechtlichen Beurteilung) festgestellten Sachverhalt sichtbare Anlagen auf dem Wiesengrundstück vorhanden gewesen seien, die solche Nachforschungspflichten begründet hätten.
In diesem Zusammenhang vertrat das Berufungsgericht den Standpunkt, die im Bach verlegten Betonrohre und die Durchtrennungen des Zauns seien nur bei einer gesonderten Besichtigung („durch Abgehen“) der Liegenschaft wahrnehmbar gewesen; dies hätte eine Überspannung der Sorgfaltsanforderungen an den Erwerber bedeutet. Wie das Berufungsgericht selbst erkannte, steht diese Beurteilung jedoch im Widerspruch zur Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 1500 ABGB, wonach dem Erwerber einer Liegenschaft, der eine Besichtigung unterlässt, im Zusammenhang mit außerbücherlichen Dienstbarkeiten Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (vgl RIS-Justiz RS0011651 [T6]). Dass die Rohre bei einer Begehung des Grundstücks in der Natur den Klägern (bzw dem Erstkläger) beim Erwerb hätten auffallen müssen, hat das Erstgericht (wenngleich im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung) festgestellt. Darüber hinaus steht auch fest, dass solche Rohre im landwirtschaftlichen Bereich verwendet werden, um die Überfahrt über einen Bach mit dem Traktor zu erleichtern.
3. Die Rechtssache erweist sich damit als nicht spruchreif. Das Berufungsgericht hat – ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten – Rechtsansicht zu den (allgemeinen) Nachforschungspflichten des Erwerbers einer Liegenschaft die Mängel- und Tatsachenrüge in der Berufung der Kläger nicht behandelt. Diese betrifft (jedenfalls auch) Feststellungen, die für das Verfahren relevant sind. So haben die Kläger insbesondere die wesentlichen Feststellungen sowohl über die Art der Nutzung der Grundstücke (offenbar nur zum Holzabtransport) als auch zum Umfang („immer“; erkennbar nicht nur im Winter) ebenso bekämpft wie die Dauer dieser Nutzung. Sie haben aber (wenngleich im Rahmen ihrer Mängelrüge) auch die Feststellungen zum Zweck der im Bach eingebauten Betonrohre beanstandet. Derzeit lässt sich daher die Frage, ob den Klägern als Erwerber der Liegenschaft (einschließlich der beiden Grundstücke) Fahrlässigkeit (im Bezug auf eine offenkundige außerbücherliche Dienstbarkeit des Beklagten) vorzuwerfen ist, nicht abschließend beurteilen.
Da das Berufungsgericht das Rechtsmittel der Kläger nicht vollständig behandelt hat, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
Textnummer
E121062European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0030OB00199.17M.0221.000Im RIS seit
06.04.2018Zuletzt aktualisiert am
14.01.2019