TE Bvwg Erkenntnis 2018/3/14 W115 2118591-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.03.2018
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Entscheidungsdatum

14.03.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.130 Abs1 Z3
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §8 Abs1

Spruch

W115 2118591-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian DÖLLINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl betreffend den am XXXX gestellten Antrag auf internationalen Schutz, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Dem Antrag auf internationalen Schutz wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der zum damaligen Zeitpunkt unbegleitete minderjährige Beschwerdeführer, Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1. Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari im Wesentlichen zusammengefasst an, dass er afghanischer Staatsangehöriger sei, am XXXX in XXXX geboren worden sei, der Volksgruppe der Tadschiken und der schiitischen Glaubensrichtung des Islams angehöre. Er habe in Afghanistan bis zu seiner Ausreise gemeinsam mit seinem Vater, seiner Mutter und seinen drei Schwestern in der Stadt XXXX gelebt. Vor ca. vier Monaten habe er zusammen mit seiner Familie Afghanistan verlassen und sie seien mit einem PKW in den Iran gereist. Vom Iran aus seien sie schlepperunterstützt bis nach Istanbul gebracht worden. Seine Eltern und seine Geschwister seien dort zurückgeblieben. Er selbst sei in weiterer Folge über Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn schlepperunterstützt bis nach Österreich weitergereist. In Griechenland und Ungarn seien ihm seine Fingerabdrücke abgenommen worden. Einen Asylantrag habe er in diesen Ländern aber nicht gestellt. Befragt zu seiner Schul- und Berufsausbildung gab der Beschwerdeführer an, dass er von XXXX bis XXXX in XXXX die Grundschule besucht habe. Eine Berufsausbildung habe er keine. Seine Familie hätte in Afghanistan zwei Grundstücke und ein Haus gehabt. Die finanzielle Situation seiner Familie sei gut gewesen. Sein Vater sei Geschäftsmann gewesen. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass sein Vater ca. einen Monat vor der Ausreise bedroht worden sei. Es sei ihm gedroht worden seine ganze Familie umzubringen, sollte er sich weigern, den geforderten Geldbetrag zu bezahlen. Aus diesem Grund habe sein Vater beschlossen, Afghanistan zu verlassen. Befragt was er bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte, antwortete der Beschwerdeführer, dass er Angst um sein Leben habe.

1.2. Eine EURODAC-Abfrage ergab keinen Treffer.

1.3. Mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX, Zl. XXXX, wurde die Obsorge hinsichtlich des minderjährigen Beschwerdeführers dem zuständigen Jugendwohlfahrtsträger des Landes XXXX übertragen.

1.4. Nach Zulassung des Verfahrens durch Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte wurde der Beschwerdeführer am XXXX vor dem Bundesasylamt (nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [in der Folge: BFA]) im Beisein einer Vertreterin des Jugendwohlfahrtsträgers als gesetzlichen Vertreter und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Da der Beschwerdeführer im Zuge der Einvernahme vorgebracht hat, in Afghanistan entführt und in weiterer Folge vergewaltigt worden zu sein, wurde die Einvernahme abgebrochen und im Einvernahmeprotokoll festgehalten, dass die weitere Einvernahme unter Hinzuziehung eines männlichen Dolmetschers sowie eines männlichen Vertreters des Jugendwohlfahrtsträgers zu einem anderen Termin weitergeführt werde.

1.5. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am XXXX gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Vertreters des Jugendwohlfahrtsträgers als gesetzlichen Vertreter und eines Dolmetschers für die Sprache Dari im Wesentlichen zusammengefasst an, dass er afghanischer Staatsangehöriger sei, am XXXX in XXXX geboren worden sei, der Volksgruppe der Tadschiken und der schiitischen Glaubensrichtung des Islams angehöre. Dokumente hinsichtlich seiner Identität könne er nicht vorlegen. Er sei ledig und habe keine Kinder. Wo sich seine Eltern und seine Geschwister zurzeit aufhalten würden, wisse er nicht. Er habe sie in Istanbul verloren. Vor seiner Ausreise habe er gemeinsam mit seiner Familie in der Stadt XXXX gelebt. Weiters habe er noch Onkeln und Tanten in Afghanistan, die in XXXX, XXXX sowie in XXXX leben würden. Eine Tante mütterlicherseits würde in XXXX leben. Sein Vater sei selbstständig gewesen und habe Produkte aus China nach Afghanistan importiert und diese an verschiedene Händler weiterverkauft. Befragt zu seiner Schul- und Berufsausbildung gab der Beschwerdeführer an, dass er bis zur Mitte der achten Schulstufe in die Schule gegangen sei. Die Schule habe er nicht beendet und auch keinen Beruf erlernt. Befragt zu seinen Fluchtgründen brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass er im Alter von vierzehneinhalb Jahren vom Chauffeur seiner Familie entführt worden sei. Für seine Freilassung seien von seinem Vater 20.000 US-Dollar gefordert worden. Im Zuge der Entführung sei er auch vom Chauffeur und zwei weiteren Männern vergewaltigt worden. Nach der erfolgten Geldübergabe sei er schließlich freigelassen worden. Nachdem er wieder zuhause gewesen sei, habe ihm sein Vater erzählt, dass er einem Film bekommen habe, wo die Vergewaltigung zu sehen sei. Daraufhin seien sie zur Polizei gegangen und hätten Anzeige erstatten wollen. Die Polizei habe ihnen jedoch gesagt, dass sie wegen der Anzeige auch selbst Probleme bekommen könnten. Daraufhin habe sich sein Vater entschieden, keine Anzeige zu erstatten. Vor ca. 15 Monaten sei sein Vater angerufen worden und es sei neuerlich von ihm Geld gefordert worden. Später sei auch noch ein Schreiben geschickt worden, dessen Inhalt er aber nicht kenne. Seine Eltern hätten jedoch große Angst gehabt. Am folgenden Tag hätten sie schließlich gemeinsam Afghanistan verlassen. In diesem Zusammenhang wurde vom Beschwerdeführer ergänzend angegeben, dass er und seine Familie vermuten würden, dass die Drohungen seitens der Familie seiner Mutter stammen würden, da sein Vater Schiite und seine Mutter Sunnitin sei. Beide Familien seien mit der Heirat nicht einverstanden gewesen und hätten mit ihnen gebrochen. Befragt, was er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte, antwortete der Beschwerdeführer, dass er aufgrund der Vergewaltigung nicht mehr zurück wolle.

