Entscheidungsdatum
14.03.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W134 2163037-2/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas GRUBER als Einzelrichter über den Antrag von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.11.2017, Zl. W134 2163037-1/9E, formell rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens auf internationalen Schutz:
A)
Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.11.2017, Zl. W134 2163037-1/9E, formell rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens auf internationalen Schutz wird gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG, als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Antragsteller (im Folgenden: "ASt" genannt) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 22.07.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016.
In der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 22.07.2015 sowie der Einvernahme beim BFA am 21.11.2016 und 11.05.2017 führte der ASt zu seinen Fluchtgründen aus, dass er von den Taliban bedroht worden sei, da diese ihm der Spionage verdächtigt hätten.
Mit dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.06.2017, Zl. 1079252209-150911795 wurde der Antrag des ASt auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem ASt wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des ASt gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Weiters wurde in Spruchpunkt IV. ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des ASt gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass sich der vorgebrachte Ausreisegrund des ASt von der Erstbefragung mit dem in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA vorgebrachten Ausreisegrund unterscheide. Die Aussagen des BF seien widersprüchlich gewesen. Der ASt habe drei Varianten seine Fluchtgeschichte präsentiert. Hätte der ASt tatsächlich Angst gehabt, hätte er die Behörden um Hilfe gebeten.
Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.10.2017 mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.11.2017, Zl. W134 2163037-1/9E, gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.
Der ASt brachte in der mündlichen Verhandlung am 08.11.2017 im Wesentlichen vor, dass die Taliban ihm vorgeworfen hätten, die Polizei von dem Angriff auf die Polizeidienststelle in der Nähe seines Hauses verständigt zu haben. Er sei daher schuld, dass Talibanmitglieder getötet worden seien. Die Taliban hätten den ASt aufgefordert, in das Talibanzentrum nach XXXX zu kommen. Die Taliban hätten auch seinen Vater angerufen und diesem mitgeteilt, dass die Taliban wissen würden, dass der BF die Polizei verständigt habe, er Staatsanwalt sei und sein anderer Sohn als Dolmetscher für die Amerikaner gearbeitet habe.
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wurde im Wesentlichen mit der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des ASt und damit, dass dem BF keine Verfolgung als Rückkehrer aus Europa oder aufgrund seines westlichen Lebensstils drohe, begründet. Der ASt würde bei einer allfälligen Rückkehr nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten. Dazu wurde u.a. begründend ausgeführt:
"Dass der BF bei einer allfälligen Rückkehr nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde, ergibt sich aus einer Zusammenschau der wiedergegebenen Länderberichte zu Kabul, Mazar-e Sharif und Herat insbesondere dem GA Mahringer und den festgestellten persönlichen Umständen und familiären (finanziellen) Verhältnissen des BF. Bei dem BF handelt es sich um einen arbeitsfähigen jungen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Der BF brachte in dem Verfahren vor dem BFA vor, dass die finanzielle Lage seiner Familie gut gewesen sei, sodass er entsprechend den Länderberichten üblicher Weise mit der Hilfe seiner Familie auch nach seiner Rückkehr rechnen kann."
"Aus den herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergibt sich zunächst, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil ist, doch variiert dabei die Sicherheitslage regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt."
"In diesem Zusammenhang ist auszuführen, dass sich aus den zugrunde gelegten Länderfeststellungen für das erkennende Gericht ergibt, dass aufgrund der in der Provinz Kunduz auftretenden Sicherheitsprobleme eine allfällige Rückführung des Beschwerdeführers in diese Region - abgesehen von der Frage der sicheren Erreichbarkeit - für den Beschwerdeführer mit einer ernstzunehmenden Gefahr für Leib und Leben verbunden sein könnte, weshalb ihm eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz nicht zugemutet werden kann."
