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E2D Assoziierung Türkei;Norm
61993CJ0434 Ahmet Bozkurt VORAB;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Killian, über die Beschwerde des M in Stadl-Paura, vertreten durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG in Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom 27. Juni 1997, Zl. B3/13117/Nr.016/97B ABA Nr.719 975 Dr. Auf/Eb, betreffend Feststellung gemäß Art. 6 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 24. Dezember 1996 beim Arbeitsmarktservice Wels den Antrag, die genannte Behörde "möge feststellen, dass M, geboren 10.4.1964, freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis gemäß Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates hat".
Mit einem an den Beschwerdeführer als Bescheidadressaten gerichteten Bescheid vom 17. Jänner 1997 erließ das Arbeitsmarktservice Wels einen Feststellungsbescheid mit folgendem Spruch:
"Aufgrund ihres Antrages vom 24.12.1996 wird festgestellt, dass bei ihnen die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 dritter des Beschlusses 1/1980 des Assoziationsrates vom 19.9.1980
NICHT GEGEBEN sind."
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 27. Juni 1997 hat die belangte Behörde der gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wels vom 17. Jänner 1997 erhobenen Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit Art. 6 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 keine Folge gegeben und damit den erstinstanzlichen Bescheid bestätigt.
Zur Begründung dieser Entscheidung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, in seiner Berufung habe der Beschwerdeführer vorgebracht, dass seine Beschwerde wegen Ablehnung seines Asylantrages mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. März 1996, Zl. 95/20/0102, abgewiesen worden sei. Spätestens seit diesem Zeitpunkt habe für den Beschwerdeführer keine vorläufige Aufenthaltsberechtigung auf Grund des Asylgesetzes bestanden. Aus seinem Vorbringen, dass derzeit beim Verfassungsgerichtshof und beim Verwaltungsgerichtshof Beschwerdeverfahren wegen Ablehnung seines Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung anhängig seien, wobei seinen Anträgen, diesen Beschwerden aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, nicht stattgegeben worden sei, könne keine Aufenthaltsberechtigung für den Beschwerdeführer abgeleitet werden. Nach Auskunft der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land seien beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen eines ordnungsgemäßen Aufenthaltes nicht erfüllt, weil er als Asylwerber keine Aufenthaltsbewilligung erlangt habe und überdies am 9. März 1992 ohne Visum unrechtmäßig nach Österreich eingereist sei. Bei Asylwerbern, die angesichts mehrjähriger Verwaltungs- und Gerichtsverfahren die Möglichkeit hätten, Beschäftigungszeiten in der nach Art. 6 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 geforderten Dauer zurückzulegen, könne nicht von einem gesicherten, sondern von einem nur vorläufigen Aufenthalt gesprochen werden. Seit Beendigung des Asylverfahrens besitze der Beschwerdeführer nicht einmal ein vorläufiges Aufenthaltsrecht in Österreich. Demnach erfülle er die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 (erster bis dritter Gedankenstrich) des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 nicht.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid nach seinem gesamten Beschwerdevorbringen in dem Recht auf Erlassung des von ihm beantragten Feststellungsbescheides verletzt. Er beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB Nr. 1/80) lautet:
"Art. 6 (1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat
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nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
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nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragene Stellenangebot zu bewerben;
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nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.
(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht in Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die auf Grund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.
(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Abs. 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt."
Im Beschwerdefall ist in sachverhaltsmäßiger Hinsicht unbestritten, dass der am 9. März 1992 nach Österreich "gelangte" Beschwerdeführer nicht als Flüchtling anerkannt worden ist und ihm Österreich kein Asyl gewährt (vgl. das den Beschwerdeführer betreffende hg. Erkenntnis vom 6. März 1996, Zl. 95/20/0102). Des Weiteren ist unbestritten, dass der Antrag des Beschwerdeführers, ihm eine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz zu erteilen, mit einem letztinstanzlichen Bescheid vom 22. Oktober 1996 rechtskräftig abgewiesen wurde und den dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof bzw. Verwaltungsgerichtshof die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung versagt wurde. Der Beschwerdeführer bringt in der vorliegenden Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich vor, er habe keine Aufenthaltsberechtigung in Österreich gemäß dem Aufenthaltsgesetz oder gemäß dem Asylgesetz erlangt. Auch im Verwaltungsverfahren hat der Beschwerdeführer mit seiner Berufung lediglich eine Bescheinigung der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems vom 13. März 1992 vorlegen können, wonach ihm bis zum rechtskräftigen Abschluss des bei der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich anhängigen Feststellungsverfahrens eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde, die am 21. November 1992 erloschen ist. Dass der Beschwerdeführer seinen Aufenthalt in Österreich in einer gesicherten und nicht bloß vorläufigen Position zurückgelegt habe, ist auch vor dem Hintergrund seines Beschwerdevorbringens somit nicht zu erkennen.
Davon ausgehend war es nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aber nicht rechtswidrig, wenn die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht zu dem Ergebnis gelangte, dass die vom Beschwerdeführer zurückgelegten Beschäftigungszeiten deshalb nicht als ordnungsgemäß im Sinn des Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 anzusehen seien, weil dem Beschwerdeführer während dieser Zeiten ein unbestrittenes Aufenthaltsrecht im Mitgliedstaat Österreich nicht zustand. Die Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrecht voraus (vgl. das Urteil des EuGH vom 30. September 1997 in der Rechtssache C-36/96, Faik Günaydin u.a. gegen Freistaat Bayern, Randnummern 41 bis 46 und die dort wiedergegebene weitere Judikatur zur Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung). Die des Weiteren ins Treffen geführte Arbeitserlaubnis nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, die für den Zeitraum 16. November 1995 bis 15. November 1997 erteilt worden sei, hat nicht zu einem unbestrittenen Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers im Mitgliedstaat Österreich geführt. Auch in der Beschwerde wird in dieser Hinsicht ausdrücklich eingeräumt, dass die Erlangung dieser Arbeitserlaubnis nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz kein unbestrittenes Aufenthaltsrecht und demnach keine gesicherte Position des Beschwerdeführers erforderte bzw. nicht zur Voraussetzung gemacht wurde. Demnach sind auch die vom Beschwerdeführer auf Grundlage seiner Arbeitserlaubnis nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz zurückgelegten Beschäftigungszeiten nicht geeignet, dem Beschwerdeführer die nach Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 vorausgesetzte gesicherte Position auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. August 1998, Zl. 97/21/0480).
Dennoch ist die Beschwerde aus folgenden Erwägungen im Ergebnis berechtigt:
Die belangte Behörde hat - wie dem Spruch des angefochtenen Bescheides unzweifelhaft zu entnehmen ist - den erstinstanzlichen Bescheid in seinem Spruch inhaltlich unverändert bestätigt. In dieser Hinsicht hat die belangte Behörde die Rechtslage aber insofern verkannt, als sie mit dem angefochtenen Bescheid eine Entscheidung über die durch den Antrag festgelegte "Sache" des Verwaltungsverfahrens hinaus traf, wenn sie - an Stelle einer Abweisung oder Stattgebung des Antrages - ausdrücklich aussprach, der Beschwerdeführer erfülle die Voraussetzungen gemäß Art. 6 ARB Nr. 1/80 nicht (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 20. Mai 1998, Zl. 96/09/0297, und vom 17. Jänner 2000, Zl. 97/09/0014, u.v.a.).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 12. April 2000
Schlagworte
Spruch und BegründungVerfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung FeststellungsbescheideEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1997090202.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
15.11.2011