1.6. Mit Eingaben vom XXXX und XXXX wurden vom Beschwerdeführer integrationsbescheinigende Unterlagen in Vorlage gebracht.

1.7. Am XXXX wurde der nunmehr volljährige Beschwerdeführer neuerlich vor dem BFA im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Im Verlauf dieser Einvernahme wurde der Beschwerdeführer neuerlich zu den von ihm im Rahmen der Einvernahmen vom XXXX sowie XXXX geschilderten Fluchtgründen, seinen Familienmitgliedern sowie zu seiner Integration in Österreich befragt.

1.8. Mit Eingabe vom XXXX wurde ein Schreiben der "XXXX" vom XXXX in Vorlage gebracht, in welchem die Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers geschildert werden.

1.9. Mit Schriftsatz vom XXXX, eingebracht per Telefax am selben Tag, erhob der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers eine Säumnisbeschwerde beim BFA und machte die Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (§ 8 VwGVG) geltend.

Begründend wurde zusammengefasst vorgebracht, dass der Beschwerdeführer am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, bis dato aber noch immer keine Entscheidung vorliegen würde. Es werde daher der Antrag gestellt, das BFA möge gemäß § 16 Abs. 1 VwGVG innerhalb einer Frist von drei Monaten über den vorhin genannten Antrag auf internationalen Schutz entscheiden oder "allenfalls" die gegenständliche Säumnisbeschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorlegen.

1.10. Mit Schreiben des BFA vom XXXX, eingelangt beim Bundesverwaltungsgericht am XXXX, wurde die gegenständliche Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht samt Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Zur Verfahrensdauer listete das BFA den Verfahrensgang auf und gab im Wesentlichen zusammengefasst an, dass aufgrund von Umstrukturierungsmaßnahmen, besonderer Prioritäten, extrem gestiegenen Anträgen sowie insgesamt dafür nicht ausreichender Personalressourcen, eine fristgerechte Erledigung im vorliegenden Fall nicht möglich gewesen sei und der Akt deshalb in Vorlage gebracht werde.

1.11. Aufgrund einer Unzuständigkeitseinrede der Leiterin der Gerichtsabteilung W121 wurde das Verfahren am XXXX der nunmehr zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung zugewiesen.

1.12. Mit Schriftsatz vom XXXX wurden vom bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers weitere integrationsbescheinigende Unterlagen sowie eine Kopie eines Taufscheines der Pfarre XXXX, (Erz-)Diözese XXXX, Römisch katholische Kirche in Österreich, ausgestellt am XXXX, übermittelt, aus dem hervorgeht, dass der Beschwerdeführer am XXXX getauft worden ist.

1.13. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte in der Folge eine mündliche Verhandlung an und übermittelte gleichzeitig aktuelle Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan. Mit Schreiben vomXXXX wurde vom BFA mitgeteilt, dass die Teilnahme eines Vertreters an der Verhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Eine Stellungnahme zu den Länderfeststellungen wurde von den Parteien vorab nicht erstattet.