"Zu prüfen bleibt, ob der Beschwerdeführer aufgrund der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände auf eine andere Region des Landes - nämlich die Hauptstadt Kabul - verwiesen werden kann:
Aus den Feststellungen zur Sicherheitslage in der Provinz und Stadt Kabul - andere Regionen Afghanistans kommen im gegenständlichen Verfahren nicht in Betracht - kann nicht abgeleitet werden, dass für jede dort lebende oder dorthin zurückkehrende Person das reale Risiko einer Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK sowie Protokoll Nr. 6 zur EMRK geschützten Güter mit einer derartigen Wahrscheinlichkeit droht, dass dies zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen müsste (siehe BVwG 13.02.2017, Zahl W238 2125691-1/17E, die Behandlung der diesbezüglichen Beschwerde wurde mit Beschluss des VfGH vom 28.09.2017 zur Zahl E974/2017-12 abgelehnt)."
"Was die Sicherheitslage betrifft, ist festzuhalten, dass die afghanische Regierung die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren hat. Seit August 2008 liegt die Sicherheitsverantwortung für den städtischen Bereich der Provinz Kabul nicht länger in den Händen von ISAF, sondern bei der afghanischen Armee und Polizei. Diesen ist es nach anfänglichen Schwierigkeiten im Jahr 2010 gelungen, Zahl und Schwere sicherheitsrelevanter Zwischenfälle deutlich zu reduzieren, auch wenn es dort zu vereinzelten Anschlägen kommt. Die positive Entwicklung der Sicherheitslage in Kabul erlaubt es mittlerweile sogar, in Abstimmung zwischen der Stadtverwaltung sowie nationalen und internationalen Sicherheitskräften mit dem Rückbau von Betonbarrieren und Verkehrsbeschränkungen zu beginnen. Die für die Bevölkerung deutlich spürbare Verbesserung der Sicherheitslage im Stadtbereich Kabuls geht weniger zurück auf eine Verminderung der Bedrohung (Anschlagsversuche, Eindringen von Aufständischen usw.), als vielmehr auf die Verbesserung vorbeugender Sicherheitsmaßnahmen. Medienwirksame Anschläge auf Einrichtungen mit Symbolcharakter sind dennoch auch künftig nicht auszuschließen (siehe BVwG 13.02.2017, Zahl W238 2125691-1/17E, die Behandlung der diesbezüglichen Beschwerde wurde mit Beschluss des VfGH vom 28.09.2017 zur Zahl E974/2017-12 abgelehnt)."
"Kabul ist eine für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, vergleichsweise sichere und über den jeweiligen Flughafen gut erreichbare Stadt. Innerhalb Kabuls existieren in verschiedenen Vierteln freilich unterschiedliche Sicherheitslagen. Aus den entsprechenden Länderberichten ergibt sich, dass sich die in der Stadt Kabul verzeichneten Anschläge hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen (etwa Regierungs- und Polizeigebäude) oder NGOs ereignen. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in der StadtKabul als ausreichend sicher zu bewerten ist (siehe BVwG 13.02.2017, Zahl W238 2125691-1/17E, die Behandlung der diesbezüglichen Beschwerde wurde mit Beschluss des VfGH vom 28.09.2017 zur Zahl E974/2017-12 abgelehnt)."
"Hinsichtlich der in Afghanistan vorherrschenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist auszuführen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Wie aus den o.a. Erkenntnisquellen ersichtlich ist, stellt sich die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wohnraum in Kabul insbesondere für alleinstehende Rückkehrer ohne familiären Rückhalt und finanzielle Unterstützung schwierig dar."
"Laut den oben auszugsweise wiedergegebenen Richtlinien des UNHCR müssen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtslage von intern vertriebenen afghanischen Staatsangehörigen bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative berücksichtigt werden, wobei angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft auf Grund jahrzehntelang währender Kriege, massiver Flüchtlingsströme und interner Vertreibung hierfür jeweils eine Einzelfallprüfung notwendig ist (zur Indizwirkung von UNHCR-Richtlinien vgl. u.a. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103)."
