Entscheidungsdatum
22.01.2018Norm
BauO NÖ 2014 §2 Abs1Text
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch seinen Präsidenten Dr. Segalla als Einzelrichter über die Beschwerde der EW und des AW, vertreten durch Riel Grohmann Sauer, Rechtsanwälte in ***, ***, gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Krems vom 6. Dezember 2017, Zl. KS-AN-4162/4/294-2017, betreffend NÖ Bauordnung, den
BESCHLUSS
1. Die Beschwerde der EW und des AW gem. Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG vom 2. Jänner 2018 gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Krems vom 6. Dezember 2017, Zl. KS-AN-4162/4/294-2017 wird wegen sachlicher Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes als unzulässig zurückgewiesen.
2. Die unter Spruchpunkt 1. genannte Beschwerde wird gem. § 6 AVG zuständigkeitshalber dem Stadtsenat der Stadt Krems weitergeleitet.
3. Hinsichtlich der in eventu erhobenen Aufsichtsbeschwerde werden die Beschwerdeführer gem. § 6 AVG an die NÖ Landesregierung als Aufsichtsbehörde verwiesen.
4. Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Rechtsgrundlagen:
Art. 132 Abs. 1 Z 1 Bundes-Verfassungsgesetz – B-VG
§ 6 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG
§ 43 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG
§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG
Begründung:
1. Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren und zum Verfahrensgegenstand:
1.1. Mit erstinstanzlichem Bescheid vom 6. Dezember 2017, Zl. KS-AN-4162/4/294-2017, erteilte der Magistrat der Stadt Krems als Baubehörde erster Instanz auf Grundlage der NÖ Bauordnung 2014 die Baubewilligung für die Errichtung einer Wohnhausanlage ***, ***, ***, Grundstücke ***, ***, ***, ***, ***, alle KG ***.
Dieser Bescheid enthält als Rechtsmittelbelehrung den Hinweis auf die Möglichkeit, binnen zwei Wochen Berufung zu erheben.
1.2. Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer mit Schreiben vom 2. Jänner 2018 – ohne zuvor Berufung erhoben zu haben – Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht. Begründend für die Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts (ohne vorher die Berufungsinstanz angerufen zu haben) führen sie aus:
„Die Beschwerde ist auch zulässig, weil der angefochtene Bescheid nicht nur subjektiv—öffentliche Rechte verletzt (was mit gesondert eingebrachter Berufung bekämpft wurde), sondern auch solche Rechte, die nicht durch Berufung bekämpft werden können. Für die Wahrnehmung dieser Rechte ist daher der lnstanzenzug zum Stadtsenat der Stadt Krems an der Donau nicht möglich und daher bereits erschöpft. Eine Bekämpfung der Rechtswidrigkeit des Bescheides ist diesbezüglich nur mehr durch eine Beschwerde möglich.
Da nicht unterstellt werden kann, dass die NÖ Bauordnung die Verletzung verfassungsgesetzlich geschützter Rechte, insbesondere das Recht auf Unversehrtheit der Person und auf Unversehrtheit des Eigentums sowie Gleichheitsrechte zulassen will, muss davon ausgegangen werden, dass gerade dort, wo einem Anrainer bzw. einem Nachbarn kein subjektiv-öffentliches Recht zugestanden wird, die Baubehörde dafür zu sorgen hat, dass erstens diese Rechte im Zusammenhang mit der generellen Prüfung des Bauvorhabens auf Übereinstimmung mit den gesetzlich geschützten Werten im Sinne des Anrainerschutzes besonders streng beurteilt und geschützt werden und dass zweitens die Bestimmungen der NÖ Bauordnung, des Raumordnungsgesetzes und der weiteren einschlägigen Gesetze verfassungskonform im Sinne des Anrainerschutzes auszulegen sind.“
2. Rechtlich folgt:
2.1. Gemäß § 2 Abs. 1 NÖ Bauordnung 2014 (im Folgenden: BO) sind in einer Statutarstadt Baubehörde erster Instanz der Magistrat und Baubehörde zweiter Instanz der Stadtsenat.
Gemäß § 3 BO fallen Aufgaben, die nach diesem Gesetz von der Gemeinde zu besorgen sind, in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde.
§ 16 Abs. 1 NÖ Stadtrechtsorganisationsgesetz sieht in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs einen Instanzenzug vor: „Der Instanzenzug gegen Bescheide des Magistrates in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches geht an den Stadtsenat.“
Gemäß Art. 132 Abs. 6 B-VG kann Beschwerde an ein Verwaltungsgericht in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde erst nach Erschöpfung des Instanzenzuges erhoben werden.
2.2. Keine der genannten Bestimmungen differenziert zwischen Berufungs-/Beschwerdebehauptungen, welche subjektiv-öffentliche Rechte betreffen, und solchen, die auf andere Rechtsvorschriften abzielen. Vielmehr handelt es sich beim Baubewilligungsverfahren um ein einheitliches Verfahren. Als Rechtsmittel gegen einen erstinstanzlichen Bescheid ist die Berufung vorgesehen. Erst gegen den Berufungsbescheid kann Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht erhoben werden.
