TE Bvwg Erkenntnis 2018/3/21 W238 2169124-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.03.2018
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Entscheidungsdatum

21.03.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W238 2169124-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Claudia MARIK über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.08.2017, Zahl XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.01.2018 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, § 8 Abs. 1 AsylG

2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 57 AsylG 2005 sowie §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 04.11.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 05.11.2015 gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er afghanischer Staatsangehöriger sei und in der Provinz Parwan geboren worden sei. Er sei Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekenne sich zum sunnitischen Islam. Seine Muttersprache sei Dari. Er habe acht Jahre die Schule besucht. Zuletzt sei er als Landarbeiter tätig gewesen. Er sei ledig und kinderlos. Als Fluchtgrund gab er an, dass er sechs Jahre alt gewesen sei, als er seine Familie verloren habe. Danach sei er bei seinem Onkel aufgewachsen. Er habe die Schule nur bis zum achten Lebensjahr besuchen dürfen. Danach sei sein Onkel immer wieder mit ihm umgezogen. Der Grund seien Grundstücke gewesen und weil sie Feinde gehabt hätten. Plötzlich habe sein Onkel entschieden, das Land zu verlassen. An der Grenze zwischen der Türkei und dem Iran habe er seinen Onkel verloren. Im Falle einer Rückkehr äußerte der Beschwerdeführer die Befürchtung, dass sein Leben im Heimatdorf in Gefahr sein könnte.

2. Am 07.06.2017 wurden seitens des Beschwerdeführers eine Kursbestätigung Deutsch für Asylwerbende A1/2 sowie ein Ausweis der Republik Afghanistan seines Vaters und ein Ausweis über eine Parteimitgliedschaft seines Vaters in Vorlage gebracht.

3. Anlässlich der am 07.08.2017 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari durchgeführten Einvernahme vor dem BFA, Regionaldirektion Salzburg, wiederholte der Beschwerdeführer seine Angaben zu Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, Muttersprache, Geburtsort, Familienstand und Schulbesuch. Der Beschwerdeführer gab weiters an, dass er gesund sei. Er sei in der Provinz Parwan geboren worden und habe ab seinem sechsten Lebensjahr mit seinem Onkel väterlicherseits an verschiedenen Orten in Afghanistan gelebt. Seit er acht Jahre alt sei, habe er gearbeitet.

Als Grund für die Ausreise aus Afghanistan gab der Beschwerdeführer an, dass er im Alter von sechs Jahren seine Eltern, seinen älteren Bruder und seine Schwester erschossen zu Hause aufgefunden habe, nachdem er vom Einkaufen zurückgekehrt sei. Der Beschwerdeführer habe sich daraufhin an einem Ort versteckt, den sein Vater für den Fall eingerichtet habe, dass der Familie etwas passieren sollte. Sein Onkel habe ihn in diesem Versteck gefunden und zu sich genommen. Er habe oft mit seinem Onkel umziehen müssen, ohne zu wissen, aus welchem Grund. Immer wenn er seinen Onkel danach gefragt habe, sei er geschlagen worden Nun habe er herausgefunden, dass sein Vater Mitglied der kommunistischen Partei gewesen sei. Auch seine Mutter soll Parteimitglied gewesen sein. Deshalb sei seine Familie umgebracht worden. Er selbst sei nie bedroht worden, er habe aber Angst, so zu enden wie seine Familie. Die vorgelegten Original-Dokumente habe ihm ein asylberechtigter Afghane mit Hilfe eines Jugendfreundes des Beschwerdeführers aus Afghanistan besorgt. In Afghanistan habe er keine Verwandten.

Der Beschwerdeführer legte eine Reihe von Empfehlungsschreiben vor.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 09.08.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 04.11.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Schließlich wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

Die belangte Behörde traf Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates, zur Situation im Falle seiner Rückkehr sowie zur Lage in Afghanistan.

