TE Bvwg Erkenntnis 2018/3/22 L518 2178633-1

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Veröffentlicht am 22.03.2018
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Entscheidungsdatum

22.03.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L518 2178640-1/21E

L518 2178629-1/19E

L518 2178633-1/16E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 05.02.2018 MÜNDLICH VERKÜNDETEN

ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Markus Steininger als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA.: Armenien, von XXXX , geb. XXXX , StA. Armenien und von XXXX , geb. XXXX , StA. Armenien, alle vertreten durch Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.10.2017, Zl. XXXX , vom 21.10.2017, Zl. XXXX und vom 21.10.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.02.2018, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 FPG, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

I.1. Die beschwerdeführenden Parteien (in weiterer Folge gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch kurz als "bP1" bis "bP3" bezeichnet), sind Staatsangehörige der Republik Armenien und brachten nach Einreise in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich am 23.07.2017 bei der belangten Behörde (in weiterer Folge "bB") Anträge auf internationalen Schutz ein.

Die männliche bP1 und die weibliche bP2 sind Ehegatten und Eltern der minderjährigen bP 3.

I.2. Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bzw. der belangten Behörde brachten die bP im Wesentlichen vor, dass sie aufgrund der seit Geburt der bP 3 bestehenden Erkrankung in der Hoffnung auf bessere Behandlungsmöglichkeiten ausgereist wären.

Vorgelegt wurde von den bP medizinische Befunde betreffend die bP 3 (Kurzarztbrief des XXXX Universitätsklinikum vom XXXX 2017, ärztlicher Entlassungsbrief des Landesklinikums XXXX vom XXXX 2017, Laborbefunde, medizinische Befunde aus Armenien).

I.3. Die Anträge der bP auf internationalen Schutz wurden folglich mit im Spruch genannten Bescheiden der bB gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei.

Eine Frist zur freiwilligen Ausreise wurde im Rahmen von zwei Wochen iSd § 55 FPG gewährt.

In Bezug auf sämtliche bP wurde ein im Spruch inhaltlich gleichlautender Bescheid erlassen, weshalb sich aus dem Titel des Familienverfahrens gem. § 34 AsylG ebenfalls kein anderslautender Bescheid ergab.

I.3.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die bB das Vorbringen der bP als glaubhaft, aber nicht asylrelevant und führte hierzu Folgendes aus (Wiedergabe aus dem angefochtenen Bescheid in Bezug auf bP1) :

"Sie führten zu Ihren Asylgründen befragt an, Sie wären allein aufgrund der Behinderung des Sohnes nach Österreich gereist, Sie würden hier für Ihren Sohn eine bessere medizinische Behandlung als in Yerevan erwarten.

Die Behörde geht davon aus, dass allein die Sorge um Ihr behindertes Kind Sie veranlasste Ihrer Heimat den Rücken zu kehren und in Österreich einen Asylantrag zu stellen.

Im Ergebnis ist festzustellen, dass Ihren Angaben zu den behaupteten Ausreisegründen den weiteren Feststellungen und Erwägungen zu Grunde gelegt werden können.

Die Feststellungen zu Ihrer Situation im Fall der Rückkehr ergeben sich aus Ihren eigenen Angaben in Ihrem Asylverfahren.

Im vorliegenden Fall wird darauf hingewiesen, dass Sie im Falle Ihrer Rückkehr nach Armenien nicht um Ihr Leben fürchten müssen. Werden die Länderfeststellungen zur Ihrem Heimatland betrachtet, liegen keine Informationen über eine gezielte Verfolgung von abgewiesenen Asylwerbern vor.

Soweit Ihre Rückkehrsituation in Betracht zu ziehen ist, wird angeführt, dass Sie sich in Ihrer Heimat niederlassen könnten.

Es handelt sich bei Ihnen um einen armenischen Staatsangehörigen mit abgeschlossener Schulbildung und Universitätsbildung. Sie sind laut eigenen Angaben selbsterhaltungsfähig.

Die Feststellung, dass Sie keiner schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung leiden, ergibt sich aus der Aktenlage und auch aus Ihren Angaben während der niederschriftlichen Einvernahme.

Ihr Sohn Arman kam behindert zur Welt. Aktuell erhält er das Medikament Depakine chrono ret. 150 mg und Physiotherapie.

Ihr Sohn Arman leidet an einer susp. West-Syndrom-Krankheit und an einer infantilen Cerebralparese. Er kam in der 36. SSW zur Welt und war eine Frühgeburt. Diese Erkrankung ist in Armenien behandelbar. Laut Anfragebeantwortung durch IOM Jerewan sind in Armenien psychotherapeutische Behandlung und notwendige Medikamente verfügbar. Personen, die an depressiven Reaktionen leiden (F 43.12) und andere schwere mentale Störungen können in spezialisierten Krankenhäusern in Armenien behandelt werden. Die Behandlung von Patienten, die an schweren mentalen Krankheiten leiden ist in Armenien kostenlos, wenn sie in staatlichen Programmen behandelt werden. Zudem werden die Patienten nach einer Entlassung weiter medizinisch beobachtet und bekommen regelmäßig kostenlos Medikamente. Zudem ist Ihre Ehefrau Apothekerin, was den Zugang zu allen in Armenien verfügbaren Medikamenten für Ihr Kind jedenfalls erleichtert.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie im Falle Ihrer Rückkehr nach Armenien in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würden.

