TE Lvwg Erkenntnis 2018/3/7 VGW-123/062/17163/2017

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.03.2018
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Entscheidungsdatum

07.03.2018

Index

97 Öffentliches Auftragswesen

Norm

BVergG 2006 §139 Abs2
BVergG 2006 §278

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch die Richter Mag. Schmied als Vorsitzenden, Mag. Winter als Berichter und Dr. Schweiger als Beisitzer über den Antrag der Bietergemeinschaft K. - S., vertreten durch Rechtsanwälte, eingelangt am 27. Dezember 2017, auf Nichtigerklärung der Widerrufsentscheidung vom 15. Dezember 2017, betreffend das Vergabeverfahren "Lieferung und Instandhaltung von ...fahrzeugen für Strecke Wien - ...", nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 14. Februar 2018 durch Verkündung,

zu Recht e r k a n n t:

I. Der Antrag auf Nichtigerklärung der Widerrufsentscheidung vom 15. Dezember 2017 im Vergabeverfahren "Lieferung und Instandhaltung von ...fahrzeugen für Strecke Wien - ..." wird gemäß § 13 Abs. 1 Wiener Vergaberechtsschutzgesetz 2014 – WVRG 2014 in Verbindung mit § 278 Bundesvergabegesetz 2006 – BVergG 2006 abgewiesen.

II. Die Antragstellerin hat gemäß den §§ 15 und 16 WVRG 2014 die von ihr entrichteten Pauschalgebühren selbst zu tragen.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die L. führt als Sektorenauftraggeberin ein Verhandlungsverfahren im Oberschwellenbereich zur Vergabe eines Lieferauftrages. Vertragsgegenstand ist die Lieferung und Instandhaltung von ...fahrzeugen für die Strecke Wien – ....

Für die Teilnahme am Verfahren hatten sich mehrere Bewerber präqualifiziert. Die Antragstellerin hatte ihr (Erst)Angebot am 18. August 2017 gelegt und mit der Auftraggeberin darüber am 25. Oktober 2017 ein Verhandlungsgespräch geführt. Abgesehen von der Antragstellerin hatte noch ein weiterer Bewerber ein (Erst)Angebot abgegeben und über dieses mit der Auftraggeberin verhandelt.

Am 5. Dezember 2017 übermittelte die Auftraggeberin eine Widerrufsentscheidung, welche in der Folge zurückgenommen und durch die verfahrensgegenständliche Widerrufsentscheidung vom 15. Dezember 2017 ersetzt wurde.

Die Widerrufsentscheidung begründete die Auftraggeberin im Wesentlichen damit, dass zwischenzeitlich Umstände hervor gekommen wären, die es nahelegen würden, eine deutlich höhere Stückzahl an ...fahrzeugen zu beschaffen, als dies Gegenstand dieses Verfahrens sei. So wäre einerseits der derzeitige Fahrzeugbestand (T.) in einem größeren Umfang zu einem früheren Zeitpunkt auszutauschen als dies am Beginn des Vergabeverfahrens bekannt gewesen wäre. Darüber hinaus sollten in Zukunft auch mehr Fahrzeuge als bisher eingesetzt werden. Es wären derzeit intensive Gespräche zur Finanzierung eines verdichteten Takts (sogenannter 7 ½ Minuten Takt) auf der … im Gange und erfordere eine derartige Verdichtung der Verkehrsleistung einen entsprechend vergrößerten Fuhrpark. Sowohl der neu hervor gekommene schlechte Zustand des derzeitigen Fahrzeugbestands (T.) als auch der sich aus dem angestrebten 7 ½ Minuten Takt ergebende zusätzliche Fahrzeugbestand habe sowohl Mutterkonzern, die Wiener Stadtwerke Holding AG, und die Antragsgegnerin dazu bewogen, die Fahrzeugstrategie 2030 und die hierfür intern erforderlichen Mittel zu beschließen.

Im Übrigen wäre der Widerruf im gegenständlichen Verfahren auch bereits deshalb gerechtfertigt, weil – abgesehen vom Angebot der Antragstellerin – kein weiteres Angebot vorliege. Bereits die Grundsätze der Zweckmäßigkeit, Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit erforderten es, die sich abzeichnende höhere Anzahl an …fahrzeugen in einem gemeinsamen Verfahren zu vergeben, um Synergien im Betrieb und der Instandhaltung dieser Fahrzeuge zu erreichen; dies nicht zuletzt auch in deren Beschaffung. Die Widerrufsentscheidung vom 15. Dezember 2017 wurde der Antragstellerin elektronisch übermittelt.

Gegen diese Widerrufsentscheidung, bei der er sich um eine gesondert anfechtbare Entscheidung nach § 2 Z 16 lit. a sublit. dd BVergG handelt, richtet sich der am 27. Dezember 2017 und damit rechtzeitig (§ 24 Abs. 1 WVRG 2014) eingelangte Antrag auf Einleitung des Nachprüfungsverfahrens, Nichtigerklärung der Widerrufsentscheidung, Erlassung einer einstweiligen Verfügung, Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie auf Kostenersatz. Der Antrag wurde ordnungsgemäß vergebührt. Der der Antragstellerin drohende Schaden im Falle eines rechtswidrig erfolgten Widerrufes sowie ihr Interesse am Vertragsabschluss wurden im Nachprüfungsantrag plausibel dargelegt.

In der Begründung des Nachprüfungsantrages verweist die Antragstellerin im Wesentlichen darauf, dass gegenständlich kein Grund für einen Widerruf vorliege, es der Widerrufsentscheidung an einer sachlich rechtfertigenden Begründung fehle und die Widerrufsentscheidung daher formal rechtswidrig sei.

Der von der Auftraggeberin ins Treffen geführte Grund des „plötzlich“ schlechten Zustandes des Fahrzeugbestandes wäre insofern nicht tragfähig, als die bestehenden … Fahrzeuge – wie jedes im Verkehr zugelassene Fahrzeug – einer kontinuierlichen technischen Prüfung unterzogen werden müssten. Es wäre daher auszuschließen, dass der Fahrzeugbestand „plötzlich“ einen schlechten technischen Zustand aufweise bzw. gar nicht mehr fahrtüchtig wäre. Nach jahrzehntelangen Erfahrungen und verpflichtend durchzuführenden technischen Untersuchungen hätten der Auftraggeberin die Abnützungserscheinungen hinlänglich bekannt sein müssen. Auch der Umstand, dass sich seit dem Verhandlungsgespräch am 25. Oktober 2017 eine deutlich höhere Stückzahl an erforderlichen ...fahrzeugen herausgestellt hätte, sei nicht wirklich nachvollziehbar, zumal sich die bisherige Dauer dieses Verfahrens (inklusive technischem Dialog) auf nahezu zwei Jahre belaufe und die Auftraggeberin mit dem konkreten Beschaffungsvorgang bereits von Anfang an die Möglichkeit der Lieferung von … Fahrzeugen in Aussicht gestellt hätte. Dies ergebe sich aus dem Vertragsgegenstand und der optional abzurufenden Fahrzeuge.

