Entscheidungsdatum
19.03.2018Norm
BEinstG §14Spruch
W200 2179169-1/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Scherz als Vorsitzende und durch den Richter Dr. Kuzminski als Beisitzer sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Pinter als Beisitzerin über die Beschwerde von XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 26.07.2017 in Form der Beschwerdevorentscheidung vom 23.11.2017, OB: 88864396500026, über die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten, zu Recht beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtenen Bescheid
gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer stellte am 01.06.2017 beim Sozialministeriumservice einen Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten. Begründend verwies er auf Gesundheitsschädigungen an den Augen, Ohren, Herz und Hüfte sowie eine Depression und Psychose.
Dem Antrag angeschlossen war ein Konvolut medizinischer Unterlagen, darunter ein augenärztlicher Befund vom 15.05.2017, worin als Diagnosen vermerkt ist: Bds: Gesichtsfeldeinschränkung; Bds: Myopie, Astigmatismus, Presbyopie; Strabismus div. alt.
Nach Einholung eines allgemeinmedizinischen Gutachten, das einen Gesamtgrad der Behinderung von 40 v H ergab (darunter Leiden 5, Myopie und Astimgatismus bds. mit gut erhaltenem Sehvermögen, Pos.Nr. 11.02.01, 0%), wies das SMS den Antrag mangels Vorliegen der Voraussetzungen ab.
Der Beschwerdeführer hat fristgerecht gegen diesen Bescheid Beschwerde erhoben und verwies darin - fälschlicherweise - darauf, dass er keinen augenfachärztlichen Befund vom 15.05.2017 vorgelegt hätte. Der letzte Befund sei am 27.07.2015 erhoben worden. An diesem Tag hätte auch eine augenfachärztliche Untersuchung stattgefunden. Diesem Befund sei eine Gesichtsfeldeinschränkung zu entnehmen, die bereits zuvor vom für das Bundessozialamt tätig gewesenen Sachverständigen Dr. XXXX im Jahr 2010 festgehalten wurde - damals mit Pos.Nr. 622 und 30%. Er leide an einer sehr komplexen Augenerkrankung (....) aus seiner Sicht könne dies von einer Allgemeinmedizinerin nicht beurteilt werden.
Er hätte bereits einen Suizidversuch unternommen und es bestünden dzt. Suizidgedanken, er leide an Schmerzen in der Hüfte, dem Magen,... Auch die psychiatrische Erkrankung sei falsch eingestuft worden, seine Schwerhörigkeit sei verharmlosend dargestellt worden.
Völlig ignoriert worden seien schlussendlich die bei ihm diagnostizierten Gesichtsfeldausfälle bds. Anhang der augenfachärztlichen Begutachtungsunterlagen werde deutlich, dass er an einem sog. "Tunnelblick" leide, er also nur etwa 10% seines Gesichtsfeldes tatsächlich wahrnehme und dies nur sehr zentral in der Mitte beider Augen. Seines Erachtens hätte hier die Einstufung unter die Pos.Nr. 11.02.11 vorgenommen werden müssen (...).
Der Beschwerde angeschlossen waren unter anderem augenfachärztliche Befunde vom 08.11.2004, vom 27.07.2015 und das Ergebnis einer Gesichtsfelduntersuchung vom 27.07.2017.
Das Sozialministeriumservice holte in weiterer Folge ein Gutachten eines Facharztes für HNO-Heilkunde, eines Orthopäden, eines Neurologen sowie ein augenfachärztliches Gutachten ein und es erfolgte eine Zusammenfassung der Gutachten durch den Facharzt für Neurologie.
Das eingeholte augenfachärztliche Gutachten weist eine Anamnese auf und es ist dem Gutachten unter der Überschrift "Zusammenfassung relevanter Befunde" weiters zu entnehmen: "Kein Augenbefund vorliegend".
Schließlich stufte die Augenärztin den normalen Augenbefund beidseits, Tabelle Kolonne 1 Zeile 1 unter der Pos.Nr. 11.02.01 mit 0% ein.
Das zusammenfassende Gutachten des Neurologen ergab abermals einen Gesamtgrad der Behinderung von 40% und das SMS wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom 23.11.2017 ab.
Im Vorlageantrag wurde gerügt, dass die Entscheidung dem Beschwerdeführer selbst, und nicht dessen Vertreter zugestellt wurde, und nachträglich am 01.12.2017 eine Heilung der Zustellung eingetreten sei.
Zum psychiatrischen Fachbereich wurde ausgeführt, dass laut mündlicher Auskunft der Behörde die von ihm vorgelegten medizinischen Unterlagen, die die Notwendigkeit der Rehabilitationsmaßnahme belegen würden, nicht im Akt auffindbar wären.
Gleiches gelte für die Gesichtsfeldeinschränkung, die seitens der PVA im Rahmen eines Verfahrens betreffend die Gewährung der Invaliditätspension festgestellt worden war.
Am 29.12.2017 übermittelte das Sozialministeriumservice dem BVwG den bei ihm eingelangten ärztlichen Entlassungsbericht des Gesundheitsresort Königsberg, Bad Schönau (Bericht über den stationären Aufenthalt des Beschwerdeführers vom 23.6.2016 bis 04.08.2016).
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 19b Abs. 1 BEinstG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des § 14 Abs. 2 durch den Senat.
Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, sofern die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt hervorgehoben (vgl etwa das hg. Erkenntnis vom 10. September 2014, Ra 2014/08/0005), dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.
