TE Vfgh Erkenntnis 1997/12/1 B2926/96

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Veröffentlicht am 01.12.1997
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

EMRK Art3

Leitsatz

Verletzung im Recht keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden durch die Behandlung des Beschwerdeführers (zB Zerren an den Haaren) im Zuge der Auflösung einer nichtgenehmigten Versammlung an der Kraftwerksbaustelle Lambach

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die Worte "sowie der behaupteten Übergriffe" des Spruchpunktes I sowie durch Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden.

Der Bescheid wird in diesem Umfang sowie hinsichtlich des Spruchpunktes III aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (im folgenden: UVS) wies die an ihn gerichtete Beschwerde des nunmehrigen Beschwerdeführers vor dem Verfassungsgerichtshof, die sich gegen die behauptete Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt "durch Organe der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land am 5. März 1996 auf der Kraftwerksbaustelle Lambach bzw. am Gendarmerieposten Lambach" wendete, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung teils als unbegründet ab, teils als unzulässig zurück und verpflichtete den Beschwerdeführer zum Ersatz der Kosten des Verfahrens.

Der UVS nahm folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

"Der Bf war Mitglied einer Gruppe von Personen, die sich schon seit längerer Zeit auf dem gegenständlichen Kraftwerksgelände aufgehalten bzw diese besetzt hielten, um die Durchführung der geplanten Bauarbeiten unzugänglich zu machen, weil sie sich aus Gründen des Umweltschutzes gegen die Realisierung dieses Projektes wenden.

Am 5.3.1996 um ca. 7.00 Uhr wurde die am linken Ufer befindliche Baustraße in Lambach (auf Höhe des Tennisplatzes) vom Bf zusammen mit ca. 10 bis 15 weiteren Personen besetzt, sodaß die Bauarbeiten nicht aufgenommen werden konnten. Insbesondere wurde auf der Baustraße ein Biertisch mit Sitzbänken aufgestellt, um den herum sich diese Personen aufhielten; dabei wurde von ihnen ein Transparent, welches an zwei langen Holzstangen befestigt war, mit der Aufschrift 'Rettet die Traun Initiative Traun; WWF; Global 2000' auf der Böschung aufgelegt. ...

Als die Demonstranten merkten, daß offensichtlich eingeschritten wird, haben sich drei Aktivisten, darunter der Bf, mit dem entrollten Transparent etwa knietief in die Traun hineingestellt und dabei wieder gerufen: 'Rettet die Traun; Polizeistaat' usw.

Um 10.05 Uhr hat der Behördenvertreter die Demonstranten mittels Megaphon darauf aufmerksam gemacht, daß hier eine nicht angemeldete Versammlung abgehalten würde und daß die Versammlung von der Behörde untersagt und aufgelöst werden würde, falls nicht der Versammlungsort freiwillig verlassen werden würde.

Daraufhin haben mit Ausnahme des Bf und der beiden weiteren Aktivisten, die in der Traun standen und das besagte Transparent hielten, alle übrigen Demonstranten den Versammlungsort freiwillig verlassen.

Im Anschluß daran wurde zunächst begonnen, die verschiedenen Arbeiten (Schüttarbeiten) durchzuführen. Zwischendurch hat ein Bagger den Aktivisten das Transparent entrissen. Sodann setzt der Bagger seine Arbeiten fort. ...

