TE Bvwg Erkenntnis 2018/3/16 W202 2168367-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.03.2018
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Entscheidungsdatum

16.03.2018

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W202 2168367-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard SCHLAFFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.08.2017, Zl. 1159717110 - 170852165, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG sowie §§ 46, 52 und 55 FPG idgF abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte am 19.07.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde dazu am folgenden Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen.

Zu seinem Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer im Zuge der Erstbefragung vor, es habe einen Streit in seinem Dorf gegeben. Dabei sei er verletzt worden. Daraufhin habe sich bei seinen Großeltern mütterlicherseits versteckt, jedoch hätten ihn "die Leute" entdeckt. Deshalb habe sein Onkel einen Schlepper organisiert und den Beschwerdeführer ins Ausland geschickt, weil der Beschwerdeführer vor diesen Leuten Angst habe.

Während seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) am 02.08.2017 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes zu Protokoll (Fehler im Original):

" . . .

F: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

A: Gut, danke

F: Befinden Sie sich in ärztlicher Behandlung oder sonst in Therapie?

A: Nein

F: Nehmen Sie Medikamente?

A: Nein

F: Sind sie einvernahmefähig. Sind Sie geistig und körperlich in der Lage heute die Einvernahme durchzuführen?

A: Ja

F: Können Sie die lateinische Schrift lesen?

A: nein

F: Können Sie Deutsch?

A: Nein

F: Verstehen Sie den Dolmetsch einwandfrei?

A: Ja, ich spreche Punjabi und bin damit einverstanden, dass die Einvernahme heute in der Sprache Punjabi durchgeführt wird.

F: Welche Sprachen, außer Punjabi sprechen Sie noch?

A: nur Punjabi

. . .

F: Welche Staatsbürgerschaft haben Sie?

A: die von Indien

F: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

A: der Jat

F: Welcher Religionsgemeinschaft gehören Sie an?

A: den Sikh

F: Sind Sie verheiratet und haben Sie Kinder? Wenn ja, wo leben die Gattin und die Kinder?

A: ich bin nicht verheiratet und habe keine Kinder

F.: Aus welchem Gebiet/welcher Region Ihres Heimatlandes kommen Sie.

A.: aus dem Punjab

F: Wo waren Sie zuletzt wohnhaft?

A: in XXXX, XXXX, Punjab, Indien

Dorf: XXXX

Bezirk: XXXX

Das Dorf XXXX hat 700 bis 800 Einwohner.

F: Beschreiben Sie diese Unterkunft.

A: Es war ein Haus mit 6 oder 7 Zimmer. Meine Eltern und ich haben darin gewohnt. Im Dorf direkt drinnen, neben der Hauptstraße.

F: Wenn Sie im Besitz von weiteren Beweismitteln bzw. Identitätsdokumenten sind, legen Sie diese bitte vor.

A: momentan habe ich keine Beweismittel vorzulegen. Ich hatte mit einen Reisepass, Schulzeugnis, mein Telefon, ca. 2.000,-- EUR und ein paar Kleider. Die ganze Tasche mit den Sachen hat mir der Schlepper abgenommen.

F: Welche Schul- bzw. Berufsausbildung haben Sie, welchen Beruf haben Sie?

A: 10 Jahre Grundschule in XXXX. Mein Vater war Landwirt und ich habe ihm geholfen.

F: Wieviel haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat verdient?

A: es war kein fixes Einkommen. Was ich verlangt habe, das hat mir mein Vater gegeben.

F: Geben Sie den vollen Namen der Eltern, deren Geburtsdatum, deren Wohnadresse wieder und geben Sie an wovon Ihre Eltern leben.

A:

Vater: XXXX, ca. 55 Jahre alt

Mutter: XXXX, ca. 50 Jahre alt

F: Haben Sie Geschwister? Wenn ja, nennen Sie deren Namen und Geburtsdatum.

A: ich habe keine Geschwister

F: Hat Ihr Vater Geschwister welche noch in Ihrem Herkunftsstaat wohnen?

A: Ich habe nur einen Onkel und zwei Tanten väterlichseits.

F: Hat Ihre Mutter Geschwister welche noch in Ihrem Herkunftsstaat wohnen?

A: Ich habe zwei Onkel mütterlichseits.

F: Wann haben Sie zum ersten Mal daran gedacht, dass Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen?

A: am 18. Oder 19. Juni habe ich daran gedacht, dass ich Indien verlassen will

F: Wann haben Sie ihr Heimatland tatsächlich verlassen?

A: ich weiß nicht mehr genau, aber ich glaube am 1. Oder 2. Juli 2017

F: Wo waren Sie die letzte Nacht vor ihrer Ausreise aufhältig?

A: ich war bei meinem Onkel mütterlichseits, dort habe ich geschlafen. Er wohnt in der Stadt XXXX. Diese Stadt ist ca. 150 km von meinem Dorf entfernt.

F: Reisten Sie schlepperunterstützt nach Österreich ein?

A: ja

F: Wohin wollten Sie?

A: das hat alles der Schlepper mit meinem Onkel besprochen. Ich wußte nicht wo ich hinfahren sollte.