"Für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan reicht es allerdings nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen, sondern es müssen vom Betroffenen auch individuelle Umstände glaubhaft gemacht werden, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen. Solche Umstände vermochte der ASt im Verfahren jedoch nicht darzulegen:
Wie festgestellt, ist der BF jung, mobil, gesund sowie anpassungs- und arbeitsfähig. Vor seiner Ausreise aus Afghanistan konnte er seine Existenz und den Lebensunterhalt seiner Familie als Leiter der Transport- und Technikabteilung bei der Fa. HIRO sichern. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut. Die Grundversorgung der afghanischen Bevölkerung ist zumindest grundlegend gesichert. Zudem gehört der BF keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Des Weiteren lebt die gesamte Familie des BF nach wie vor in Afghanistan. Der BF hat zwar bislang noch nicht in Kabul gelebt und verfügt dort über keine sozialen bzw. familiären Anknüpfungspunkte. Er stammt allerdings aus einem Kulturkreis, in dem auf den familiären Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Familienkreis großer Wert gelegt wird. Der BF kann im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan mit finanzieller Unterstützung seiner in Kunduz lebenden Familie, rechnen. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb eine räumliche Trennung die Angehörigen des BF außer Stande setzen sollte, ihn finanziell zu unterstützen. Der BF verfügt daher in Kabul über genügend Rückhalt in Form von finanzieller Unterstützung durch seine Familie. Außerdem kann der BF durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise in Kabul das Auslangen finden. Deshalb ist auch nicht zu befürchten, dass er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnte. Dem BF ist es aufgrund der dargelegten Umstände auch ohne unmittelbar in Kabul bestehende soziale bzw. familiäre Anknüpfungspunkte möglich, sich dort - etwa auch durch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten - eine Existenz aufzubauen und diese zu sichern sowie eine (einfache) Unterkunft zu finden. Dafür, dass der BF in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte."
Mit Schreiben vom 26.02.2018 langte beim Bundesveraltungsgericht ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zur Zahl W134 2163037-1/9E ein. Dieser wurde im Wesentlichen damit begründet, dass hätte sich das Gericht nicht auf das Gutachten des Mag. Karl Mahringer gestützt und hätte es nicht verfahrensrechtliche angenommen, dass dieses Gutachten den Charakter eines wissenschaftlichen Gutachtens habe und durch die Ausführungen in der Stellungnahme des ASt vom 18.10.2017 nicht entkräftet werden könne, so hätte es in rechtlicher Hinsicht jedenfalls nicht zur Beurteilung gelangen können, dass dem ASt in Kabul eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
Der relevante Sachverhalt ergibt sich aus den unter Punkt I getroffenen Ausführungen.
2. Beweiswürdigung:
Der relevante Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage zweifelsfrei.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Zu A)
Gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.
Gemäß Abs. 2 leg. cit. ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
Abs. 3 leg. cit. lautet: Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (2009 der Beilagen, XXIV. GP) ist festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen auf Grund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs. 1-3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturrichtlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können.
Der gegenständliche Antrag zielt darauf ab, das mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.11.2017 in Hinblick auf Asyl und subsidiären Schutz rechtskräftig abgeschlossene Verfahren der antragstellenden Partei aufgrund neu hervorgekommener Beweismittel im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG wieder aufzunehmen.
Laut ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 2 AVG nur auf solche Tatsachen, das heißt Geschehnisse im Seinsbereich (vgl. VwGH 15. 12. 1994, 93/09/0434; 4. 9. 2003, 2000/17/0024) oder Beweismittel, das heißt Mittel zur Herbeiführung eines Urteiles über Tatsachen (vgl. VwGH 16. 11. 2004, 2000/17/0022; 24. 4. 2007, 2005/11/0127), gestützt werden, die erst nach Abschluss eines Verfahrens hervorgekommen sind und deshalb von der Partei ohne ihr Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten.
Es muss sich also um Tatsachen und Beweismittel handeln, die beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde ("nova reperta"), nicht aber um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel ("nova producta" bzw. "nova causa superveniens") (vgl. VwGH 17.2.2006, 2006/18/0031; 7.4.2000, 96/19/2240, 20.6.2001, 95/08/0036; 18.12.1996, 95/20/0672; 25.11.1994, 94/19/0145; 25.10.1994, 93/08/0123; 19.2.1992, 90/12/0224 u.a.).