Auch die für den gegenständlich erfolgten Widerruf von der Auftraggeberin herangezogene Rechtfertigung, wonach angeblich nur mehr ein Angebot im Verfahren verblieben wäre, könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Die Antragstellerin gehe davon aus, dass neben ihr zumindest ein weiterer Bieter ein (Erst)Angebot gelegt habe und zu nachfolgenden Verhandlungen eingeladen worden sei. Aus diesen Umständen wäre abzuleiten, dass zumindest ein weiteres (Erst)Angebot vorliege. Die Auftraggeberin habe bislang nicht zur Legung eines weiteren Angebots aufgefordert, weshalb zum Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung zumindest zwei Angebote vorliegen würden.

Die gegenständliche Begründung, wonach bloß ein (Erst)Angebot vorliegen würde, rechtfertige nicht den beabsichtigten Widerruf. Diese Begründung leite die Auftraggeberin offenkundig aus § 139 Abs. 2 BVergG ab. Selbst wenn der Auftraggeberin zugestanden werde, dass sie als Sektorenauftraggeberin auch die Widerrufsgründe des klassischen Bereiches in Analogie heranziehen dürfe, so beziehe sich § 139 BVerg ausdrücklich nur auf Widerrufsgründe nach Ablauf der Angebotsfrist. Das gegenständliche Verfahren befände sich aber noch im Stadium der Angebotsphase, zumal die Bieter noch nicht zur Legung der Letztangebote aufgefordert worden wären.

Die Auftraggeberin dürfe das Vergabeverfahren daher bloß dann widerrufen, wenn nur ein Letztangebot eingelangt wäre. Eine Verpflichtung zum Widerruf bestünde aber auch dann nicht. Insofern die Auftraggeberin den Widerruf vorauseilend mit den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit, Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit begründe, wäre dies nicht nachvollziehbar. Die Antragstellerin gehe begründet davon aus, sich zumindest mit einem weiteren Bieter im Wettbewerb zu befinden. Aufgrund des engen und durchaus hart umkämpften Marktes wäre die Antragstellerin angehalten, ein preislich attraktives Letztangebot zu legen, um ihre bisherigen Aufwendungen im Auftragsfall rechtfertigen zu können. Es könne mit den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit, Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit nicht vereinbart werden, wenn die Auftraggeberin ein preislich attraktives Angebot ausschlage, um ein gleichartiges Vergabeverfahren nochmals durchzuführen.

Die von der Auftraggeberin heran gezogenen Widerrufsgründe würden keine sachliche Rechtfertigung bieten, zumal dem diesbezüglichen Ermessen des Sektorenauftraggebers auch klare Grenzen gesetzt wären. Könne der Grund für den Widerruf durch „gelindere Mittel“ (z.B. durch Berichtigung der Ausschreibung) behoben werden, liege kein sachlicher Grund für einen solchen vor. Ein Widerruf, der nicht in Einklang mit den Grundsätzen des Vergabeverfahrens erfolge, wäre ebenfalls unzulässig. Abgesehen davon wäre ein Widerruf rechtswidrig, wenn er willkürlich oder missbräuchlich, z.B. als „Vorwand“ unter Verstoß gegen vergaberechtliche Grundsätze erfolge.

Die von der Auftraggeberin in der Widerrufsentscheidung angeführten Gründe hielten einer Überprüfung an diesem Maßstab nicht stand und liege ein sachlicher Widerrufsgrund angesichts dieser Ausführungen nicht vor. Die Widerrufsentscheidung wäre angesichts ihrer Begründung unsachlich, rechtswidrig und daher für nichtig zu erklären.

Beantragt werde daher nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Nichtigerklärung der Widerrufsentscheidung vom 15. Dezember 2017 sowie der Ersatz der entrichteten Pauschalgebühren durch die Auftraggeberin.

Mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2017 erteilte die Auftraggeberin allgemeine Auskünfte zum Verfahren. Weiters sprach sie die Auftraggeberin dem Grunde nach nicht gegen den Erlass der von der Antragstellerin begehrten einstweiligen Verfügung aus.

Das Verwaltungsgericht Wien erließ mit Beschluss vom 29. Dezember 2017 eine einstweilige Verfügung, leitete das Nachprüfungsverfahren ein und untersagte der Auftraggeberin bis zur Beendigung des Nachprüfungsverfahrens den Widerruf des Vergabeverfahrens.

Am 29. Dezember 2017 legte die Auftraggeberin dem Gericht die Akten des gegenständlichen Vergabeverfahrens unter Anschluss eines Inhaltsverzeichnisses in geschwärzter und nicht geschwärzter Fassung vor.

Die Auftraggeberin erstattete zum gegenständlichen Nachprüfungsantrag am 9. Jänner 2018 eine Stellungnahme und forderte darin die Abweisung des Antrags auf Nichtigerklärung der Widerrufsentscheidung.

Die Auftraggeberin führte darin die geänderte Flottenstrategie und die Umstände, die zu dieser Änderung beigetragen hätten, näher aus. Diese wären zum einen insbesondere der schlechte technische Zustand der derzeit im Einsatz befindlichen …fahrzeuge der Serie T. sowie ein nicht verschuldeter Unfall eines …fahrzeuges dieser Serie. Zum anderen habe sich auch der Wiener Stadtwerke Konzern zum durchgehenden 7 ½ Minuten Takt auf der Strecke zwischen Wien/… und .../… bekannt und eine diesbezügliche Vorfinanzierung genehmigt. Daraus habe sich eine neu zu beschaffende Stückzahl von zumindest … …fahrzeugen mit der Option auf weitere … …fahrzeuge ergeben.