F: Wieviel mußten Sie für die Reise bezahlen?

A: 17.000,-- EUR

F: 17.000,-- EUR sind ein sehr großer Betrag. Sind Sie sicher, dass der Betrag so hoch war?

A: das war meine Vermutung

F: Woher hatten Sie das Geld?

A: etwas Geld war von meinem Vater, er es meinem Onkel gegeben. Der Restbetrag wurde von Familienmitgliedern und meinem Onkel bezahlt.

F: Wann haben Sie den Schleppern das Schleppgeld bezahlt?

A: ich habe nichts bezahlt. Das hat mein Onkel bezahlt.

F: Geben Sie chronologisch und lückenlos die Aufenthaltsorte der letzten drei Jahre in Ihrer Heimat an.

A: ich war in meinem Dorf

F: Sie gaben bei der Erstbefragung an, Sie hätten Indien mit dem Flugzeug verlassen. Von welchem Flughafen sind Sie in Indien gestartet?

A: von Delhi

F: An welchem Datum und zu welcher Uhrzeit sind Sie von dem Flughafen Dehli in Indien abgeflogen?

A: am 2. Oder 3. Juli, um 02:00 in der Nacht

F: Mit welcher Fluglinie sind Sie geflogen?

A: ich weiß es nicht

F: Hatten Sie mit dem Flugzeug Zwischenlandungen oder sind Sie vom Abflughafen direkt zum Zielflughafen geflogen? Wenn Sie Zwischenlandungen hatten, in welchen Städten oder Länder sind Sie zwischengelandet?

A: es gab eine Zwischenlandung. Ich weiß aber nicht wo das war.

F: Wie lange dauerte der Flug insgesamt?

A: es waren mehrere Stunden, aber ich weiß nicht genau wie lange

F: Sie gaben bei der Erstbefragung an, dass Sie einen Reisepass gehabt hätten? Hatten Sie während des Fluges Ihren Reisepass mit? Wenn ja, wo haben Sie den Reisepass während des Fluges verwahrt?

A: ja, ich hatte einen Reisepass mit. Als ich aus dem Flugzeug ausgestiegen bin, hat mich ein Schlepper dort abgeholt. Er hat mich an unbekannte Orte mitgenommen. Dort habe ich gegessen. Dort hat er mir dann die Tasche mit dem ganzen Geld und den anderen Sachen weggenommen.

F: Bei welchem Zielflughafen sind Sie gelandet?

A: ich weiß es nicht

A: An welchem Datum und zu welcher Uhrzeit sind Sie am Zielflughafen gelandet?

A: den Flughafen weiß ich nicht, aber es war am Abend so gegen 19:00 oder 20:00 Uhr.

F: Hatten Sie beim Zielflughafen eine Passkontrolle?

A: ja, ich habe meinen Reisepass hergezeigt

F: Wie haben Sie den Schlepper bei Ihrer Ankunft am Zielflughafen erkannt? Wie haben Sie sich mit ihm getroffen?

A: Ich komme von dem Flughafen raus. Dort steht ein Herr. Der hat meinen Namen genannt. Ich sagte ja, ich bins. Er hat gesagt, ok steige ins Auto. Dann sind wir weitergefahren.

F: Wie setzten Sie die Reise fort, nachdem Sie gelandet waren? Nennen Sie alle Verkehrsmittel und wie lange Sie diese jeweils benützt haben?

A: Ich bin die ganze Nacht bei der Person geblieben, die mich mit dem Auto abgeholt hat. Am nächsten Tag um 09:30 in der Früh sind wir mit dem Taxi weitergefahren. Ich weiß nicht wo. Der Taxilenker hat uns gesagt, wir sollen nicht sitzen bleiben, sondern uns flach hinlegen. Wir sind bis 16:00 gefahren. Wir kamen zu einem großen Bauernhaus mit viel Landfläche. Ich bin mehrere Tage in diesem Haus geblieben. Die Außentüre war immer zugesperrt. Später hat man mir gesagt, dass wir weitergehen. Wir sind zu Fuß ca. 5 bis 6 Stunden gegangen. Dann kam eine Hauptstraße. Dort hat er mich stehengelassen und ist fortgegangen. Ich bin bei der Straße geblieben und habe dort übernachtet. Nächsten Tag bin ich in der Früh in eine unbekannte Richtung gegangen. Dann habe ich viele Häuser gesehen und habe mir gedacht, dass dort eine Stadt sei. Dann sehe ich einen Bus, einen Citybus. Ich bin mit diesem Bus weitergefahren. Bei irgendeiner Haltestelle bin ich ausgestiegen. Dann bin ich mit einer Straßenbahn gefahren. Nächste Haltestelle bei einem Bahnhof bin ich ausgestiegen. Dort sind Leute gestanden, die mir helfen konnten. Ich bin zu diesen Leuten gegangen. Ich habe sie um Hilfe ersucht und sie haben mir den Weg zu der Polizeistation im 1. Stock gezeigt. Ich weiß nicht in welcher Stadt das war.

F: Zu welchem Zeitpunkt bei der geschilderten Reise, hat Ihnen der Schlepper die Tasche mit dem Reisepass weggenommen?

