Entscheidungsdatum
15.03.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L510 1424050-2/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Türkei, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.02.2018, Zl: XXXX , zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 AVG idgF, §§ 57, 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG, §§ 52 Abs. 2 Z. 2 u. Abs. 9 FPG, 46 FPG, 55 Abs. 1a FPG als unbegründet abgewiesen.
II. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird als unzulässig zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die beschwerdeführende Partei (bP) stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 25.11.2011 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz.
Die bP ist türkischer Staatsangehörigkeit mit kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit und muslimisch-sunnitischen Glaubens.
Ihr Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.12.2011, Zl. XXXX , gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen, gem. § 8 Abs. 1 wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zuerkannt und wurde die bP gem. § 10 Abs. 1 AslyG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen.
Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 28.03.2013, Zl. XXXX , gem. §§ 3, 8 Abs. 1 und § 10 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
Diese Entscheidung erwuchs mit der Zustellung an die Vertretung der bP am 02.04.2013 in Rechtskraft. Die bP reiste im Juli 2013 aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.
2. Am 29.06.2016 stellte die bP nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet einen weiteren, den nunmehr gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Dieser Folgeantrag der bP wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 02.02.2018, Zl. XXXX , gem. § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt II.) Gem. § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt III.). Gem. § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der bP in die Türkei gem. § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt IV.). Gem. § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt V.).
Dagegen wurde durch die Vertretung fristgerecht Beschwerde erhoben und der Antrag gestellt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der bP:
Die bP ist Staatsangehöriger der Türkei, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und muslimisch-sunnitischen Glaubens. Ihr Vater ist österreichsicher Staatsbürger. Ihre Mutter und ein in Österreich lebender Bruder sind türkische Staatsangehörige. Weiter lebt ein Onkel der bP in Österreich. Sie ist in Österreich nicht berufstätig und lebt bei ihren Eltern in XXXX . Bei ihrer ersten Asylantragstellung im Jahr 2011 besuchte die bP einen Deutschkurs A1 und verfügt sie über geringe Kenntnisse der deutschen Sprache. Sie ist nicht ehrenamtlich tätig und nicht Mitglied in einem Verein. Sie ist strafrechtlich unbescholten. Sie verbringt die meiste Zeit zu Hause oder mit Freunden in Cafés. Am Wochenende macht sie Ausflüge mit ihrer Familie.
Sie lebte überwiegend in der Türkei, wurde dort sozialisiert und spricht ihre Landessprache auf muttersprachlichem Niveau. Sie ging in der Türkei 5 Jahre lang zur Schule und arbeitete dort in verschiedenen Bereichen. 5 Geschwister der bP leben in der Türkei. Die bP ist gesund.
1.2. Zu den Anträgen der bP auf internationalen Schutz:
Erster Antrag auf internationalen Schutz vom 25.11.2011 (Verfahren des maßgeblichen Vergleichsbescheides)
Im Zuge ihres ersten Antrages auf internationalen Schutz gab die bP befragt zu ihren Fluchtgründen an, dass ihr Dorf sieben Kilometer von XXXX entfernt sei. Im Jahr 2008 habe sie ein Auto gemietet, um von XXXX in ihr Dorf zu fahren. Während der Fahrt sei sie von der Gendarmerie aufgehalten worden. Sie sei gefragt worden, wohin sie fahren werde. Die Anhaltung habe vor der Gendarmeriedienststelle stattgefunden. Sie sei zum Kommandanten hinaufgeschickt und gefragt worden, wohin sie fahren werde. Als sie gesagt hätte, dass sie in ihr Heimatdorf fahre, habe er das nicht zugelassen. Der Kommandant habe den Dorfvorsteher und die Dorfbewohner als Terroristen bezeichnet. Als sie das Gebäude verlassen habe, hätten sie die diensthabenden Soldaten gefragt, ob sie die Erlaubnis bekommen habe ins Dorf zu fahren. Sie habe ins Dorf müssen, weil sie sich um die Erntearbeit hätte kümmern müssen. Der Sohn ihrer Tante väterlicherseits sei zu diesem Zeitpunkt auch bei ihr gewesen, er sei körperlich behindert. Als sie zuhause in ihrem Dorf gewesen sei und zu Bett gehen wollte, hätte es plötzlich an der Tür geklopft. Die Guerilla seien da gestanden und hätten sich