Aber auch der Umstand, dass zum Zeitpunkt der Mitteilung des beabsichtigten Widerrufs nur noch ein Angebot im gegenständlichen Vergabeverfahren verblieben wäre, berechtigte die Auftraggeberin jedenfalls zum Widerruf. Angesichts der einhelligen Auffassung in der Lehre und ständigen Judikatur, wonach Sektorenauftraggeber einer weniger strengen Regelung unterliegen, was das Vorliegen eines berechtigten Widerrufes beträfe, könne kein Zweifel bestehen, dass die Auftraggeberin im gegenständlichen Fall zum Widerruf zumindest berechtigt, wenn nicht sogar verpflichtet sei. Dies deshalb als Ziel und Kern des Vergabeverfahrens der Wettbewerb zwischen Unternehmern sei und ein solcher bei Vorliegen nur eines Angebotes ausgeschlossen wäre. Die sachlichen Gründe für einen Widerruf wären in den Ausschreibungsunterlagen nur beispielhaft aufgezählt worden, doch erfasse der ausdrücklich genannte Grund der „Änderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beim AG“ auch den nunmehr eingetretenen Fall des fehlenden Wettbewerbs. Die Ausschreibungsunterlagen wären offenkundig auf einen „Wettbewerb“ der Angebote mehrerer Bieter ausgerichtet gewesen und hätten sich, da kein weiteres ausschreibungskonformes Angebot vorliege, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zum Verfahren wesentlich geändert. Ein „Wettbewerb“ ausschreibungskonformer Angebote wäre quasi eine Geschäftsgrundlage dieses Vergabeverfahrens gewesen und rechtfertige deren Entfall jedenfalls die nunmehrige Widerrufsentscheidung.

Da sich der erfolge Widerruf aus einer Vielzahl von Gründen als rechtmäßig erweise werde daher die Abweisung des Antrages auf Nichtigerklärung der Widerrufsentscheidung vom 15. Dezember 2017 sowie auf Pauschalgebührenersatz begehrt.

Am 1. Februar 2018 nahmen Vertreter der Antragstellerin im Beisein ihres anwaltlichen Beistandes Akteneinsicht, insbesondere in das geschwärzte Inhaltsverzeichnis der vorgelegten Vergabeakten.

Am 12. Februar 2018 erfolgte eine Replik der Antragstellerin, in welcher ihre rechtliche Argumentation vertieft wurde. Zur Thematik des Verbleibes von nur einem Angebot im Verfahren verwies die Antragstellerin darauf, dass angesichts den bestandsfesten Ausschreibungsbestimmungen, wonach es jedem Bieter freistünde, gleichzeitig mit dem Erstangebot Verhandlungsvorschläge einzureichen, in denen zu den einzelnen Teilen der Ausschreibungsunterlagen, insbesondere zu den einzelnen vertraglichen Bestimmungen sowie der Leistungsbeschreibung abweichende Vorschläge konkreter Art enthalten sind, welche zum Gegenstand von Vertragsverhandlungen gemacht werden könnten, es nicht nachvollziehbar sei, weshalb das Erstangebot eines anderen Bieters bereits in der ersten Verhandlungsphase mit der Begründung eines nicht ausschreibungskonformen Angebotes auszuscheiden gewesen sei. Vielmehr liege die Vermutung nahe, dass die Auftraggeberin das Angebot eines Mitbewerbers willkürlich ausgeschieden hätte, um einen Widerrufsgrund zu schaffen. Alternativ müsste der Mitbewerber selbst sein „Nichtinteresse“ geäußert und sich damit aus dem Vergabeverfahren „zurückgezogen“ haben. Die Antragstellerin leite aus dem Gesamtverhalten ab, dass aufgrund des kostengünstigen und technisch hochwertigen Angebotes der Antragstellerin die Mitbieter soweit ins Hintertreffen geraten wären, dass deren weitere Beteiligung nicht mehr beabsichtigt gewesen sei.

Es könne daher ein Erstangebot nicht ausgeschieden werden, weil es angeblich nicht ausschreibungskonform sei. Die Auftraggeberin habe sich verpflichtet über den gesamten Auftragsgegenstand zu verhandeln, was im Übrigen auch dem Gesetz entspräche. Das Ausscheiden von konkurrierenden Angeboten, um letztlich gegenüber dem einzig verbliebenen Bieter den Widerruf kundzutun, laufe den Grundsätzen eines fairen, freien und lauteren Wettbewerbs zuwider. Hätte die Auftraggeberin rechtskonform gehandelt und den Mitbieter zur Legung eines Letztangebotes aufgefordert, hätte die Antragstellerin ohne Zweifel aufgrund ihres attraktiven (ausschreibungskonformen) Erstangebots ein mehr als chancenreiches Letztangebot legen können. Auch das „Zurückziehen“ des letzten Mitbewerbers widerspräche den Grundsätzen eines fairen, freien und lauteren Wettbewerbs, wenn damit ein Widerrufsgrund konstruiert werde zu dem Zweck, die Vergabe zu Gunsten des wirtschaftlich nicht mehr einzuholenden Bestangebotes der Antragstellerin zu verhindern.

Auch würden dem gegenständlichen Vergabeverfahren keine „unzumutbaren“ Musskriterien zu Grunde liegen, da die technischen Anforderungen an die zu beschaffenden …fahrzeuge bereits mit den Unterlagen zum Teilnahmeantrag hinlänglich genau definiert worden wären. Insbesondere wäre mit den technischen Vorgaben in Punkt 2.2.3 der Teilnahmebedingungen die Fahrzeugumgrenzungslinie (Breite …, Länge max. …) für den Betrieb im innerstädtischen Bereich vorgegeben worden. Auch im Rahmen einer Anfragenbeantwortung habe die Auftraggeberin klargestellt, dass die detailliert festgelegten technischen Anforderungsmerkmale einzuhalten wären. Die angeblich unzumutbaren Musskriterien wären demnach allen Interessenten bekannt gewesen. Jedem der drei ausgewählten Bewerber hätte bei Aufforderung zur Angebotslegung klar sein müssen, dass die technischen Vorgaben (Musskriterien) im Angebot zu berücksichtigen sind. Aufgrund ihrer Marktkenntnisse gehe die Antragstellerin davon aus, dass eine hinreichende Anzahl von Mitbewerbern diese Musskriterien erfüllen könnten. Das Vorbringen der Auftraggeberin, wonach die Mitbewerber die zu erfüllenden Musskriterien „als unzumutbar“ eingestuft hätten, wäre daher nicht aufrecht zu erhalten. Dass die beiden übrigen Bieter – aufgrund der bekannten Musskriterien kein Angebot bzw. ein nicht den Anforderungen entsprechendes Angebot gelegt hätten – wäre daher ausschließlich der Sphäre der Auftraggeberin zuzuordnen.