A: bei dem ersten Haus, wo ich bei dem Flughafen angekommen bin

F: Haben Sie dem Schlepper nicht gesagt, dass Sie Ihre Sachen und den Reisepass noch benötigen würden?

A: ich habe es ihm gesagt. Er sagte mir, dass ich es von ihm in der Früh bekommen werde. In der Früh habe ich es ihm gesagt. Er hat gesagt, ich soll in das Taxi einsteigen und er werde nachkommen. Ich habe ihn dann nicht mehr gesehen.

Bitte beantworten Sie die nachfolgenden Fragen kurz mit ja oder nein. Sie können dann später die genauen Details nennen.

F: Sind Sie in Ihrer Heimat vorbestraft?

A: Nein

F: Standen Sie je vor Gericht?

A: Nein

F: Waren Sie in Ihrem Heimatland inhaftiert?

A: Nein

F: Hatten Sie Probleme mit den Behörden in der Heimat?

A: Nein

F: Bestehen gegen Sie aktuelle staatliche Fahndungsmaßnahmen wie Aufenthaltsermittlung, Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief, etc.?

A: Nein

F: Sind oder waren Sie politisch tätig oder waren Sie das Mitglied einer politischen Partei und hatten deswegen Probleme in Ihrer Heimat?

A: Nein

F: Sind Sie Mitglied einer Organisation, z.B. der Gewerkschaft, einer NGO und hatten deswegen Probleme in der Heimat?

A: Nein

F: Hatten Sie in ihrem Herkunftsstaat aufgrund Ihres Religionsbekenntnisses Probleme?

A: Nein

F: Hatten Sie in Ihrem Heimatland Probleme aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit?

A: Nein

F: Hatten Sie gröbere Probleme mit Privatpersonen (Blutfehden, Racheakte etc.)?

A: ja

F: Nahmen Sie in ihrem Heimatland an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen teil?

A: Nein

F: Schildern Sie die Gründe, warum sie Ihr Heimatland verlassen und einen Asylantrag gestellt haben, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß.

Sie werden darauf hingewiesen, dass falsche Angaben die Glaubwürdigkeit Ihres Vorbringens beeinträchtigen können.

Sollten Sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor österreichischen Behörden falsche Angaben gemacht haben oder sollte es zu sonstigen Ungereimtheiten gekommen sein, so werden Sie aufgefordert, dies jetzt bekannt zu geben.

Soweit Sie auf Ereignisse Bezug nehmen, werden Sie auch aufgefordert, den Ort und die Zeit zu nennen, wann diese stattfanden und die Personen, die daran beteiligt waren.

A:

Ich hatte richtige Probleme mit zwei Parteien. Ich gehöre zu der Kongress-Partei. Die zweiten sind von der Akadali Dal Partei. Es war Ende Mai 2017. Ich bin mit dem PKW Richtung Stadt gefahren. Auf der anderen Seite kommt ein Herr mit dem Moped, sein Name ist XXXX. Ich kenne ihn schon lange, weil er immer viel Alkohol getrunken hat. War beiden waren zu schnell auf der Straße. Plötzlich kommt er vor mein Auto und bremst. Es ist ein Unfall passiert. Ich konnte nicht mehr anhalten. Er war schwer verletzt. Die Leute, die nebenbei auf den Feldern gearbeitet haben, haben den Verletzten in das Krankenhaus gebracht. Ich war leicht verletzt. Ich bin zu dem Arzt von meinem Dorf gegangen. Am gleichen Tag kommen die Cousins von XXXX zu mir. Sie haben mir gesagt, unser Cousin ist sehr schwer verletzt. Er liegt im Krankenhaus. Wenn etwas mit ihm passiert, werden sie mich umbringen. Nächsten Tag habe ich gehört dass XXXX verstorben ist. Ich haben an seinem Begräbnis wegen meiner Verletzungen nicht teilgenommen. Am Abend des Begräbnisses, kommen die Cousins nochmals zu mir und sagten, er ist verstorben, aber wir bringen dich auch um. Am selben Abend hat mir mein Nachbar gesagt, dass die ganze Gruppe sehr gefährlich sei, weil sie bewaffnet seien. Es ist besser wenn ich mich verstecken würde. Der Nachbar sagte mir auch, die Gruppe habe auch meinen Vater bedroht. Später sagte mir mein Vater, ich soll zu meiner Großmutter gehen, weil die seien sehr gefährlich. Nachher bin ich zu meinem Freund XXXX in meinem Dorf gegangen. Ich habe bei ihm übernachtet. Am nächsten Tag brachte mich mein Freund zur Großmutter. Dort habe ich mit meinem Onkel gesprochen. Ich habe alles erzählt, was passiert ist. Er sagte ich solle bei ihm bleiben. Ein paar Tage später sagte mir mein Onkel, wir fahren wieder zu meinem Dorf zurück und dass ich dann mit diesen Leuten sprechen solle. Ich sagte ok. Wir sind zu unserem Dorf zurückgekommen. Mein Onkel hat mit diesen Personen gesprochen. Ich war dabei. Plötzlich hatte diese Gruppe meinen Onkel geschlagen und mich auch. Wir sind wieder zurück zu meinen Onkel. Nachher sagte mein Onkel, dass alles sehr gefährlich ausschauen würde. Ich solle in das Ausland reisen. Ich war durch die Schläge dieser Gruppe innerlich am ganzen Körper verletzt. Ich bin bei meinem Onkel geblieben. Mein Onkel hat mit den Schleppern gesprochen. Mit der Hilfe der Schlepper bin ich dann ausgereist. Der Verstorbene war auch der einzige Sohn von der betroffenen Familie. Auch diese Familie hat mir gedroht, dass sie mich umbringen werden.

