TE Lvwg Erkenntnis 2018/1/9 LVwG-800249/8/BMa/KaL

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Veröffentlicht am 09.01.2018
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Entscheidungsdatum

09.01.2018

Norm

Art 6 EMRK
§46 AVG

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich erkennt durch seine Richterin Mag. Bergmayr-Mann über die Beschwerde des G.H., vertreten durch Rechtsanwalt Mag. G.H., MBA, x, A, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Schärding vom 9. Jänner 2017, GZ: Ge20-67-2016, wegen Übertretung der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 31. Oktober 2017

zu Recht:

I.     Der Beschwerde wird stattgegeben, das behördliche Straferkenntnis aufgehoben und das Verfahren eingestellt.

II.    Der Verfahrenskostenbeitrag für das behördliche Verfahren entfällt, für das Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich ist kein Verfahrenskostenbeitrag zu leisten.

III.   Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision zulässig.

Entscheidungsgründe

Zu I.:

1.1.    Mit dem in der Präambel angeführten Straferkenntnis wurde der Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) wie folgt schuldig gesprochen und bestraft:

„1.

Sie haben in der Zeit von zumindest Jänner 2014 bis zum 28.07.2016 in ihrer Tischlerwerkstatt in E., X, für Personen, welche nicht Ihrer Familie angehören, Wohnzimmerschränke, Badmöbeln, begehbare Schränke und kleine Werkstücke hergestellt, wofür Sie pro Stunde 20,00 € verlangt haben und haben somit das Gewerbe ‚Tischler‘ ausgeübt, ohne die hierfür erforderliche Gewerbeberechtigung erlangt zu haben. Diese Tätigkeit erfolgte gewerbsmäßig, das heißt selbstständig, regelmäßig und in der Absicht, einen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen.

2.

Sie haben in der Zeit von zumindest Jänner 2014 bis zum 28.07.2016 in einer mit diversen Maschinen eingerichteten Tischlerwerkstätte in E., X, für Personen, welche nicht Ihrer Familie angehören, Wohnzimmerschränke, Badmöbel, begehbare Schränke und kleine Werkstücke hergestellt und haben diese genehmigungspflichtige Betriebsanlage (§ 74 GewO 1994) ohne die erforderliche Genehmigung betrieben. Der Betrieb dieser genehmigungspflichtigen Tischlerwerkstätte war geeignet, Nachbarn durch Lärm und Staub zu belästigen.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

1. §366 Abs.1 Z.1 und § 94 Z. 71 GewO 1994

2. §366 Abs.1 Z. 2 und § 74 Abs. 2 Z. 2 GewO 1994

Wegen dieser Verwaltungsübertretungen werden über Sie folgende Strafen verhängt:

Geldstrafe von      falls diese uneinbringlich ist, Gemäß 1. und 2.:

                       Ersatzfreiheitsstrafe von § 366 Abs.1 Einleitungssatz GewO 1994

1. 600 Euro          1. 56 Stunden

2. 600 Euro          2. 56 Stunden

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:

120 Euro als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, d.s. 10 % der Strafe, mindestens jedoch 10 Euro.

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe und Kosten) beträgt daher 1.320 Euro.“ [Hervorhebungen nicht übernommen]

1.2.    Begründend führt das bekämpfte Straferkenntnis im Wesentlichen aus, der Bf habe die Tischlerarbeiten selbstständig, regelmäßig und in Ertragserzielungsabsicht ausgeübt und habe damit die von ihm durchgeführten Tischlerarbeiten gewerbsmäßig verrichtet. Die mit diversen Maschinen eingerichtete Tischlerwerkstatt, die vom Bf betrieben werde, sei geeignet, Nachbarn durch Lärm und Staub zu belästigen. Der Bf habe Tischlerarbeiten gewerbsmäßig in dieser Tischlerwerkstatt ohne entsprechende Anlagengenehmigung ausgeübt.

