Index
19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1997 §10 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des S D in Wien, geboren am 15. Februar 1974, vertreten durch Mag. Gabriel Wutti, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Gumpendorfer Straße 63b, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 7. Juni 1999, Zl. SD 849/98, betreffend Ausweisung gemäß § 34 FrG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 7. Juni 1999 wurde der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsangehöriger, gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ausgewiesen.
Der Beschwerdeführer sei im Alter von 18 Jahren im April 1992 nach Österreich eingereist und habe zunächst aufgrund einer Verpflichtungserklärung seines Onkels einen für sechs Monate gültigen Sichtvermerk erhalten. Im Anschluss daran habe er über Sichtvermerke und dann über Aufenthaltsbewilligungen zum Zweck der unselbstständigen Erwerbstätigkeit verfügt. Am 18. Dezember 1998 sei ihm eine unbefristete Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck erteilt worden.
Am 7. Juli 1998 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des teils vollendeten und teils versuchten schweren Betruges gemäß §§ 146, 147 Abs. 1 Z. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Dieser Verurteilung sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer am 12. März 1998 in Wien unter Verwendung einer von ihm gefundenen Kreditkarte Dienstleistungen und Waren herausgelockt bzw. herauszulocken versucht habe. Der Beschwerdeführer habe die Kreditkarte für einen Bordellbesuch genutzt (nach der Aktenlage hat er dabei Waren und Dienstleistungen im Wert von S 4.800,-- konsumiert) und danach versucht, unter Verwendung der Kreditkarte in einem wiener Geschäft einen Herrenanzug um S 8.400,-- und ein paar Markenschuhe im Wert von S 3.980,-- zu erwerben.
Dieses strafbare Verhalten stelle zwar noch keine Tatsache dar, die gemäß § 36 Abs. 2 FrG die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertige, erweise sich aber doch als nachträglich bekannt gewordener Versagungsgrund gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG. Dazu komme, dass der Beschwerdeführer anlässlich seines zuletzt gestellten Verlängerungsantrages vom 4. Dezember 1998 insoweit unrichtige Angaben gemacht habe, als er dort angegeben habe, bisher keine strafgerichtlichen Verurteilungen erlitten zu haben, obwohl er im Juli 1998 die oben genannte rechtskräftige Verurteilung erlitten habe. Er habe somit vor einer Behörde unrichtige Angaben über seine Person gemacht, ein Umstand, der sogar gemäß § 36 Abs. 2 Z. 6 FrG einen Aufenthaltsverbotsgrund darstelle. Die Ausweisung erweise sich daher im Grund des § 34 Abs. 1 FrG als gerechtfertigt.
Der Beschwerdeführer habe in Österreich eine Fachschule für Nachrichtentechnik abgeschlossen und besuche - nach erfolgreicher Ablegung der Zugangsprüfung - einen Fachhochschul-Studiengang. Die Eltern des Beschwerdeführers und sein Bruder lebten ebenfalls im Bundesgebiet. Es sei daher ohne Zweifel von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch angesichts der aus der Straftat des Beschwerdeführers zum Ausdruck kommenden Missachtung des Eigentumsrechts anderer zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und daher im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG sei zu berücksichtigen, dass die aus dem mehrjährigen, rechtmäßigen Inlandsaufenthalt des Beschwerdeführers ableitbare Integration in ihrem Gewicht durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers gemindert werde. In Anbetracht dessen, dass der Beschwerdeführer bis zu seinem 18. Lebensjahr nicht in Österreich gelebt habe, wögen die Auswirkungen der Ausweisung auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht so schwer wie die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von dieser Maßnahme. Die Abstandnahme von der Ausweisung könne auch im Rahmen des der Behörde zukommenden Ermessens mangels besonderer, für den Beschwerdeführer sprechender Gründe nicht in Kauf genommen werden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Beschwerdeführer befindet sich unstrittig im Besitz einer unbefristeten Niederlassungsbewilligung. Gemäß § 34 Abs. 1 FrG können Fremde, die sich aufgrund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verfahrens zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn (Z. 1) nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre.