F: Haben Sie sämtliche Gründe, warum Sie die Heimat verlassen haben, vollständig geschildert?

A: Ja

F: Was hat das soeben geschilderte mit den beiden Parteien, der Kongress Partei und der Akadali Dal Partei zu tun?

A: Es hängt alles irgendwie zusammen. Die von der anderen Partei helfen uns nicht und wir helfen ihnen nicht.

F: Wie groß ist diese Gruppe von den Cousins, von denen Sie bedroht und geschlagen wurden?

A: es handelt sich um ca. 20 bis 22 Personen, die mich bedroht und angegriffen haben.

F: Sind diese Personen, die sie bedroht haben, alle von Ihrem Dorf?

A: fünf Personen sind von meinem Dorf, die anderen sind von verschiedenen Dörfern

F: Handelt es sich bei den Personen, die Sie angegriffen haben, um normale Dorfbewohner sprich Landwirte?

A: nein

F: Waren bei den Angreifern auch besonders wichtige Personen dabei?

A: nein, es waren lauter Angehörige von dem Verstorbenen, Onkeln, Cousins etc.

F: Könnte der Streit nicht vom Dorfvorsteher oder den Dorfältesten geschlichtet werden?

A: die ganze Familie des Verstorbenen sind gefährliche Leute. Deshalb sprechen die Dorfbewohner mit diesen Leuten nicht.

F: Kann man sich das so vorstellen, dass diese Leute am Rand des Dorfes abgekapselt von den anderen Dorfbewohnern leben?

A: Die Cousins des Verstorbenen waren auch viele Studenten dabei und haben auch andere Studenten mitgenommen.

F: Wieso sprechen die anderen Dorfbewohner mit diesen gefährlichen Leuten nicht?

A: die Dorfbewohner haben immer aufgepasst, weil dies waren schlechte Leute die auch viel Alkohol gedrunken haben

F: Haben Sie bei der Polizei angezeigt, dass Sie von diesen Leuten bedroht und verletzt wurden?

A: nein

F: Wieso nicht?

A: Die Angehörigen von dem Verstorbenen waren auch nicht bei der Polizei. Deswegen sind wir auch nicht zur Polizei gegangen.

F: Sie meinen damit, dass der Unfall nicht an die Polizei gemeldet wurde?

A: Ja. Ich habe einen Polizisten gekannt, welcher ebenfalls Dorfbewohner war. Ich habe ihm alles erzählt. Er sagt mir auch, dass die Leute gefährlich seien und dass ich mich verstecken solle.

F: Indien ist ein großes Land. Wieso sind Sie nicht in einen anderen Landesteil von Indien geflüchtet?

A: es ist nicht möglich, weil meine Eltern dort sind. Und ich habe bei meinen Eltern gearbeitet.

F: Das beantwortet aber nicht die Frage, wieso Sie nicht in einen anderen Landesteil von Indien geflüchtet sind?

A: ich habe damit gemeint, dass sie mich überall finden, wenn sie wollen

F: Was würde Sie konkret erwarten, wenn Sie jetzt in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

A: ich habe Angst um mein Leben

F: Was würde Sie konkret erwarten, wenn Sie jetzt in einen anderen Landesteil Ihres Herkunftsstaates zurückkehren müssten?

A: was ich ihnen vorhin gesagt habe, in Punjab finden sie mich überall

F: Leben Sie in einer Beziehung mit jemandem in Österreich zusammen, wenn ja, seit wann?

A: nein

F: Haben Sie weitere Familienangehörige oder Verwandte in Österreich?

A: nein

F: Haben Sie private Interessen (Grundstücke, Firmen, Aktien) in Österreich? Wenn ja, konkretisieren Sie diese!

A: Nein

F: Sind Sie in irgendwelchen Vereinen tätig?

A: Nein

F: Besuchten Sie in Österreich irgendwelche Kurse oder absolvierten sie eine Ausbildung?

A: ich gehe viermal in der Woche zu einem Deutschkurs

F: Von welchen finanziellen Mitteln bestreiten Sie Ihren derzeitigen Lebensunterhalt?

A: von der Grundvorsorge

F: Sind Sie derzeit berufstätig?

A: nein

F: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht verurteilt oder mit einem Aufenthaltsverbot oder einer Ausweisung belegt?

A: nein

F: Wurde Ihnen ausreichend Zeit eingeräumt, Ihre Probleme vollständig und so ausführlich, wie Sie es wollten, zu schildern?