1.3.    Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die rechtzeitige Beschwerde vom 6. Februar 2017. Die belangte Behörde legte die Beschwerde unter Anschluss des Verfahrensaktes dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich vor, das gemäß § 2 VwGVG durch Einzelrichterin entscheidet.

2.       Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Einsicht genommen in den vorgelegten Verfahrensakt und am 31. Oktober 2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, zu der der Bf in rechtsfreundlicher Vertretung gekommen ist. Als Zeuge wurde FOI H.W. einvernommen.

3.       Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat erwogen:

3.1.    Folgender rechtlich relevanter Sachverhalt wird festgestellt:

Aufgrund einer anonymen Anzeige wurde von Organen der Finanzpolizei am
28. Juli 2016 am Wohnort des Bf, bei dem er auch die Tischlerwerkstätte eingerichtet hatte, in X, E., eine Kontrolle durchgeführt. Grundlage für das Einschreiten der Finanzpolizisten war § 89 Abs. 3 Einkommensteuergesetz 1988 (EStG 1988) iVm § 142 Bundesabgabenordnung (BAO). Gegenstand der Amtshandlung war der Verdacht der Übertretung der Bestimmung nach § 366 Abs. 1 Z 1 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994).

In der mit dem Bf aufgenommenen Niederschrift wurde darauf hingewiesen, dass gemäß § 143 BAO Auskunftspflicht bestehe. Der Bf wurde anlässlich seiner Vernehmung durch die Finanzpolizei auch darauf hingewiesen, dass er die Aussage verweigern dürfe, unter anderem „über Fragen, deren Beantwortung der Auskunftsperson oder ihren Angehörigen (§ 25 BAO), einer mit ihrer Obsorge betrauten Person, ihrem Sachwalter oder einem ihrer Pflegebefohlenen die Gefahr einer strafgerichtlichen, finanzstrafbehördlichen oder sonstigen abgabenstrafbehördlichen Verfolgung zuziehen würde“. Darüber hinaus wurde er auf die Folgen einer ungerechtfertigten Verweigerung der Aussage aufmerksam gemacht, nämlich gemäß § 111 BAO auf die Verhängung einer Zwangsstrafe bis 5.000 Euro. Anlässlich dieser Vernehmung wurde vom Bf auf die Frage, für wie viele Kundschaften er schon Tischlerarbeiten gemacht habe, angegeben:

„Für meine Schwiegereltern habe ich eine Küche und Türen gemacht. Auch für meinen Bruder habe ich 2 Bänke gemacht. Für meine Eltern das Esszimmer und Türen. Außerhalb der Verwandtschaft habe ich ab und zu den Boden verlegt. In meiner Werkstätte habe ich so Wohnzimmerschränke, Badmöbel, begehbare Schränke und kleinere Werkstücke gemacht. Dies hat sich hauptsächlich im Stammtischbereich bzw. Bekanntenkreis bewegt. Es waren vielleicht 2-3 Werkstücke im Jahr. Die Bekannten wissen, dass ich zu Hause eine Werkstätte eingerichtet habe. In den letzten 5 Jahren habe ich ca. zwischen 12 und 15 Aufträge erledigt.“

Weiter wurde vom Bf angegeben, es sei in Stunden abgerechnet worden und er habe pro Stunde 20 Euro verlangt. Wie viel Geld er insgesamt pro Jahr eingenommen habe, könne er nicht sagen, er habe keine Aufzeichnungen geführt. Wenn man sagen würde, dass ihm im Jahr ca. 5.000 Euro bleiben würden, dann würde das ungefähr zutreffen.

Der Bf hat anlässlich dieser niederschriftlichen Befragung am 28. Juli 2016 auch angegeben, dass er gewusst habe, dass er, wenn er Tischlerarbeiten mache, einen Gewerbeschein benötigen würde.

Die Niederschrift wurde dem Bf zur Durchsicht vorgelegt und ihm wurde auch eine Kopie der Niederschrift, die er als Auskunftsperson unterzeichnet hatte, übergeben.