1.14. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX brachte der Beschwerdeführer nach Erläuterung des bisherigen Verfahrensganges und des Akteninhaltes im Beisein seines bevollmächtigten Vertreters sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari auf richterliche Befragung im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass er der Volksgruppe der Tadschiken und nunmehr dem christlichen Glauben angehöre. Dokumente zum Nachweis seiner Identität könne er nicht vorlegen. Seine Muttersprache sei Dari. Mittlerweile spreche er auch Deutsch. Grundkenntnisse habe er auch in den Sprachen Englisch und Farsi. In Afghanistan sei er acht oder neun Jahre in die Schule gegangen. Einen Beruf habe er nicht erlernt. Vor seiner Ausreise aus Afghanistan habe er gemeinsam mit seinen Eltern und seinen drei Schwestern in der Stadt XXXX gelebt. Wo sich diese zum heutigen Zeitpunkt aufhalten würden, wisse er nicht, da er keinen Kontakt zu ihnen habe. Weiters verfüge er noch über Onkeln und Tanten väterlicher- und mütterlicherseits in Afghanistan. Diese würden sich in XXXX, XXXX und XXXX aufhalten. Außerdem lebe eine Tante mütterlicherseits in XXXX. Zu seiner Situation in Österreich befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass sich hier keine Familienmitglieder von ihm aufhalten würden. Er sei ledig, habe aber in Österreich eine Freundin. In Österreich habe er die Pflichtschulabschlussprüfung absolviert und warte nun darauf, dass er eine Lehre beginnen könne. Außerdem sei er ehrenamtlich beim XXXX und im Ordensklinikum XXXX tätig. Befragt zu seinem Glaubenswechsel gab der Beschwerdeführer an, dass er am XXXX in der Pfarre XXXX getauft worden sei. Befragt, wann er sich entschlossen habe, sich mit dem christlichen Glauben auseinanderzusetzen, gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen zusammengefasst an, dass er mit dem in der "islamischen Welt" vorherrschenden Krieg und der Gewalt nicht einverstanden gewesen sei. In Österreich habe er durch zwei Freude aus dem Iran, die ebenfalls Christen seien, zum christlichen Glauben gefunden. Diese hätten mit ihm über das Christentum gesprochen, ihm alles erklärt und seine diesbezüglichen Fragen beantwortet. Auch habe er gemeinsam mit ihnen eine römisch-katholische Kirche besucht und sei von der dortigen Gemeinde sehr gut behandelt worden. Dadurch sei er motiviert gewesen sich mit dem Christentum auseinanderzusetzen. In weiterer Folge habe er damit begonnen zweimal wöchentlich in die Kirche zu gehen und auch an Veranstaltungen teilzunehmen, in denen über den christlichen Glauben berichtet worden sei. Im Jahr XXXX habe er schließlich begonnen den Taufkurs zu besuchen. Befragt in welcher Form er seinen Glauben nunmehr ausübe, antwortete der Beschwerdeführer, dass er, wenn es ihm die Zeit erlaube, mit seinen christlichen Freunden den Gottesdienst besuche. Auch habe er nach seiner Taufe ca. ein Jahr im XXXX in XXXX gewohnt (Anmerkung: In diesem Zusammenhang wurde vom Beschwerdeführer eine diesbezügliche Bestätigung in Vorlage gebracht). Darüber hinaus bete er regelmäßig zu Gott, z.B. wenn er sich für etwas bedanken wolle bzw. um Unterstützung in schwierigen Situationen zu erbitten. Auf richterliche Befragung gab der Beschwerdeführer weiters an, dass er auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht dem christlichen Glauben abschwören werde. Er wolle nicht wieder den islamischen Glauben annehmen. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer ergänzend zu seinen im bisherigen Verwaltungsverfahren vorgebrachten Fluchtgründen befragt. Darüber hinaus wurden hinsichtlich des vom Beschwerdeführer geschilderten Glaubenswechsels - ergänzend zu den mit der Ladung übermittelten Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan - durch den verfahrensführenden Richter folgende Unterlagen in das Verfahren eingebracht:

? Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017 in der Fassung 30.01.2018

? UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016

? ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von

1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen, die Kritik am Islam äußern, 4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa (jeweilige rechtliche Lage, staatliche und gesellschaftliche Behandlung, Diskriminierung, staatlicher bzw. rechtlicher Schutz bzw. Schutz durch internationale Organisationen, regionale Unterschiede, Möglichkeiten zur Ausübung des christlichen Glaubens, Veränderungen hinsichtlich der Lage der christlichen Gemeinschaft) [a-10159], 1. Juni 2017

Nach Erörterung dieser Länderberichte und der mit der Ladung übermittelten Länderfeststellungen, gab der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers dazu an, dass er dazu keine Stellungnahme abgeben wolle.

1.15. Am XXXX wurde vom Bundesverwaltungsgericht die Verhandlungsschrift dem BFA übermittelt. Eine Stellungnahme dazu wurde nicht erstattet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch genannten Namen und ist am XXXX geboren. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Der Beschwerdeführer ist nach eigenen Angaben in der Stadt XXXXin der gleichnamigen Provinz geboren und hat bis zu seiner Ausreise gemeinsam mit seiner Familie (Vater, Mutter und drei Schwestern) dort gelebt.

Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Er spricht auch die Sprachen Farsi und Englisch. Weiters verfügt er über sehr gute Kenntnisse der deutschen Sprache.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keinen aufhältigen Ehepartner bzw. eingetragenen Partner, keine Kinder oder sonstige Familienangehörige. Wo sich die Eltern und die Geschwister des Beschwerdeführers zum Entscheidungszeitpunkt aufhalten, kann nicht festgestellt werden, da der Beschwerdeführer während der gemeinsamen Flucht aus Afghanistan von ihnen getrennt worden ist und seither keinen Kontakt zu ihnen hat. Weiters verfügt der Beschwerdeführer über mehrere Onkeln und Tanten väterlicher- sowie mütterlicherseits, die in den Städten XXXX, XXXX und XXXX leben. Ein Kontakt zu diesen besteht nicht. Weiters lebt eine Tante mütterlicherseits in XXXX.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer bekannte sich in Afghanistan zur schiitischen Glaubensrichtung des Islams. In Österreich ist er zum christlichen Glauben (konkret zum römisch-katholischen) übergetreten und ist amXXXX in der Pfarre XXXX getauft worden. Der Beschwerdeführer ist während seines Aufenthalts in Österreich aus freier persönlicher Überzeugung zum Christentum konvertiert und würde seinen neuen Glauben auch im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat praktizieren (wollen).

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Hinwendung zum Christentum physische und/oder psychische Gewalt. Vom afghanischen Staat kann er keinen effektiven Schutz erwarten.