A: Ja

F: Wollen Sie noch etwas angeben, was ihnen besonders wichtig erscheint und noch nicht besprochen wurde?

A: Nein

. . ."

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 08.08.2017 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) ab, erteilte einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht, erließ gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte fest, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gem. § 55 Abs. 1-3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Beweiswürdigend führte das Bundesamt aus, es sei unglaubhaft, dass der Beschwerdeführer zu seiner Flugreise keine genaueren Angaben machen könne. Auf einem Flugticket seien der Abflughafen, die Fluglinie und der Zielflughafen angeführt. Beim Boarding hätte ihm die betreffende Fluglinie und der Zielflughafen bewusst gewesen sein müssen. Er sei mehrere Stunden im Flugzeug gesessen. Auch bei einer Zwischenlandung müsse er bemerkt haben, wo er gelandet und wieder gestartet sei. Dass er weder Fluglinie, Flughafen der Zwischenlandung noch Zielflughafen nennen könne, sei nicht nachvollziehbar.

Durch diese unglaubhafte Schilderung seiner Flugreise werde die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers erheblich erschüttert. Auch würde dadurch die Glaubhaftigkeit seines Fluchtvorbringens erheblich beeinträchtigt.

Es sei weiters unglaubhaft, dass die Polizei von dem Unfalltod einer Person nicht informiert worden wäre. Der Beschwerdeführer habe angegeben, dass die schwerverletzte Person von Leuten, welche auf den Feldern neben der Straße gearbeitet hätten, in ein Spital gebracht worden wäre. Es sei anzunehmen, dass in so einer Situation die Polizei zumindest von einem der Zeugen informiert worden wäre. Es sei weiter anzunehmen, dass das Spital, in welches der Schwerverletzte eingeliefert worden wäre, die Polizei über den Tod einer bei einem Unfall verletzten Person berichtet hätte. Die Behörde gehe daher davon aus, dass es diesen Unfall mit Todesfolge nicht gegeben habe.

Der Beschwerdeführer sei auch bei der Schilderung der Personen, welche ihn angeblich bedroht und verprügelt hätten, sehr vage und widersprüchlich geblieben. Zuerst habe er angegeben, dass nach dem Unfall die Cousins des Verletzten zum Beschwerdeführer gekommen wären. Dann habe er angegeben, es wären Angehörige des Verstorbenen, Onkel, Cousins etc. gewesen. Dann habe er angegeben, dass viele Cousins des Verstorbenen Studenten gewesen wären, welche wiederum auch andere Studenten mitgenommen hätten. Dann habe er wieder angegeben, dass der Verstorbene der einzige Sohn der betroffenen Familie gewesen sei und auch diese Familie Sie bedroht hätte.

Widersprüchlich seien auch die Angaben zu dem Grad der Verletzung bei dem Unfall. Zuerst habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er nur leicht verletzt gewesen und selber zu dem Arzt in seinem Dorf gegangen wäre. Dann habe er angegeben, dass er wegen seiner Verletzungen nicht zu dem Begräbnis des Verstorbenen gehen hätte können. Das Begräbnis könne nur einige Tage nach der Einlieferung in das Spital stattgefunden haben. Direkt nach dem Unfall hätte der Beschwerdeführer noch selber zu dem Arzt gehen können und einige Tage später könnte er aufgrund seiner Verletzungen nicht an dem Begräbnis teilnehmen. Dies sei nicht nachvollziehbar.

Der Beschwerdeführer habe angegeben, dass sein Dorf XXXX ca. 700 bis 800 Einwohner hätte. Es sei nicht nachvollziehbar, dass sich alle Einwohner inklusive dem Dorfvorsteher von einer Familie derart einschüchtern ließen, dass nicht einmal der Versuch einer Schlichtung des Streites innerhalb des Dorfes versucht werde.

Der Beschwerdeführer habe angegeben, dass ein Dorfbewohner, welcher Polizist wäre, die Drohungen durch die Familienangehörigen des Verstorbenen erzählt hätte. Dieser hätte dem Beschwerdeführer nur geraten, sich zu verstecken. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ein Polizist nicht mehr unternehme, um sein Wohl zu schützen. Zumindest hätte dieser Polizist mit anderen Polizisten diese Familienangehörigen zur Rede stellen, verwarnen oder anzeigen sollen.

Wie vorhin angeführt, müsse aufgrund der unglaubwürdigen Schilderung seiner Flugreise von einer geminderten Glaubwürdigkeit seiner Person bei der Schilderung des Fluchtvorbringens ausgegangen werden.

Im gegenständlichen Fall sei festzustellen, dass es bei seinen Schilderungen zu viele nicht logisch nachvollziehbare Angaben gibt und damit keine ausreichenden und sicheren Anhaltspunkte für die Schlussfolgerung vorliegen würden, dass sein geschildertes Fluchtvorbringen der Wahrheit entspreche.