Am 1. August 2016 erging eine Verfahrensanordnung, wonach der Bf gemäß
§ 360 Abs. 1 GewO 1994 aufgefordert wurde, den Tischlereibetrieb bis längstens
5. August 2016 einzustellen.

Gegen die am 14. Oktober 2016 ergangene Strafverfügung wurde rechtzeitig Einspruch erhoben und am 9. Jänner 2017 erging das nunmehr bekämpfte Straferkenntnis.

Die Beschwerde führt im Wesentlichen aus, das angefochtene Straferkenntnis sei rechtswidrig, vor allem deshalb, weil der Bf von der Finanzpolizei als zur Auskunft verpflichtete Person gemäß § 143 BAO einvernommen wurde. Nach dieser Gesetzesstelle habe jedermann der Abgabenbehörde Auskünfte zu erteilen, die wahrheitsgemäß zu erfolgen hätten.

Es sei dem Bf bei ungerechtfertigter Verweigerung der Aussage auch eine Zwangsstrafe gemäß § 111 BAO bis 5.000 Euro angedroht worden.

Der Bf sei bei richtiger rechtlicher Beurteilung bereits Beschuldigter (Verdächtiger) gewesen und hätte nicht mehr als Auskunftspflichtiger einvernommen werden dürfen, weil eben für Beschuldigte keine Aussage- und Wahrheitspflicht bestehe. Auch die Androhung der Verhängung einer Zwangsstrafe stehe im Widerspruch zu § 33 Abs. 3 VStG. Weil die Aussage des Bf und damit die ausschließliche Erkenntnisquelle der Verwaltungsstrafbehörde unter Verstoß gegen das Verbot des Zwangs zur Selbstbezichtigung erlangt worden sei, dürfe diese nicht zur Fällung einer behördlichen Erledigung herangezogen werden. Darüber hinaus seien die Rechte des Bf beschnitten worden, weil er keine Möglichkeit hatte, in die gegen ihn gerichtete anonyme Anzeige Einsicht zu nehmen. Abschließend wurden die Anträge auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses und Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens, in eventu auf Erteilung einer Ermahnung und Herabsetzung der Strafhöhe gestellt.

3.2.    Beweiswürdigend wird ausgeführt, dass sich der festgestellte Sachverhalt aus dem vorgelegten Verfahrensakt der belangten Behörde und dem Ergebnis der öffentlichen mündlichen Verhandlung ergibt. In dieser Verhandlung hat das als Zeuge vernommene Kontrollorgan mitgeteilt, dass sich der Tatverdacht gegen den Bf aufgrund seiner Aussagen, die aus der vorletzten Seite unten und der letzten Seite oben der niederschriftlichen Vernehmung des Bf am 28. Juli 2016 ersichtlich sind, ergeben hätte. Der Bf hätte auch, wie dies vermerkt ist, die Niederschrift zur Durchsicht vorgelegt bekommen. Im Übrigen konnte sich der einvernommene Zeuge nicht mehr an die Befragung des Bf näher erinnern.

3.3.    In rechtlicher Hinsicht hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich erwogen:

Gemäß § 89 Abs. 3 Einkommensteuergesetz 1988 (EStG 1988) haben die Abgabenbehörden im Rahmen der Vollziehung der abgabenrechtlichen Bestimmungen insbesondere zu erheben (§§ 143, 144 BAO), ob unter anderem die Bestimmungen, deren Missachtung den Tatbestand des § 366 Abs. 1 Z 1 oder § 367 Z 54 GewO erfüllt, eingehalten wurden.

Nach § 143 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) ist die Abgabenbehörde berechtigt, zur Erfüllung der in § 114 bezeichneten Aufgaben Auskunft über alle für die Erhebung von Abgaben maßgebenden Tatsachen zu verlangen. Die Auskunftspflicht trifft jedermann, auch wenn es sich nicht um seine persönliche Abgabepflicht handelt.