Laut Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist es zwar notwendig, aber nicht ausreichend, dass die Tatsachen (Beweismittel) im wieder aufzunehmenden Verfahren nicht geltend gemacht worden sind; es ist darüber hinaus auch erforderlich, dass sie - allenfalls auch im Verfahren vor der höheren Instanz - nicht geltend gemacht werden konnten und dass die Partei daran kein Verschulden trifft. Jegliches Verschulden, dass die Partei an der Unterlassung ihrer Geltendmachung trifft, auch leichte Fahrlässigkeit, schließt den Rechtsanspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus (vgl. VwGH 19.03.2003, Zl. 2000/08/0105). Die Wiederaufnahme des Verfahrens dient jedenfalls nicht dazu, Versäumnisse während eines Verwaltungsverfahrens zu sanieren (vgl. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0209).
Gegenständlich wurde zur Begründung des Wiederaufnahmeantrages ein Gutachten des Sachverständigen für Plagiatsprüfung, Doz. Dr. Stefan Weber vom 08.02.2018 vorgelegt, welches belege, dass das Gutachten des Sachverständigen Mag. Mahringer, aufgrund seines deutlich nichtwissenschaftlichen Charakters als Entscheidungshilfe komplett ungeeignet und die Befragung vor Ort nicht lege artis durchgeführt worden sei.
Da das Gutachten des Sachverständigen Doz. Dr. Stefan Weber von 08.02.2018 stammt und somit erst rund 3 Monate nachdem das Erkenntnis vom 08.11.2017 Zl. W 134 2163037-1/9E ergangen ist entstand, handelt es sich bei dem vorgelegten Gutachten um kein Beweismittel, welches beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden war. Vielmehr handelt es sich um ein erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandenes Beweismittel. Der Beschwerdeführer kann sich daher zur Begründung seines Antrages auf Wiederaufnahme nicht auf dieses Beweismittel stützen.
Schon aus diesem Grund war daher der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens abzuweisen.
Im Übrigen wird darauf verwiesen, dass dem Antrag auch inhaltliche nicht stattzugeben gewesen wäre, weil das Hervorkommen neuer Tatsachen und Beweise allein nicht genügt, um das Verfahren wieder aufzunehmen. Es handelt sich bei diesem "Neuerungstatbestand" nämlich um einen relativen Wiederaufnahmegrund und ist für eine Wiederaufnahme weiters erforderlich, dass die neuen Tatsachen und Beweise voraussichtlich auch zu einem anderen Verfahrensergebnis führen würden (vgl. VwGH 14. 6. 1993, 91/10/0107; 27. 9. 1994, 92/07/0074; 22. 2. 2001, 2000/04/0195).
Die neuen Tatsachen müssen die Richtigkeit des angenommenen Sachverhaltes in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen (nova reperta). Neue Beweismittel dürfen nur geltend gemacht werden, wenn die zu beweisende Tatsache im abgeschlossenen Verfahren geltend gemacht wurde, die in Rede stehenden Beweismittel aber erst nach Abschluss des Verfahrens hervorkamen (Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 § 69 Rz 7).
Es muss sich also um neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel handeln, die den Sachverhalt betreffen und die, wenn sie schon im wieder aufzunehmenden Verfahren berücksichtigt worden wären, zu einer anderen Feststellung des Sachverhaltes und voraussichtlich zu einem im Hauptinhalt des Spruchs anders lautenden Bescheid geführt hätten (VwGH 30.06.1998, 98/05/0033; 20.12.2005, 2005/12/0124; Mannlicher/Quell AVG § 69 Anm 6).