Rechtlich führte das Bundesamt zu Spruchpunkt I. aus, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers insgesamt die Glaubhaftigkeit abzusprechen gewesen sei, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden könne. Selbst wenn der Bedrohung ein GFK-Konnex zugrunde gelegt würde, wäre eine Verfolgung durch Privatpersonen nur insofern relevant, als der Staat nicht willens oder fähig wäre, dem Beschwerdeführer Schutz zu gewähren. Das könne im Hinblick auf die Länderberichte nicht angenommen werden. Der Beschwerdeführer habe nicht einmal den Versuch unternommen, Schutz bei der indischen Polizei zu suchen.

Zu Spruchpunkt II. führte das Bundesamt aus, in Bezug auf Indien bestünden grundsätzlich keine Anhaltspunkte dafür, dass dort gegenwärtig eine derart extreme Gefahrenlage herrsche, durch die praktisch jeder - unabhängig vom Vorliegen individueller Gründe - der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre. Aus seinem Vorbringen habe sich keine wie auch immer geartete Rückkehrgefährdung iSd § 50 FPG ergeben.

Zu Spruchpunkt III. führte das Bundesamt aus, dem Beschwerdeführer werde eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt.

Der Beschwerdeführer habe keine sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet, es bestehe kein Eingriff in sein Familienleben. Weiters führte das Bundesamt eine Abwägung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK durch und kam zu dem Schluss, dass die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung private Interesse des Beschwerdeführers überwiegen würden, sodass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässig sei. Da eine Gefährdung im Sinne des § 50 FPG nicht vorliege, sei im Falle der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung sowie bei Vorliegen der in § 46 Abs. 1 Z 1-4 FPG genannten Voraussetzungen seine Abschiebung nach Indien zulässig.

Zu Spruchpunkt IV. führte das Bundesamt aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides betrage, weil in seinem Fall keine Gründe für eine längere Frist hätten festgestellt werden können.

Der Beschwerdeführer erhob gegen den gegenständlichen Bescheid rechtzeitig Beschwerde und erstattete soweit hier wesentlich folgendes Vorbringen:

Der Beschwerdeführer habe ausführlich zu seinen Fluchtgründen Stellung genommen. Er habe die ihm gestellten Fragen beantwortet. Wenn nachgefragt worden sei, habe er konkrete Antworten gegeben. Er habe sein Vorbringen niemals gesteigert oder seine Fluchtgeschichte nachträglich verändert. Wie weit man bei einzelnen Fragen oder auch bei der freien Erzählung ins Detail gehen müsse, könne er nicht wissen, weil der Beschwerdeführer die rechtlichen Voraussetzungen für die Beurteilung der Asylrelevanz nicht kenne. Er habe von seinen Erlebnissen berichtet, soweit es ihm wichtig erschien, falls asylrelevante Antworten ausgeblieben seien, wäre er jederzeit bereit gewesen, detailliertere Antworten zu geben.

Im Rahmen der Beweiswürdigung sei ihm seine Glaubwürdigkeit gänzlich abgesprochen worden. So werde beispielsweise seitens der Behörde argumentiert, dass es nicht nachvollziehbar sei, dass die Polizei nicht über den Unfall informiert worden sei. Deshalb gehe sie davon aus, dass es den Unfall mit Todesfolge gar nicht gegeben habe. Welche Erhebungen vom Bundesamt durchgeführt worden seien, die ergeben hätten, dass die vom Beschwerdeführer erwähnten Fluchtgründe nicht der Wahrheit entsprächen, gehe aus dem bekämpften Bescheid in keiner Weise hervor. In Indien sei es nicht ungewöhnlich, dass solche Vorfälle bei der Polizei nicht gemeldet würden. Wie aus den zur Entscheidungsfindung herangezogenen Länderberichten hervorgehe, sei die Polizei und der ganze Sicherheitsapparat aufgrund der weitverbreiteten Korruption nicht in der Lage, wirksamen Schutz zu gewährleisten.

Der Beschwerdeführer habe im Zuge der Einvernahme alle seine Daten und alle seine Verwandten namentlich genannt. Über seine Probleme in Indien und über die Bedrohung durch die Familienangehörigen des Verstorbenen habe er sich auch mit zahlreichen Details in der Einvernahme geäußert. Seine Glaubwürdigkeit hätte sich durch Nachforschungen erheblich vergrößert und erhärtet bzw. seine Angaben wären bestätigt worden. Im Falle einer Rückkehr nach Indien befürchte er, umgebracht zu werden.

Der Beschwerdeführer habe sich in Österreich noch nie etwas zu Schulden kommen lassen und sei nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Er wolle hier ein normales Leben führen, ohne Angst um sein Leben zu haben. Er könne arbeiten und für sich selber sorgen, er wolle keine Last für den österreichischen Staat sein.

Die Beschwerde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den bekämpften Bescheid dahingehend abändern, dass dem Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz Folge gegeben und ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten, in eventu der Status des subsidiär Schutzberechtigten erteilt werde, in eventu, den Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückzuverweisen, allenfalls die gegen den Beschwerdeführer ausgesprochene Rückkehrentscheidung zu beheben, in eventu festzustellen, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig sei, in eventu ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen sowie eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien. In Indien besuchte der Beschwerdeführer zehn Jahre die Grundschule. In der Folge half der Beschwerdeführer in der Landwirtschaft seines Vaters mit. Er reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 19.07.2017 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Nicht festgestellt werden kann eine konkrete Gefährdung des Beschwerdeführers in Indien.