Beweiswürdigend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass die Identität des Beschwerdeführers mangels Vorlage eines Identitätsdokuments nicht feststehe. Die Feststellungen zu Staatsangehörigkeit, Herkunft sowie Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit würden sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers und seinen Sprachkenntnissen ergeben. Festgestellt wurde weiters, dass der Beschwerdeführer vom 12.12.2016 bis 19.12.2016 aus disziplinären Gründen aus der Grundversorgung entlassen worden sei. Am 04.01.2017 sei der Beschwerdeführer wegen des Verdachts des Ladendiebstahls nach § 127 StGB angezeigt worden. Das Verfahren sei von der Staatsanwaltschaft Salzburg gemäß § 191 Abs. 1 StPO wegen Geringfügigkeit eingestellt worden.

Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe erachtete das BFA für nicht ausreichend, um eine Verfolgungshandlung in einer solchen Intensität glaubhaft zu machen, dass dem Beschwerdeführer die Ausreise als Afghanistan als einzig probates Mittel übrig geblieben sei. Das Vorbringen stelle sich gesamt betrachtet als unglaubwürdig dar. Andere Fluchtgründe habe der Beschwerdeführer nicht geltend gemacht. Zudem habe sich der Beschwerdeführer ausdrücklich den Fluchtgründen seines Onkels angeschlossen. Eine gegen seine Person gerichtete Bedrohung habe der Beschwerdeführer jedoch nicht vorgebracht. Für völlig unglaubwürdig erachtete das BFA die Darstellung des Beschwerdeführers über den Erhalt der seinen Vater betreffenden Dokumente aus Afghanistan. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die Ausreise nach Europa nur geplant habe, um hier ein besseres Leben führen zu können.

Der Beschwerdeführer sei gesund, jung und arbeitsfähig. Dem Beschwerdeführer sei die Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Parwan möglich und zumutbar. Der Reiseweg von Kabul nach Parwan über den Asian Highway sei hinreichend sicher. Zwar verfüge der Beschwerdeführer in Parwan über keine familiären Anknüpfungspunkte. Allerdings habe der Beschwerdeführer acht Jahre lang die Schule besucht, könne lesen und schreiben und weise Berufserfahrung als Maurer und Elektrikergehilfe auf. Es sei somit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in der Lage wäre, in Afghanistan für seinen Lebensunterhalt zu sorgen.

Die Aussagen des Beschwerdeführers zu seinem Privatleben in Österreich wurden vom BFA für glaubhaft befunden. Der Beschwerdeführer halte sich erst kurz im Bundesgebiet auf und verfüge über keine familiären Anknüpfungspunkte oder andere tiefgreifenden Bindungen in Österreich. Der Beschwerdeführer besuche Deutschkurse. Eine ausgeprägte Integration in Österreich liege trotz gewisser Integrationsbemühungen nicht vor.

Im Anschluss unterzog die belangte Behörde den von ihr festgestellten Sachverhalt unter Bezugnahme auf die einzelnen Spruchpunkte des Bescheides einer rechtlichen Beurteilung.

5. Gegen diesen Bescheid des BFA richtet sich die am 22.08.2017 fristgerecht erhobene Beschwerde. Darin wurden die bisherigen Angaben des Beschwerdeführers aufrechterhalten. Die belangte Behörde habe es unterlassen, sich mit dem individuellen Vorbringen des Beschwerdeführers sachgerecht auseinanderzusetzen und eine nachvollziehbare Beweiswürdigung vorzunehmen. Der Bescheid leide daher an einem schwerwiegenden Verfahrensmangel. Zur Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten wurde ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Abschiebung die reale Gefahr der Verletzung der in Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe. Es bestehe die Gefahr, dass er in eine ausweglose Lage gerate. Im Falle der Rückkehr wäre er einem Klima ständiger Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen sowie einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Der Beschwerde wurde ein handschriftliches Schreiben beigelegt, in dem das Fluchtvorbringen wiederholt bzw. ergänzt wurde.