2.3. Daher sind sämtliche geltend gemachten Rechtswidrigkeiten gegen den erstinstanzlichen Bescheid zunächst in einem (einheitlichen) Berufungsverfahren geltend zu machen. Erst gegen den zweitinstanzlichen (gegebenenfalls Zurückweisungs-) Bescheid steht das Rechtsmittel der Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht offen.
Das Landesverwaltungsgericht ist daher zur Behandlung der erhobenen Beschwerde sachlich unzuständig.
2.4. Gemäß § 6 AVG Abs. 1 ist eine Eingabe durch die unzuständige Stelle an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder der Einschreiter an diese zu weisen.
Nach der überwiegenden Rsp des Verwaltungsgerichtshofes (insb. verst Sen VwSlg 14.475 A/1996) ist im Streitfall, welche Berufungsbehörde zuständig ist, auch im Fall des Beharrens des Berufungswerbers jedenfalls nach § 6 AVG vorzugehen und kommt eine Zurückweisung nicht in Betracht, weil mit einer solchen Zurückweisung die Berufung abschließend erledigt wäre und daher auch die zuständige Behörde darüber meritorisch nicht mehr abzusprechen befugt wäre. Der VwGH übertrug diese Rechtsprechung in Folge auch auf Anträge an Verwaltungsbehörden in erster Instanz.
2.5. Diese Rechtsprechung erweist sich aber als nicht einheitlich: In seinem Erkenntnis vom 28.1.2003, Zl. 2000/18/0031, sprach der Verwaltungsgerichtshof aus, dass im Falle des Beharrens des Einschreiters auf der Zuständigkeit einer sich selbst für unzuständig haltenden Behörde mit Zurückweisung vorzugehen ist. Implizit ist damit ausgesprochen, dass eine solche Zurückweisung lediglich über die Zuständigkeit der angerufenen Behörde abspricht, nicht aber über die Sache selbst. Diese Rechtsprechungslinie betraf einen Fall der Abgrenzung zwischen Strafjustiz und dem Verwaltungsweg; die zuvor ausgeführte Überlegung wäre grundsätzlich aber auch auf den vorliegenden Fall der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Berufungsbehörde und Verwaltungsgericht übertragbar (bedeutet: Der zurückweisende Beschluss des Verwaltungsgerichtes spricht lediglich über die Zuständigkeit ab; einer meritorischen Entscheidung der zuständigen Berufungsbehörde steht dadurch nichts entgegen).
Dass eine Zurückweisung wegen Unzuständigkeit eine Sache nicht abschließend inhaltlich erledigt, scheint auch der jüngsten Rsp des VwGH zu Zuständigkeitskonflikten zwischen Verwaltungsgerichten zu Grunde zu liegen: Zuletzt hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 31.10.2017, Zl. Ko 2017/03/0004, entschieden, dass ein Verwaltungsgericht jedenfalls dann, wenn seine Unzuständigkeit zweifelhaft und nicht offenkundig ist, eine Entscheidung über die Zuständigkeit in der in den Verfahrensgesetzen vorgesehenen Form (Beschluss über die Zurückweisung wegen Unzuständigkeit oder Erkenntnis in der Sache bzw. Zurückweisung aus anderen Gründen oder Einstellung unter Bejahung der Zuständigkeit) zu treffen hat. In seinem Erkenntnis vom 26.1.2017, Zl. Ra 2016/11/0173, wies der Verwaltungsgerichtshof eine Revision gegen einen Zurückweisungsbeschluss des Bundesverwaltungsgerichtes ab und führte aus: „Die Beschwerde des Revisionswerbers war ausdrücklich an das BVwG gerichtet, ebenso wurde ausdrücklich eine Entscheidung durch das BVwG beantragt, und zwar ganz offensichtlich wegen der Rechtsauffassung des Revisionswerbers, dass eine Angelegenheit vorliege, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werde. Schon aus diesen Erwägungen ist die vom BVwG ausgesprochene Zurückweisung durch Beschluss - nur diese ist von der vorliegenden Revision erfasst - nicht zu beanstanden.“
2.6. Aus dieser neuesten Rechtsprechung ergibt sich, dass eine generelle Rechtsansicht, wonach eine Zurückweisung einer Beschwerde wegen Unzuständigkeit dazu führen würde, dass das Rechtsmittel zur Gänze erledigt ist und daher auch von der zuständigen Behörde nicht mehr (inhaltlich) behandelt werden könnte, nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Eine Zurückweisung eines Rechtsmittels durch ein Verwaltungsgericht wegen dessen Unzuständigkeit spricht lediglich über die Zuständigkeitsfrage ab, nicht aber über die Beschwerdesache an sich.