Im österreichischen Bundesgebiet verfügt der Beschwerdeführer über keinerlei Familienangehörige. Er geht keiner geregelten Arbeit nach und es bestehen keinerlei Anhaltspunkte, dass fortgeschrittene Deutschkenntnisse bestünden. Eine fortgeschrittene Integration des Beschwerdeführers besteht nicht. Der Beschwerdeführer ist in Österreich unbescholten und nicht in die Grundversorgung einbezogen.

Zur Lage in Indien:

Politische Lage

Indien ist mit über 1,2 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 12.12.2016; vgl. auch: AA 16.8.2016, BBC 27.9.2016). Die - auch sprachliche - Vielfalt Indiens wird auch in seinem föderalen politischen System reflektiert, in welchem die Macht von der Zentralregierung und den Bundesstaaten geteilt wird (BBC 27.9.2016). Die Zentralregierung hat deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten (AA 9.2016a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 13.4.2016). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 9.2016a).

Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 16.8.2016), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 9.2016a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 16.8.2016). Das oberste Gericht in New Delhi steht an der Spitze der Judikative (GIZ 11.2016). Die Entscheidungen der staatlichen Verwaltung (Bürokratie, Militär, Polizei) unterliegen überdies der Kontrolle durch die freie Presse des Landes, die nicht nur in den landesweiten Amtssprachen Hindi und Englisch, sondern auch in vielen der Regionalsprachen publiziert wird. Indien hat zudem eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 9.2016a).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 13.4.2016). Die Legislative besteht aus einer Volkskammer (Lok Sabha) und einer Staatenkammer (Rajya Sabha). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 16.8.2016).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 13.4.2016). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2012 ist Präsident Pranab Kumar Mukherjee indisches Staatsoberhaupt (AA 9.2016a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 11.2016).

Wahlen zum Unterhaus finden nach einfachem Mehrheitswahlrecht ("first-past-the-post") alle fünf Jahre statt, zuletzt im April/Mai 2014 mit knapp 830 Millionen Wahlberechtigten (AA 16.8.2016). Dabei standen sich drei große Parteienbündnisse gegenüber: Die United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei, die National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der Bharatiya Janata Party (BJP - Indische Volkspartei) und die so genannte Dritte Front, die aus elf Regional- und Linksparteien besteht sowie die aus einem Teil der India-Against-Corruption-Bewegung hervorgegangene Aam Aadmi Party (AAP) (GIZ 11.2016; vgl. auch: FAZ 16.5.2014). Abgesehen von kleineren Störungen, verliefen die Wahlen korrekt und frei (AA 16.8.2016).

Als deutlicher Sieger mit 336 von 543 Sitzen löste das Parteienbündnis NDA (AA 16.8.2016), mit der hindu-nationalistischen BJP (AA 9.2016a) als stärkster Partei (282 Sitze), den Kongress an der Regierung ab (AA 16.8.2016). Die seit 2004 regierende Kongress-geführte Koalition unter Manmohan Singh erlitt hingegen große Verluste, womit Sonia Gandhi und Sohn Rahul nun auf die Oppositionsbank rücken (Eurasisches Magazin 24.5.2014; vgl. auch:

FAZ 16.5.2014, GIZ 11.2016). Die AAP, die 2013 bei der Wahl in Delhi 28 von 70 Sitzen erringen konnte, errang landesweit nun nur vier Sitze (GIZ 11.2016; vgl. auch: FAZ 16.5.2014). Der BJP Spitzenkandidat, der bisherige Ministerpräsident von Gujarat, Narendra Modi, wurde zum Premierminister gewählt (AA 16.8.2016) und steht seit 16.5.2014 (GIZ 11.2016) einem 65-köpfigen Kabinett vor (AA 16.8.2016).

Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 12.2016).

Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktivere Außenpolitik als zuvor. Die frühere Strategie der "strategischen Autonomie" wird zunehmend durch eine Politik "multipler Partnerschaften" mit allen wichtigen Ländern in der Welt überlagert. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und die Profilierung als aufstrebende Großmacht (AA 9.2016b). Ein ständiger Sitz im VN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 12.2016). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an. Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft (Association of Southeast Asian Nations - ASEAN) und Mitglied im "ASEAN Regional Forum" (ARF). Auch bilateral hat Indien in den letzten Monaten seine Initiativen in den Nachbarländern verstärkt. Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. In der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) hat Indien im Februar 2016 von Russland den diesjährigen Vorsitz übernommen. Bei ihrem Treffen in Ufa im Juli 2015 beschloss die Shanghai Cooperation Organisation (SCO), Indien und Pakistan nach Abschluss der Beitrittsprozeduren als Vollmitglieder aufzunehmen (AA 9.2016b).

Die Beziehungen zum gleichfalls nuklear gerüsteten Nachbarn Pakistan haben sich jüngst erneut zugespitzt. In den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit haben sich wiederholt Phasen des Dialogs und der Spannungen bis hin zur kriegerischen Auseinandersetzung abgelöst.