Es besteht keine innerstaatliche Fluchtalternative für den Beschwerdeführer.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, in der Fassung vom 30.01.2018:

Politische Lage (Verfassung):

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet, die schließlich im Januar 2004 ratifiziert wurde (IDEA o.D.) und auf der Verfassung aus dem Jahr 1964 basiert. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und dass alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.01.2004).

Sicherheitslage (Allgemein):

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).

Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).

Kontrolle von Distrikten und Regionen:

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

Rebellengruppen:

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).

Rechtsschutz/Justizwesen:

Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia (islamisches Gesetz), Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9.2016; vgl. auch: USIDP o.D. und WP 31.5.2015). Fast 80% der Dispute werden außerhalb des formellen Justizsystems gelöst - üblicherweise durch Schuras, Jirgas, Mullahs und andere in der Gemeinschaft verankerte Akteure (USIP o.D.; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

Traditionelle Rechtsprechungsmechanismen bleiben für viele Menschen, insbesondere in den ländlichen Gebieten, weiterhin der bevorzugte Rechtsweg (USDOS 13.4.2016, vgl. auch: FH 27.1.2016). Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten (USDOS 13.4.2016). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles Rechtssystem um (FH 27.1.2016).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan weitverbreitet akzeptiert ist, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.). Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 13.4.2016).

Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Leistungsfähigkeit um die hohe Zahl an neuen und novellierten Gesetzen zu beherrschen. Der Mangel an qualifiziertem, juristischem Personal behindert die Gerichte. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben erhöht sich weiterhin (USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2014 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit mit 1.300 beziffert (SZ 29.9.2014; vgl. auch: CRS 8.11.2016), davon waren rund 200 Richterinnen (CRS 8.11.2016). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin als erste Frau zur Richterin des Supreme Courts ernannt (RFE/RL 30.6.2016). Die Zahl registrierter Anwälte/innen hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt (WP 31.5.2015). Der Zugang zu Gesetzestexten wird besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar (USDOS 13.4.2016).

Ein Mangel an qualifiziertem Justizpersonal behindert die Gerichte (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016). Manche Amtsträger/innen in Gemeinden und Provinzen verfügen über eine eingeschränkte Ausbildung und gründen ihre Entscheidungen daher auf ihrem persönlichen Verständnis der Scharia, ohne jeglichen Bezug zum kodifizierten Recht, Stammeskodex oder traditionellen Bräuchen (USDOS 13.4.2016).

Innerhalb des Gerichtswesens ist Korruption weiterhin vorhanden (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffneten Gruppen (FH 27.1.2016), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 13.4.2016). Afghanische Gerichte sind durch öffentliche Meinung und politische Führer leicht beeinflussbar (WP 31.5.2015). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das Strafrechtszentrum für Anti-Korruption, um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (Reuters 12.11.2016).

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 9.2016).

Todesstrafe:

Die Todesstrafe ist in der Verfassung und im Strafgesetzbuch für besonders schwerwiegende Delikte vorgesehen. Es gibt ein Präsidialdekret aus dem Jahre 1992, welches die Anwendung der Todesstrafe auf fünf Deliktarten einschränkt: (vorsätzlicher) Mord, Genozid, Sprengstoffattentate (i.V.m. Mord), Straßenräuberei (i.V.m. Mord) und Angriffe gegen die territoriale Integrität Afghanistans. Dieses Präsidialdekret wurde allerdings in jüngster Zeit nicht beachtet. Unter dem Einfluss der Scharia droht die Todesstrafe auch bei anderen "Delikten" (z.B. Blasphemie, Apostasie). Die Entscheidung über die Todesstrafe wird vom Obersten Gericht getroffen bzw. bestätigt und kann nur mit Zustimmung des Präsidenten vollstreckt werden. Die Todesstrafe wird durch Erhängen vollstreckt. In der afghanischen Bevölkerung trifft diese Form der Bestrafung und Abschreckung auf eine tief verwurzelte Unterstützung. Dies liegt nicht zuletzt auch an einem als korrupt und unzuverlässig wahrgenommenen Gefängnissystem und der Tatsache, dass Verurteilte durch Zahlungen freikommen können (AA 9.2016).

Im Jahr 2015 wurde die Todesstrafe weiterhin verhängt - oft nach unfairen Verfahren. Die von Präsident Ghani im Jahr 2014 angeordnete Überprüfung von fast 400 noch nicht vollstreckten Todesurteilen war Ende 2015 noch nicht abgeschlossen (AI 24.2.2016).

Obwohl Präsident Ghani sich zwischenzeitlich positiv zu einem möglichen Moratorium zur Todesstrafe geäußert hatte und Gesetzesvorhaben auf dem Weg sind, die eine Umwandlung von Todesstrafen in eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsehen, werden weiter Todesurteile vollstreckt. Im Mai 2016 fand die Hinrichtung von sechs verurteilten Terroristen statt. Die Vollstreckung der bereits rechtskräftigen Todesurteile war Teil einer von Präsident Ghani angekündigten härteren Politik im Kampf gegen Aufständische und folgte als Reaktion auf öffentliche Vergeltungsrufe nach einem schweren Taliban-Anschlag. Zuvor wurden 2014 und 2012 sechs bzw. 16 Todesstrafen verurteilter Straftäter vollstreckt (AA 9.2016).

Allgemeine Menschenrechtslage:

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine starke Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen. Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage (AA 9.2016). Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 9.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Afghanistan hat die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert (AA 9.2016).

