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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
BStG 1971;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard, Dr. Graf, Dr. Gall und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des Dr. M in W, vertreten durch Dr. Tassilo Neuwirth und andere Rechtsanwälte in 1010 Wien, Petersplatz 3, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 1. Oktober 1999, Zl. MA 65 - 8/245/99, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1 und § 25 Abs. 3 Führerscheingesetz - FSG die Lenkberechtigung für die Klasse B für die Dauer von drei Monaten (gerechnet ab der am 9. April 1999 erfolgten Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides) entzogen.
In der Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde aus, nach dem Inhalt der Anzeige habe der Beschwerdeführer am 22. Jänner 1999 auf einer näher bezeichneten Stelle der S 33 als Lenker eines Pkws verbotenerweise den Beschleunigungsstreifen entgegen der erlaubten Fahrtrichtung befahren, indem er bis zum Rasthaus rückwärts gefahren sei, obwohl es auf Autobahnen verboten sei, eine Richtungsfahrbahn entgegen der Fahrtrichtung zu befahren, sofern sich nicht aus Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen etwas anderes ergibt. Der Beschwerdeführer sei deshalb mit dem rechtskräftigen Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion St. Pölten vom 19. Februar 1999 wegen der Übertretung nach § 46 Abs. 4 lit. a in Verbindung mit § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 bestraft worden. Aufgrund der von dieser Strafverfügung ausgehenden Bindung seien weitere Ermittlungen nicht erforderlich gewesen. Dem Fahren auf Autobahnen entgegen der vorgeschriebenen Richtung wohne ein hohes Gefahrenmoment inne, weshalb derartige Verstöße den Schluss auf die Verkehrsunzuverlässigkeit rechtfertigten. Derartige Verstöße seien an sich geeignet, eine besondere Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer herbeizuführen, sodass es auf eine konkrete Gefahr nicht ankomme. Aufgrund der aus der Strafanzeige ersichtlichen Tatumstände, insbesondere des Verkehrsaufkommens zur Tatzeit, sei die Möglichkeit einer Gefährdung an sich gegeben gewesen. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer nicht nach dem höheren Strafsatz nach § 99 Abs. 2 StVO 1960 bestraft worden sei, spiele im gegebenen Zusammenhang keine Rolle. Im Hinblick auf die Verwerflichkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers sei seine Verkehrsunzuverlässigkeit anzunehmen. Frühestens nach Ablauf der festgesetzten Entziehungszeit, bei der es sich ohnedies um die Mindestzeit gemäß § 25 Abs. 3 FSG handle, könne auf eine Änderung der Sinnesart des Beschwerdeführers geschlossen werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Für den Beschwerdefall sind folgende Vorschriften des FSG von
wesentlicher Bedeutung:
"Verkehrszuverlässigkeit
§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht aufgrund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr, Trunkenheit oder einen durch Suchtgift oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand.
...
(3) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:
...
3. als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung von Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat; als Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, gelten insbesondere erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor Schulen, Kindergärten und vergleichbaren Einrichtungen sowie auf Schutzwegen oder Radfahrerüberfahrten, das Übertreten von Überholverboten bei besonders schlechten oder bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen oder das Fahren gegen die Fahrtrichtung auf Autobahnen;
...
(5) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.
...
§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist aufgrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.
...
(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. Wurden begleitende Maßnahmen gemäß § 24 Abs. 3 angeordnet, so endet die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnung."
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind die Kraftfahrbehörden (auch) an rechtskräftige Strafverfügungen wegen Verwaltungsübertretungen gebunden (siehe dazu u.a. das hg. Erkenntnis vom 24. August 1999, Zl. 99/11/0159, mit weiteren Judikaturhinweisen). Der Beschwerdefall bietet keinen Grund, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Aufgrund der Bindungswirkung der rechtskräftigen Strafverfügung ist die belangte Behörde zutreffend davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer die darin umschriebene Verwaltungsübertretung begangen hat.
Für die belangte Behörde bestand nach der Aktenlage und dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren kein Grund, daran zu zweifeln, dass die Übertretung auf einer Autobahn begangen wurde. Soweit der Beschwerdeführer - erstmals in der Beschwerde - Zweifel daran äußert, die Übertretung auf einer "Autobahn" begangen zu haben, und diese Zweifel damit begründet, dass in der Anzeige als Tatort die S 33 genannt worden sei, unterliegt er einem Rechtsirrtum, weil es für die Eigenschaft einer Straße als Autobahn nach der StVO 1960 nur darauf ankommt, dass die Verordnung im Sinne des § 43 Abs. 3 lit. a StVO 1960 erlassen und gemäß § 44 Abs. 1 leg. cit. gehörig kundgemacht wurde. Die Bezeichnung einer Straße als Bundesstraße A (Bundesautobahn), Bundesstraße S (Bundesschnellstraße) oder Bundesstraße B in den einen Bestandteil des Bundesstraßengesetzes 1971 - BStG 1971 bildenden Verzeichnissen 1 bis 3 ist demnach für die Beurteilung der Frage, ob es sich bei einer Straße um eine Autobahn im Sinne der StVO 1960 handelt, ohne Bedeutung. Aus dem Umstand, dass sich der Tatort auf der S 33 (einer Bundesschnellstraße im Sinne des BStG 1971) befunden hat, ist daher für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen.