Nach Abs. 2 leg.cit. ist die Auskunft wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen zu erteilen. Die Verpflichtung zur Auskunftserteilung schließt die Verbindlichkeit in sich, Urkunden und andere schriftliche Unterlagen, die für die Feststellung von Abgabenansprüchen von Bedeutung sind, vorzulegen oder die Einsichtnahme in diese zu gestatten.

Die Bestimmungen der §§ 170-174 finden auf Auskunftspersonen (Abs. 1) sinngemäß Anwendung (Abs. 3 leg.cit.).

Diese lauten wie folgt:

„§ 170. Als Zeugen dürfen nicht vernommen werden

1. Personen, die zur Mitteilung ihrer Wahrnehmungen unfähig sind oder die zur Zeit, auf die sich ihre Aussage beziehen soll, zur Wahrnehmung der zu beweisenden Tatsache unfähig waren;

2. Geistliche darüber, was ihnen in der Beichte oder sonst unter dem Siegel geistlicher Amtsverschwiegenheit zur Kenntnis gelangt ist;

 

3. Organe des Bundes und der übrigen Gebietskörperschaften, wenn sie durch ihre Aussage das ihnen obliegende Amtsgeheimnis verletzen würden, insofern sie der Pflicht zur Geheimhaltung nicht entbunden sind.

§ 171. (1) Die Aussage darf von einem Zeugen verweigert werden

a) wenn er ein Angehöriger (§ 25) des Abgabepflichtigen ist;

b) über Fragen, deren Beantwortung dem Zeugen, seinen Angehörigen (§ 25), einer mit seiner Obsorge betrauten Person, seinem Sachwalter oder einem seiner Pflegebefohlenen die Gefahr einer strafgerichtlichen, finanzstrafbehördlichen oder sonstigen abgabenstrafbehördlichen Verfolgung zuziehen würde;

c) über Fragen, die er nicht beantworten könnte, ohne eine ihm obliegende gesetzlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit, von der er nicht gültig entbunden wurde, zu verletzen oder ein Kunst-, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis zu offenbaren.

 

(2) Die zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugten Personen und ihre Angestellten können die Zeugenaussage auch darüber verweigern, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Vertreter der Partei über diese zur Kenntnis gelangt ist.

(3) Will ein Zeuge die Aussage verweigern, so hat er die Gründe seiner Weigerung glaubhaft zu machen.

§ 172. (1) Soweit jemand als Zeuge zur Aussage verpflichtet ist, hat er auf Verlangen der Abgabenbehörde auch Schriftstücke, Urkunden und die einschlägigen Stellen seiner Geschäftsbücher zur Einsicht vorzulegen, die sich auf bestimmt zu bezeichnende Tatsachen beziehen.

(2) Wenn es zur Erforschung der Wahrheit unbedingt erforderlich oder wenn Gefahr im Verzug ist, hat der Zeuge auch Wertsachen, die er für den Abgabepflichtigen verwahrt, vorzulegen und Einsicht in verschlossene Behältnisse zu gewähren, die er dem Abgabepflichtigen zur Benützung überlassen hat. Die Abgabenbehörde kann in einem solchen Fall verlangen, dass dem Abgabepflichtigen während einer angemessenen kurzen Frist nur unter Zuziehung eines von der Abgabenbehörde zu bezeichnenden Organes Zutritt zum Behältnis gewährt wird.

§ 173. (1) Wenn die Abgabenbehörde das persönliche Erscheinen des Zeugen nicht für erforderlich erachtet, kann die Aussage des Zeugen auch schriftlich eingeholt und abgegeben werden.

(2) Einem Zeugen, der einer Vorladung (§ 91) ohne genügende Entschuldigung nicht Folge leistet oder seinen Verpflichtungen gemäß § 172 ohne Rechtfertigung nicht nachkommt, kann, abgesehen von Zwangsstrafen, die Verpflichtung zum Ersatz aller durch seine Säumnis oder Weigerung verursachten Kosten bescheidmäßig auferlegt werden. Durch die Verletzung einer Zeugenpflicht geht der Anspruch auf Zeugengebühren (§ 176) verloren; dies gilt nicht, wenn die Pflichtverletzung entschuldbar oder geringfügig ist.