Aufgrund der vorhandenen familiären Anknüpfungspunkte, aufgrund der Feststellungen zur gewährleisteten Grundversorgung in Armenien und des Umstandes, dass es sich bei Ihnen um einen selbsterhaltungsfähigen Mann handelt, welcher in Armenien über Verwandte und Freunde verfügt, die zur Lebensführung beitragen, ist davon auszugehen, dass Sie im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland nicht in eine die Existenz bedrohende Notlage gelangen würden. Sie verfügen über eine Unterkunft in Armenien. Ebenso wäre Ihnen die Unterstützungsleistung aus dem Ausland zugänglich, da das Bankenwesen in Armenien funktioniert."

In Bezug auf die weiteren bP wurde in sinngemäßer Weise argumentiert.

I.3.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Armenien traf die belangte Behörde ausführliche und schlüssige Feststellungen. Aus diesen geht hervor, dass in Armenien von einer unbedenklichen Sicherheitslage auszugehen und der armenische Staat gewillt und befähigt ist, auf seinem Territorium befindliche Menschen vor Repressalien Dritte wirksam zu schützen. Ebenso ist in Bezug auf die Lage der Menschenrechte davon auszugehen, dass sich hieraus in Bezug auf die bP ein im Wesentlichen unbedenkliches Bild ergibt. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass in der Republik Armenien die Grundversorgung der Bevölkerung gesichert ist, eine soziale Absicherung auf niedrigem Niveau besteht, die medizinische Grundversorgung gewährleistet ist, Rückkehrer mit keinen Repressalien zu rechnen haben und in die Gesellschaft integriert werden.

I.3.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage gemäß § 55 AsylG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

I.4. Gegen die im Spruch genannten Bescheide wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass gemäß der nunmehr vorgelegten Stellungnahme des behandelnden Arztes der bP 3 eine entsprechende medizinische Behandlung der bP 3 in Armenien nicht möglich sei. Selbst wenn in Armenien die gleichen Medikamente verordnete worden wären, wären diese nach kurzer Zeit abgesetzt worden und entspreche die medizinische Behandlung nicht annähernd den therapeutischen Möglichkeiten in Österreich bzw. seien mehrfach Fehlbehandlungen durchgeführt worden, sodass die bP 3 in einem schlechten Zustand gewesen wäre. Zudem entspreche es nicht den Tatsachen, dass die Behandlung kostenlos ist und wurde auf eine Anfragebeantwortung von Accord verwiesen. Es wurde eine Auflistung der Behandlungskosten erstellt, demgemäß die bP 1.000.000 armenische Dram pro Monat aufzubringen gehabt hätten, während das Durchschnittseinkommen in Armenien weit darunter läge und auch das Einkommen der bP 1 dafür nicht ausreichend gewesen wäre. Da die Behörde dies unberücksichtigt gelassen hätte, läge ein Verfahrensfehler vor und hätte den bP subsidiärer Schutz zuerkannt werden müssen.

Die bP 1 und 2 würden versuchen, die deutsche Sprache zu erlernen und würden sich ehrenamtlich (SOMA Markt, Reha Gemeinde, International Teams Austria) engagieren.

Vorgelegt wurde von den bP:

* Stellungnahme des XXXX Universitätsklinikum vom XXXX 2017 (Dr. XXXX )

* Kurzarztbriefe vom 18.09.2017 und 05.09.2017

* Bestätigung über die wöchentliche Physiotherapie der bP 3

* Referenzschreiben über ehrenamtliche Betätigungen der bP 1 und bP 2 in einem SOMA Markt

* Unterstützungsschreiben der XXXX Gemeinde (Freikirche in Österreich - bP nehmen an Integrationsveranstaltungen und Deutschkursen teil)

* Deutschkursbesuchsbestätigung bP 1 und bP 2 von International Teams Austria

* Anfragebeantwortung zu Armenien vom 18.12.2013 von Accord

* Unterstützungsschreiben der Deutschlehrerin der bP

I.5. Die Beschwerdevorlage langte am 04.12.2017 beim BVwG, Außenstelle Linz ein. Mitgeteilt wurde in der Folge, dass den bP vor ihrer Ausreise in Armenien Reisepässe ausgestellt wurden und Heimreisezertifikate für sie ausgestellt werden.

I.6. Für den 05.02.2018 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien sowie den behandelnden Arzt der bP 3 XXXX als Zeuge zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Gemeinsam mit der Ladung wurden Feststellungen zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage sowie Behandelbarkeit von Erkrankungen im Herkunftsstaat zugestellt.