Etwas später, um etwa 12.00 Uhr, wurde versucht, den Bf festzunehmen; dieser befand sich - mit hüfthohen Fischerstiefeln ausgerüstet zusammen mit einer weiteren Aktivistin - immer noch im Wasser der Traun, wobei er eine lange Transparenthaltestange in Händen hielt. In weiterer Folge versuchte der Baggerfahrer offenbar, den Bf aus dem Baubereich zu vertreiben, indem er ihn mit der Baggerschaufel bespritzte bzw. den Bf mit einer Schaufel voll Wasser übergoß. Daraufhin ging der Bf tatsächlich aus der Traun ans Ufer. Als die GB, die sich - wie am Video ersichtlich - in einiger Entfernung auf der Baustraße aufhielten - diesen Augenblick nützen wollten, um den Bf zu ergreifen, flüchtete er sich wiederum soweit in den Fluß, daß er nicht mehr ergriffen werden konnte. Daraufhin stellten sich zwei GB in die Schaufel des Baggers, ließen sich solcherart über die Wasseroberfläche zum Bf bringen. Aus dieser - im Verhältnis zum Bf etwas überhöhten Lage - konnten die GB den Bf an den Oberarmen ergreifen und näher zum Ufer bringen; dort halfen die übrigen GB mit, den Bf aus dem Wasser hochzuheben auf die Uferböschung, wobei dem Bf die Transparenthaltestange entglitt bzw. möglicherweise abbrach und ins Wasser fiel. Danach wurde der Bf zunächst auf der Uferstraße niedergelegt; unmittelbar darauf wurde er auf die Baustraße (im Bereich des Baggers) gebracht. Sodann wurde der Bf über die äußerst steile Böschung hinauf zur Straße transportiert, wo sich eine Menschenmenge befand. Auf der Straße wurde der Bf niedergelegt, geschlossen und kurz am Boden liegend festgehalten, bis das Gendarmeriefahrzeug gekommen ist, in welches er sodann verbracht wurde. Im Zuge dieser Festnahme, der er sich aus seiner Sicht durch 'passive', objektiv betrachtet jedoch durchaus auch eine bestimmte Bewegungsaktivität erfordernde, wenngleich nicht als einen tätlichen Angriff gegen die Beamten zu deutende (und allenfalls in diesem Sinne als 'passiv' zu wertende) Maßnahmen - wie situationsbedingtes Anlegen der Extremitäten an den Körper, sogenanntes 'Schwermachen', bewußtes Hängenlassen der Gliedmaßen, Körperdrehungen und Windungen, etc, um den Sicherheitsorganen etwaige Zugriffspunkte weitestmöglich zu entziehen - ständig widersetzte, wozu noch kam, daß er infolge seiner Durchnässung auch den Organen mehrmals entglitt (insbesondere beim Herausziehen aus dem Wasser sowie beim Hinaufschaffen des Bf über die steile Böschung) - ständig widersetzte, wurde er zum Zweck des Fixierens und des Anlegens von Handschellen auch zu Boden gedrückt. Daß dabei entsprechende (relativ geringfügige) körperliche Schmerzen verursacht wurden, ist evident; sie waren aber nach Überzeugung des O.ö. Verwaltungssenates keinesfalls von jener Intensität, wie sie der Bf vorzugeben versuchte.

In der Folge wurde der Bf schließlich im Gendarmeriefahrzeug zum Gendarmerieposten Lambach gebracht, und dort beamtshandelt, wobei er bis zum Eintreffen von trockener Kleidung, insbesondere Unterwäsche, etwa 30 bis 45 Minuten in seiner nassen Kleidung im geheizten Raum verbrachte. Wegen seines aggressiven Verhaltens wurden ihm vorläufig auch die Handschellen nicht abgenommen, sondern lediglich vorne angelegt. Erst etwas später wurden ihm die Handschellen gelöst. In der gleichen Zeit wurde auch mehrmals vergeblich versucht, die vom Bf gewünschte(n) Vertrauenspersonen zu verständigen und einen Arzt herbeizuholen.

..."

Der UVS folgerte daraus:

"Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist unter einer Versammlung eine 'Zusammenkunft mehrerer Menschen in der Absicht, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen, zu verstehen, sodaß eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht. Eine Versammlung ist - m.a.W. ausgedrückt - das Zusammenkommen von Menschen (auch auf Straßen) zum gemeinsamen Zweck der Erörterung von Meinungen oder der Kundgabe von Meinungen an andere; keine Versammlung ist das bloß zufällige Zusammentreffen von Menschen' (vgl. zuletzt etwa VfSlg 12161/1989; siehe dazu näher auch H. Hofer-Zeni, Die Versammlungsfreiheit, in: Machacek-Pahr-Stadler, Grund- und Menschenrechte in Österreich, Bd. II, Kehl 1992, 359 ff).

Daß der Zweck der Anwesenheit des sich selbst explizit als 'Umweltschützer' (...) bezeichnenden Bf auf der Kraftwerksbaustelle Lambach darin bestand, durch Blockierung der Baustraße mittels des Biertisches und Hinderung des Baggers an der Verrichtung von Bauarbeiten sowie durch die Ausübung 'bloß passiven Widerstandes' gegen die zu erwartende zwangsweise behördliche Räumung gemeinsam mit gleichgesinnten Personen seinen Unwillen gegen die Realisierung dieses Projektes zu manifestieren, wurde von ihm nie in Abrede gestellt. Dazu kommt noch, daß er zusammen mit anderen Aktivisten ein großes Transparent mit der Aufschrift 'Rettet die Traun! WWF; GLOBAL 2000' im Wasser der Traun stehend deutlich sichtbar und lesbar demonstrativ zur Schau stellte.