Aus dem klaren und unmissverständlichen Gesetzeswortlaut und dem Gesetzeszweck, durch das Institut der Wiederaufnahme ein Korrektiv gegen aus bestimmten in § 69 Abs. 1 AVG näher ausgeführten Gründen unrichtige rechtskräftige Bescheide einzurichten, ergibt sich, dass die Relevanz des behaupteten Wiederaufnahmetatbestandes immer am in der Sache selbst ergangenen rechtskräftigen Bescheid zu messen ist, keinesfalls aber lediglich an den Inhalten und Ergebnissen von diesem Bescheid folgenden und dem gegenständlichen Antrag vorangegangenen Wiederaufnahmeverfahren (VwGH 20.10.1995, 94/19/1353).
Das Wiederaufnahmeverfahren hat nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse einer Partei in einem Ermittlungsverfahren oder die Unterlassung der Erhebung eines Rechtsmittels im Wege über die Wiederaufnahme eines Verfahrens zu sanieren (VwGH 20.6.2002, 2002/07/0055).
Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH bilden weder ein einem Sachverständigen in seinem Gutachten unterlaufener Irrtum noch neue Schlussfolgerungen eines dem Verwaltungsverfahren nicht beigezogenen Sachverständigen einen Wiederaufnahmegrund. (vgl. VwGH 16.10.2007, 2004/18/0376).
Verfahrensgegenständlich hätte das nun geltend gemachte Beweismittel weder allein, noch in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens, voraussichtlich eine im Hauptinhalt des Spruches anders lautende Entscheidung herbeigeführt:
Das Gericht hat sich zur Beurteilung einer innerstaatlichen Fluchtalternative auf die Feststellungen gestützt, dass es sich bei dem ASt um einen arbeitsfähigen jungen Mann handelt, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Diese Tatsachen wurden weder vom ASt bestritten, noch durch das Gutachten von Doz. Dr. Stefan Weber wiederlegt. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden hg. Judikatur ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Nach der herrschenden Rechtsprechung des VwGH liegen bei Rückkehr eins arbeitsfähigen, jungen, gesunden Mannes nach Kabul solche exzeptionellen Umstände nicht vor (Vgl. VwGH 25.05.2016, Ra 2016/19/0036; VwGH 13.09.2016, Ra 2016/01/0096).
Weiter sei erwähnt, dass das Gericht nicht ausschließlich das Gutachten von Mag. Mahringer, sondern primär das LIB zur Feststellung und Beweiswürdigung der Lage in Afghanistan herangezogen hat. Selbst ein Wegfall des Gutachtens von Mag. Mahringer hätte daher auf den festgestellten Sachverhalt und damit auch auf den Spruch keinen Einfluss gehabt.
Das Gutachten von Doz. Dr. Stefan Weber hätte daher keine im Hauptinhalt des Spruches anders lautende Entscheidung herbeiführen könne. Dies zumal weder der ASt noch Doz. Dr. Stefan Weber den Feststellungen entgegengetreten ist. Der Sachverständige für Plagiatsprüfung Doz. Dr. Stefan Weber hat lediglich die Einhaltung der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis im Gutachten von Mag. Karl Mahringer überprüft und keine inhaltlichen Äußerungen zum Sachverhalt getroffen. Die Vorlage des Gutachtens von Doz. Dr. Stefan Weber vom 08.02.2018 muss im gegenständlichen Verfahren daher als nicht dazu geeignet angesehen werden, im wiederaufgenommenen Verfahren voraussichtlich ein anderes Verfahrensergebnis herbeizuführen.
Der Antrag auf Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen inhaltlichen Verfahrens des Antragstellers war sohin spruchgemäß abzuweisen.
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit dem Antrag auf Wiederaufnahme als geklärt erschien und es sich bei der Einordnung, ob die Eignung eines vorgebrachten Wiederaufnahmegrundes vorliegt, um eine Rechtsfrage handelt (vgl. VwGH 19.04.2007, 2004/09/0159; Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 32 VwGVG Anm. 9), konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm. § 24 VwGVG die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018; VfGH 14.03.2012, U 466/11 ua.).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Gutachten, nova producta, Wiederaufnahme, Wiederaufnahmegrund,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W134.2163037.2.00Zuletzt aktualisiert am
30.03.2018