Die bP brachten vor, bisher die Wahrheit gesagt zu haben und brachten keine Umstände vor, welche gegen die Annahme der Beweiskraft iSd § 15 AVG in Bezug auf die bisher durchgeführten Einvernahmen Zweifel aufkommen ließen.

Der Zeuge gab unter anderem an, die bP 3 in der Epilepsieambulanz des Krankenhauses zu betreuen. Die bP 3 leide seit der Geburt an einer therapieschwierigen Epilepsieform. Er habe lediglich von den bP 1 und bP 2 erfahren, welche Therapieformen die bP 3 in Armenien erhalten habe, aus externen Unterlagen habe er keine Kenntnisse. Er selbst sei nie in Armenien gewesen und würden seine Kenntnisse vom armenischen Gesundheitssystem aus den Schilderungen der Patienten bzw. bP 1 und 2 stammen.

Vorgelegt wurden:

* Sprachzertifikat bP 2

* Unterstützungserklärungen

* Aktuelle medizinische Befunde betreffend bP 3

* Entbindung von der Verschwiegenheit des Zeugen

* Schreiben über die Ausstellung eines Behindertenpasses (90%) mit Zusatzeintragungen - Bedarf Begleitperson / Epileptiker samt entsprechendem Gutachten

* Internetkorrespondenz (Facebook) mit einer armenischen Kinderärztin

Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung wurde das Erkenntnis des BVwG vom selben Tag mündlich verkündet.

Die Beschwerden wurden gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

Die bP wurden iSd § 29 Abs. 2 a VwGVG über das Recht, binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift eine Ausfertigung gemäß § 29 Abs. 4 zu verlangen bzw. darüber, dass ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision beim Verwaltungsgerichtshof und der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof darstellt, belehrt.

Nach Verkündung der Erkenntnisse wurde den bP sowie deren rechtsfreundlicher Vertretung eine Ausfertigung der Niederschrift ausgefolgt.

I.7. Mit Schreiben vom 08.02.2018 wurde die schriftliche Ausfertigung der mündlich verkündeten Erkenntnisse begehrt.

I.8. Mit Mandatsbescheiden vom 15.02.2018 wurde die den bP eingeräumte Frist zur freiwilligen Ausreise vom BFA widerrufen.

I.9. Die bP sind am 08.03.2018 unter Gewährung von Rückkehrhilfe aus dem Bundesgebiet nach Armenien ausgereist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

II.1.1. Die beschwerdeführenden Parteien

Bei den bP handelt es sich um im Herkunftsstaat der Mehrheits- und Titularethnie angehörige Armenier, welche aus einem überwiegend von Armeniern bewohnten Gebiet stammen und sich zum Mehrheitsglauben des Christentums bekennen.

Die bP 1 und 2 sind junge, gesunde, arbeitsfähige Menschen mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer -wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreichgesicherten Existenzgrundlage.

Die Pflege und Obsorge der minderjährigen bP ist durch deren Eltern gesichert.

Die bP 1 hat nach Absolvierung der Schule die Universität abgeschlossen, eine Ausbildung als Zahntechniker gemacht und war vor der Ausreise von Beruf Zahnarzt und Zahntechniker.

Die bP 2 hat nach der Schule ein medizinisches College besucht und bis zur Geburt der bP 3 und dessen Zwillingsbruder als Apothekerin gearbeitet.

Zwei minderjährige, gesunde Kinder der bP leben bei der Mutter des bP 1 in einem der Familie gehörenden Haus. Die Mutter bezieht eine Pension, der Bruder des bP 1 arbeitet als Manager in einem Casino. Der Vater des bP 1 lebt wie zwei Geschwister mit ihren Kindern nach wie vor in Armenien. Auch die Eltern und zwei Brüder der bP 2 leben in Armenien in gesicherten finanziellen Verhältnissen. Die bP hatten regelmäßigen Kontakt mit ihren Verwandten von Österreich aus vor ihrer freiwilligen Ausreise.

Die bP haben in Österreich keine Verwandten und lebten auch sonst mit keiner nahe stehenden Person zusammen, welche nicht zur Kernfamilie zu zählen ist. Sie hielten sich im Zeitpunkt der Urteilsverkündung seit 8 Monaten im Bundesgebiet auf. Sie leben von der Grundversorgung. Die bP haben Sprachkurse und die bP 2 die Prüfung A 1 absolviert. Sie sind strafrechtlich unbescholten. Sie arbeiten freiwillig in einem SOMA Markt und besuchen über eine Freikirche Veranstaltungen für Flüchtlinge.