Der Umstand, dass gegebenenfalls (punktuelle) ergänzende Einvernahmen durchzuführen wären, rechtfertigt nicht die Zurückverweisung; vielmehr wären diese Einvernahmen, sollten sie wirklich erforderlich sein, vom Verwaltungsgericht - zweckmäßigerweise im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - durchzuführen. (Ra 2015/08/0178 vom 27.01.2016)
In § 28 VwGVG 2014 ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs 3 zweiter Satz leg cit vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (Hinweis E vom 17. Dezember 2014, Ro 2014/03/0066, mwN). Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Hinweis E vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/22/0087, mwN). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (Hinweis E vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, mwN). (Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016).
Wie im Verfahrensgang ausgeführt hat der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde einen augenfachärztlichen Befund samt Ergebnis einer Gesichtsfelduntersuchung vom 27.07.2015 vorgelegt.
Das SMS hat es jedoch aus unbekannter Ursache unterlassen diese Unterlagen der begutachtenden Augenärztin zur Beurteilung vorzulegen (Das eingeholte augenfachärztliche Gutachten weist eine Anamnese auf und es ist dem Gutachten unter der Überschrift "Zusammenfassung relevanter Befunde" weiters zu entnehmen: "Kein Augenbefund vorliegend".).
Weiters hat der Beschwerdeführer im Vorlageantrag auf ein vom Bundessozialamt eingeholtes Gutachten des Sachverständigen Dr. XXXX aus dem Jahr 2010 verwiesen, worin die Gesichtsfeldeinschränkung laut Beschwerdeführer unter Pos.Nr. 622 der Richtsatzverordnung (Gesichtsfeldausfall der Peripherie, wenn dadurch die Orientierung wesentlich erschwert wird) eingestuft wurde.
Der Vollständigkeit halber ist auch darauf hinzuweisen, dass es das SMS auch unterlassen hat dem Facharzt für HNO-Heilkunde den mit der Beschwerde vorgelegten HNO-Befund vom 01.02.2017 zur Beurteilung vorzulegen. Aufgrund der genauen Beschreibung dieses Befundes im allgemeinmedizinischen Gutachten vom 24.07.2017 konnte der befasste Gutachter sich damit behelfen und diesen in seinem Gutachten verwerten.
Ob das Sozialministeriumservice dem befassten Facharzt für Neurologie sämtliche Unterlagen zur Beurteilung vorgelegt hat, entzieht sich der Kenntnis des BVwG, da vom befassten Neurologe ausschließlich der letzte Befund vom 16.08.2017 wiedergegeben wird.
Die belangte Behörde hat es somit jedenfalls unterlassen ein auf einer Untersuchung und den vorgelegten Unterlagen basierendes augenfachärztliches Gutachten einzuholen und darauf basierend entsprechende Feststellungen und eine Entscheidung zu treffen.
Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes erfolgte die Entscheidung über die Höhe des Gesamtgrades der Behinderung und in weiterer Folge über die Nicht-Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten ohne hinreichende Ermittlungstätigkeiten bzw. hat das SMS bloß ansatzweise Ermittlungen getätigt bzw. wurde versucht, diese an das BVwG zu überwälzen.
Das Sozialministeriumservice muss spätestens nach Erhalt der Gutachten aus dem Bereich der HNO-Heilkunde und Augenheilkunde gewusst haben, dass ihm bei der Übermittlung der Akten zur Gutachtenserstellung ein gravierender Fehler unterlaufen ist und hätte diesen unverzüglich korrigieren müssen.
1.) Im weiteren Verfahren werden daher der befassten Fachärztin für Augenheilkunde sämtliche bisher vorgelegte medizinische Unterlagen, die den Fachbereich der Augenheilkunde betreffen, vorzulegen sein.
Auch wird das SMS das vom Beschwerdeführer geltend gemachte Gutachten von Dr. XXXX aus dem Jahr 2010, das laut Angaben des Beschwerdeführers vom Bundessozialamt eingeholt worden war und sicherlich bei der belangen Behörde auffindbar ist, der befassten Augenärztin vorzulegen haben.
Für den Fall, dass das Gutachten bei der belangten Behörde nicht mehr auffindbar ist, wird sie dieses vom Beschwerdeführer anzufordern und dem Akt anzuschließen haben.
Die befasste Augenärztin wird dann auf deren Basis sowie des Ergebnisses der von ihr durchgeführten Untersuchung ein Gutachten zu erstellen haben.
2.) Da den Akt zu entnehmen ist, dass sowohl dem Facharzt für HNO-Heilkunde als auch der Fachärztin für Augenheilkunde die vom Beschwerdeführer mit der Beschwerde vorgelegten Unterlagen zur Beurteilung nicht vorgelegt worden waren, hat das Sozialministeriumservice zu überprüfen, welche medizinische Unterlagen es dem Facharzt für Neurologie zur Beurteilung vorgelegt hat.
Für den Fall, dass dem befassten Neurologen nicht alle seinen Fachbereich betreffenden Unterlagen übermittelt worden sind, wird das Sozialministeriumservice ihm diese zur Beurteilung ebenso vorzulegen haben wie den beim BVwG eingelangten ärztlichen Entlassungsbericht des Gesundheitsresort Königsberg, Bad Schönau (Bericht über den stationären Aufenthalt des Beschwerdeführers vom 23.6.2016 bis 04.08.2016). Sämtliche Unterlagen sind einer Beurteilung zu unterziehen.
3.) In weiterer Folge wird das Sozialministeriumservice sämtliche von ihm eingeholten Gutachten sowie die Zusammenfassung der Gutachten dem Beschwerdeführervertreter gemäß § 45 Abs. 3 AVG im Parteiengehör zu übermitteln haben und in weiterer Folge über die Höhe des Gesamtgrades der Behinderung und in weiterer Folge über die (Nicht-) Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten zu entscheiden haben.
Zu Spruchpunkt B):
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W200.2179169.1.00Zuletzt aktualisiert am
04.04.2018