§ 174. Jeder Zeuge ist zu Beginn seiner Vernehmung über die für die Vernehmung maßgeblichen persönlichen Verhältnisse zu befragen, über die gesetzlichen Weigerungsgründe zu belehren und zu ermahnen, dass er die Wahrheit anzugeben habe und nichts verschweigen dürfe; er ist auch auf die strafrechtlichen Folgen einer falschen Aussage aufmerksam zu machen. Entsprechendes gilt, wenn die Vernehmung durch Einholung einer Zeugenaussage auf schriftlichem Weg erfolgt.

Nach § 114 Abs. 1 BAO haben die Abgabenbehörden darauf zu achten, dass alle Abgabepflichtigen nach den Abgabenvorschriften erfasst und gleichmäßig behandelt werden, sowie darüber zu wachen, dass Abgabeneinnahmen nicht zu Unrecht verkürzt werden. Sie haben alles, was für die Bemessung der Abgaben wichtig ist, sorgfältig zu erheben und die Nachrichten darüber zu sammeln, fortlaufend zu ergänzen und auszutauschen.“

Nach § 46 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die zur Entscheidung der Rechtssache erforderlichen Beweise aufzunehmen.

Nach Abs. 3 leg.cit. dürfen Niederschriften über die Verlesung des Beschuldigten oder von Zeugen sowie die Gutachten der Sachverständigen nur verlesen werden, wenn

1. die Vernommenen in der Zwischenzeit gestorben sind, ihr Aufenthalt unbekannt ist oder ihr persönliches Erscheinen wegen ihres Alters, wegen Krankheit oder Behinderung oder wegen entfernten Aufenthaltes oder aus anderen erheblichen Gründen nicht verlangt werden kann, oder

2. die in der mündlichen Verhandlung Vernommenen in wesentlichen Punkten von ihren früheren Aussagen abweichen oder

3. Zeugen, ohne dazu berechtigt zu sein, oder Beschuldigte die Aussage verweigern oder

4. alle anwesenden Parteien zustimmen.

Nach § 38 VwGVG sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130 Abs. 1 B-VG in Verwaltungsstrafsachen die Bestimmungen des Verwaltungsstrafrechtes 1991 - VStG mit Ausnahme des 5. Abschnittes des zweiten Teiles, und des Finanzstrafgesetzes - FinStrG und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist.

Nach § 32 Abs. 1 VStG ist Beschuldigter die im Verdacht einer Verwaltungsübertretung stehende Person von dem Zeitpunkt der ersten von der Behörde gegen sie gerichteten Verfolgungshandlung bis zum Abschluss der Strafsache. Der Beschuldigte ist Partei im Sinne des AVG.

Nach § 33 Abs. 2 VStG kann der Beschuldigte zur Beantwortung der an ihn gestellten Fragen nicht gezwungen werden und gemäß Abs. 3 darf eine Mutwillensstrafe gegen ihn nicht verhängt werden.

Nach § 25 Abs. 1 VStG sind Verwaltungsübertretungen mit Ausnahme des Falles des § 56 von Amtswegen zu verfolgen.

Gemäß § 24 VStG gilt das AVG auch im Verwaltungsstrafverfahren, soweit sich aus diesem Bundesgesetz nicht anderes ergibt. Die §§ 2, 3, 4, 11, 12, 13 Abs. 8,
14 Abs. 3 2. Satz, 37 2. Satz, 39 Abs. 3, 41, 42, 44a bis 44g, 51, 57, 68 Abs. 2
und 3, 75 und 78 bis 82 AVG sind im Verwaltungsstrafverfahren nicht anzuwenden.

Nach § 46 AVG kommt als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhalts geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist.