Damit lag aber auch die offenkundige Absicht vor, die anwesenden Gleichgesinnten im Sinne der vorangeführten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu einem gemeinsamen Wirken - nämlich die Fortführung von Bauarbeiten dadurch zu verhindern, daß die Baustelle durch relativ, d.h. in bezug auf ein voraussichtlich ohnehin sehr maßvolles Vorgehen der Sicherheitsorgane, schwer auflösbare Verhaltensweisen (...) blockiert wird - zu bringen. ...

Es lag somit im Ergebnis eine Versammlung vor, weil das Verhalten des Bf in derart engem zeitlichen, örtlichen und sachlichen Zusammenhang mit den vorangegangenen Aktivitäten der übrigen Demonstranten, die der Anordnung der belangten Behörde zur Auflösung der Versammlung nachgekommen waren, stand, daß insofern diese drei Personen, darunter der Bf, die Anordnung bis zu ihrer Verhaftung bzw. bis zum Wegschwimmen der Aktivistin nicht befolgt haben (vgl. VfGH 30.11.1995, B262-267/95-6). Die belangte Behörde und die einschreitenden Organe wären daher gehalten gewesen, iSd VersG - und nicht, wie tatsächlich geschehen, unter Berufung auf das SPG - vorzugehen.

Für den Bf ist allein daraus letztlich jedoch nichts gewonnen, weil gerade insoweit, als es jene Akte betrifft, durch die sich der Bf vorliegendenfalls als in seinen Rechten verletzt erachtet, auch ein auf das VersG gestütztes Einschreiten ohnehin in identischer Weise vorzunehmen gewesen wäre: Dem Bf wäre nämlich lediglich anstelle des Vorwurfes, in einer Verletzung des §81 Abs1 SPG zu verharren, richtigerweise bloß vorzuhalten gewesen, eine Übertretung des §19 VersG zu begehen. Für die sich daran jeweils knüpfende Festnahme zum Zweck der Vorführung vor die Behörde selbst sowie hinsichtlich deren zwangsweiser Durchsetzung - und dagegen wendet sich im gegenständlichen Fall ja der Bf in erster Linie - wäre aber in beiden Fällen ohnehin und ausschließlich jeweils die Bestimmung des §35 Z3 VStG als tragend heranzuziehen gewesen (vgl. hiezu auch VwSen-420105 und VwSen-420110, jeweils vom 11.7.1996).

Da der Bf sohin (...) in der Lage war, jederzeit die Baustraße am Ufer der Traun und sohin die Bauarbeiten zu blockieren (weshalb auch sein Einwand, er habe keine Bauarbeiten behindert, zurückzuweisen war, wozu noch die ständigen Stör- u. Blockadeaktionen seiner beiden Gesinnungsgenossen kam), war die Auflösung der nicht angezeigten Versammlung im Interesse von im Art11 Abs2 EMRK aufgezählten Schutzgütern (zumindest der Aufrechterhaltung der Ordnung) notwendig (vgl. VfGH 30.11.1995, B262-267/95-6).

...

Wie das Verfahren ergeben hat, war die vorliegende

Festnehmung unerläßlich, um den konsequent in einer Verwaltungsübertretung verharrenden und sich jeglicher sonstigen Entfernungsaufforderung oder -handlung verweigernden Bf effektiv vom Baustellenort zu verbringen.

Zur Festnahme:

Insbesondere waren die sogenannten Festhalte- und Transportgriffe samt den diese vorbereitenden Handlungen (Herausziehen aus dem Wasser sowie Hinaufschaffen des Bf über die steile Böschung bei starkem passiven Widerstand - vgl. die Aussagen der Zeugen H, A und T) unerläßlich, um den konsequent in einer Verwaltungsübertretung verharrenden und sich jeglicher sonstigen Entfernungsaufforderung oder Handlung verweigernden Bf effektiv vom Baustellenort zu verbringen. Der O.ö. Verwaltungssenat kann daher nicht finden, daß diese Maßnahmen, im besonderen die durch sie allenfalls verursachten körperlichen Schmerzen (Schmerzen beider Schultergelenke und linkes Handgelenk, kleines Hämatom am rechten Auge, Beule am Hinterkopf, Abschürfung am Kinn und rechter Hodendruck schmerzhaft; siehe Verletzungsanzeige Dr. W J vom 6.3.1996) in rechtswidriger, dh in Verhältnismäßigkeit widersprechenderweise gesetzt wurden bzw gar - dem Beschwerdevorbringen zufolge - eine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung im Sinn des Art3 MRK darstellten. Auch das Anlegen der Handfesseln war aus präventiven Gründen gerechtfertigt, insbesondere deshalb, da der Bf ansonsten ständig versucht hätte, seiner Festnahme zu entgehen bzw. wieder zu entkommen. Eine dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widersprechende bzw dem Beschwerdevorbringen zufolge erniedrigende oder unmenschliche Behandlung iSd Art3 MRK ist darin somit gleichfalls nicht zu erkennen.