Im Februar 2016 hat Präsident Ghani, den ehemaligen Leiter der afghanischen Menschenrechtskommission, Mohammad Farid Hamidi, zum Generalstaatsanwalt ernannt (USDOD 6.2016; vgl. auch NYT 3.9.2016).

Drohungen, Einschüchterungen und Angriffe gegen Menschenrechtsverteidiger hielten in einem Klima der Straflosigkeit an, nachdem die Regierung es verabsäumt hatte, Fälle zu untersuchen und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen.

Menschenrechtsverteidiger wurden sowohl durch staatliche, als auch nicht-staatliche Akteure angegriffen und getötet (AI 24.2.2016).

Haftbedingungen:

Aus dem Bericht der UNAMA, dem eine fast zweijährige Studie (1. Februar 2013 bis 31. Dezember 2014) in 221 Anstalten in 28 verschieden Provinzen Afghanistans vorrausgegangen war, geht hervor, dass allgemein die Zahl der interviewten Häftlinge, die misshandelt bzw. gefoltert wurden, um 14% niedriger ist als im Vergleichszeitraum (Oktober 2011 bis Dezember 2013). Von den 790 befragten Häftlingen gaben 278 an misshandelt oder gefoltert worden zu sein, was in etwa 35% entspricht (UNAMA 2.2015; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). Ein staatliches Komitee führte Interviews, um die im UNAMA-Bericht 2013 vorgebrachten Folteranschuldigungen zu prüfen. Die Feststellungen des Komitees wurden nicht veröffentlicht. Die Regierung hat die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen (USDOS 13.4.2016). In einem Fall wurden zwei Beamte des nationalen Geheimdienstes (NDS) aufgrund von Folter strafrechtlich verfolgt (OHCHR 11.2.2016).

Im Juni 2015 erließ der NDS eine Anordnung, in der nachdrücklich auf das Verbot von Folter, insbesondere bei Polizeiverhören, hingewiesen wurde; trotzdem kam es zu Folter und anderen Misshandlungen und Isolationshaft, im afghanischen Strafvollzugssystem (AI 24.2.2016).

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen sind in den meisten Provinzen ein Problem. Beobachtern zufolge, werden Individuen gelegentlich von Polizei und Staatsanwälten, auf Basis von Handlungen, die nach afghanischem Recht nicht strafbar sind, ohne Anklage inhaftiert (USDOS 13.4.2016; vgl. AI 24.2.2016). Teilweise auch deshalb weil das Justizsystem nicht in der Lage ist, die Festgenommenen in gegebener Zeit weiter zu beamtshandeln (USDOS 13.4.2016). Die UNAMA berichtete von Verhaftungen wegen "moralischer" Vergehen, Vertragsbruch, Familiendisputen usw. zum Zwecke des Erhalts von Geständnissen. Beobachter berichten, dass ausschließlich Frauen für "moralische" Vergehen inhaftiert werden (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AI 24.2.2016).

Religionsfreiheit:

Etwa 99.7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84.7 - 89.7% Sunniten (CIA 21.11.2016; vgl. USCIRF 4.2016). Schätzungen zufolge, sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 9.2016; vgl. auch:

CIA 21.10.2016). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (AA 9.2016).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen (AA 9.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 9.11.2016).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern (FH 27.1.2016). Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 27.1.2016; vgl. auch:

CSR 8.11.2016).

Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen. Ein Richter kann eine mindere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte - dennoch hatten Individuen, die vom Islam konvertierten, Angst vor Konsequenzen. Christen berichteten, dass sie aus Furcht vor Vergeltung, Situationen vermieden, in denen es gegenüber der Regierung so aussehe, als ob sie missionieren würden (USDOS 10.8.2016).

Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, sind sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht systematisch (USDOS 10.8.2016). Dennoch bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften vereinzelt Ämter auf höchster Ebene (CSR 8.11.2016). Im Mai 2014 bekleidete ein Hindu den Posten des afghanischen Botschafters in Kanada (RFERL 15.5.2014). Davor war Sham Lal Bathija als hochrangiger Wirtschaftsberater von Karzai tätig (The New Indian Express 16.5.2012).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Bildungsplan einrichten und umsetzen, der auf den Bestimmungen des Islams basiert; auch sollen religiöse Kurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime ist es nicht erforderlich den Islam an öffentlichen Schulen zu lernen (USDOS 10.8.2016).

Nichtmuslimische religiöse Minderheiten werden durch das geltende Recht diskriminiert. So gilt die sunnitische-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Religion (AA 9.2016). Für die religiöse Minderheit der Schiiten gilt in Personenstandsfragen das schiitische Recht (USDOS 10.8.2016).

Militante Gruppen haben sich unter anderem als Teil eines größeren zivilen Konfliktes gegen Moschen und Gelehrte gerichtet. Konservative soziale Einstellungen, Intoleranz und das Unvermögen oder die Widerwilligkeit von Polizeibeamten individuelle Freiheiten zu verteidigen bedeuten, dass jene, die religiöse und soziale Normen brechen, anfällig für Misshandlung sind (FH 27.1.2016).

Blasphemie - welche anti-islamische Schriften oder Ansprachen beinhaltet, ist ein Kapitalverbrechen im Rahmen der gerichtlichen Interpretation des islamischen Rechtes. Ähnlich wie bei Apostasie, gibt das Gericht Blasphemisten drei Tage um ihr Vorhaben zu widerrufen oder sie sind dem Tod ausgesetzt (CRS 8.11.2016).