Im Hinblick auf die Bindung der belangten Behörde an die rechtskräftige Bestrafung hatte sie vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 7 Abs. 3 Z. 3 FSG auszugehen, weil das Fahren gegen die Fahrtrichtung auf Autobahnen eines der aufgezählten Beispiele für ein Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, darstellt. Das Vorliegen einer bestimmten Tatsache genügt allerdings für sich allein noch nicht zur Begründung der von der belangten Behörde verfügten Maßnahme, weil § 7 Abs. 1 FSG ausdrücklich anordnet, dass die bestimmte Tatsache einer Wertung im Sinne des § 7 Abs. 5 leg. cit. zu unterziehen ist. Eines der Wertungskriterien dieser Gesetzesstelle ist die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen die strafbare Handlung begangen wurde. Das Befahren einer Autobahn gegen die Fahrtrichtung geschieht regelmäßig unter besonders gefährlichen Verhältnissen (siehe dazu u.a. die hg. Erkenntnisse vom 7. April 1992, Zl. 91/11/0116, vom 17. November 1992, Zl. 92/11/0158, und vom 21. Dezember 1994, Zl. 94/11/0280). Ausgenommen davon sind - ungeachtet ihrer Strafbarkeit - nur besondere Konstellationen, die von der typischen Gefährlichkeit des "Geisterfahrens" erheblich abweichen, wie z.B. das Zurückschieben auf dem Pannenstreifen mit niedriger Geschwindigkeit (siehe dazu das zuvor zitierte Erkenntnis vom 21. Oktober 1994) oder wenn infolge eines Staus der Verkehr zum Erliegen gekommen ist und der Pannenstreifen entgegen der Fahrtrichtung befahren wird (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 29. Oktober 1996, Zl. 94/11/0251). Ob eine vergleichbare Konstellation auch beim Beschwerdeführer gegeben war, kann aufgrund der im angefochtenen Bescheid getroffenen Sachverhaltsfeststellungen, die sich im Wesentlichen auf die Wiedergabe des Inhaltes der Anzeige beschränken, nicht beurteilt werden. Es ist zwar denkbar, dass das Rückwärtsfahren auf einem Beschleunigungsstreifen sehr gefährlich ist, insbesondere wenn der Beschleunigungsstreifen auch von anderen Kraftfahrzeugen befahren wird und besonders eng ist, sodass ein Ausweichen schwierig oder unmöglich ist, wenn die Sichtverhältnisse schlecht sind und das Zurückfahren in einem Bereich erfolgt, in welchem die auf die Autobahn auffahrenden Kraftfahrzeuge bereits eine hohe Geschwindigkeit erreicht haben. Ob solche oder ähnliche Verhältnisse im konkreten Fall vorgelegen sind, lässt der angefochtene Bescheid, der zum Wertungskriterium der Gefährlichkeit der Verhältnisse keine konkreten Ausführungen enthält, nicht erkennen. Soweit die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auf das in der Strafanzeige genannte Verkehrsaufkommen zur Tatzeit hinweist, ist mangels näherer Begründung im angefochtenen Bescheid nicht zu erkennen, inwieweit die in der Anzeige genannten, auf der Richtungsfahrbahn K. unterwegs befindlichen Fahrzeuge durch das auf dem Beschleunigungsstreifen erfolgte Fahrmanöver des Beschwerdeführers gefährdet sein konnten. Im gegebenen Zusammenhang kommt es auf das Verkehrsaufkommen auf dem Beschleunigungsstreifen an.
Die belangte Behörde argumentiert im Rahmen der Wertung nur mit der Verwerflichkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers, zeigt aber nicht auf, welche konkreten Umstände sie dabei berücksichtigt hat. Einschlägige Vorstrafen, die einen Schluss auf eine Sinnesart des Beschwerdeführers im Sinne des § 7 Abs. 1 FSG nahe legen könnten, werden von der belangten Behörde nicht ins Treffen geführt.
Da mangels konkreter Sachverhaltsfeststellungen zu den genannten Wertungskriterien und einer entsprechenden Begründung im angefochtenen Bescheid eine Überprüfung der von der belangten Behörde vorgenommenen Wertung und des von ihr gezogenen Schlusses, der Beschwerdeführer sei (für die Dauer der festgesetzten Entziehungszeit) als verkehrsunzuverlässig anzusehen gewesen, nicht möglich ist, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 11. April 2000
Schlagworte
Auslegung Diverses VwRallg3/5European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999110351.X00Im RIS seit
11.07.2001