Die bP 3 leidet seit ihrer Frühgeburt an einem West-Syndrom - einer Form der Epilepsie und einer infantilen Cerebralparese und erhält aktuell das Medikament Depakine und eine Physiotherapie in Österreich. Die Erkrankungen sind in Armenien behandelbar und war die bP 3 seit dem Alter von 5 Monaten in Armenien in Behandlung. Im Juli 2017 fand die letzte Untersuchung der bP 3 in Armenien statt. Laut Anfragebeantwortungen sind in Armenien psychotherapeutische Behandlung und notwendige Medikamente verfügbar. Personen, die an depressiven Reaktionen leiden (F 43.12) und andere schwere mentale Störungen sowie insbesondere auch Epilepsie und Zerebralparese können in spezialisierten Krankenhäusern in Armenien behandelt werden und gibt es auch diverse Therapien. Zudem werden die Patienten nach einer Entlassung weiter medizinisch beobachtet und bekommen regelmäßig kostenlos Medikamente. Zudem ist die bP 2 Apothekerin, was den Zugang zu allen in Armenien verfügbaren Medikamenten für das Kind jedenfalls erleichtert und war es den bP möglich, vor der Ausreise in Armenien zahlreiche Therapien wie Wasser-, Logo, Physio- und Reittherapie zu finanzieren und für die bP 3 zu erhalten, während die bP 3 in Österreich lediglich 1x wöchentlich Physiotherapie und das Medikament Depakine erhalten hat, welches sie auch schon in Armenien für fast 2 Jahre erhielt.

Die Identität der bP steht nicht fest.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat im Herkunftsstaat Armenien

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat werden folgende Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Armenien (arm.: Hayastan) umfasst knapp 29.800 km² und hat etwas über 3 Millionen Einwohner (2016). Davon sind laut der Volkszählung von 2011 98,1% ethnische Armenier, 1,2% Jesiden, 0,4% Russen und Angehörige kleinerer Minderheiten wie Assyrer, Kurden oder Griechen (NSS-RA 2013, vgl. CIA 12.1.2017).

Armenien ist seit September 1991 eine unabhängige Republik. Das Ein-Kammer-Parlament (Nationalversammlung) hat 131 Mitglieder und wird alle fünf Jahre gewählt. Die Verfassung von 2005 wurde zuletzt durch das Referendum vom 06.12.2015 weitreichend geändert. Die neue Verfassung sieht die Umwandlung des bisherigen semi-präsidialen Regierungssystems in ein parlamentarisches System vor. Das Amt des Staatspräsidenten wird im Wesentlichen auf repräsentative Aufgaben reduziert (AA 3.2017a).

Die Opposition warf dem amtierenden Präsidenten Sarksyan, dessen letzte Amtszeit 2018 ausläuft, vor, das Amt des Regierungschefs anzustreben (Standard 7.12.2015). Laut zentraler Wahlkommission stimmten bei einer Beteiligung von 50,5 Prozent 63,5 Prozent für die Annahme der Verfassungsänderungen. Die Oppositionspartei Armenischer Nationalkongress warf der Regierung Wahlbetrug vor. Hunderte Demonstranten protestierten gegen den Ausgang (RFE/RL 7.12.2015). NGOs, wie das Anti-Korruptions-Zentrum von Transparency International, berichteten von massiven Unregelmäßigkeiten, darunter über 900 Verletzungen der Wahlordnung sowie Fälle von Einschüchterung (Caucasian Knot 9.12.2015, vgl. EN 7.12.2015).

Die regierende Republikanische Partei Armeniens gewann bei den Parlamentswahlen vom 2.4.2017 über 49% und die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament. Das Mitte-Rechts-Bündnis des russlandfreundlichen Oligarchen Gagik Tsarukyan erreichte 27%. Daneben schaffte das Bündnis Yelq und die nationalistische Armenische Revolutionäre Föderation den Einzug ins Parlament (EN 3.4.2017; vgl. PA 4.4.2017). Insbesondere die künftige Orientierung des Landes vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise zwischen einer EU-Annäherung einerseits und einem starken Bündnis mit Russland infolge des militärischen Konflikts mit Aserbaidschan andererseits, dominierten thematisch den Wahlkampf (RFL/RL 3.4.2017).

Trotz der Einhaltung der Grundfreiheiten und der guten Administrierung der Parlamentswahlen unter Einführung neuer Technologien, wurden die Wahlen durch glaubwürdige Berichte über Stimmenkauf und Druckausübung auf WählerInnen, Beamte sowie Angestellte von Privatunternehmen überschattet (OSCE/ODIHR 3.4.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Armenien/Aussenpolitik_node.html#doc339304bodyText3, Zugriff 4.5.2017

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Caucasian Knot (9.12.2015): TI states gross violations at Armenian referendum, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/33921/, Zugriff 4.5.2017

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CIA - Central Intelligence Agency (12.1.2017): The World Factbook, Armenia;

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/am.html, Zugriff 4.5.2017

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Der Standard (7.12.2015): Armenien: Ja zu umstrittener Verfassungsänderung,

http://derstandard.at/2000027073366/Armenier-stimmten-fuer-umstrittene-Verfassungsaenderung, Zugriff 4.5.2017

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EN - Eurasiannet.org (7.12.2015): Armenia: Widespread Reports of Irregularities Mar Constitutional Referendum, http://www.eurasianet.org/node/76461, Zugriff 4.5.2017