Daher habe die Auftraggeberin entweder in der Präqualifikationsphase die „falschen“ (ungeeigneten) Bieter ausgewählt oder tatsächlich eine nicht neutrale Leistungsbeschreibung gewählt. Beides wäre in der Sphäre der Auftraggeberin gelegen und biete keine sachliche Rechtfertigung für einen Widerruf. Sofern das Gericht ausschließlich diese technische Begründung seinem Erkenntnis zu Grunde lege, werde ein Gutachter beantragt zum Beweis dafür, dass die Musskriterien der Ausschreibungsbestimmungen dem Stand der Technik entsprechen und von einem geeigneten Bieter aus technischer Sicht zu erfüllen wären.

Ein Widerruf eines Vergabeverfahrens könne sich nicht darauf gründen, dass die Auftraggeberin zuerst eine zu spezifische Leistungsbeschreibung wähle und sich in der Folge dieses eigenen Fehlers mit einem Widerruf entledige.

Im Übrigen rechtfertige auch das Vorliegen nur eines Angebotes insofern keinen Widerruf, als dieser Rechtfertigungsgrund ausschließlich auf die mangelnde Vergleichbarkeit mit anderen Angeboten abziele. Die Auftraggeberin habe für diesen speziellen Fall, nämlich dass ihr unwirtschaftliche (zu teure) Angebote vorliegen, Vorsorge getroffen und als sachlichen Widerrufsgrund in den Ausschreibungsunterlagen diesbezüglich vorgesehen, dass dann jedenfalls ein solcher vorliege, wenn der vom Auftraggeber für die Lieferung der gegenständlichen ...fahrzeuge geschätzte Preis (d.h. Fahrzeugpreis) auch vom technisch und wirtschaftlich günstigsten für den Zuschlag in Betracht kommenden Angebot überschritten wird. Mit dieser Ausschreibungsbestimmung habe die Auftraggeberin klargestellt, dass sie bei Überschreiten ihres Schätzpreises vom Widerruf Gebrach machen werde. Im Umkehrschluss müsse aus wirtschaftlichen Überlegungen gelten, dass zu teure Angebote mangels Vorliegen eines Bieterwettbewerbes keinen sachlichen Widerrufsgrund begründen, wenn der Schätzpreis der Auftraggeberin nicht überschritten wird. Mangels eines Letztangebotes könne die Auftraggeberin ein Über- oder Unterschreiten ihres Schätzpreises gar nicht prüfen, weshalb dieser Widerrufsgrund nach den bestandsfesten Ausschreibungsbestimmungen nicht hätte herangezogen werden dürfen.

Dazu bezog die Auftraggeberin mit Schriftsatz vom 13. Februar 2018, am Tag vor der für den 14. Februar anberaumten mündlichen Verhandlung, ihrerseits Stellung. Sinngemäß wurde hervorgehoben, dass es gegenständlich durch den Widerruf zu keiner Diskriminierung der Antragstellerin gekommen sei, es für die Frage der Sachlichkeit des Widerrufs unerheblich sei, in wessen „Sphäre“ die Umstände des Widerrufs gelegen wären bzw. ob die Auftraggeberin einen solchen „verschuldet hätte“ und dass das Ausscheiden des Angebotes des Mitbewerbers nicht willkürlich erfolgt sei.

Richtig wäre zwar, dass sich die Auftraggeberin im Hinblick auf die gesetzlichen Vorgaben die Möglichkeit umfassender Verhandlungen vorbehalten hätte. In den allgemeinen Angebotsbestimmungen zu Punkt 3.5.1 wäre aber festgelegt, dass die Auftraggeberin nicht verpflichtet sei, Änderungsvorschläge zu akzeptieren bzw. habe sie sich das Recht vorbehalten, solche Vorschläge abzulehnen. Vor diesem Hintergrund wäre nach Verstreichen mehrfacher Aufforderungen zur Behebung/Klarstellung gewisser Themen eindeutig festgestanden, dass kein ausschreibungskonformes Angebot vorliege, weitere Verhandlungen sinnlos wären und das Angebot auszuscheiden sei. In diesem Zusammenhang werde auch auf Punkt 3.4 der bestandsfesten Ausschreibungsbestimmungen hingewiesen, wonach eine vollumfängliche Überprüfung der Angebote auf Ausschreibungskonformität hinsichtlich sämtlicher Muss- bzw. Mindestanforderungen zum Zeitpunkt der Angebotslegung nur im eingeschränkten Ausmaß möglich wäre und die Antragstellerin daher damit habe rechnen müssen, dass zu Beginn der Verhandlungen die Prüfung der Angebote noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Die Antragstellerin wäre auf diesen Umstand auch zu Beginn der ersten Verhandlungsrunde explizit hingewiesen worden, was dem Protokoll im Vergabeakt entnommen werden könne. Im Ergebnis hätte daher von Beginn an kein ausreichender Bieterwettbewerb stattgefunden, was der Auftraggeberin aber erst im Zuge der Angebotsprüfung klar geworden wäre. Von der beantragten Einholung eines Gutachtens für …fahrzeuge wäre bereits deshalb Abstand zu nehmen, als es für die entscheidende Frage der Sachlichkeit des Widerrufs keiner weiteren Feststellung bedürfe, die nicht aus dem Vergabeakt zu entnehmen sei. Für die Beurteilung der sachlichen Rechtfertigung des Widerrufs wäre es im Übrigen unerheblich, ob die „falsche Leistungsbeschreibung“ bzw. die „falsche Bewerberauswahl“ in der Sphäre der Auftraggeberin liege, wobei aber darauf hingewiesen werde, dass die im Auftragsfall zu erfüllenden technischen Anforderungen an die Fahrzeuge weder als Eignungs- noch als Auswahlkriterium definiert gewesen wären und somit de facto auch keine „falsche Bewerberauswahl“ vorliege. Entscheidend sei vielmehr, dass auf Grund der bestandsfesten Ausschreibungsunterlagen nur ein ausschreibungskonformes Angebot vorgelegen sei und weitere Verhandlungsmöglichkeiten mit weiteren Bietern nicht offen gestanden wären.

Am 14. Februar 2018 führte das Verwaltungsgericht Wien eine mündliche Verhandlung im Beisein der jeweils anwaltlich vertretenen Antragstellerin und Auftraggeberin durch.