herein gesetzt. Sie erzählten, dass sie einen Anschlag auf eine Dienststelle in der Nähe von XXXX verübt hätten. Am nächsten Tag habe der Kommandant den Dorfvorsteher angerufen. Er habe ihm mitgeteilt, dass zwei Jugendliche einen Anschlag auf ihre Dienststelle verübt hätten, und damit habe er sie gemeint, also sie und ihren Cousin. Der Dorfvorsteher habe gesagt, dass so etwas unmöglich sei, denn sie seien Verwandte von ihm. Die Schwester vom Dorfvorsteher sei mit ihrem Onkel väterlicherseits verheiratet. Sie seien drei Tage später zur Dienststelle nach XXXX geladen worden. Als sie dort angekommen seien, habe der Kommandant gerade keine Zeit gehabt und hätten sie in der Nähe in einem Kaffeehaus gewartet. Der Besitzer des Kaffeehauses habe den Kommandanten angerufen und zu einem Tee eingeladen. Der Kommandant habe gesagt, dass er sich mit Staatsfeinden nicht zusammensetzen und Tee trinken würde. Damit habe er sie gemeint. Er habe gefragt warum sie an diesem Tag in ihr Dorf gefahren sei. Sie habe geantwortete, dass sie sich um das Gemüse, das Obst, den Garten und die Bäume kümmern musste. Der Kommandant habe gesagt, dass es nicht mehr lange dauern werde, bis sie zur Rechenschaft gezogen werden würden. Er habe über die PKK zu schimpfen begonnen und sie als PKK-ler betrachtet. Egal ob man in diesem Dorf groß werde oder nicht, man werde immer als PKK-ler betrachtet, wenn man dieses Dorf besuche oder sich dort aufhalte. Selbst wenn die Familie Obstbäume oder Gemüsefelder besitze, habe man nichts davon, weil sie einen nicht in Ruhe lassen würden. Man bekomme nur beschränkt von dem, was einem eigentlich gehöre. Als Kurde habe man in der Türkei ständig Probleme.
Dieser Asylantrag mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.12.2011, Zl. XXXX , gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen, gem. § 8 Abs. 1 wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zuerkannt und wurde die bP gem. § 10 Abs. 1 AslyG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen.
Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 28.03.2013, Zl. XXXX , gem. §§ 3, 8 Abs. 1 und § 10 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung erwuchs mit der Zustellung an die Vertretung der bP am 02.04.2013 in Rechtskraft.
Die Entscheidung des AsylGH wurde wie folgt begründet:
"Dem Bundesasylamt ist vollinhaltlich zuzustimmen, wenn es ausführt, dass es der Beschwerdeführer nicht vermochte, eine Verfolgung iSd GFK glaubhaft zu machen und dass das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers nicht asylrelevant sei. Auch der Asylgerichtshof geht davon aus, dass im Vorbringen des Beschwerdeführers kein GFK relevanter Anknüpfungspunkt zu sehen sei.
Der Beschwerdeführer brachte zusammengefasst vor, dass er die Türkei deshalb verlassen habe, weil ihm als Kurde im Jahr 2008 von einem Kommandanten der Gendarmerie ein Anschlag auf eine Polizeidienststelle in seinem Heimatort angelastet worden sei und dieser Kommandant ihm auch vorgeworfen habe, Nahebeziehungen zur PKK zu haben.
Abgesehen davon brachte der Beschwerdeführer keine anderen Probleme mit den türkischen Sicherheitsbehörden, Behörden oder Gerichten vor und betonte mehrmals, wegen dem Vorfall im Jahr 2008 sowie wegen des Umstandes, dass es wegen seiner kurdischen Abstammung überall in der Türkei zu Problemen kommen könne, die Türkei verlassen zu haben.
Im Einzelnen wurde vom Bundesasylamt dazu ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer erst drei Jahre nach dem geschilderten Ereignis zum Verlassen der Türkei entschlossen habe, obwohl er danach keinerlei fluchtrelevanten Ereignisse mehr habe anführen können.
Auch der Asylgerichtshof geht davon aus, dass der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen keinen Vorfall unmittelbar vor seiner Ausreise aus der Türkei im November 2011 vorgebracht hat und ist der geschilderte Vorfall aus dem Jahr 2008 nicht geeignet, einen zeitlichen Konnex zur Ausreise im November 2011 herzustellen. Dieser Vorfall hat damit nicht dazu geführt, dass der Beschwerdeführer so große Angst vor weiteren Übergriffen auf sich selbst gehabt habe, die einer begründeten Furcht entsprechen und es dem Beschwerdeführer unerträglich gemacht habe, in seinem Heimatstaat zu bleiben.
Daher kann aufgrund der verstrichenen Zeit zwischen dem behaupteten Vorfall und der Ausreise auch nicht die erforderliche Aktualität einer Verfolgung angenommen werden. Umstände, denen es an einem entsprechenden zeitlichen Konnex zur Ausreise mangelt, sind nicht zur Glaubhaftmachung eines Fluchtgrundes geeignet; die wohlbegründete Furcht müsste vielmehr bis zur Ausreise andauern (VwGH 23.01.1997, 95/20/0221).