Ein Muslim darf eine nichtmuslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin der zwei anderen abrahamitischen Religionen, Christentum und Judentum, ist. Einer Muslima ist nicht erlaubt einen nichtmuslimischen Mann zu heiraten. Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (USDOS 10.8.2016).

Christen und Konversionen zum Christentum:

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (AA 9.2016). Ihre Zahl kann nicht verlässlich angegeben werden, da Konvertiten sich nicht öffentlich bekennen (AA 2.3.2015; vgl. auch: USDOS.10.8.2016).

Nichtmuslim/innen, z.B. Sikhs, Hindus und Christen, sind Belästigungen ausgesetzt und in manchen Fällen sogar Gewalt. Nachdem Religion und Ethnie stark miteinander verbunden sind, ist es schwierig die vielen Vorfälle nur als Vorfälle wegen religiöser Identität zu kategorisieren (USDOS 10.8.2016).

Die gesellschaftliche Einstellung gegenüber konvertierten Christen ist ablehnend. Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel schon deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen (AA 9.2016). Konversion wird als Akt der Abtrünnigkeit und Verbrechen gegen den Islam gesehen, der mit dem Tod bestraft werden könnte (AA 9.2016; vgl. USDOS 10.8.2016) - sofern die Konversion nicht widerrufen wird (USDOS 10.8.2016). Keiner wurde bisher aufgrund von Konversion durch den afghanischen Staat hingerichtet (AA 9.2016).

Die Christen verlautbarten, dass die öffentliche Meinung gegenüber Missionierung feindlich ist. Es gibt keine öffentlichen Kirchen (CRS 8.11.2016). Für christliche Afghan/innen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens. Zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NGOs abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen. Christliche Gottesdienste für die internationale Gemeinschaft finden u.a. in verschiedenen Botschaften sowie auf dem Gelände der internationalen Truppen statt (AA 9.2016). Einem Bericht einer kanadischen christlichen Organisation zufolge, wächst die Zahl der Hauskirchen in Afghanistan. In diesem Bericht wird angedeutet, dass einige Mitglieder des Parlaments selbst das Christentum angenommen und an christlichen Gottesdiensten teilgenommen haben (The Voice of the Martyrs Canada 5.4.2012).

Einige Konversionsfälle von Christen haben zu harten Strafen geführt und dadurch internationale Aufmerksamkeit erlangt (CRS 8.11.2016). Die im Libanon geborenen Rula Ghani, Ehefrau von Staatspräsident Ashraf Ghanis, entstammt einer christlich-maronitischen Familie (NPR 19.2.2015; vgl. BBC 15.10.2014).

1.3.2. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016:

UNHCR geht unter anderem von folgendem möglicherweise gefährdeten Personenkreis in Afghanistan aus:

? Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen

? Personen, die angeblich gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) verstoßen

[...]

Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen:

Die Verfassung garantiert, dass Angehörige von anderen Religionen als dem Islam "innerhalb der durch die Gesetze vorgegebenen Grenzen frei sind in der Ausübung und Erfüllung ihrer religiösen Rechte". Allerdings wird in der Verfassung auch festgestellt, dass der Islam die offizielle Religion des Staats ist und "kein Gesetz gegen die Lehren und Bestimmungen der heiligen Religion des Islam in Afghanistan verstoßen darf." Darüber hinaus sollen die Gerichte gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung noch andere Gesetze Vorgaben enthalten, der Hanafi-Rechtsprechung folgen, einer sunnitisch-islamischen Rechtslehre, die unter zwei Dritteln der muslimischen Welt verbreitet ist. Afghanische Juristen und Regierungsvertreter wurden dafür kritisiert, dass sie dem islamischen Recht Vorrang vor Afghanistans Verpflichtungen aus internationalen Menschenrechtsabkommen in Situationen einräumen, in denen ein Widerspruch der verschiedenen Rechtsvorschriften vorliegt, insbesondere in Bezug auf die Rechte von afghanischen Staatsbürgern, die keine sunnitischen Muslime sind, und in Bezug auf die Rechte der Frauen.

Religiöse Minderheiten:

Nichtmuslimische religiöse Minderheiten, insbesondere Christen, Hindus und Sikhs, werden weiterhin im geltenden Recht diskriminiert. Wie oben dargestellt gilt gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung noch das kodifizierte Recht Afghanistans entsprechende Bestimmungen enthalten, die sunnitische Hanafi-Rechtsprechung. Dies gilt für alle afghanischen Bürger, unabhängig von ihrer Religion. Die einzige Ausnahme bilden Personenstandsachen, bei denen alle Parteien Schiiten sind. In diesem Fall wird das schiitische Recht für Personenstandsachen angewendet. Für andere religiöse Minderheiten gibt es kein eigenes Recht. Nicht-Muslime dürfen Berichten zufolge nur dann untereinander heiraten, wenn sie sich nicht öffentlich zu ihren nicht-islamischen Überzeugungen bekennen.

Das Strafgesetzbuch enthält Bestimmungen für "Straftaten gegen Religionen", denen zufolge Personen, die Angehörige einer jeglichen Religion angreifen, zu einer kurzen Gefängnisstrafe von mindestens drei Monaten und einer Geldbuße verurteilt werden sollen. Ungeachtet dessen erfahren nichtmuslimische Minderheiten Berichten zufolge weiterhin gesellschaftliche Schikanierung und in manchen Fällen Gewalt. Berichten zufolge vermeiden es Mitglieder religiöser Minderheiten wie Baha'i und Christen aus Angst vor Diskriminierung, Misshandlung, willkürlicher Verhaftung oder Tötung, sich öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen oder sich offen zum Gebet zu versammeln.