Eingangs verwies der Vertreter der Antragstellerin im Rahmen seiner Replik auf den am Vortag eingebrachten Schriftsatz der Auftraggeberin darauf, dass der neue Artikel 89 der bis dato noch nicht in die österreichische Rechtsordnung umgesetzten Sektorenrichtlinie den Auftraggebern umfassende Möglichkeiten eröffne, den ausgeschriebenen Auftrag nachträglich zu erweitern und zwar selbst dann, wenn dies in den Auftragsunterlagen nicht explizit vorgesehen gewesen wäre. Unter anderem zu dieser Thematik wurde vom Vertreter der Antragstellerin ein schriftlicher Aktenvermerk vorgelegt, welcher dem Verhandlungsprotokoll als Beilage./A angeschlossen und auch der Gegenseite ausgefolgt wurde.

Weiters führte der Vertreter der Antragstellerin aus, dass jedenfalls noch von einem anderen Mitbewerber ein Erstangebot gelegt worden sei und der Antragstellerin im Rahmen der durchgeführten Verhandlungsgespräche suggeriert worden wäre, dass auch noch ein zweiter Bieter im Rennen sei und somit eine Wettbewerbssituation vorliege. Im Übrigen hätte sich aus der geschwärzten Fassung des Inhaltsverzeichnisses der vorgelegten Vergabeakten ergeben, dass sich der betreffende Bieter nach Legung des Erstangebots „aus dem Verfahren zurückgezogen“ hätte, was im Widerspruch zum Vorbringen der Auftraggeberin stünde, wonach dieser Bieter ausgeschieden worden sei.

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurde die Auftraggeberin in der Folge zu den Umständen, die zum Ausscheiden des Angebotes des Mitbewerbers geführt hatten, befragt. Nach der Erörterung dieser Umstände wurde das Verfahren unter Wiederzulassung der Öffentlichkeit fortgeführt.

Nach Zusammenfassung der Ergebnisse der Befragung der Auftraggeberin unter Wahrung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen durch den Vorsitzenden, replizierte der Vertreter der Antragstellerin, dass im Hinblick auf die von der Mitbieterin erfolgte Zurückziehung aus dem Vergabeverfahren keine Ausscheidensentscheidung hätte erfolgen müssen.

Im Übrigen wäre aus Sicht der Antragstellerin kein Grund erkennbar, warum die Auftraggeberin davon ausgehe, dass sich bei einer erneuten Ausschreibung mehrere Bieter bewerben und nicht freiwillig von einer Teilnahme am Verfahren Abstand nehmen würden. Es wäre daher nicht gewährleistet, dass im Fall einer Neuausschreibung tatsächlich mehr Wettbewerb stattfinden würde. Darüber hinaus würde die Auftraggeberin mit dieser Entscheidung insofern gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, als anderen Bietern die Möglichkeit eingeräumt werde, sich längerfristig auf eine allfällige weitere Ausschreibung vorzubereiten.

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgte durch den Vorsitzenden spruchgemäß die mündliche Verkündung der Entscheidung mit den wesentlichen Entscheidungsgründen und der Rechtsmittelbelehrung.

Mit Schriftsatz vom 23. Februar 2018 beantragte der anwaltliche Vertreter der Antragstellerin die Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG.

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Aufgrund der vorliegenden Vergabeakten sowie des durchgeführten Ermittlungsverfahrens wird folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen festgestellt:

Die Auftraggeberin führt als Sektorenauftraggeberin ein zweistufiges Verhandlungsverfahren im Oberschwellenbereich zur Vergabe eines Lieferauftrages. Vertragsgegenstand ist die Lieferung und Instandhaltung von ...fahrzeugen für die Strecke Wien – ....

In den bestandsfesten Unterlagen zum Teilnahmeantrag findet sich in Punkt 2.2.3 eine Tabelle mit den technischen Anforderungsmerkmalen der zu liefernden Fahrzeuge. Im Rahmen einer Anfragenbeantwortung (Zweite Fragenbeantwortung und zweite Berichtigung, 25.08.2016) hatte die Auftraggeberin hierzu erläuternd ausgeführt, dass diese Tabelle die aus Sicht der Auftraggeberin erforderlichen Haupteigenschaften auflistet, die das zu liefernde Fahrzeug zu erfüllen haben wird. Die Mindestanforderungen an die Referenzfahrzeuge waren in den Teilnahmeunterlagen in Punkt 4.2.3.1 bestandsfest festgelegt.

Nach Abschluss der Präqualifikationsphase waren noch mehrere Bieter im Verfahren. Von diesen Bietern hat – abgesehen von der Antragstellerin – nur ein weiterer Bieter ein (Erst)Angebot gelegt.

In den bestandsfesten Allgemeinen Angebotsbestimmungen findet sich in Punkt 3.4 (Angebotsprüfung) die Festlegung, dass Angebote, welche von den Vorgaben der Ausschreibungsunterlagen abweichen, ausgeschieden werden. Teil B II. 1 der bestandsfesten Ausschreibung bildet das diesem Verfahren zu Grunde liegende „Fahrzeuglastenheft“, in welchem unter Punkt 1.2 die Besonderen System- und Betriebsbedingungen, die von den zu beschaffenden Fahrzeugen erfüllt werden müssen, festgelegt sind.

Nach den bestandsfesten Ausschreibungsbestimmungen (Punkt 3.5.1 der Allgemeinen Angebotsbestimmungen) steht es Bietern zwar frei, gleichzeitig mit ihrem Erstangebot Verhandlungsvorschläge einzureichen, in denen zu den einzelnen Teilen der Ausschreibungsunterlagen, insbesondere zu den einzelnen vertraglichen Bestimmungen sowie der Leistungsbeschreibung abweichende Vorschläge konkreter Art enthalten sind, allerdings ist der Auftraggeber nach den Vorgaben der Ausschreibung weder gebunden, noch verpflichtet, solche von Bietern erstattete Änderungsvorschläge zu akzeptieren.

Hinsichtlich des Ablaufes der Verhandlungen findet sich in Punkt 3.5 der Allgemeinen Angebotsbestimmungen unter anderem der Hinweis, dass, soweit die Einladung zu Verhandlungen vorbehaltlich der Klärung von im Zuge der Angebotsprüfung aufgetretenen Unklarheiten bzw. Mängel erfolgen sollte, der Bieter verpflichtet ist, diese Mängel im Zuge der Verhandlungen binnen der dazu vom AG gesetzten Frist zu beheben bzw. Unklarheiten binnen dieser Frist aufzuklären.

In den Einladungen zur ersten Verhandlungsrunde fand sich jeweils der Hinweis an die Bieter, dass die Prüfung der Erstangebote auf die Ausschreibungskonformität noch nicht abgeschlossen ist.

Sowohl mit der Antragstellerin als auch mit dem Mitbewerber wurde ein Verhandlungsgespräch über ihr (Erst)Angebot geführt. Mit der Antragstellerin fand eine zweite Verhandlungsrunde statt, zur Legung eines „Last and Final Offers“ wurde sie nicht aufgefordert.