Unabhängig von der mangelnden Aktualität der behaupteten Verfolgungshandlung hat der Beschwerdeführer vorgebracht, dass ihn ein Kommandant der Gendarmerie beschuldigt habe, einen Polizeiposten angegriffen und ein Naheverhältnis zur PKK zu haben. Weitere Details oder Ereignisse, die damit in Zusammenhang stehen würden, wurden vom Beschwerdeführer nicht genannt. Die bloße Behauptung, er sei von einem Kommandanten der Gendarmerie für einen Anschlag verantwortlich gemacht worden und habe ihm diese Person auch ein Naheverhältnis zur PKK unterstellt, ist jedoch nicht geeignet, eine asylrelevante Verfolgungsgefahr zu begründen, zumal sich dieses Vorbringen lediglich auf diese Behauptung reduziert. Der Beschwerdeführer hat weder vorgebracht, dass gegen seine Person ein polizeiliches oder gerichtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet oder dass er aus den angegeben Gründen behördlich oder gerichtlich gesucht worden sei. Auch sei der Beschwerdeführer zu dem behaupteten Vorwurf nie befragt worden und habe dieser Vorfall keinerlei staatliche Konsequenzen für ihn gehabt. Die einzige Folge dieses Vorfalles aus dem Jahr 2008 sei gewesen, dass sich der Beschwerdeführer nicht mehr so oft getraut habe, sein Heimatdorf zu besuchen. Somit liegt jedoch kein Hinweis für ein vorrangiges oder nachhaltiges und landesweites Interesse der Sicherheitsbehörden an der Person des Beschwerdeführers vor. Die Setzung einer konkreten und individuell gegen die Person des Beschwerdeführers gerichteten Maßnahme, die ein derartiges Verhalten der Behörde plausibel machen würde (Erlassung eines Haftbefehles, Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, Auferlegung einer Meldepflicht, etc.), hat der Beschwerdeführer eben gerade nicht vorgebracht.
Vielmehr lebte der Beschwerdeführer nach dem seinen Angaben zufolge fluchtauslösenden Vorfall im Jahr 2008 in Istanbul, ging dort einer beruflichen Beschäftigung nach und war somit in der Lage, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, wie auch vom Bundesasylamt richtigerweise ins Treffen geführt wurde.
Sofern diesbezüglich in der Beschwerde nunmehr behauptet wird, dass sein Leben in Istanbul ein mehr oder weniger intensives Versteck-Spiel vor den Behörden gewesen sei und er immer wieder betont habe, dass er kaum auf die Straße gegangen sei und wenn, dann nur, um notwendige Lebensmittel und sonstige wichtige Dinge zu besorgen, so war dem zunächst zu entgegnen, dass vom Beschwerdeführer stets angegeben wurde, dass er in Istanbul bis zu seiner Ausreise einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen zu sein, was wohl kaum möglich gewesen wäre, wenn er nur für wichtige Einkäufe auf die Straße gegangen wäre. Zudem gab der Beschwerdeführer auf die Frage, ob er in Istanbul persönlich Probleme gehabt habe an, (AS 47): "Ich meide Situationen und verkehre nachts kaum draußen." Auch hieraus ist nicht erkennbar, dass sich der Beschwerdeführer (ständig) versteckt gehalten habe, weshalb die persönlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt mit den Behauptungen in gegenständlicher Beschwerdeschrift nicht in Einklang zu bringen sind.
Zudem ist es für den Asylgerichtshof nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer, wenn er behauptet, sich vor den Behörden versteckt zu haben, um nicht aufzufallen und nicht registriert zu werden, sich trotzdem im Jahr 2010 an die Behörden in seiner Heimatprovinz gewandt habe, um Schadenersatzzahlungen für die Häuser seiner Familie zu beantragen, zumal er damit rechnen habe müssen, dass er gerade in diesem Zusammenhang "auffallen" und man seien Daten registrieren würde.
Zu dem - dem Beschwerdeführer unterstellten - Naheverhältnis zur PKK ist noch - unabhängig von der Glaubwürdigkeit - festzuhalten, dass der Beschwerdeführer auch diesbezüglich nicht einmal vorgebracht hat, dass dies irgendwelche Reaktionen der türkischen Behörden nach sich gezogen habe. Selbst Befragungen durch Sicherheitsbehörden wegen des Verdachtes der Unterstützung der PKK (wobei der Beschwerdeführer nie zu dieser Anschuldigung befragt worden sei) würden jedoch nicht als asylrelevant zu werten sein, zumal solche Befragungen lediglich im Zusammenhang mit dem Verdacht der Begehung einer strafbaren Handlung (Unterstützung einer terroristischen Organisation oder von Terroristen) stehen und somit im Rahmen der zulässigen Strafrechtspflege erfolgen würden.