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EN - EurasiaNet.org (3.4.2017): Armenia: Voters Opt for More of the Same, http://www.eurasianet.org/node/83066, Zugriff 4.4.2017

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NSS-RA - National Statistical Service of the Republic of Armenia (2013): The Results of 2011 Population Census of the Republic of Armenia, Table 5.1: Population (urban, rural) by Ethnicity, Sex and Age, http://armstat.am/en/?nid=517, http://armstat.am/file/doc/99486253.pdf, Zugriff 5.5.2017

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OSCE/ODIHR - Organization for Security and Cooperation in Europe/ Office for Democratic Institutions and Human Rights et alia (3.4.2017): Armenia, Parliamentary Elections, 2 April 2017:

Statement of Preliminary Findings and Conclusions, http://www.osce.org/office-for-democratic-institutions-and-human-rights/elections/armenia/309156?download=true, Zugriff 4.4.2017

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PA - PanARMENIAN Network (4.4.2017): Republican Party of Armenia secures 55 parliamentary seats, http://www.panarmenian.net/eng/news/236627/, Zugriff 4.5.2017

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RFL/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (7.12.2015): Protesters Gather in Yerevan, Claim Fraud In Armenian Referendum,http://www.rferl.org/content/armenia-referendum-sarkisian/27410980.html, Zugriff 4.5.2017

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RFE/RL - Radio Free Europe/ Radio Liberty (3.4.2017): Ruling Republican Party Wins 'Tainted' Armenian Elections, http://www.rferl.org/a/armenian-vote-parliament-sarkisian-tsarukian/28404992.html, Zugriff 4.5.2017

Sicherheitslage

Kernproblem für die armenische Außenpolitik bleibt der Konflikt um Nagorny Karabach sowie die in diesem Zusammenhang geschlossenen Grenzen zu Aserbaidschan und zur Türkei. Seit dem Krieg (1992-94) um das überwiegend von Armeniern bewohnte Gebiet Bergkarabach, halten armenische Verbände etwa 17% des aserbaidschanischen Staatsgebiets (Bergkarabach und sieben umliegende Provinzen) besetzt. Im Zuge der bewaffneten Auseinandersetzungen mussten ca. eine Million Menschen ihre angestammte Heimat verlassen, überwiegend Aserbaidschaner, aber auch bis zu 200.000 Armenier. An der Waffenstillstandslinie kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Trotz der seit 1994 laufenden Vermittlungsbemühungen der Ko-Vorsitzstaaten (USA, Russland, Frankreich) der sogenannten Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und regelmäßiger Treffen der Außenminister Armeniens und Aserbaidschans bzw. der beiden Staatspräsidenten ist eine Lösung des Konflikts um Nagorny Karabach weiterhin nicht in Sicht (AA 3.2017a).

Bei heftigen Gefechten vom 2.4 bis 5.4.2016, den schwersten seit 22 Jahren zwischen den Nachbarländern Armenien und Aserbaidschan an der Frontlinie zu Nagorny Karabach, kam es zu Opfern unter den militärischen Einheiten. Laut aserbaidschanischen Angaben starben auch Zivilisten (Standard 3.4.2016, RFL/RL 4.4.2016). Das Verteidigungsministerium der de facto Republik Nagorny Karabach berichtete ebenfalls von zivilen Opfern (CN 2.4.2016). Am 5.4.2016 vereinbarten Aserbaidschan und Nagorny Karabach einen Waffenstillstand. Im Zuge der viertägigen Kampfhandlungen starben mehr als 64 Menschen (Standard 5.4.2016).

Am 25.2.2017 kam es erneut zu Zusammenstößen zwischen armenischen und Truppen von Nagorny Karabach einerseits und der aserbaidschanischen Armee andererseits, bei denen mindestens fünf aserbaidschanische Armeeangehörige den Tod fanden. Am 1.3.2017 wurde bei einem aserbaidschanischen Artillerieangriff u.a. eine armenische Kaserne zerstört und tagsdrauf griff Armenien aserbaidschanische Stellungen an (EurasiaNet 10.3.2017).

Mitglieder der außerparlamentarischen Oppositionsgruppe "Gründungsparlament" besetzten am 17.7.2016 in Jerewan eine Polizeistation und nahmen zeitweise mehrere Geiseln. Ein Polizist starb dabei (RFE/RL 17.7.2016). Die Geiselnehmer forderten die Freilassung von Schirajr Sefiljan, eines inhaftierten Oppositionsführers, und den Rücktritt des Staatspräsidenten. Kriegsveteran Sefiljan kritisierte vor allem das Verhalten der Regierung im Konflikt um die Region Nagorny Karabach (DW 17.7.2016). In der darauf folgenden Woche kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die Demonstranten verlangten eine Versorgung der Geiselnehmer mit Lebensmitteln, was die Polizei jedoch ablehnte. Nach offiziellen Angaben wurden 51 Personen verletzt und 136 verhaftet (NZZ 21.7.2016). Bei erneuten Zusammenstößen am 29.7.2016 zwischen Sympathisanten der Besetzer der Polizeistation und Sicherheitskräften wurden 75 Personen verletzt und 20 verhaftet (RFE/RL 30.7.2016). Nach zwei Wochen endete der Konflikt um die besetzte Polizeistation mit der Kapitulation der bewaffneten Gruppe (RFE/RL 1.8.2016, vgl. Spiegel online 31.7.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Armenien/Aussenpolitik_node.html#doc339304bodyText3, Zugriff 4.5.2017