Größtes Hindernis für eine Verbesserung der Beziehungen ist weiterhin das Kaschmirproblem (AA 9.2016b).

Indien ist durch das Nuklearabkommen mit den USA ein Durchbruch gelungen. Obwohl es sich bis heute weigert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, bedeutet das Abkommen Zugang zu Nukleartechnologie. Ebenfalls positiv hat sich das Verhältnis Indiens zu China entwickelt. Zwar sind die strittigen Grenzfragen noch nicht geklärt, aber es wurden vertrauensbildende Maßnahmen vereinbart, um zumindest in dieser Frage keinen Konflikt mehr herauf zu beschwören. Auch ist man an einer weiteren Steigerung des bilateralen Handels interessiert, der sich binnen eines Jahrzehnts mehr als verzehnfacht hat (GIZ 12.2016).

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze, kontrolliert Indien die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs, und war Indien maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert. Die Beziehungen des Landes zur EU sind vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner Indiens. Der Warenhandel in beide Richtungen hat sich faktisch stetig ausgeweitet (GIZ 12.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (9.2016a): Indien, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_AC539C62A8F3AE6159C84F7909652AC5/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 5.12.2016

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AA - Auswärtiges Amt (9.2016b): Indien, Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_F210BC76845F7B2BE813A33858992D23/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 29.12.2016

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BBC - British Broadcasting Corporation (27.9.2016): India country profile - Overview,

http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 5.12.2016

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CIA - Central Intelligence Agency (15.11.2016): The World Factbook

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India,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html, Zugriff 9.1.2017

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Eurasisches Magazin (24.5.2014): Wohin geht die größte Demokratie der Erde?,

http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/Indien-nach-den-Wahlen-eine-Analyse/14017, Zugriff 4.1.2017

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FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.5.2014): Modi ist Mann der Stunde,

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fruehaufsteher/wahlentscheid-in-indien-modi-ist-der-mann-der-stunde-12941572.html, Zugriff 4.1.2017

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (12.2016): Indien,

http://liportal.giz.de/indien/geschichte-staat.html, Zugriff 5.12.2016

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmBH (11.2016): Indien, Wirtschaftssystem und Wirtschaftspolitik, http://liportal.giz.de/indien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 5.12.2016

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/322482/461959_de.html, Zugriff 5.12.2016

Sicherheitslage

Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven. Widersprüche, Gegensätze oder Konflikte entladen sich in den gesellschaftlichen Arenen und werden von der Politik aufgegriffen, verarbeitet und teilweise instrumentalisiert (GIZ 11.2016). Blutige Terroranschläge haben in den vergangenen Jahren in Indiens Millionen-Metropolen wiederholt Todesopfer gefordert (Eurasisches Magazin 24.5.2014). Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 11.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 16.8.2016).

Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 Mumbai, September 2011 New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 Chennai und Dezember 2014 Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2011 1.073 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt, für das Jahr 2012 803, für das Jahr 2013 885, für das Jahr 2014 976 für das Jahr 2015 722 und für das Jahr 2016 835 [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 9.1.2017).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People's Liberation Front etc.). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2016).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 16.8.2016).

Pakistan und Indien

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (AA 9.2016b). Seit 1947 gab es bereits drei Kriege, davon zwei aufgrund des umstrittenen Kaschmirgebiets. Friedensgespräche, die 2004 begannen, wurden trotz Spannungen wegen der Kaschmirregion und sich immer wieder ereignenden schweren Bombenaschlägen bis zu den von Islamisten durchgeführten Anschlägen in Mumbai 2008, fortgesetzt (BBC 27.9.2016).

Indien wirft Pakistan vor, Infiltrationen von Terroristen auf indisches Staatsgebiet zumindest zu dulden, wenn nicht zu befördern. Größere Terroranschläge in Indien in den Jahren 2001 und 2008 und der jüngste terroristische Angriff auf eine Militärbasis im indischen Teil Kaschmirs hatten die Spannungen in den bilateralen Beziehungen erheblich verschärft. Indien reagierte auf den Anschlag, bei dem 18 indische Soldaten ums Leben kamen, mit einer begrenzten Militäroperation ("surgical strike") im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs, die sich nach indischen Angaben gegen eine bevorstehende terroristische Infiltration richtete. In der Folge kommt es immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir. Indien sieht Pakistan in der Verantwortung für die terroristischen Bedrohungen an seiner Nordwestgrenze und erhöht den Druck auf den Nachbarn, um wirksame pakistanische Maßnahmen gegen den Terrorismus zu erreichen (AA 9.2016b). Bei einem Treffen in New York Ende September 2013 vereinbarten die Premierminister Singh und Sharif lediglich, den Waffenstillstand künftig besser einhalten zu wollen (GIZ 11.2016a). Der von 2014-2015 Hoffnung gebende Dialogprozess zwischen beiden Seiten ist über die aktuellen Entwicklungen zum Stillstand gekommen. Noch am Weihnachtstag 2015 hatte Premierminister Modi seinem pakistanischen Amtskollegen einen Überraschungsbesuch abgestatte

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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