Gemäß § 10 Abs. 2 FrG kann die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels wegen Gefährdung öffentlicher Interessen (§ 8 Abs. 3 Z. 2 leg. cit.) insbesondere versagt werden, wenn (Z. 3) der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.
2.1. Soweit die belangte Behörde die Ansicht vertrat, der Versagungsgrund gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG liege deshalb vor, weil der Beschwerdeführer bei Beantragung der ihm zuletzt erteilten weiteren Niederlassungsbewilligung trotz der wenige Monate zuvor erfolgten rechtskräftigen Verurteilung angegeben habe, keine strafgerichtlichen Verurteilungen aufzuweisen, ist ihr Folgendes entgegenzuhalten:
Gemäß § 6 Abs. 2 Tilgungsgesetz, BGBl. Nr. 68/1972 in der geltenden Fassung, sind Urteile, mit denen (Z. 1) keine strengere Strafe als eine höchstens dreimonatige Freiheitsstrafe verhängt worden ist, sofort mit Rechtskraft von der "Beschränkung der Auskunft" umfasst. Über solche Verurteilungen darf nur den in § 6 Abs. 1 Z. 1 bis 4 leg. cit. genannten Behörden zu den dort genannten Zwecken Auskunft erteilt werden. Agenden im Rahmen des Vollzuges des Fremdengesetzes stellen keinen der darin genannten Zwecke dar. Gemäß § 6 Abs. 5 Tilgungsgesetz ist der Verurteilte außerhalb der in § 6 Abs. 1 Z. 1 bis 3 leg. cit. genannten Verfahren nicht verpflichtet, die Verurteilung anzugeben.
Vor diesem Hintergrund kann die Bestimmung des § 36 Abs. 2 Z. 6 FrG, wonach zur Erlangung einer Einreise- oder Aufenthaltsberechtigung gemachte unrichtige Angaben eines Fremden über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes, einen Aufenthaltsverbotsgrund darstellen, nur so verstanden werden, dass davon lediglich das Verschweigen solcher Verurteilungen umfasst ist, die nicht der beschränkten Auskunft unterliegen.
Der Beschwerdeführer war somit nicht verpflichtet, seine rechtskräftige Verurteilung der Niederlassungsbehörde anlässlich der Beantragung der weiteren Niederlassungsbewilligung bekannt zu geben. Das Verschweigen dieser Verurteilung stellt folglich entgegen der Ansicht der belangten Behörde keine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens dar.
Unbeschadet dessen war es der Behörde jedoch unbenommen, das der besagten Verurteilung zu Grunde liegende strafbare Verhalten des Beschwerdeführers bei der Prüfung der Frage, ob der Aufenthalt des Beschwerdeführers eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit i.S. von § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG darstelle, zu berücksichtigen (vgl. das zu § 10 Abs. 1 Z. 4 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992, ergangene, auch hier maßgebliche hg. Erkenntnis vom 26. September 1996, Zl. 95/19/0396).
2.2. Der Beschwerdeführer hat unstrittig die im angefochtenen Bescheid festgestellten Betrugshandlungen begangen. Angesichts des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Eigentumskriminalität begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass vorliegend der Tatbestand des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG erfüllt sei, keinen Bedenken.
2.3. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist in Fällen, in denen - wie vorliegend - eine Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung gemäß § 37 FrG durchzuführen ist, eine zusätzliche Bedachtnahme auf Art. 8 EMRK im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens eines Versagungsgrundes nicht erforderlich (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2000, Zl. 99/18/0457, mwN).
Da die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers vom 7. Juli 1998 der Behörde unstrittig erst nach Erteilung des aktuellen Aufenthaltstitels bekannt geworden ist, kann die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 34 Abs. 1 Z. 1 FrG erfüllt sei, nicht als rechtswidrig erkannt werden.
3.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, dass die vorliegende Ausweisung in ihren Auswirkungen einem Aufenthaltsverbot gleichkomme, weil er aufgrund des nach Meinung der belangten Behörde gegebenen Versagungsgrundes keine Möglichkeit habe, neuerlich einen Einreise- oder Aufenthaltstitel zu erlangen. Die Erlassung einer derartigen Ausweisung sei daher nur bei Vorliegen eines der in § 36 Abs. 2 FrG aufgezählten Aufenthaltsverbotsgründe zulässig.