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CN - Caucasus Knot (2.4.2016): One child killed and two wounded in shelling in the Karabakh conflict zone, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/35119/, Zugriff 4.5.2017

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Der Standard (3.4.2016): Bergkarabach: Militärische Eskalation im Kaukasus,

http://derstandard.at/2000034103285/Bergkarabach-Militaerische-Eskalation-am-Kaukasus, Zugriff 4.5.2017

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Der Standard (5.4.2016): Waffenruhe nach vier Tagen Krieg im Kaukasus,

http://derstandard.at/2000034245475/Waffenruhe-nach-vier-Tagen-Krieg-im-Kaukasus, Zugriff 4.5.2017

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DW - Deutsche Welle (17.7.2016): Blutige Geiselnahme in Armeniens Hauptstadt,

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EurasiaNet.org (10.3.2017): Karabakh: Diplomatic Attention Needed to Address Growing Risks, http://www.eurasianet.org/node/82771, Zugriff 4.5.2017

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (21.7.2016): Blutiges Patt in Armenien, http://www.nzz.ch/international/europa/proteste-und-geiselnahme-blutiges-patt-in-armenien-ld.106951, Zugriff 4.5.2017

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (4.4.2016): Baku Announces Cease-Fire Amid Continued Karabakh Fighting, http://www.rferl.org/content/azerbaijan-armenia-nagorno-karabakh-violence-erupts/27651414.html, Zugriff 4.5.2017

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (1.8.2016): Remaining Gunmen In Armenia Standoff Surrender, http://www.rferl.org/content/armenia-yerevan-standoff-police-killed/27890220.html, Zugriff 4.5.2017

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (17.7.2016): Armed Attackers Storm Yerevan Police Headquarters, http://www.rferl.org/media/video/armenia-police-hq/27863342.html, Zugriff 4.5.2017

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (30.7.2016): Dozens Injured In Police Clashes With Protesters In Yerevan, http://www.rferl.org/content/dozens-injured-police-protester-clashes-yerevan-/27889053.html, Zugriff 4.5.2017

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Spiegel online (31.7.2016): Armenien: Geiselnahme in Eriwan nach zwei Wochen beendet,

http://www.spiegel.de/politik/ausland/armenien-bewaffnete-regierungsgegner-ergeben-sich-a-1105565.html, Zugriff 4.5.2017

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt immer wieder glaubhafte Berichte von Anwälten über die Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze durch Gerichte: die Unschuldsvermutung werde nicht eingehalten, rechtliches Gehör nicht gewährt, Verweigerungsrechte von Zeugen nicht beachtet und Verteidiger oft ohne Rechtsgrundlage abgelehnt. Die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter wird weiterhin durch Nepotismus, finanzielle Abhängigkeiten und weit verbreitete Korruption konterkariert, auch wenn durch Gesetzesänderungen im Rahmen der "Judicial Reforms Strategy 2012-2016" gewisse Fortschritte, insbesondere bei der richterlichen Unabhängigkeit, zu verzeichnen sind. Die neue Verfassung hat die bisher weitreichenden Kompetenzen des Staatspräsidenten bei der Ernennung von Richtern reduziert. Es ist bekannt, dass einige Beamte in leitenden Funktionen der Justiz keine juristische Ausbildung haben. Verfahrensgrundrechte wie rechtliches Gehör, faires Gerichtsverfahren und Rechtshilfe werden laut Verfassung gewährt. Das Prinzip der "Telefonjustiz" - Machthaber nehmen Einfluss auf laufende Verfahren - soll in politisch heiklen Fällen nach wie vor verbreitet sein. In Bezug auf den Zugang zur Justiz gab es hingegen insoweit Fortschritte, als die Zahl der Pflichtverteidiger erhöht wurde und einer breiteren Bevölkerung als bisher kostenlose Rechtshilfe zuteilwird (AA 22.3.2016).Die Gerichte hören weiterhin zu den Institutionen, denen seitens der Bevölkerung ein geringes Vertrauen entgegengebracht wird. Die Verfassungsreform sieht die Schaffung des Obersten Justizrates vor, um die Unabhängigkeit der Gerichte und Richter zu gewährleisten. 2016 gab es jedoch keine Entwürfe oder Konzepte im Justizbereich, die mit der Öffentlichkeit geteilt oder diskutiert wurden. Positiv war 2016 die Reform des Bewährungssystems, das einen alternativen Strafvollzug vorsah, was angesichts der oft inadäquaten Verhältnisse in den Haftanstalten wichtig ist (FH 29.3.2017).

