Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Dehn und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker und Werner Krachler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat der Angestellten der H***** AG, *****, vertreten durch Dr. Peter Wallnöfer und Dr. Roman Bacher, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei H***** AG, *****, vertreten durch Dr. Stefan Rainer und Dr. Andreas Ruetz, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Unterlassung (Streitwert 21.800 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Mai 2017, GZ 15 Ra 27/17h-32, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. In der Revision wird nicht bestritten, dass es sich bei dem von der Beklagten verwendeten Testverfahren grundsätzlich um ein § 96a Abs 1 Z 2 ArbVG unterliegendes System zur Beurteilung von Arbeitnehmern handelt. Die Beklagte wendet sich nur gegen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Erhebung dieser Daten nicht durch die betriebliche Verwendung gerechtfertigt ist.
2. In der Entscheidung 9 ObA 95/08y schloss sich der Oberste Gerichtshof nach ausführlicher Darstellung der in der Literatur zu § 96a Abs 1 Z 2 ArbVG vertretenen Meinungen den Erwägungen an, wonach ein Interessensvergleich zwischen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers einerseits und konkreten betrieblichen Interessen andererseits vorzunehmen ist. Diese Abwägung sei grundsätzlich eine solche der konkreten Umstände des Einzelfalls und mit formalen Ansätzen allein nicht zu lösen. Allein der Umstand, dass das vorliegende oder vergleichbare Testverfahren auch von anderen Unternehmen verwendet werden und dazu noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung besteht, begründet noch nicht das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (RIS-Justiz RS0107773).
3. Das zu beurteilende Testverfahren wird von der Beklagten im Rahmen von Verkaufsschulungen und zur Rekrutierung von Führungskräften verwendet. Nach der Definition der Betreiber handelt es sich um ein werteorientiertes Verfahren, das in die Tiefe der Persönlichkeit geht und nicht das Verhalten misst, sondern an der wesentlich stabileren, persönlichen Wertehaltung ansetzt, Schicksalsschläge und all das, was die getestete Person in den letzten 12 Monaten bewegt hat, abbildet und nicht nur die Berufswelt, sondern auch das berufliche Selbst, alle Aspekte der Welt und das gesamthafte Selbst über alle Lebensbereiche anschaut, die Wertedimension (des Getesteten) gut erkennen lässt und sodann computerunterstützt Abweichungen zu einer mathematischlogischen Grundeinstellung ermittelt.
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass dieses Bewertungsverfahren, bei dem ausschließlich „soft skills“ wie Neigungen, Interessen und andere Persönlichkeitsmerkmale wie Belastbarkeit, Frustrationstoleranz und höchstpersönliche „Werte“, nicht aber „hard skills“, also die Fachkompetenz, abgefragt werden, massiv die Persönlichkeit der getesteten Personen berührt und nicht durch überwiegende berufliche Interessen gerechtfertigt ist.
Die Revision zeigt nicht auf, weshalb diese Beurteilung korrekturbedürftig sein soll. Auch wenn die der Beurteilung zugrundeliegenden Testergebnisse dem Arbeitgeber nicht bekannt werden, enthält die ihm zugehende Auswertung, von deren Validität die Beklagte offenbar ausgeht, eine umfassende Beurteilung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers, wobei auch in der Revision offen bleibt, welche Bedeutung den erhobenen Kriterien für die betriebliche Verwendung überhaupt zukommt.
Die Auswertung mag zwar nicht zum Personalakt gegeben werden, kommt dem Arbeitgeber aber zu und ist weitere fünf Jahre lang beim extern beauftragten Unternehmen abrufbar. Da sie nach Angaben der Beklagten zu 15–20 % für die Auswahl von Führungskräften relevant ist, stellt sie zwar nicht das ausschließliche, aber ein jedenfalls gewichtiges Beurteilungskriterium dar. Im Übrigen ließe sich bei einem bloß unbedeutenden Hilfsmittel – mit dem die Revision argumentiert – eine betriebliche Relevanz noch weniger rechtfertigen.
Ebenfalls vertretbar hat das Berufungsgericht auch darauf verwiesen, dass aufgrund der großflächigen Verwendung der Tests von einem generellen Verfahren auszugehen ist, nicht bloß von individuellen Maßnahmen. Derartige Systeme zur Beurteilung von Arbeitnehmern des Betriebs, die nicht durch die betriebliche Verwendung gerechtfertigt sind, bedürfen aber nach § 96a Abs 1 Z 2 ArbVG der Zustimmung des Betriebsrats (in Form einer Betriebsvereinbarung). Auf die im Einzelfall freiwillige Teilnahme an den Tests durch die Arbeitnehmer kommt es dabei nicht an.
4. Ob auch von einem Personalfragebogen auszugehen wäre, dessen Verwendung nach § 96 Abs 1 Z 2 ArbVG ohne Zustimmung des Betriebsrats unzulässig ist, muss nicht weiter geprüft werden.
5. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
Textnummer
E121087European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00094.17I.0227.000Im RIS seit
06.04.2018Zuletzt aktualisiert am
17.04.2019