[...]

Christen:

Die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Christen ist Berichten zufolge weiterhin offen feindlich. Christen werden gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. In Afghanistan existieren keine öffentlichen Kirchen mehr und Christen beten allein oder in kleinen Versammlungen in Privathäusern. Im Jahr 2013 riefen vier Parlamentsmitglieder Berichten zufolge zur Hinrichtung von Personen auf, die zum Christentum konvertiert sind. Die Taliban haben Berichten zufolge ausländische Hilfsorganisationen und ihre Gebäude auf der Grundlage angegriffen, dass diese Zentren des christlichen Glaubens seien.

[...]

Konversion vom Islam:

Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tod bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten "ungeheuerlichen Straftaten", die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft fallen. Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist. Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren und weibliche Bürger über 16 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grund und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren.

Berichten zufolge herrscht in der öffentlichen Meinung eine feindliche Einstellung gegenüber missionarisch tätigen Personen und Einrichtungen. Rechtsanwälte, die Angeklagte vertreten, denen Apostasie zur Last gelegt wird, können Berichten zufolge selbst der Apostasie bezichtigt und mit dem Tod bedroht werden.

[...]

Personen, die angeblich gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) verstoßen:

Die Taliban haben Berichten zufolge Personen und Gemeinschaften getötet, angegriffen und bedroht, die in der Wahrnehmung der Taliban gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch die Taliban verstoßen haben.

In Gebieten, in denen die Taliban versuchen, die lokale Bevölkerung von sich zu überzeugen, nehmen sie Berichten zufolge eine mildere Haltung ein. Sobald sich jedoch die betreffenden Gebiete unter ihrer tatsächlichen Kontrolle befinden, setzen die Taliban ihre strenge Auslegung islamischer Prinzipien, Normen und Werte durch. Es liegen Berichte über Taliban vor, die für das Ministerium der Taliban für die Förderung der Tugend und Verhinderung des Lasters tätig sind, in den Straßen patrouillieren und Personen festnehmen, weil diese sich den Bart abrasiert haben oder einen Haarschnitt tragen, der ihrer Auffassung nach eitel ist. Frauen ist es Berichten zufolge nur in Begleitung ihres Ehemanns oder männlicher Familienmitglieder gestattet, das Haus zu verlassen und ausschließlich zu einigen wenigen genehmigten Zwecken wie beispielsweise einen Arztbesuch. Frauen und Männer, die gegen diese Regeln verstoßen, wurden Berichten zufolge mit öffentlichen Auspeitschungen bestraft.

In Gebieten, die von mit ISIS verbundenen Gruppen kontrolliert werden, wird Berichten zufolge ein sittenstrenger Lebensstil durch strikte Vorschriften und Bestrafungen durchgesetzt. Vertriebene Familien, die sich im östlichen Teil Afghanistans aufhielten, haben berichtet, dass Frauen strenge Regeln, einschließlich Kleidungsvorschriften, und eingeschränkte Bewegungsfreiheitauferlegt wurden.

1.3.3. Auszug aus der ACCORD - Anfragebeantwortung zu Afghanistan:

Situation von 1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen, die Kritik am Islam äußern, 4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa (jeweilige rechtliche Lage, staatliche und gesellschaftliche Behandlung, Diskriminierung, staatlicher bzw. rechtlicher Schutz bzw. Schutz durch internationale Organisationen, regionale Unterschiede, Möglichkeiten zur Ausübung des christlichen Glaubens, Veränderungen hinsichtlich der Lage der christlichen Gemeinschaft) vom 01.06.2017:

[...]

Vom Islam abgefallene Personen (Apostaten):

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass Apostasie (Arabisch: ridda) in der klassischen Scharia als "Weggehen" vom Islam verstanden werde und ein Apostat (Arabisch: murtadd) ein Muslim sei, der den Islam verleugne. Apostasie müsse nicht unbedingt bedeuten, dass sich der Apostat einer neuen Glaubensrichtung anschließe:

[...]

Artikel 2 der Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan vom Jänner 2004 legt die "heilige Religion des Islam" als Religion Afghanistans fest. Angehörige anderer Glaubensrichtungen steht es frei, innerhalb der Grenzen des Gesetzes ihren Glauben und ihre religiösen Rituale auszuüben. Gemäß Artikel 3 der Verfassung darf kein Gesetz in Widerspruch zu den Lehren und Vorschriften des Islam stehen. Laut Artikel 7 ist Afghanistan indes verpflichtet, die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen, zwischenstaatlicher Vereinbarungen, internationaler Vertragswerke, deren Vertragsstaat Afghanistan ist, sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einzuhalten. Artikel 130 der Verfassung schreibt vor, dass die Gerichte bei der Beurteilung von Fällen die Bestimmungen der Verfassung und anderer Gesetze zu berücksichtigen haben. Wenn es jedoch zu einem Fall keine Bestimmungen in der Verfassung oder anderen Gesetzen gibt, so haben die Gerichte entsprechend der (sunnitischen) hanafitischen Rechtssprechungstradition innerhalb der Grenzen der Verfassung auf eine Art und Weise zu entscheiden, welche am besten geeignet ist, Gerechtigkeit zu gewährleisten:

[...]