Im Rahmen des Verhandlungsgespräches mit dem Mitbewerber wurden seitens der Auftraggeberin zu mehreren Punkten schriftliche Aufklärungen bezüglich der Frage der Übereinstimmung deren (Erst)Angebotes mit den Vorgaben im technischen Lastenheft verlangt. Vom Mitbewerber wurde wiederholt um eine Erstreckung der Frist für diese Aufklärung ersucht. Eine Aufklärung erfolgte nicht, vielmehr wurde der Auftraggeberin schriftlich der Rückzug aus dem Vergabeverfahren mitgeteilt. Daraufhin hatte die Auftraggeberin diesem Mitbewerber im November 2017 das Ausscheiden seines Angebotes mitgeteilt. Diese Ausscheidensentscheidung wurde vom Mitbewerber nicht bekämpft.

Nach Rechtskraft der Ausscheidensentscheidung teilte die Auftraggeberin der Antragstellerin mit elektronischer Nachricht vom 15. Dezember 2017 den beabsichtigten Widerruf des Vergabeverfahrens mit.

Diese Widerrufsentscheidung wurde einerseits mit dem neu hervor gekommenen Umstand des Erfordernisses der Beschaffung einer weit größeren Anzahl an ...fahrzeugen zu einem viel früheren Zeitpunkt als zum Zeitpunkt der Einleitung dieses Vergabeverfahrens angenommen wurde begründet. Dies aus einer Vielzahl von Gründen wie z.B. die Umsetzung eines 7 ½ Minuten Taktes auf der gesamten Strecke Wien – ... und dem unerwartet schlechten technischen Zustandes der …fahrzeuge der Serie T.. Weiters begründete die Auftraggeberin ihre Bekanntgabe des beabsichtigten Widerrufes damit, dass im gegenständlichen Verfahren, abgesehen vom Angebot der Antragstellerin, kein weiteres Angebot vorliegt.

In den Allgemeinen Angebotsbestimmungen für die 2. Stufe finden sich in Punkt 1.11 folgende Festlegungen in Bezug zu einem Widerruf des Verfahrens:

Der AG ist berechtigt, das Vergabeverfahren jederzeit aus sachlichen Gründen zu widerrufen. Sofern dem Bieter aus oder im Zusammenhang mit dem Widerruf Schadenersatzansprüche wegen Vermögensschäden gegen den AG zustehen sollten, werden diese auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt.

Sachliche Gründe, die einen Widerruf rechtfertigen, sind jedenfalls eine nicht bloß unwesentliche Änderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beim AG (z.B. eine Einschränkung der aus derzeitiger Sicht vorliegenden Mittel), Versagung bzw. verspätete Erlangung der für die ausgeschriebenen Leistungen erforderlichen behördlichen Genehmigung(en), nachträgliche Unmöglichkeit der Umsetzung der ausgeschriebenen Leistung (z.B. Nichtvorliegen der erforderlichen sachenrechtlichen bzw. schuldrechtlichen Rechte der L.); zu teure Angebote (das billigste Angebot übersteigt die interne Kostenschätzung erheblich) und eine berechtigte Beschwerde eines Bieters, die eine Neuausschreibung erforderlich macht.

Jedenfalls liegt daher dann ein sachlicher Grund vor, wenn der vom AG für die Lieferung der gegenständlichen …fahrzeuge geschätzte Preis (dh Fahrzeugpreis) auch vom technische und wirtschaftlich günstigsten für den Zuschlag in Betracht kommenden Angebot überschritten wird.

Ansprüche der ausgewählten Bewerber bzw. Bieter/Bietergemeinschaften auf Kosten-/Schadenersatz im Zusammenhang mit dem Widerruf des vorliegenden Vergabeverfahrens sind im gesetzlich größtmöglich zulässigen Umfang ausgeschlossen.“

Die gesamten Feststellungen gründen auf dem Inhalt der von der Auftraggeberin vorgelegten Akten dieses Verfahrens.

Rechtliche Beurteilung:

Die L. führt als Sektorenauftraggeberin ein Verhandlungsverfahren im Oberschwellenbereich zur Vergabe eines Lieferauftrages, nämlich bezüglich der Lieferung und Instandhaltung von ...fahrzeugen für die Strecke Wien – …. Dieses Verfahren befindet sich im Stadium nach Legung der Erstangebote und vor Legung der „Last and Final Offers“. Am 15. Dezember 2016 erklärte die Auftraggeberin den beabsichtigen Widerruf des Verfahrens. Dieser Widerruf wurde unter anderem damit begründet, dass nur mehr ein Angebot im Verfahren verblieben ist.

Gemäß § 278 BVergG 2006, kann der Sektorenauftraggeber ein Vergabeverfahren widerrufen, wenn dafür sachliche Gründe bestehen. Nach einhelliger Lehrmeinung unterliegt der Sektorenauftraggeber im Falle eines Widerrufs weniger Einschränkungen als der klassische Auftraggeber und gelten daher Gründe, die sogar im strenger geregelten klassischen Bereich einen Widerruf zulassen, jedenfalls auch als sachliche Gründe im Sektorenbereich (vgl. Stempkowki/Holzinger in Heid/Preslmayr, Handbuch Vergaberecht, (2015) [Rz 1836]).

§ 139 Abs. 2 BVergG 2006, welcher die zulässigen Widerrufsgründe für klassische Auftragsgeber nach Ablauf der Angebotsfrist regelt, sieht in der Ziffer 2 ausdrücklich vor, dass ein Vergabeverfahren widerrufen werden kann, wenn nach dem Ausscheiden von Angeboten nur ein Angebot im Verfahren verbleibt.

Selbst dann, wenn der Rechtsansicht der Antragstellerin gefolgt würde, wonach im gegenständlichen Verhandlungsverfahren eine Einladung zur Legung eines Best and Final Offers noch nicht erfolgte und somit mangels Ablauf der Angebotsfrist allenfalls der § 138 BVergG 2006 analog heranzuziehen wäre, besteht aus sachlichen Gründen auch dieser Bestimmung zu Folge ein Widerrufsrecht.

 

Dass sich die AG im gegenständlichen Verfahren das Recht vorbehalten hatte, das Vergabeverfahren jederzeit aus sachlichen Gründen zu widerrufen und in diesem Zusammenhang auch allfällige Schadenersatzansprüche auf die Verschuldensform von Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkte, ist überdies in den dem gegenständlichen Verfahren zu Grunde liegenden Ausschreibungsbestimmungen bestandsfest festgelegt.