Die Gerichtsbarkeit zeigt keine umfassende Unabhängigkeit. Die Verwaltungsgerichte sind hingegen verglichen zu den anderen Gerichten unabhängiger. Berichten zufolge nimmt das Kassationsgericht eine dominante Stellung ein. Es diktiert den Ausgang aller wichtigen Fälle der niederen Gerichtsbarkeit. Diese Kontrolle seitens des Kassationsgerichts bleibt das dominante Problem, das die Unabhängigkeit der Justiz beeinflusst. Selbst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellt in einem Urteil vom 27.10.2016 fest, dass es dem Vorsitzenden des Kassationsgerichts an der notwendigen Distanz gemäß des richterlichen Neutralitätsgebotes mangelte (USDOS 3.3.2017).Richter unterliegen weiterhin des politischen Drucks von allen Ebenen der Exekutive, speziell seitens der Rechtsvollzugsorgane sowie der Hierarchie innerhalb der Justiz. Richter haben keine lebenslange Amtszeit, wodurch sie der Kündigung ausgesetzt sind und keine wirksamen Rechtsmittel besitzen, falls die Exekutive, die Legislative oder hochrangige Vertreter der Gerichtsbarkeit entscheiden, sie zu bestrafen. Vormalige Entlassungen von Richtern wegen ihrer unabhängigen Entscheidungen haben immer noch eine einschüchternde Wirkung auf die Justiz als Ganzes (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (22.3.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/338542/481545_de.html, Zugriff 3.5.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/337119/466879_en.html, Zugriff 3.5.2017

Sicherheitsbehörden

Die Polizei ist, ebenso wie der Nationale Sicherheitsdienst (NSD), direkt der Regierung unterstellt. Allein der Präsident hat die Befugnis, die Leiter beider Behörden zu ernennen. Die Aufgaben beider Organe sind voneinander abgegrenzt. Für die Wahrung der nationalen Sicherheit sowie für Nachrichtendienst und Grenzschutz ist der Nationale Sicherheitsdienst zuständig, dessen Beamte auch

Verhaftungen durchführen dürfen. . Der Polizeichef füllt in

Personalunion die Funktion des Innenministers aus. Ein Innenministerium gibt es nicht mehr. Das Fehlen der politischen Instanz wird damit begründet, dass damit eine "Politisierung" der Sicherheitsorgane verhindert werden soll (AA 22.3.2016).

Straffreiheit ist ein Problem und es gibt keine unabhängige Institution, die ausschließlich Polizeiübergriffe untersucht. Laut NGOs sehen sich die Gesetzesvollzugsorgane eher als Verteidiger der Autorität denn als Diener des Gesetzes und der Öffentlichkeit. Der Verteidigungsminister bemüht sich, die Disziplin auch durch den Einsatz von Lehroffizieren für Menschenrechte zu verbessern, wozu auch die Bereitstellung sozialer, psychologischer und Rechtskurse im Rahmen des Wehrdienstes dienen sollen. Im November 2015 wurde seitens des Verteidigungsministeriums das Zentrum für Menschenrechte und Integritätsbildung errichtet, mit dem Mandat, u.a. die Menschenrechte zu schützen, Ethik zu fördern und eine Anti-Korruptions-Politik einzuführen (USDOS 3.3.2017).Obwohl das Gesetz von den Gesetzesvollzugsorganen die Erlangung eines Haftbefehls verlangt oder zumindest das Vorliegen eines begründeten Verdachts für die Festnahme, nahmen die Behörden gelegentlich Verdächtige fest oder sperrten diese ein, ohne dass ein Haftbefehl oder ein begründeter Verdacht vorlag. Nach 72 muss die Freilassung oder ein richterlicher Haftbefehl erwirkt werden. Richter verweigern der Polizei ebenso selten einen Haftbefehl, wie sie kaum das Verhalten der Polizei während der Arrestzeit überprüfen (USDOS 3.3.2017).Am 17.7.2016 kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der bewaffneten Gruppe "Sasna Tsrer", die eine Polizeistation besetzte, und Sicherheitsorganen. In jenen Tagen kam es zu Versammlungen von Demonstranten am Freiheitsplatz in Jerewan, welche laut der "Foundation Against the Violation of Law" (FAVL) unrechtmäßig verhaftet wurden. Zahlreiche Berichte zeigten, dass die Protestierenden Schlägen, Erniedrigungen und grausamen Behandlungen in Gewahrsam der Polizei ausgesetzt waren. Den Rechtsanwälten wurde der Zugang zu den verhafteten Demonstranten für mehrere Stunden verwehrt. Demonstranten wurden bis zu 32 Stunden statt der vorgesehenen maximal drei Stunden festgehalten und zwar ohne Wasser und Nahrung (FAVL 7.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (22.3.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