Zu den behaupteten sonstigen Übergriffen:

Was das weitere Beschwerdevorbringen zum Grundrecht nach Art3 EMRK (Zerren an den Haaren, Fußtritte am Körper auch gegen die Hoden, Umbiegen des Handgelenkes, verdeckte Tritte, Treten mit dem Stiefel auf den Kopf, Zerren über die Böschung und ins Auto, Stoß mit dem Kopf gegen die Wand im Stiegenhaus des GP, Sitzenlassen in nasser Kleidung) anlangt, so sieht sich der O.ö. Verwaltungssenat nach sorgfältiger Prüfung und Wägung der Ergebnisse des durchgeführten Beweisverfahrens außerstande, den entsprechenden Schilderungen des Bf uneingeschränkt zu folgen und die in der Beschwerdeschrift angeführten (vorsätzlichen) Mißhandlungen als erwiesen anzunehmen.

...

Die Beschwerdebehauptungen des Bf erscheinen daher insgesamt völlig unglaubwürdig, weil maßlos übertrieben und infolge seiner offenbaren Vorurteile realitätsfremd (vgl. dazu Bender/Nack, Tatsachenfeststellung, bes. Rn 87 und Rn 97f, Erwartungshorizont, Vorurteil; Motivation beeinflußt die Wahrnehmung, mwN).

...

Da demgemäß Nachweise für die behaupteten Übergriffe nicht erbracht wurden, fehlt es hier an einem geeigneten Beschwerdegegenstand. Die Beschwerde war darum in dieser Richtung schon allein aus den eben dargelegten Überlegungen abzuweisen, bzw. als unzulässig zurückzuweisen (vgl VfGH vom 12.12.1988, B351/87-30).

...

Was schließlich das (auch auf der Videodokumentation ersichtliche) Bespritzen bzw Überschütten des Bf mit Wasser durch den Bagger betrifft, so ist festzuhalten, daß es sich hier nach den Umständen des Falles ausschließlich um eine Aktion des Baggerfahrers im Rahmen der Selbsthilfe gehandelt hat, zumal dieser offenbar versuchte, mit seinen Mitteln den Bf zum Verlassen der Baustelle zu bringen (...).

Auch am Video ist ersichtlich, daß der Baggerfahrer sich mit einem Gendarmeriebeamten lediglich vor der Festnahme des (nicht hier verfahrensgegenständlichen) F W abgesprochen hat, jedoch nicht vor der Festnahme des Bf. Auch infolge des Lärms durch den Bagger und der ersichtlichen Entfernung der Gendarmeriebeamten vom Bagger kann ausgeschlossen werden, daß eine derartige Anweisung der Gendarmeriebeamten an den Baggerfahrer gegeben wurde. Wenn der Bf weiters vermeint, daß dieses Bespritzen bzw Übergießen mit Wasser von den Gendarmeriebeamten geduldet worden war, so ist ihm zu entgegnen, daß diese Aktion - wie auf dem vorgelegten Video ersichtlich - äußerst rasch vor sich ging und es nicht vorstellbar erscheint, wie die Gendarmeriebeamten diese Aktion des Baggerfahrers verhindern hätten können. Da der Bf (logischerweise) zu diesem Zeitpunkt noch nicht festgenommen war, kommt der belangten Behörde (bzw. deren Organe) auch nicht die vom EGMR für verhaftete Personen angenommene Garantenstellung zu (vgl. das bereits mehrfach zitierte Urteil des EGMR v. 4.12.1995). Da somit diese Aktion der belangten Behörde nicht zuzurechnen war, war die diesbezügliche Beschwerde ebenfalls mangels tauglichen Anfechtungsgegenstandes zurückzuweisen. ..."

2. Die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung des gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird, richtet sich gegen die behauptete erniedrigende Behandlung bei der Festnahme des Beschwerdeführers.