Bezug nehmend auf den soeben zitierten Artikel 130 der afghanischen Verfassung schreibt Landinfo im August 2014, dass dieser Artikel hinsichtlich Apostasie und Blasphemie relevant sei, da Apostasie und Blasphemie weder in der Verfassung noch in anderen Gesetzen behandelt würden. (Landinfo, 26. August 2014, S. 2). Im afghanischen Strafgesetzbuch existiere keine Definition von Apostasie (Landinfo, 4. September 2013, S. 10; USDOS, 10. August 2016, Section 2). Die US Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt, dass das Strafgesetzbuch den Gerichten ermögliche, Fälle, die weder im Strafgesetz noch in der Verfassung explizit erfasst seien, darunter Blasphemie, Apostasie und Konversion, gemäß dem Scharia-Recht der Hanafi-Rechtsschule und den sogenannten "hudud"-Gesetzen, die Vergehen gegen Gott umfassen würden, zu entscheiden (USCIRF, 26. April 2017). Die Scharia zähle Apostasie zu den sogenannten "hudud"-Vergehen (USDOS, 10. August 2016, Section 2) und sehe für Apostasie wie auch für Blasphemie die Todesstrafe vor (Landinfo, 26. August 2014, S. 2).

Die United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF), eine staatliche Einrichtung der USA zur Beobachtung der Situation hinsichtlich der Meinungs-, Gewissens- und Glaubensfreiheit im Ausland, schreibt in ihrem Jahresbericht vom April 2017, dass staatlich sanktionierte religiöse Führer sowie das Justizsystem dazu ermächtigt seien, islamische Prinzipien und das Scharia-Recht (gemäß Hanafi-Rechtslehre) auszulegen. Dies führe zuweilen zu willkürlichen und missbräuchlichen Auslegungen und zur Verhängung schwerer Strafen, darunter der Todesstrafe (USCIRF, 26. April 2017).

Die Internationale Humanistische und Ethische Union (International Humanist and Ethical Union, IHEU), ein Zusammenschluss von über 100 nichtreligiösen humanistischen und säkularen Organisationen in mehr als 40 Ländern, bemerkt in ihrem im November 2016 veröffentlichten "Freedom of Thought Report 2016", dass sich die Gerichte bei ihren Entscheidungen weiterhin auf Auslegungen des islamischen Rechts nach der Hanafi-Rechtslehre stützen würden. Das Office of Fatwa and Accounts innerhalb des Obersten Gerichtshofs Afghanistans würde die Hanafi-Rechtsprechung auslegen, wenn ein Richter Hilfe dabei benötige, zu verstehen, wie die Rechtsprechung umzusetzen sei:

[...]

XXXX, Ko-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN), einer unabhängigen, gemeinnützige Forschungsorganisation mit Hauptsitz in Kabul, die Analysen zu politischen Themen in Afghanistan und der umliegenden Region erstellt, bemerkte in einem Expertengespräch vom Mai 2016 (veröffentlicht im Juni 2016) Folgendes bezüglich der Rechtspraxis: "Zwar gibt es drei parallele Rechtssysteme (staatliches Recht, traditionelles Recht und islamisches Recht/Scharia), doch letztendlich ziehen sich viele Richter, wenn die Lage irgendwie politisch heikel wird, auf das zurück, was sie selber als Scharia ansehen, statt sich etwa auf die Verfassung zu berufen. Die Scharia ist nicht gänzlich kodifiziert, obwohl verschiedenste Rechtskommentare etc. existieren, und zudem gibt es zahlreiche Widersprüche in den Lehrmeinungen." (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

XXXX, Sozialwissenschaftler, der das Teilprojekt C9 "Sicherheit und Entwicklung in Nordost-Afghanistan" des Sonderforschungsbereichs 700 der Freien Universität Berlin leitet, bemerkte beim selben Expertengespräch vom Mai bezüglich der Auslegung des islamischen Rechts und islamischer Prinzipien: "Sehr oft stammen die liberalsten Auslegungen von Personen, die etwa an einer Einrichtung wie der Al-Azhar in Kairo studiert haben und daher mit den Rechtskommentaren vertraut sind. Man kann sich indes kaum vorstellen, wie wenig theologisch und religionswissenschaftlich versiert die Geistlichen auf den unteren Ebenen sind. Wenn ein Rechtsgelehrter anwesend ist, der etwa von der Al-Azhar kommt, kann er die Sache auch ein Stück weit zugunsten des Beschuldigten drehen, denn je mehr glaubwürdige Kommentare dem Scharia-Text zugefügt werden, desto besser sieht es für die Betroffenen aus." (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) geht in seinen im April 2016 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender wie folgt auf die strafrechtlichen Konsequenzen von Apostasie bzw. Konversion vom Islam ein: "Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tod bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten ‚ungeheuerlichen Straftaten', die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft fallen. Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist." (UNHCR, 19. April 2016, S. 61)

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem im August 2016 veröffentlichten Länderbericht zur internationalen Religionsfreiheit (Berichtsjahr 2015), dass laut Hanafi-Rechtlehre Männer bei Apostasie mit Enthauptung und Frauen mit lebenslanger Haft zu bestrafen seien, sofern die Betroffenen keine Reue zeigen würden. Richter könnten zudem geringere Strafen verhängen, wenn Zweif

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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