Aus der Aufzählung demonstrativer Beispiele für sachliche Widerrufsgründe in den Ausschreibungsunterlagen lässt sich nicht ableiten, dass sich die Auftraggeberin dadurch ihr nach den vergaberechtlichen Vorschriften bestehendes Widerrufsrecht einschränken wollte. Aus der Festlegung, dass jedenfalls ein sachlicher Grund vorliegt, wenn der von der Auftraggeberin für die Lieferung der gegenständlichen ...fahrzeuge geschätzte Fahrzeugpreis auch vom technisch und wirtschaftlich günstigsten für den Zuschlag in Betracht kommenden Angebot überschritten wird, lässt sich nicht der Umkehrschluss ziehen, dass bei Unterschreiten des Schätzwertes selbst dann kein sachlicher Grund für einen Widerruf vorliegen kann, wenn mangels eines Bieterwettbewerbes mit einem zu hohen Preis zu rechnen ist. Vielmehr liegt einem Vergabeverfahren, welches nach dem Bestbieterprinzip geführt wird, gerade der Leitgedanke zu Grunde, dass von mehreren Angeboten dasjenige ausgewählt werden soll, welches die beste Qualität zum günstigsten Preis gewährleistet.

Aus den dem Gericht vorliegenden Vergabeakten geht hervor, dass – nachdem nach der Präqualifikationsphase noch mehrere Bieter am gegenständlichen Verfahren beteiligt waren, nach Legung des Erstangebots und zum jetzigen Verfahrensstand nur mehr die Antragstellerin als einzige Bieterin in diesem Verfahren verblieben ist. Ein Bieter wurde nach Legung des Erstangebots und Durchführung einer ersten Verhandlungsrunde wegen der nicht erfolgten Aufklärung in Zusammenhang mit dem verlangten Nachweis betreffend die Erfüllung bestandsfest festgelegter technischer Muss-Kriterien rechtskräftig ausgeschieden, ein weiterer Bewerber hat überhaupt von der Legung eines (Erst)Angebotes Abstand genommen.

Dem Begehren der Antragstellerin auf Einholung eines Gutachtens zum Beweis dafür, dass die Muss-Kriterien der Ausschreibung dem Stand der Technik entsprechen und von einem geeigneten Bieter zu erfüllen wären, war bereits deshalb nicht zu entsprechen, als diese Frage für die Beurteilung der ausschließlich entscheidungsrelevanten Frage, ob gegenständlich zumindest ein sachlicher Widerrufsgrund vorliegt, nicht maßgeblich ist. Denn auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Zulässigkeit eines Widerrufes nach objektiven Kriterien, d.h. unabhängig davon zu beurteilen, ob der Grund für den Widerruf vom Sektorenauftraggeber schuldhaft verursacht wurde bzw. gegebenenfalls dessen Sphäre zuzuordnen ist (vgl. VwGH 26.6.2001, 2001/04/0106 bzw. G. Stickler/G. Zellhofer in Schramm/Aicher/Fruhmann, Kommentar Bundesvergabegesetz, § 278 Rz 6).

Der Einwand, die Auftraggeberin hätte – bevor sie den beabsichtigten Widerruf des Verfahrens erklärt, die Antragstellerin zuerst zur Legung eines Last and Best Offers auffordern müssen, ist insofern unzutreffend, als bereits nach der rechtskräftigen Ausscheidung des Erstangebotes der einzigen Mitbieterin feststand, dass in diesem Verfahren kein Wettbewerb und auch kein Vergleich von (Letzt)Angeboten mehr möglich sein wird und somit ein sachlicher Grund für einen Widerruf vorliegt. (Sektoren)Auftraggeber sind aber verpflichtet, nach Erhebung der Tatsachengrundlagen, die Entscheidung über den Widerruf so rasch als möglich zu treffen, eine schuldhafte Verzögerung könnte sogar Schadenersatzansprüche auslösen (G. Stickler/G. Zellhofer in Schramm/Aicher/Fruhmann, Kommentar Bundesvergabegesetz, § 278 Rz 12).

Auch der Europäische Gerichtshof vertritt die Rechtsansicht (vgl. EuGH vom 16.9.1999, Rs C-27/98, „Metalmeccanica Fracasso“) dass der Auftraggeber, der eine Ausschreibung durchgeführt hat, nicht verpflichtet ist, den Auftrag dem einzigen Bieter zu erteilen, der für geeignet gehalten wurde, an der Ausschreibung teilzunehmen. Dies deshalb, als das dem Vergaberecht innewohnende Wettbewerbsprinzip (§ 19 Abs. 1 BVergG) es dem Auftraggeber ermöglichen soll, verschiedene Angebote miteinander zu vergleichen und aufgrund objektiver Kriterien das günstigste Angebot zu wählen. Bliebe jedoch im Verfahren nur ein einziges Angebot übrig, so sei der Auftraggeber nach Ansicht des EuGH nicht in der Lage, die Preise oder die übrigen Merkmale verschiedener Angebote miteinander zu vergleichen, um den Zuschlag zu erteilen. Dies ist insbesondere in einem Verhandlungsverfahren, wo diese Parameter bis zum Zeitpunkt der Legung des Last and Final Offers verhandelbar sind um ein optimales Preis-/Leistungsverhältnis zu erzielen, ein gravierender Nachteil, da jeglicher Wettbewerb ausgeschaltet ist.

Im Rahmen seiner Ermessensausübung in Zusammenhalt mit einem möglichen Widerruf eines Vergabeverfahrens sind naturgemäß auch dem Sektorenauftraggeber insofern Schranken gesetzt, als ein solcher nicht in willkürlicher oder missbräuchlicher Absicht oder in Widerspruch zu den Grundsätzen des Vergabeverfahrens (vgl. § 187 BVergG) erfolgen darf.

Dafür sind gegenständlich keine Anhaltspunkte hervor gekommen. Aus den vorgelegten Vergabeakten ergibt sich, dass für das Ausscheiden des abgesehen von der Antragstellerin nach Legung des Erstangebotes noch im Verfahren verbliebenen Bieters zwingende Gründe vorgelegen sind. Für den erhobenen Vorwurf der Antragstellerin, von der Auftraggeberin wäre ein Ausscheidensgrund „konstruiert“ worden, um ihr die Möglichkeit für einen Widerruf zu eröffnen, findet sich in den Vergabeakten kein Hinweis. Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung konnte die Auftraggeberin die Umstände, die letztendlich zum Ausscheiden des Angebotes des Mitbieters geführt hatten, in sich schlüssig und widerspruchsfrei darlegen. Dieses Vorbringen deckt sich auch mit den vom Gericht eingesehenen Unterlagen, wie insbesondere dem Protokoll über das mit dem Mitbieter geführte Verhandlungsgespräch und die im Anschluss erfolgte schriftliche Korrespondenz.