Zusammengefasst brachte der Beschwerdeführer lediglich vor, dass er von einem Kommandanten der Gendarmerie für einen Anschlag auf eine örtliche Polizeistation verantwortlich gemacht worden sei, ohne dass dieser Kommandant in weiterer Folge weder behördliche noch sonstige Schritte gegen den Beschwerdeführer gesetzt oder eingeleitet habe. Voraussetzung für eine begründete Angst vor asylrelevanter Verfolgung ist jedoch ein zielgerichtetes und konkret die Person des Beschwerdeführers betreffendes Vorgehen. Auch unter diesem Aspekt konnte damit keine Asylrelevanz des Vorbringens erkannt werden. Alleine die Vermutung des Beschwerdeführers, er sei bzw. könne wegen der Behauptungen des Kommandanten ins Visier der türkischen Behörden geraten, reicht nicht aus, um eine individuelle asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen.
Soweit sich der Beschwerdeführer auf die allgemeine Situation der Kurden in der Türkei bezieht, so vermochte er auch damit keine individuelle und aktuelle asylrelevante Verfolgung darzulegen. Die oberflächliche Behauptung, dass er als Kurde in der Türkei ständig Probleme haben könne, vermag keinen asylrelevanten Anknüpfungspunkt darzustellen. Dem wurde auch in der Beschwerde nicht entgegengetreten, zumal sich darin wiederum bloß allgemeine Ausführungen über die allgemeine Lage der kurdischen Bevölkerung in der Türkei finden.
Ergänzend ist in diesem Zusammenhang auch festzuhalten, dass die schwierige allgemeine Lage einer ethnischen Minderheit für sich allein nicht geeignet ist, die für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorauszusetzende Bescheinigung einer konkret gegen den Asylwerber gerichteten drohenden Verfolgungshandlung darzutun. Die bloße Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden bildet daher noch keinen ausreichenden Grund für die Asylgewährung (vgl. VwGH vom 31.01.2002, 2000/20/0358).
Hinsichtlich der kurdischen Abstammung des Beschwerdeführers ist weiters auszuführen, dass sich entsprechend der in das Verfahren eingeführten Länderberichte die Situation für Kurden derart gestaltet, dass momentan keine aktuellen Berichte über die Lage der Kurden in der Türkei und damit keine von Amts wegen aufzugreifenden Anhaltspunkte dafür existieren, dass gegenwärtig Personen kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit in der Türkei generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit einer asylrelevanten - sohin auch einer maßgeblichen Intensität erreichenden - Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden. Gründe, warum die türkischen Behörden ein nachhaltiges Interesse an der Person des Beschwerdeführers haben sollten, wurden von diesem nicht plausibel vorgebracht.
Vor diesem Hintergrund ist das Bundesasylamt im Recht, wenn es beweiswürdigend ausführt, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine Asylrelevanz zukommt. Daran vermag auch das Vorbringen in der Beschwerde nichts zu ändern, zumal darin lediglich allgemein gehaltene Ausführungen getätigt werden, ohne diese näher zu begründen. Die Beschwerde vermochte die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes nicht in Zweifel zu ziehen bzw. wurde nicht einmal versucht, der Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid fundiert entgegen zu treten.
Sofern der Beschwerdeführer angegeben hat, er befürchte, im Falle einer Wiedereinreise in die Türkei verhaftet zu werden, ist auszuführen, dass, wenn der türkischen Grenzpolizei bekannt ist, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen wird, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden.
Dem Auswärtigen Amt ist seit Jahren kein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde. Auch die türkischen Menschenrechtsorganisationen haben explizit erklärt, dass aus ihrer Sicht diesem Personenkreis keine staatlichen Repressionsmaßnahmen drohen. Für Misshandlung oder Folter allein aufgrund der Tatsache, dass ein Asylantrag gestellt wurde, liegen keine Anhaltspunkte vor und sind daher die Befürchtungen des Beschwerdeführers in dieser Hinsicht nicht geeignet, eine asylrelevante Verfolgungsgefahr zu begründen.
Es kann der belangten Behörde im Hinblick auf die Beachtung des Grundsatzes der materiellen Wahrheit zur Erforschung des für ihre Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht vorgeworfen werden, wenn sie ihrerseits bestrebt ist, im Rahmen des Ermittlungsverfahrens auftretende Widersprüche oder Unklarheiten aufzuklären. Im Übrigen kommt dem betroffenen Asylwerber eine besondere Verpflichtung zur Mitwirkung an der Feststellung des für seine Sache maßgebenden Sachverhaltes zu, der sich auf Grund der für das Asylverfahren typischen Sach- und Beweislage in vielen Fällen oft nur aus den persönlichen Angaben des Asylwerbers erschließt. Um die Angaben des Asylwerbers für glaubhaft halten zu können, müssen diese für die belangte Behörde und den Asylgerichtshof auf Grund der vorhandenen Beweise nach freier Überzeugung jedenfalls wahrscheinlich erscheinen. Dies war jedoch in der gegenständlichen Rechtssache nicht der Fall.