Gemäß § 45 Abs. 1 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (z.B. VwGH 05.03.2013, 123/13-BK/12) bestehen keine Beweisverwertungsverbote hinsichtlich rechtswidrig erlangter Beweismittel. In seinem Erkenntnis vom 23. Mai 2013, 2012/09/0082, stellt der Verwaltungsgerichtshof für die Zulässigkeit der Verwertung von Beweisen darauf ab, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Beweis auf eine dem auch im Verwaltungsstrafverfahren unmittelbar anwendbaren Beweisverwertungsverbot des Artikels 15 des Übereinkommens gegen Folter, grausame und unmenschliche Behandlung, BGBl. Nr. 492/1987, widersprechende Weise zustande gekommen wäre (vgl. auch § 166 StPO).

Ausgehend von dieser Judikatur wäre die Verwertung der Aussagen des Bf anlässlich seiner niederschriftlichen Befragung vom 28. Juli 2016 als Auskunftsperson zulässig.

Dass der Rechtsmittelwerber trotz Vorliegens des Verdachts der Übertretung des § 366 Abs. 1 Z 1 Gewerbeordnung 1994, also trotz Verdachts des Vorliegens einer Verwaltungsstraftat, als Auskunftsperson nach dem EStG 1988 iVm der BAO befragt wurde, bedarf aber im Lichte der Verfahrensgarantien des Artikels 6 Abs. 3 EMRK näherer Prüfung:

Nach dieser Bestimmung hat jeder Angeklagte mindestens die folgenden Rechte:

a) in möglichst kurzer Frist in einer für ihn verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden;

b) über ausreichende Zeit- und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu verfügen;

c) sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten und falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt, unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;

d) Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken;

e) die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers zu verlangen, wenn er die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder sich nicht darin ausdrücken kann.

Zunächst ist festzuhalten, dass eine Vernehmung als Auskunftsperson in einem Verfahren nach dem VStG 1991 nicht geregelt ist. Eine Auskunftsperson nach VStG hat weder die Rechte noch Pflichten eines Zeugen noch jene eines Beschuldigten. Zwar wurde der Bf darüber belehrt, dass er als Auskunftsperson über Fragen, deren Beantwortung für ihn oder seine Angehörigen, eine mit seiner Obsorge betrauten Person, seinen Sachwalter oder einen seiner Pflegebefohlenen die Gefahr einer strafgerichtlichen, finanzstrafbehördlichen oder sonstigen abgabenbehördlichen Verfolgung nach sich ziehen würde, die Aussage verweigern dürfe, er wurde aber auch darauf aufmerksam gemacht, dass bei ungerechtfertigter Verweigerung der Aussage über ihn eine Zwangsstrafe bis 5.000 Euro verhängt werden könne.

Daraus ergibt sich aber, dass er als Auskunftsperson begründen hätte müssen, aus welchem Grund er Fragen nicht beantwortet und sich damit selbst des Verdachts einer strafgerichtlichen Übertretung aussetzen hätte müssen, um sich nicht der Gefahr einer Bestrafung wegen Aussageverweigerung auszusetzen.

Im Übrigen wurde der Bf wegen des Verdachts der Übertretung der Bestimmung nach § 366 Abs. 1 Z 1 Gewerbeordnung 1994 niederschriftlich, unter Hinweis auf eine anonyme Anzeige, befragt. Aus dieser Anzeige hat sich ergeben, dass er selbst, als alleiniger Nutzer seiner Werkstätte, als einzige Person in Frage gekommen wäre, die die ihm nunmehr zur Last gelegte Verwaltungsübertretung begangen hätte. Demnach wäre nach dem vorliegenden Sachverhalt der Rechtsmittelwerber als Beschuldigter im Verwaltungsstrafverfahren zu vernehmen gewesen und er hätte sich auf die ihm gemäß Artikel 6 Abs. 3 EMRK zustehenden Rechte, wie die Beiziehung eines Rechtsvertreters, berufen können.

Indem ihm dies verwehrt wurde, ist der seiner erstinstanzlichen Verurteilung zugrundeliegende Beweis, nämlich jener der Selbstbezichtigung der Verwaltungsübertretungen, widerrechtlich zustande gekommen.