Der Beschwerdeführer beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung anberaumen, den angefochtenen Bescheid aufheben und ihm den Status eines Asylberechtigten zuerkennen. In eventu wurde beantragt, den Bescheid aufzuheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen oder dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen oder dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen sowie die gegen ihn ausgesprochene Rückkehrentscheidung aufzuheben.

6. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt langten am 29.08.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Am 30.10.2017 wurde seitens des BFA die Meldung über eine Straftat des Beschwerdeführers betreffend den Verdacht eines Vergehens nach § 27 Abs. 2 SMG nachgereicht.

8. Am 22.01.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter teilnahmen und der ein Dolmetscher für die Sprache Dari beigezogen wurde. Die belangte Behörde entschuldigte sich unter Verweis auf dienstliche und personelle Gründe für die Nichtteilnahme an der Verhandlung und beantragte schriftlich die Abweisung der Beschwerde sowie die Übersendung des Verhandlungsprotokolls. Die Niederschrift der mündlichen Verhandlung wurde dem BFA im Anschluss an die Verhandlung übermittelt.

Der Beschwerdeführer brachte im Zuge der Verhandlung eine Bestätigung über die Absolvierung der ÖSD-Prüfung A1, eine Bestätigung über den Besuch eines Deutschkurses A2/1 sowie eine Verständigung der Staatsanwaltschaft Salzburg vom vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung gemäß § 35 Abs. 9 SMG vom 14.11.2017 in Vorlage.

Der Beschwerdeführer wurde vom erkennenden Gericht eingehend zu seiner Identität, Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen sowie zu seinen Fluchtgründen befragt.

Im Zuge der Verhandlung wurden vom erkennenden Gericht auch die Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren eingebracht. Dem Beschwerdeführer wurden gemeinsam mit der Ladung zahlreiche Länderfeststellungen zur Situation in Afghanistan übermittelt. Der Beschwerdeführer legte in der Verhandlung eine schriftliche Stellungnahme zu den Länderberichten vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage der Niederschrift über die Erstbefragung des Beschwerdeführers, der Niederschrift über seine weitere Einvernahme durch die belangte Behörde, des Beschwerdevorbringens, der mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie der Länderberichte zur Lage in Afghanistan, der dazu erstatteten Stellungnahme des Beschwerdeführers und der von ihm vorgelegten Unterlagen werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1. Zu Person, Fluchtgründen, Rückkehrmöglichkeit und (Privat-)Leben des Beschwerdeführers in Österreich

1.1.1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, führt den Namen XXXX, ist Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari.

Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in der Provinz Parwan, Distrikt XXXX, Dorf XXXX geboren, wo er mit seiner Familie ca. bis zu seinem sechsten Lebensjahr wohnte. Nach dem Tod seiner Eltern und Geschwister wurde der Beschwerdeführer von seinem Onkel väterlicherseits aufgenommen, mit dem er sich ab seinem sechsten Lebensjahr bis zur Ausreise aus Afghanistan an verschiedenen Orten Afghanistans aufhielt.

Im September 2015 reiste der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Onkel von Jalalabad aus Afghanistan aus. Am 04.11.2015 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

1.1.2. Der Beschwerdeführer gab bei der polizeilichen Erstbefragung als Fluchtgrund an, dass er sechs Jahre alt gewesen sei, als er seine Familie verloren habe. Danach sei er bei seinem Onkel aufgewachsen. Dieser sei mit ihm immer wieder umgezogen. Der Grund seien Grundstücke gewesen und weil sie Feinde gehabt hätten.