3. Der UVS legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er seinen Bescheid verteidigt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof

hat erwogen:

A. Zur Zulässigkeit:

Zwar wird in der an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde die Aufhebung des gesamten bekämpften Bescheides begehrt. Dieser Bescheid betrifft aber nicht nur die behaupteten Übergriffe, sondern auch die Festnahme im Gelände der OKA-Baustelle Traunkraftwerk Lambach und die weitere Anhaltung am Gendarmerieposten Lambach bis zum Zeitpunkt der Erteilung des gerichtlichen Haftbefehls. Der Verfassungsgerichtshof versteht die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde insgesamt dahin, daß sie sich (nur) insoweit gegen den bekämpften Bescheid des UVS richtet, als mit diesem die an ihn vom Beschwerdeführer gerichtete Maßnahmenbeschwerde wegen der behaupteten Übergriffe als unbegründet ab- bzw. mangels tauglichen Anfechtungsgegenstandes zurückgewiesen wurde. Bekämpft sind also die Worte "sowie der behaupteten Übergriffe" des Spruchpunktes I, Spruchpunkt II und der damit in untrennbarem Zusammenhang stehende Spruchpunkt III betreffend die Kosten.

Die Beschwerde erweist sich in diesem Umfang offenkundig als zulässig.

B. In der Sache:

1. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch das Zerren an den Haaren im Zuge seiner Festnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt.

Das gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, wird durch den Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates verletzt, wenn er eine in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgte Verletzung desselben nicht wahrnimmt. Ein solcher verfassungswidriger Eingriff liegt aber auch vor, wenn ein Bescheid in Anwendung eines der genannten Verfassungsvorschrift widersprechenden Gesetzes ergangen ist, wenn er auf einer dem genannten Grundrecht widersprechenden Auslegung des Gesetzes beruht oder wenn der Behörde grobe Verfahrensfehler unterlaufen sind (VfSlg. 13837/1994, 13897/1994).

Im angefochtenen Bescheid führte der UVS aus, daß es der Beschwerdeführer offensichtlich darauf anlegte, "gewaltsam durch Sicherheitskräfte vom Vorfallsort entfernt werden zu müssen". Die gegen den Beschwerdeführer gesetzten Maßnahmen seien unerläßlich gewesen, um diesen, der konsequent in einer Verwaltungsübertretung verharrte und sich jeglicher sonstigen Entfernungsaufforderung oder Handlung verweigerte, effektiv vom Baustellenort zu verbringen. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens - darunter auch zum "Zerren an den Haaren" - erachtete der UVS die entsprechenden Schilderungen des Beschwerdeführers insgesamt als unglaubwürdig ("maßlos übertrieben und infolge seiner offenbaren Vorurteile realitätsfremd").

Der Verfassungsgerichtshof kann auf Grund der Auswertung des vorgelegten Videofilms dieser Auffassung im Ergebnis nicht folgen: Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Judikatur bereits mehrfach ausgesprochen, daß das Ziehen an den Haaren (vgl. zB. VfSlg. 8146/1977, 11687/1988) eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung darstellen kann. Auf der dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Videodokumentation ist folgendes eindeutig erkennbar: Nachdem die Exekutivorgane des Beschwerdeführers habhaft geworden waren, versuchten vier bis fünf Exekutivorgane, ihn die Böschung hinaufzuziehen. Ein diesen Vorgang zunächst nur beobachtendes Exekutivorgan trat hinzu und zog den Beschwerdeführer sodann ausschließlich an den Haaren, und zwar nicht einmal, sondern gezielt in zwei gesonderten Zugriffen. Es kann aufgrund der Anzahl von Exekutivorganen, die den Beschwerdeführer bereits festhielten, keine Rede davon sein, daß das Verhalten dieses einen Exekutivorganes unter den geschilderten Umständen (unwegsame Uferböschung, nasse Kleidung, "passiver Widerstand des Beschwerdeführers") zur Verbringung des Beschwerdeführers weg vom Ort des Geschehens erforderlich gewesen sein sollte. Soweit der angefochtene Bescheid das Zerren an den Haaren des Beschwerdeführers als maßhaltend und im Ergebnis nicht als Ausdruck der Mißachtung der Person des Beschwerdeführers qualifiziert hat, ist ihm ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler anzulasten. Denn er hat eine dadurch in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgte Verletzung des Art3 EMRK nicht aufgegriffen.

Die behauptete Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, hat sohin stattgefunden. Der Bescheid war im bekämpften Umfang aufzuheben.

III.Die Kostenentscheidung

stützt sich auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-- enthalten.

IV.Dies konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Mißhandlung, Auslegung eines Antrages, Bescheid Trennbarkeit, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B2926.1996

Dokumentnummer

JFT_10028799_96B02926_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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