Im Urteil des EGMR in der Sache „Mattoccia vs. Italien“ führt der Gerichtshof unter Ziffer 59 zu Artikel 6 EMRK unter anderem im Wesentlichen aus, dass der Beschuldigte unverzüglich und im Detail über die gegen ihn gerichtete Anklage und deren rechtliche Qualifikation unterrichtet werden muss, damit ein faires Verfahren garantiert werde.

[Originaltext: „The accused must be made aware ‚promptly‘ and ‚in detail‘ of the cause of the accusation, that is, the material facts alleged against him which are at the basis of the accusation, and of the nature of the accusation, namely, the legal qualification of these material facts. The Court considers that in criminal matters the provision of full, detailed information concerning the charges against a defendant is an essential prerequisite for ensuring that the proceedings are fair (see, mutatis mutandis, Pélissier and Sassi v. France [GC], no. 25444/94,
§§ 51-52, ECHR 1999-II).“
]

Auch daraus ist ersichtlich, dass der Rechtsmittelwerber von vornherein als Beschuldigter hätte vernommen werden müssen, wurde der Verdacht der Übertretung des § 366 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 doch bereits in der mit ihm am
28. Juli 2016 aufgenommenen Niederschrift dokumentiert.

Weil Landesverwaltungsgerichte die Garantien des Artikels 6 EMRK zu gewährleisten haben, kann bei EU-konformer Interpretation der Verfahrensvorschrift § 46 AVG, der die Unbeschränktheit der Beweismittel regelt, nur so verstanden werden, dass jene Fälle nicht unter seinen Anwendungsbereich fallen, die dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Artikel 6 EMRK entgegenstehen.

Weil außer der - nicht im Sinne des Artikels 6 EMRK zustande gekommenen - Niederschrift vom 28. Juli 2016 keine Beweisergebnisse zur Verfügung stehen, die eine gewerbliche Tätigkeit des Bf belegen würden, und der Bf, nachdem er sich gegen eine Verlesung der Niederschrift vom 28. Juli 2016 in der mündlichen Verhandlung am 31. Oktober 2017 ausgesprochen hatte, ausgesagt hatte, dass die von ihm verrichteten Tischlereiarbeiten ausschließlich privaten Charakter gehabt hatten, war der Beschwerde Folge zu geben, der bekämpfte Bescheid gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

Dem steht auch nicht entgegen, dass der als Zeuge in der mündlichen Verhandlung vernommene Finanzpolizist, der die Niederschrift vom 28. Juli 2016 mit dem Bf aufgenommen hatte, bestätigt hatte, dass diese mit dem Bf aufgenommen und von diesem unterzeichnet wurde, konnte er doch darüber hinaus keine weiteren Beweismittel anführen.

Zu II.:

Weil die Beschwerde Erfolg hatte, waren keine Kosten für das Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich vorzuschreiben. Ebenso entfällt der Kostenbeitrag vor der belangten Behörde.

Zu III.:

Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist zulässig, da keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ersichtlich ist, wonach geprüft wurde, ob die Befragung eines Beschuldigten als Auskunftsperson, die unter Androhung einer Zwangsstrafe für den Fall einer ungerechtfertigten Verweigerung der Aussage erfolgt war, den Prinzipien eines fairen Verfahrens gemäß Artikel 6 Abs. 3 EMRK zuwiderläuft.

Schlagworte

Beweismittel, widerrechtlich zustande gekommene; Verwertungsverbot; verfassungskonforme Interpretation

Anmerkung

Alle Entscheidungsvolltexte sowie das Ergebnis einer gegebenenfalls dazu ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung sind auf der Homepage des Oö LVwG www.lvwg-ooe.gv.at abrufbar.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGOB:2018:LVwG.800249.8.BMa.KaL

Zuletzt aktualisiert am

05.04.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich LVwg Oberösterreich, http://www.lvwg-ooe.gv.at
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