Im Hinblick auf obige Erwägungen vermag der Asylgerichtshof daher eine aktuelle und individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers aus einem in der GFK taxativ aufgezählten Grund nicht zu erkennen, weshalb von keiner Verfolgung im Heimatstaat ausgegangen werden kann."
Zweiter Antrag der bP auf internationalen Schutz vom 29.06.2016
Am 29.06.2016 stellte die bP den zweiten und gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der Erstbefragung bei der XXXX am 29.06.2016 gab sie zu ihrem Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, dass in der Nähe ihres Heimatdorfes die türkische Armee gegen die PKK kämpfe. Die Armee sei ins Dorf gekommen und habe einige Mitbürger verhaftet. Wenn sie dort geblieben wäre, hätten sie sie früher oder später auch verhaftet, weil sie Kurde sei. Die Armee habe sehr viele Tiere getötet und einige Häuser verbrannt. Die Kurden könnten in der Türkei nicht frei leben. Ansonsten habe sie keine Fluchtgründe. Sie befürchte im Falle der Rückkehr, dass sie die türkische Armee oder die türkische Polizei verhaften würde, weil sie Kurde sei.
Am 23.10.2017 wurde die bP beim BFA, XXXX , niederschriftlich einvernommen. Die wesentlichen Passagen dieser Einvernahme gestalteten sich dabei wie folgt:
"...
F: Fühlen Sie sich geistig und körperlich in der Lage, die Einvernahme durchzuführen?
A: Ja.
F.: Befinden Sie sich in ärztlicher Behandlung oder sonst in Therapie und nehmen Sie zurzeit Medikamente ein?
A.: Nein.
...
F.: Haben Sie irgendwelche anderen Dokumente oder Beweismittel, die Sie vorlegen können?
A.: Nein.
F: Können sie bitte einen kurzen Lebenslauf bezüglich ihrer Person schildern? Z.B.: Wo sind sie geboren, wo aufgewachsen, welche Schulausbildung haben sie absolviert, welchen Beruf haben sie ausgeübt?
A: Ich bin in XXXX geboren. Bis 1992 habe ich dort gelebt. Dann wurden unsere Häuser vernichtet in unserem Dorf durch die PKK. Dann bin ich mit meiner Familie nach Istanbul ausgewandert. Im Jahr 2002 sind wir zurück nach XXXX . Wir waren immer wieder in Istanbul und in XXXX . Wir konnten nicht in XXXX leben. Dann haben wir ein Haus gebaut in XXXX und es wurde wieder angezündet, und wir sind wieder nach Istanbul gegangen. Ich habe eine Möbelwerkstatt in Istanbul gehabt. Im Jahr 2007 wollte ich wieder in mein Dorf nach XXXX . Ich durfte durch die Polizisten nicht zurück in mein Dorf. Als ich gefragt habe warum haben sie mir gesagt, dass der Bürgermeister auch ein Terrorist ist. In derselben Nacht als ich aufgehalten wurde, gab es einen Anschlag auf Polizisten. Ich wurde beschuldigt, dabei gewesen zu sein. Der Bürgermeister hat mich gefragt ob ich dabei war. Dann wurde ich einvernommen. Dort wurde ich beschimpft. Dann hat mich meine Familie angerufen und mir gesagt ich soll nach Istanbul zurückkehren. Ich bin dann wieder nach Istanbul gegangen. Ich bin in der Öffentlichkeit bloß gestellt worden, weil ich Kurde bin. Im Dorf Café wurde schlecht über mich gesprochen. Mein Onkel aus Istanbul wollte in unserem Dorf ein neues Haus aufbauen. Das war vor dem Putschversuch. Mein Onkel und sein Nachbar wurden dann festgenommen. Mein Onkel ist 70 Jahre alt. Sie waren 8 Monate in Haft und ich bin dann auch nicht mehr ins Dorf gefahren. Mein Onkel wollte sich dann im Gefängnis umbringen. Ich habe nach diesem Vorfall nur mehr in Istanbul gelebt. Von Istanbul bin ich dann ausgereist.
F: Sind Sie verheiratet?
A: Nein.
F: Haben Sie Kinder?
A: Nein.
F: Welche Verwandte leben noch in Ihrem Herkunftsstaat.
A: Vier Schwestern und 1 Bruder. Daten stimmen mit der Erstbefragung überein. XXXX nicht XXXX .
F: Wovon lebt Ihre Familie in der Türkei jetzt.
A: Sie sind alle verheiratet. Mein Bruder hatte ein Kebab Restaurant. Jetzt arbeitet er wieder in einem Kebab Restaurant.