Bei der Einvernahme vor dem BFA begründete der Beschwerdeführer seinen Antrag auf internationalen Schutz damit, dass er im Alter von sechs Jahren seine Eltern, seinen älteren Bruder und seine Schwester erschossen zu Hause aufgefunden habe. Der Beschwerdeführer habe sich daraufhin an einem Ort versteckt, den sein Vater für den Fall eingerichtet habe, dass der Familie etwas passieren sollte. Sein Onkel habe ihn in diesem Versteck gefunden und zu sich genommen. Er habe oft mit seinem Onkel umziehen müssen, ohne zu wissen, aus welchem Grund. Immer wenn er seinen Onkel danach gefragt habe, sei er geschlagen worden. Er habe nunmehr herausgefunden, dass sein Vater Mitglied einer kommunistischen Partei gewesen sei. Auch seine Mutter soll Parteimitglied gewesen sein. Deshalb sei seine Familie umgebracht worden. Er selbst sei nie bedroht worden, er habe aber Angst, so zu enden wie seine Familie.

In einer handschriftlichen Beilage zum Beschwerdeschriftsatz, deren Inhalt der Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge einem Bekannten diktiert hat, wurde in Ergänzung dazu u.a. ausgeführt, dass der Beschwerdeführer an den Orten, an denen er mit seinem Onkel gelebt habe, geschlagen und bedroht worden sei. Einmal sei ihm ein Messer an den Hinterkopf gehalten worden; er habe aber fliehen können. Mit Hilfsarbeiten hätten er und sein Onkel sich über Wasser halten können. Als er seinen Onkel erneut nach dem Grund gefragt habe, aus dem seine Eltern getötet worden seien, habe ihm dieser gesagt, dass seine Eltern Kommunisten gewesen seien. Diese würden in Afghanistan ausgerottet werden, weshalb auch der Beschwerdeführer in Afghanistan nie sicher leben könnte. Wenn er zurück nach Afghanistan gehen müsste, würden "sie" ihn töten. "Sie" hätten auch gesagt, dass sie ihn verbrennen würden, da er für einen Kommunisten gehalten werde. Sodann wiederholte der Beschwerdeführer die Schilderung, wie er in den Besitz der Dokumente seines Vaters gelangt sei. Der Dolmetscher bei den Einvernahmen habe vieles nicht oder falsch übersetzt, zumal dieser Persisch gesprochen habe. In Österreich habe er eine Frau kennengelernt, die für ihn wie eine Mutter sei. Auch mit ihrer Familie verstehe er sich gut.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung fasste der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe wie folgt zusammen:

"Es war so, wie ich schon sagte. Mit 16 Jahren habe ich angefangen, meinem Onkel Fragen zu stellen. Ich habe ihm gedroht, ich habe gesagt, dass er mir entweder die Wahrheit sagen soll oder ich mich töten oder ihn verletzen würde. Er hat gesagt, dass mein Vater ein Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen ist. Ich habe das vergessen und es ist mir erst wieder eingefallen, als ich seine Tazkira gesehen habe. Nach dem war ich natürlich interessiert, mich über den Kommunismus in Afghanistan zu informieren. Daher weiß ich, dass der jetzige Staat sowie auch Taliban und IS ein Problem mit dem Kommunismus haben. Aus diesem Grund war mein Onkel auch der Meinung, dass ich das letzte Mitglied dieser Familie und daher in großer Gefahr bin. (...) An der Grenze zwischen Iran und Türkei habe ich meinen Onkel verloren.

...

Der wichtigste Grund für mich ist die Frage, warum meine Familie getötet worden ist. Was das Zurückgehen angeht, denke ich, dass es in Afghanistan für mich keinen Platz gibt, ein Leben aufzubauen. Wenn ich dort wäre, würde jeder denken, ich bin als Sohn meiner Familie auch ein Kommunist, was nicht stimmt. Aus diesem Grund habe ich natürlich auch Angst."

In der im Rahmen der Verhandlung vorgelegten schriftlichen Stellungnahme des Beschwerdeführers zu den Länderberichten wurde darüber hinaus u.a. vorgebracht, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft aufgrund der Zugehörigkeit zur "sozialen Gruppe der Waisenkinder" zukomme. Auch eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Waiseneigenschaft nicht zur Verfügung.