2.7. Nach Ansicht des erkennenden Verwaltungsgerichtes spricht vieles dafür, diese neuere Rechtsprechung des VwGH auch auf vorliegende Fallkonstellation zu übertragen: In Rede steht gegenständlich die Abgrenzung der Zuständigkeiten einer Verwaltungsbehörde zwischen jener eines Verwaltungsgerichtes, sohin auch zwischen den Staatsfunktionen Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Dem Bedürfnis nach rascher, rechtlich eindeutiger Klärung der sachlichen Zuständigkeit kommt in einer solchen Konstellation ebenso große Bedeutung wie, wie bei der – den zuletzt zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs zu Grunde liegenden – Abgrenzung der Zuständigkeit der verschiedenen Verwaltungsgerichte. Dem Rechtsschutzsuchenden ist in der vorliegenden Konstellation, in der die Zuständigkeitsfrage aktiv und bewusst an das Verwaltungsgericht herangetragen wird, mit einer eigens bekämpfbaren förmlichen Zuständigkeitsentscheidung mehr gedient, als mit einer alleinigen Weiterleitung nach § 6 AVG, deren Richtigkeit erst zeitlich deutlich verzögert im Wege des Säumnisschutzes rechtlich bekämpfbar wäre.
2.8. Dass die Zuständigkeit bzw. Unzuständigkeit im vorliegenden Fall nicht offenkundig, sondern strittig ist, ergibt sich bereits daraus, dass die Beschwerdeführer die Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes ausführlich behaupten und begründen. Aus diesem Grund kann auch bereits, ohne die Beschwerde zunächst formlos an die vom Landesverwaltungsgericht als zuständige erachtete Behörde weiterzuleiten, von einem „Beharren“ des Beschwerdeführers auf der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes ausgegangen werden. Insoweit entspricht die vorliegende Konstellation jener, die der unter 2.5. dargestellten Entscheidung zu 2016/11/0173 zu Grunde lag.
Angesichts dieses ausdrücklichen Antrags an das Landesverwaltungsgericht, selbst über die Beschwerde zu entscheiden, würde sich eine Weiterleitung gem. § 6 AVG – nur um zu bewirken, dass der Beschwerdeführer nochmals auf der Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes beharrt – als überflüssig und verfahrensverzögernd erweisen und würde zumindest vorübergehend die Beschwerdeführer auch der Möglichkeit berauben, die Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts im Weg eines Rechtsmittels an die Höchstgerichte klären zu lassen.
2.9. Die vorliegend ausgesprochene Zurückweisung beschränkt sich auf die Zuständigkeitsfrage und wird über die materielle Berechtigung des Rechtsmittels dadurch nicht abgesprochen.
2.10. Dennoch ist zusätzlich zur Zurückweisung auch die Weiterleitung der Beschwerde gemäß § 6 AVG auszusprechen, um dem vom Landesverwaltungsgericht als zuständig erachteten Stadtsenat der Stadt Krems die Möglichkeit zu eröffnen, über die „Beschwerde“ (nach hier vertretener Ansicht eigentlich „Berufung“) zu entscheiden.
2.11. Spruchpunkt 3. folgt daraus, dass nicht das Landesverwaltungsgericht, sondern die NÖ Landesregierung Aufsichtsbehörde über die Stadt mit eigenem Statut Krems ist. Die Beschwerdeführer werden daher zur Geltendmachung ihrer Aufsichtsbeschwerde an die Landesregierung verwiesen.
2.12. Die Unzuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes folgt aber noch aus einem zweiten Aspekt: Art. 132 Abs. 1 Z 1 B-VG sieht vor, dass Beschwerde gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit ergeben kann, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet. Ausweislich der diesbezüglich eindeutigen Beschwerdeschrift fehlt es aber gegenständlich an einer solchen Behauptung: Die Beschwerdeführer bringen ausdrücklich vor, dass sie ihre subjektiv-öffentlichen Rechte getrennt von dieser Beschwerde durch Berufung an die Baubehörde zweiter Instanz geltend machen. In der Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht machen sie hingegen Verletzungen des objektiven Rechts geltend, behaupten also nicht einmal, in ihren Rechten verletzt zu sein.
3. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:
Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte, da die Beschwerde zurückgewiesen wird, auf Grund von § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen.
4. Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da zwar – wie dargelegt – historisch gesehen die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zumindest überwiegend davon ausging, dass eine unzuständige Behörde ein Rechtsmittel nicht zurückweisen darf, sondern gem. § 6 AVG weiterzuleiten hat. Die dargestellte Rsp seit Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2014 geht aber, soweit ersichtlich, einheitlich von der Verpflichtung der Verwaltungsgerichte aus, in strittigen Zuständigkeitsfragen einen förmlichen Zurückweisungsbeschluss zu erlassen. Insbesondere das zitierte Erkenntnis zu Ra 2016/11/0173 erscheint mit der vorliegenden Konstellation vergleichbar.
Außerdem ist eine Revision nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch dann unzulässig, wenn eine Entscheidung auf einer tragfähigen Alternativbegründung beruht. Dies ist hier, wie unter Punkt 2.12. dargelegt, aufgrund der klaren, in Art. 132 Abs. 1 Z 1 B-VG vorgesehenen Rechtslage der Fall.
Schlagworte
Baurecht; Verfahrensrecht; Instanzenzug; eigener Wirkungsbereich;Anmerkung
VwGH 24.04.2018, Ra 2018/05/0046 bis 0047-3, ZurückweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2018:LVwG.AV.87.001.2018Zuletzt aktualisiert am
17.05.2018