F:Wann hatten Sie zuletzt Kontakt (persönlich oder telefonisch) mit Angehörigen in der Türkei?
A: Ab und zu wenn sie meine Eltern anrufen. Das letzte Mal im September.
F: Wie geht es ihnen in der Türkei?
A: Es geht ihnen gut.
Beantworten Sie die nachstehenden Fragen mit "Ja" oder "Nein". Sie haben später noch die Gelegenheit, sich ausführlich zu diesen Fragen zu äußern:
F.: Sind Sie vorbestraft oder waren Sie in Ihrem Heimatland inhaftiert oder hatten Sie Probleme mit den Behörden in der Heimat?
A.: 3 Mal nein.
F.: Bestehen gegen Sie aktuelle staatliche Fahndungsmaßnahmen wie Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief, etc?
A.: Ich weiß es nicht. Derzeit nicht.
F.: Sind oder waren Sie politisch tätig?
A.: Ich war kein Mitglied. Ich war bei Meetings und Demonstration. Bei der HDP.
F.: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei?
A.: Nein. Ich wollte kein Mitglied werden. Man bekommt Probleme wenn der Staat das erfährt.
F.: Hatten Sie in ihrem Herkunftsstaat aufgrund Ihres Religionsbekenntnisses irgendwelche Probleme?
A.: Nein.
F.: Hatten Sie in ihrem Herkunftsstaat aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit irgendwelche Probleme?
A.: Ja.
F.: Hatten Sie gröbere Probleme mit Privatpersonen (Blutfehden, Racheakte etc.)?
A.: Nein.
F.: Nahmen Sie in Ihrem Heimatland an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teil?
A.: Nein.
F: Sind Ihre bisher in der Erstbefragung geschilderten Fluchtgründe aufrecht?
A: Ja.
F.: Schildern Sie nochmals die Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen und einen Asylantrag gestellt haben, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß.
Sie werden darauf hingewiesen, dass falsche Angaben die Glaubwürdigkeit Ihres Vorbringens beeinträchtigen können.
Sollten Sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor österreichischen Behörden falsche Angaben gemacht haben oder sollte es zu sonstigen Ungereimtheiten gekommen sein, so werden Sie aufgefordert, dies jetzt bekannt zu geben.
Soweit Sie auf Ereignisse Bezug nehmen, werden Sie auch aufgefordert, den Ort und die Zeit zu nennen, wann diese stattfanden und die Personen, die daran beteiligt waren.
A.: In dem Dorf wo ich gelebt habe konnte ich nicht frei leben. Ich habe ein unwohles Gefühl gehabt weil ich dort lebe. Das soziale Umfeld hat einfach nicht gepasst. Als ich in Istanbul war wurde ich immer mit anderen Augen gesehen, weil ich Kurde bin. Das war durch Angehörige der AKP. Ich wurde immer als Terrorist gesehen. So konnte ich nicht leben. Das hat mich psychisch sehr mitgenommen.
F: Wie sahen Ihre politischen Tätigkeiten für die HDP aus?
A: Ich war auf Demos. Wir haben Flyer verteilt. Ich habe keine Schuld und mein Onkel hat 40 Jahre in Istanbul gelebt und war nur einmal im Dorf und wurde sofort festgenommen. Er war nicht für die HDP tätig und auch schon ziemlich alt. Er war 8 1/2 Monate in Haft. Wenn sie mich verhaften werde ich sicher 1 oder 2 Jahre in Haft sein. Ich weiß nicht wem ich in der Türkei vertrauen kann. Der Staatsanwalt der meinen Onkel in Haft genommen hat, wurde nach dem Putschversuch selber in Haft genommen. Bei dem Vorfall im Jahr 2007 haben sie mich als Terroristen abgestempelt und meine ganze Umgebung hat mich beschuldigt. Meine Mutter hat mich angerufen und davor gewarnt ins Dorf zu gehen. Es hat sich rum gesprochen und mein Name wurde erwähnt. Diese Personen sollten in Haft genommen werden. In der Nähre von unserem Dorf wurde ein junger Landwirt enthauptet und als Terrorist abgestempelt. So was sieht man nicht in den Medien.
F: Was ist Ihnen konkret in der Türkei passiert?
A: Ich bin dann aus dem Dorf geflüchtet. Ich war auch nie wieder dort. Ab 2007 war ich immer nur kurz in meinem Dorf.
F: Wurden Sie persönlich von der Polizei oder einer Behörde verfolgt oder bedroht?
A: Mein Nachbar in Istanbul wurde verhaftet, aber ich nicht. Er wurde inhaftiert und sie haben gesagt er ist ein Terrorist. Das wird mir auch passieren.
F: Ist Ihnen persönlich etwas passiert?