Festgestellt wird dazu im Einzelnen Folgendes:

Die Familie des Beschwerdeführers war wohlhabend. Im Heimatdorf besaß die Familie ein Haus und Grundstücke. Der Vater des Beschwerdeführers war Mitglied einer kommunistischen Partei.

Als der Beschwerdeführer ca. sechs Jahre alt war, wurden seine Eltern, sein Bruder und seine Schwester von einem oder mehreren Unbekannten im Haus der Familie getötet. Der Beschwerdeführer war zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause und fand seine Familie tot auf, als er vom Einkaufen nach Hause kam. Er versteckte sich in einem in der Nähe des Hauses befindlichen unterirdischen Verschlag, den sein Vater für den Notfall eingerichtet und mit Lebensmitteln und Wasser ausgestattet hatte. Nach einigen Tagen fand der Onkel väterlicherseits den Beschwerdeführer in seinem Versteck und zog ihn auf. Sein Onkel nahm ihn zunächst mit in die Stadt Kabul, wo sie sich ca. sechs bis sieben Monate aufhielten. Danach lebten der Beschwerdeführer und sein Onkel in Mazar-e Sharif. Dann gingen der Beschwerdeführer und sein Onkel nach Herat, wo sie bis zum zwölften Lebensjahr des Beschwerdeführers blieben. Vom zwölften bis zum sechzehnten Lebensjahr hielt sich der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Onkel in Jalalabad auf. Der Beschwerdeführer wurde von seinem Onkel oft geschlagen.

Von wem, unter welchen Umständen und aus welchem Grund die Familie des Beschwerdeführers getötet wurde, konnte nicht festgestellt werden. Ob die Gewalttat aus asylrelevanten Motiven, etwa wegen der Mitgliedschaft des Vaters bei einer kommunistischen Partei, ausgeführt wurde, konnte ebenso wenig festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer hat allfällige Feinde seiner Eltern nie gesehen.

Er war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der (zum Zeitpunkt des Todes seiner Familie ca. sechsjährige) Beschwerdeführer in Afghanistan jemals einer individuellen gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt war oder im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer solchen ausgesetzt wäre.

Insbesondere konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Mitgliedschaft seines Vaters in einer kommunistischen Partei in Afghanistan jemals irgendwelchen gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen ausgesetzt war. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan im Zusammenhang mit der zumindest dreizehn Jahre zurückliegenden Ermordung seiner Familie oder der politischen Einstellung seines Vaters mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung droht.

Festgestellt wird weiters, dass der Beschwerdeführer ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Merkmale alleine aus dem Umstand, dass er der Volksgruppe der Tadschiken angehört und sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam bekennt, in seinem Herkunftsstaat keiner Verfolgung ausgesetzt wäre.

Es konnte vom Beschwerdeführer auch nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat einer asylrelevanten Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zur "sozialen Gruppe der Waisenkinder" ausgesetzt wäre. Insbesondere konnte nicht festgestellt werden, dass konkret der Beschwerdeführer als fast zwanzigjähriger afghanischer Staatsbürger ohne familiäres Netz in Afghanistan bzw. dass jeder zwanzigjährige afghanische Staatsbürger ohne familiäres Netz in Afghanistan physischen oder psychischen Misshandlungen (z.B. sexuellem Missbrauch) ausgesetzt ist. Ebenso wenig besteht die Gefahr, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aufgrund des Fehlens eines familiären Netzwerks in eine (Asylrelevanz entfaltende) ausweglose Lage geraten würde.

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan weder vorbestraft noch wurde er dort jemals inhaftiert und hatte auch mit den Behörden des Herkunftsstaates keine Probleme. Es gibt insgesamt keinen stichhaltigen Hinweis, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer (asylrelevanten) Verfolgung ausgesetzt wäre.