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FAVL - Foundation Against the Violation of Law" (7.2016):

Statement And Call For Action,

http://www.favl.am/blog/2016/07/23/statement-and-call-for-action/, Zugriff 3.5.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/337119/466879_en.html, Zugriff 3.5.2017

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Anwendung von Folter ist nach Art. 26 der Verfassung verboten. Das armenische Strafgesetzbuch steht aber weiterhin nicht in Übereinstimmung mit der UN-Konvention gegen Folter (gesetzl. Kriminalisierung gem. Art. 1 der Konvention). Nach armenischer Definition fallen Straftaten von Angehörigen staatlicher Institutionen nicht darunter, sondern nur strafbare Handlungen von Privatpersonen). Im "Human Rights Strategy Action Plan 2014-2016" der armenischen Regierung zur weiteren Umsetzung der armenischen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte wird auf die UN-Konvention gegen Folter kein Bezug genommen.

Menschenrechtsorganisationen berichten immer wieder glaubwürdig von Fällen, in denen es bei Verhaftungen oder Verhören zu Folterungen (z.B. Elektroschocks, wiederholte Schläge auf den Kopf) gekommen sein soll. Folteropfer können den Rechtsweg nutzen, einschließlich der Möglichkeit, sich an den Verfassungsgerichtshof bzw. den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu wenden. Abgesehen davon gibt es allerdings keinen Mechanismus, Folterverdachtsfälle gegenüber Beamten zu untersuchen, da beispielsweise Dienstaufsichtsbeschwerden nicht vorgesehen sind (AA 22.3.2016).

Polizeiübergriffe auf Verdächtige während deren Festnahme, Inhaftierung und Befragung sind weiterhin ein Problem. Laut Menschenrechtsorganisationen melden die meisten Opfer Übergriffe nicht, weil sie Angst vor Vergeltung haben. Am häufigsten passieren Misshandlung in Polizeistationen, weil diese im Unterschied zu Gefängnissen oder polizeilichen Hafteinrichtungen nicht der öffentlichen Überwachung unterliegen (USDOS 3.3.2017).

Das Helsinki Komitee Armenien berichtet für 2016 über unzählige Fälle von Polizeigewalt. Einer Gruppe von zivilen Beobachtern, die die armenischen Gefängnisse besuchte, berichtete, dass eine große Zahl von Personen brutalen Schlägen ausgesetzt war, bevor sie in die Haftanstalten gebracht wurden (HCA 1.2017).

Der Menschenrechtskommissar des Europarates zeigte sich besorgt, dass erzwungene Geständnisse regelmäßig bei Gericht Verwendung finden. Überdies gäbe es Fälle, bei denen Personen, die Beschwerde gegen Misshandlung während der Einvernahme einlegten, wegen Falschaussage verurteilt wurden (CoE-CommDH 10.3.2015).

Der Sonderermittlungsdienst der Republik Armenien, eine Beschwerdeeinrichtung zur Untersuchung von strafrechtlichen Vergehen von Behörden, berichtete für das Jahr 2016 von 705 Fällen, in denen ermittelt wurde, im Vergleich zu 654 im Jahr 2015. In 104 Straffällen wurden Untersuchungen durchgeführt, die BürgerInnen betrafen, welche illegal von der Polizei oder anderen Körperschaften festgehalten wurden, und es hierbei zu Freiheitsentzug, Folter oder anderen Menschenrechtsverletzungen durch Offizielle kam (SIS 27.1.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (22.3.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

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CoE-CommDH - Council of Europe - Commissioner for Human Rights (10.3.2015): Report By Nils Muižnieks Commissioner For Human Rights Of The Council Of Europe Following His Visit To Armenia From 5 To 9 October 2014 [CommDH(2015)2],

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1426583985_commdharmenia.pdf, Zugriff 3.5.2017

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HCA - Helsinki Committee of Armenia (1.2017): Ditord Observer #1, Human Rights in Armenia in 2016, http://www.civicsolidarity.org/sites/default/files/ditord-2017-01engweb-1.pdf, Zugriff 3.5.2017

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SIS - Special Investigation Service of the Republic of Armenia (27.1.2017): RA Special Investigation Service summed up the year, http://www.ccc.am/en/1428493746/3/5433, Zugriff 3.5.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Armenia, http://www.ecoi.net/local_link/337119/466879_en.html, Zugriff 3.5.2017

Korruption

Zu den gravierenden Demokratiedefiziten kommt die grassierende Korruption, vor allem im staatlichen Gesundheitswesen, der öffentlichen Verwaltung und der Gerichtsbarkeit. Die Korruption wird, neben dem Oligarchentum, als größtes Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung und den Aufbau einer Zivilgesellschaft Armeniens gesehen. Armenien hat trotz von Regierungsseite seit Jahren angekündigten Verbesserungen und verabschiedeten Antikorruptionsstrategien in den letzten Jahren nur geringe Fortschritte in der Korruptionsbekämpfung gemacht (AA 22.3.2016).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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