A: Als ich in XXXX war wurde ich beschimpft und ich sehe das als Drohung.
F: Welche Probleme hatten Sie aufgrund Ihrer Volksgruppe?
A: Ich werde als anderer Mensch gesehen und ich werde von der Bevölkerung abgestempelt. Man wird als Terrorist abgestempelt und mit der Zeit dann inhaftiert.
F: Haben Sie in Österreich schon einmal einen Asylantrag gestellt?
A: Das war 2011. Ich habe einen negativen Bescheid bekommen.
F: Sind Sie freiwillig ausgereist?
A: Ja ich bin im Juli 2013 freiwillig ausgereist.
F: Hatten Sie in den drei Jahren in der Türkei irgendwelche Probleme?
A: In den letzten 3 Jahren war nur das mit meinem Onkel und im Dorf wurde jemand getötet. Das Blut des getöteten wurde erst nach einem Jahr gefunden. Er war nicht Verwandt mit mir, aber aus dem gleichen kleinen Dorf. Das Dorf heißt XXXX in XXXX .
F: in der Türkei besteht grundsätzlich die Möglichkeit auch woanders zu leben. Warum haben sie von dieser Möglichkeit nicht Gebraucht gemacht?
A: Wenn ich in einem anderen Ort leben würde, hätte ich keine Verwandten und Bekannte. Wenn dann rauskommt, dass ich Anhänger der HDP bin bekomme ich wieder Probleme, egal wo ich bin. In Istanbul haben wir einen Wohnblock wo die ganze Familie lebt. Ich bin nicht aus finanziellen Gründen hier.
F: Wie sind Sie nach Ihrem negativen Bescheid in die Türkei zurück gereist?
A: Mit dem Flugzeug.
F: Hatten Sie nach Ihrer Ankunft Probleme am Flughafen?
A: Nein. Ich war 2 Stunden am Flughafen, weil ich keinen Reisepass hatte. Zu dieser Zeit gab es keine Probleme in der Türkei. Es herrschte Friede. Ich hatte in Österreich kein Einkommen und nehme auch keine Sozialhilfe in Anspruch. Ich bin nicht aus finanziellen Gründen hier. Ich lebe mit meiner Familie im selben Haushalt. Das Dorf wo ich aufgewachsen bin ist für mich der schönste Ort der Welt. Aber ich kann dort nicht leben.
F.: Haben Sie sämtliche Gründe, warum Sie die Heimat verlassen haben, vollständig geschildert.
A.: Ja.
F.: Möchten Sie von sich aus noch etwas zu Ihrem Fluchtgrund angeben?
A.: Nein.
F.: Was würde Sie konkret erwarten, wenn jetzt sie in ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten.
A.: Ein sehr schlechtes Leben. Ich würde mit hoher Wahrscheinlichkeit in mein Dorf zurückkehren. Wir haben dort noch Land. Ich möchte dort arbeiten. Ich weiß nicht was mich am Flughafen erwartet. Es herrscht Ausnahmezustand und ich weiß nicht wie lange ich inhaftiert werde. Ich kann mich dort auch nicht rechtfertigen vor Gericht, weil Ausnahmezustand herrscht.
F.: Haben Sie Verwandte in Österreich? Wenn ja, welche und wo wohnen diese? Wie
gestaltet sich der Kontakt zu diesen?
A: Meine Eltern, meinen kleinen Bruder und einen Onkel. Ich lebe mit meinen Eltern in XXXX . Mein Bruder und mein Onkel leben auch in XXXX .
F.: Haben Sie Deutschkurse besucht bzw. positive Prüfungen abgelegt?
A.: Den A1 Deutschkurs habe ich bei meiner ersten Asylantragstellung besucht.
F.: Was haben sie in Österreich bis jetzt so gemacht?
A.: Ich bin meistens zu Hause oder mit Freunden in einem Cafe. Ab und zu gehen ich mit meiner Familie Picknicken. Vereine besuche ich hier nicht.
F: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft hier in Österreich vor? Wie haben Sie vor Ihren Lebensunterhalt zu verdienen?
A: Es ist mir egal. Hauptsache ich bin finanziell abgesichert.
F.: Wie sieht Ihr soziales Umfeld in Österreich aus?
A.: Mit Freunden bin ich unterwegs. Am Wochenende machen wir Ausflüge.
F.: Sind Sie in einem Verein aktiv tätig? Wenn ja, wo und wie lange? Ist die Vorlage einer Bestätigung möglich?
A.: Nein.
F.: Gehen Sie einer ehrenamtlichen Tätigkeit nach? Wenn ja, wo und wie lange? Ist die Vorlage einer Bestätigung möglich?
A.: Nein.
F.: Sind Sie in Österreich mit dem Gesetz in Konflikt geraten?