Im Hinblick darauf, dass bereits zum jetzigen Verfahrensstand, vor Legung des Last and Final Offers, nur mehr die Antragstellerin im gegenständlichen Verhandlungsverfahren als Bieterin verblieben ist und diese somit im Falle der Fortführung des Verfahrens frei von jeglichem Wettbewerb ihr Letztangebot legen könnte, ist es durchaus nachvollziehbar und sachlich gerechtfertigt, dass sich die Auftraggeberin - auch angesichts der hohen Auftragssumme - für einen Widerruf des gegenständlichen Vergabeverfahrens entschieden hatte.

Dass das Verbleiben nur eines Bieters im Vergabeverfahren auch bezüglich des im Vergleich zum klassischen Bereich weniger streng geregelten Sektorenbereich einen sachlichen Grund für einen Widerruf darstellt, entspricht nicht nur der Rechtsansicht des EuGH, sondern ist überdies einhellige Lehrmeinung (vgl. G. Stickler/G. Zellhofer in Schramm/Aicher/Fruhmann, § 278 Rz 17).

Da sowohl nach der einhelligen Lehrmeinung, als auch der oben angeführten vergaberechtlichen Judikatur, der Umstand, dass im Zeitpunkt der Erklärung des beabsichtigten Widerrufes nur mehr ein Bieter im Verfahren verblieben ist, bereits für sich genommen einen sachlichen Grund für ein Widerrufsrecht des Sektorenauftraggebers darstellt, erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren in der Widerrufsentscheidung von der Auftraggeberin ins Treffen geführten Gründe.

Aus dem oben Gesagten folgt aber, dass die Erklärung des beabsichtigten Widerrufes durch die Auftraggeberin auf nachvollziehbaren sachlichen Erwägungen beruhte, weshalb der gegenständliche Antrag auf Nichtigerklärung der Widerrufserklärung spruchgemäß abzuweisen war.

Für die Rechtmäßigkeit einer Widerrufsentscheidung kann auch nicht – wie die Antragstellerin vermeint - Voraussetzung sein, dass gewährleistet ist, dass sich im Falle einer Neuausschreibung tatsächlich mehr Bieter am Verfahren beteiligen, entscheidend ist vielmehr, dass die potentielle Möglichkeit besteht, dass in einem neu ausgeschriebenen Verfahren ein Bieterwettbewerb stattfindet, was beim Leistungsinhalt dieser Ausschreibung durchaus zu erwarten ist.

Pauschalgebühren:

Gemäß § 15 WVRG 2014 hat die Antragstellerin für Anträge gemäß den §§ 20 Abs. 1, 28 und 33 Abs. 1 jeweils eine Pauschalgebühr gemäß den von der Landesregierung durch Verordnung festzusetzenden Gebührensätzen zu entrichten. Für Anträge gemäß § 28 (auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung) beträgt die Gebühr die Hälfte des ausgewiesenen Gebührensatzes.

Gemäß § 16 WVRG 2014 hat Anspruch auf Ersatz ihrer gemäß § 15 WVRG entrichteten Gebühren durch die Auftraggeberin nur die vor dem Verwaltungsgericht Wien, wenn auch nur teilweise, obsiegende Antragstellerin bzw. für einen Antrag auf einstweilige Verfügung nur dann, wenn 1. dem Nichtigerklärungsantrag (Hauptantrag) stattgegeben wird und 2. dem Antrag auf einstweilige Verfügung stattgegeben wurde oder der Antrag auf einstweilige Verfügung nur wegen einer Interessenabwägung abgewiesen wurde.

Gegenständlich betragen die Pauschalgebühren für den Nachprüfungsantrag *** Euro und für den Antrag auf Erlassung einer Einstweiligen Verfügung *** Euro. Da die von der Antragstellerin ins Treffen geführten Gründe für eine Nichtigerklärung der Widerrufsentscheidung nicht vorliegen, war der Nachprüfungsantrag spruchgemäß abzuweisen und hat daher die Antragstellerin vor dem Verwaltungsgericht Wien weder ganz noch teilweise obsiegt. Dem entsprechend hat die Antragstellerin die von ihr entrichteten Pauschalgebühren für die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung und die Erlassung einer einstweiligen Verfügung in der Höhe von insgesamt *** Euro selbst zu tragen.

Zur Unzulässigkeit der Revision:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die (ordentliche) Revision zulässig, wenn eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, insbesondere weil das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.

Ein Vergleich der Regelungen zum Ablehnungsmodell gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG aF mit dem Revisionsmodell nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zeigt, dass diese Bestimmungen nahezu ident sind. Zur Auslegung des Begriffs „Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung“ kann auf die bisherige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zum Ablehnungsrecht nach Art. 131 Abs. 3 B-VG aF zurückgegriffen werden (in diesem Sinne Thienel, Neuordnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, 74). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu Art. 131 Abs. 3 B-VG aF liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dann vor, wenn die Entscheidung der Sache im Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen, auf zusätzliche Argumente gestützten Rechtsprechung liegt. Das ist dann der Fall, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, die auch für eine Reihe anderer gleichgelagerter Fälle von Bedeutung ist und diese durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bisher nicht abschließend geklärt worden ist. Es muss sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage des materiellen oder formellen Rechts handeln (vgl. Paar, ZfV, 892). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor, wenn die Rechtsfrage klar aus dem Gesetz lösbar ist (vgl. Köhler, ecolex 2013, 596, mit weiteren Nachweisen). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt dann vor, wenn die Klärung dieser Rechtsfrage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat (vgl. Thienel, aaO, 73f).

Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der gegenständlich angefochtenen Widerrufsentscheidung erfolgte im Einklang mit der zu dieser Frage vorliegenden Judikatur des Europäischen Gerichtshofes (vgl. EuGH vom 16.9.1999, Rs C-27/98, „Metalmeccanica Fracasso“) sowie den eindeutigen gesetzlichen Vorgaben. Eine ordentliche Revision war somit nicht zuzulassen.

Schlagworte

Sektorenauftraggeberin, Widerrufsrecht, sachliche Widerrufsgründe, zulässiger Widerruf

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.123.062.17163.2017

Zuletzt aktualisiert am

29.03.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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