3.2. Dem ist - abgesehen davon, dass auch die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht jedenfalls unzulässig ist, wenn keiner der in § 36 Abs. 2 FrG demonstrativ aufgezählten Gründe vorliegt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. April 1999, Zl. 99/18/0085) - zu entgegnen, dass eine Ausweisung (auch eine solche gemäß § 34 FrG) gegenüber einem Aufenthaltsverbot die gelindere Maßnahme darstellt. Dies ergibt sich deutlich bei einer Betrachtung der diesbezüglichen Bestimmungen des FrG in ihrem Zusammenhang. So stellt etwa das Bestehen eines rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 FrG einen zwingenden Grund für die Versagung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels dar, während die bloße Tatsache der Ausweisung keinen Versagungsgrund darstellt. Beantragt ein Ausgewiesener einen Einreise- oder Aufenthaltstitel ist vielmehr in jedem Fall gesondert zu prüfen, ob (noch) ein Grund für die Versagung eines solchen Titels vorliegt. Wie die belangte Behörde in der Gegenschrift richtig ausführt, sind Fremde, die die sonstigen Voraussetzungen hiefür erfüllen, ab einem Jahr nach Erlassung der Ausweisung gemäß § 28 Abs. 1 FrG wieder zu einem sichtvermerksfreien Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Gemäß § 107 Abs. 1 FrG ist die Einreise in das Bundesgebiet trotz bestehenden Aufenthaltsverbotes (Z. 2) mit höherer Strafe bedroht als der bloße unrechtmäßige Aufenthalt (Z. 4). Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist daher auch an strengere Voraussetzungen geknüpft. § 38 Abs. 1 Z. 2 FrG normiert, dass ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden darf, wenn eine Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 oder 2 leg. cit. wegen des maßgeblichen Sachverhaltes unzulässig wäre. Eine Regelung, die eine Ausweisung nur bei Vorliegen der Voraussetzungen für ein Aufenthaltsverbot zulässt, existiert dagegen nicht. Bei einem Fremden, dem vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 hätte verliehen werden können, ist - außer bei Verhängung einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren - gemäß § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes unzulässig, während dieser Umstand der Erlassung einer Ausweisung nicht entgegensteht.
Aus all dem ergibt sich klar, dass eine Ausweisung entgegen der Meinung des Beschwerdeführers auch in Fällen erlassen werden kann, in denen ein Aufenthaltsverbot nicht in Betracht kommt.
4.1. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Ausweisung im Grund des § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG fällt zu Gunsten des Beschwerdeführers der rechtmäßige Aufenthalt seit April 1992, somit seit mehr als sieben Jahren, sowie der inländische Aufenthalt seiner Eltern und seines Bruders ins Gewicht. Der hohe Integrationsgrad des Beschwerdeführers ergibt sich nicht nur aus dieser Aufenthaltsdauer und der, von kurzen Unterbrechungen abgesehen, durchgehenden Berufstätigkeit, sondern auch daraus, dass der Beschwerdeführer in Österreich eine schulische Ausbildung absolviert hat, eine Studienberechtigungsprüfung erfolgreich abgeschlossen hat und - neben seiner Berufstätigkeit - einen Hochschul-Studiengang besucht.
Dem steht gegenüber, dass der Beschwerdeführer am 12. März 1998 eine von ihm an diesem Tag gefundene Kreditkarte zu den festgestellten (teilweise nur versuchten) Betrugshandlungen verwendet hat.
Im Hinblick darauf, dass es sich bei den Straftaten vom 12. März 1998 um das einzige Fehlverhalten des - wie dargestellt sehr gut integrierten - Beschwerdeführers während des mehr als siebenjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet handelt, vermag der Verwaltungsgerichtshof der Ansicht der belangten Behörde, die Ausweisung sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten (§ 37 Abs. 1 FrG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung der Ausweisung (§ 37 Abs. 2 FrG), nicht beizupflichten.
5. Da die belangte Behörde somit die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 14. April 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999180358.X00Im RIS seit
20.11.2000