1.1.3. Der Beschwerdeführer ist jung, arbeitsfähig und gesund. Er hat in Afghanistan acht Jahre eine Schulbildung durch Privatlehrer erhalten. Er kann lesen und schreiben. In Mazar-e Sharif arbeitete der Beschwerdeführer ab seinem achten Lebensjahr auf Baustellen und als Putzkraft. In Herat und Jalalabad war er ebenfalls im Baubereich tätig. Er hat Berufserfahrung als Maler und Elektrikergehilfe. Mit den Einkünften aus diesen Tätigkeiten sorgte der Beschwerdeführer trotz seines jungen Alters sowohl für sich selbst als auch für seinen Onkel.

Der aktuelle Aufenthaltsort seines Onkels ist nicht bekannt. An der Grenze zwischen dem Iran und der Türkei hat der Beschwerdeführer seinen Onkel aus den Augen verloren. Bis heute hat er keinen Kontakt mehr zu ihm.

Dass der Beschwerdeführer Verwandte in Afghanistan hat, konnte nicht festgestellt werden. In Mazar-e Sharif hat der Beschwerdeführer einen Freund gefunden, der nun in Kabul lebt und als Soldat arbeitet. Der Beschwerdeführer telefoniert manchmal mit seinem Jugendfreund.

Eine Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Parwan scheidet aus, weil ihm dort aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde, zumal die Erreichbarkeit der Provinz (etwa von Kabul aus) auf sicherem Weg nicht gewährleistet werden kann.

Dem Beschwerdeführer ist es jedoch möglich und zumutbar, sich stattdessen in der Hauptstadt Kabul oder auch in Mazar-e Sharif niederzulassen. Er liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der Beschwerdeführer hat im Alter von etwa sechs oder sieben Jahren für einige Monate in Kabul gelebt. Im Alter von ca. acht Jahren lebte der Beschwerdeführer in Mazar-e Sharif, wo er bereits auf Baustellen und als Putzkraft gearbeitet hat. Der Beschwerdeführer verfügt in Kabul und in Mazar-e Sharif über keine familiären Anknüpfungspunkte. Allerdings lebt ein Jugendfreund des Beschwerdeführers, der Soldat ist, in Kabul. Mit diesem steht der Beschwerdeführer nach wie vor in Kontakt. Angesichts des guten Gesundheitszustandes, der Arbeitsfähigkeit und der Berufserfahrung des Beschwerdeführers (z.B. als Maler und Elektrikergehilfe) könnte er sich in Kabul oder Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen und diese - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, wobei er seine Berufserfahrung nutzen könnte. Mit dem Leben in einer Stadt ist der Beschwerdeführer insoweit vertraut, als er im Laufe seines Lebens für einige Zeit in Kabul, Mazar-e Sharif, Herat und Jalalabad gewohnt hat. Der Beschwerdeführer konnte auch bisher durch einfache Arbeiten für sich sorgen. Der Beschwerdeführer ist in der Lage, in Kabul oder Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Ihm wäre daher auch der (Wieder-)Aufbau einer Existenzgrundlage in Kabul oder Mazar-e Sharif möglich, zumal der Jugendfreund des Beschwerdeführers diesen zumindest bei der Arbeits- und Wohnraumsuche in Kabul unterstützen könnte. Er hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

Im Ergebnis ist aufgrund der Schulbildung, der Schreib- und Lesekompetenz und der bisherigen Berufserfahrung von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers auszugehen.

1.1.4. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er hat keine Familienangehörigen oder Verwandte im Bundesgebiet. Er verfügt über freundschaftliche Kontakte zu österreichischen Privatpersonen. Die Beziehung zu seiner engsten Freundin beschreibt er ähnlich einer "Mutter-Kind-Beziehung". Dennoch ist seine Bindung zu Afghanistan - insbesondere unter dem Aspekt des langjährigen Aufenthalts im Herkunftsstaat, seiner Muttersprache Dari und der daraus abgeleiteten Verbundenheit mit der afghanischen Kultur - deutlich intensiver als jene zu Österreich. Der Beschwerdeführer möchte offensichtlich sein künftiges Leben in Österreich gestalten und hält sich seit seiner Asylantragstellung am 04.11.2015 im Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer wird im Rahmen der Grundversorgung versorgt. Er ist in Österreich nicht legal beschäftigt. Er besucht derzeit einen Deutschkurs A2 und hat erfolgreich eine Deutschprüfung auf Niveau A1 absolviert. Er beabsichtigt, weitere Kurse (Mathematik, Englisch und Deutsch) zu besuchen. Der Beschwerdeführer ist nicht Mitglied in Vereinen bzw. Organisationen und geht keiner ehrenamtlichen oder gemeinnützigen Tätigkeit nach.

Im Akt befindet sich eine Meldung der Polizeiinspektion XXXX vom 04.01.2017 über ein Vergehen nach § 127 StGB wegen Ladendiebstahls in einem Lebensmittelgeschäft. Das Ermittlungsverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Salzburg am 23.01.2017 gemäß § 191 Abs. 1 StPO wegen Geringfügigkeit eingestellt

Im Akt befindet sich weiters eine Meldung der Polizeiinspektion XXXX vom 20.10.2017 über ein Vergehen nach § 27 Abs. 2 SMG. Der Beschwerdeführer wurde mit 0,5 Gramm Cannabiskraut betreten. Es erfolgte eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Salzburg. Diesbezüglich liegt eine Verständigung der Staatsanwaltschaft vom 14.11.2017 über den vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung gemäß § 35 Abs. 9 SMG vor. Es handelte sich dabei um den zweiten Vorfall betreffend die Betretung mit Marihuana, wobei hinsichtlich des ersten Vorfalls keine Unterlagen im Akt einliegen.

Der Beschwerdeführer ist zum Zeitpunkt dieser Entscheidung strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zur Lage in Afghanistan

Dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht werden insbesondere folgende Quellen zugrunde gelegt:

* Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017 (letzte Kurzinformation eingefügt am 30.01.2018);

* UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender (deutsche Fassung), 19.04.2016;

1.2.1 Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017 (letzte Kurzinformation eingefügt am 30.01.2018):

"... 1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).

Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).

Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2019

Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und Internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).

Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018

Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).

Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).

Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018

Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter/innen im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018).

Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).

Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen (Reuters 24.1.2018).

Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018

Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018).Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden(BBC 21.1.2018). Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vgl. NYT 21.1.2018).

Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).

Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter/innen der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u.a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).

KI vom 21.12.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).

Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).

(Grafik: Staatendokumentation gemäß Daten aus INSO o.D. nicht darstellbar)

Zivilist/innen

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017).Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

(Grafik nicht darstellbar)

High-profile Angriffe:

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der ‚Green Zone' der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der ‚Green Zone' seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verluste aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation ‚Shamshad TV' an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).

(Grafik nicht darstellbar)

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)

Interreligiöse Angriffe

Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele, veranlassten die afghanische Regierung neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempeln vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).

Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).

Im Jahr 2016 und 2017 registrierte die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnten großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:

Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um

3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem ‚Geisterpersonal' vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Taliban

Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen - was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):

Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften die Taliban zurück zu drängen - in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen - dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich - laut afghanischen Beamten - ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vgl. BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).

Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar - in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriff auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden, und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten; hielt das die Gruppierungen nicht davon ab ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017).

Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).

Politische Entwicklungen

Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).

Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als "Rücktritt" verlautbarte, sprach dieser selbst von einer ‚Entlassung' - er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer ‚unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung' richte (NZZ 18.12.2017).

Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).

Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).

In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).

KI vom 25.9.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5%

erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

(Grafik: Staatendokumentation gemäß Daten aus INSO o.D. nicht darstellbar)

Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

(Grafik nicht darstellbar)

High-profile Angriffe:

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profil Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.- 5. August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

‚Green Zone' in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle ‚Green Zone'; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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