A.: Nein.
..."
Dieser Antrag der bP wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 02.02.2018, Zl. XXXX , gem. § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt II.) Gem. § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt III.). Gem. § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der bP in die Türkei gem. § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt IV.). Gem. § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt V.).
Gegen diesen Bescheid wurde durch die Vertretung der bP innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Es wurde die Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht, da die Länderfeststellungen unzureichend wären. Aus den Ländern des Bundesamtes gehe hervor, dass es insbesondere zu einer Verfolgung der Opposition komme und gekommen sei und auch viele HDP-Politiker festgenommen worden seien, dies mit dem Vorwurf, den Terrorismus zu unterstützen. Auch öffentliche Äußerungen im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange seien strafbar, wen sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden könnten. Es könne auch die Teilnahme einer Demonstration in Österreich zu einer Verfolgung bei einer Rückkehr führen.
Folgende Berichte wurden vorgelegt:
• https://www. heise.
de/to/features/Tuerkei-Berichte-von-Massenhinrichtung-des-
tuerkischen-MHitaers-in-Nusaybin-3227617. html
Türkei: Berichte von Massenhinrichtung des türkischen Militärs in Nusaybin
05. Juni 2016 Elke Dangeleit
Tausende von Häusern seien zerstört worden, Augenzeugen berichten von einer Hinrichtung von 20 Personen
Nusaybin (kurd.: Nisebin) ist eine mehrheitlich von Kurden bewohnte Stadt direkt an der syrischen Grenze. In Rojava/Nord Syrien liegt direkt hinter der Grenze die Stadt Qamishlo. Zwischen Nusaybin und Qamishlo verläuft die Bagdadbahn. Mit der willkürlichen Grenzziehung durch das Ankara-Abkommen 1921 zwischen Frankreich und Türkei wurde die Stadt geteilt.
Nun ereigneten sich Nusaybin ähnliche Menschenrechtsverletzungen wie in Cizre, wo in Kellern, die von türkischen Militärs beschossen und in Brand gesetzt wurden, nahezu 100 Menschen bei lebendigem Leibe verbrannten. Dem kurdischen Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, Civaka Azad, zufolge berichteten Augenzeugen den kurdischen Nachrichtenagenturen Diele (DlHA) und JINHA, dass am 31. Mai mehr als 20 Menschen in der Nähe zur Grenze von Qamishlo hingerichtet und ihre Leichname anschließend verbrannt worden sein sollen. Eine Karte zeigt die letzten Ereignisse in Nusaybin.
Am späten Abend gegen 22 Uhr sollen die 20 Zivilisten in die Nähe eines Friedhofs im Stadtteil "Yeni Mahalle" gebracht worden sein. Dort wurden sie in drei Gruppen aufgestellt und ermordet. Die Augenzeugen berichten, dass sie die Erschießung beobachten konnten, weil eines der Fahrzeuge seine Scheinwerfer angelassen habe. Eigentlich hätte die Erschießung im Dunklen erfolgen sollen, so die Mutmaßung eines Augenzeugen, denn einer der anwesenden Polizisten hätte den Fahrer des Fahrzeugs nach der Erschießung wegen der Beleuchtung der Szene beschimpft.
Nach der Erschießung sollen die Leichname aufeinandergestapelt und verbrannt worden seien. Der Tatort wurde bis zum Morgengrauen bewacht. Am frühen Morgen soll nach
Berichten ein Militärfahrzeug gekommen sein, um die letzten Beweise der Hinrichtung niederzubrennen.
Schon eine Woche vorher äußerte die Bürgermeisterin von Nusaybin, Sara Kaya, die Befürchtung, es könne zu einem Massaker kommen. Sie berichtete, dass zwar 42 Zivilisten, Frauen, Kinder und Verletzte, aus der Stadt geborgen werden konnten, es aber immer noch rund 50. OOO Zivilisten in der Stadt gäbe.
Nach wie vor ist es schwierig, überprüfbare Informationen aus den kurdischen Gebieten zu bekommen, weil die gleichgeschalteten türkischen Medien darüber nicht berichten. So ist man auf Augenzeugenberichte, Fotos und Videoaufnahmen von Amateuren vor Ort und von der anderen Seite der Grenze aus Qamishlo angewiesen. Auch der HDP-Abgeordnete Ali Atalan wurde telefonisch von Augenzeugen informiert, berichtet die Tageszeitung Özgür Gündem. Ali Atalan vermutet, dass derartige Gräueltaten auf das Konto der Spezialeinheiten JITEM gingen, die von der Regierung in die Region entsandt wurden.
Nach Civaka Azad hatte schon 1993 der damals in Mardin (kurd.: Merdin) leitende Kommandant Musa Qitil 13 Dorfbewohner außergerichtlich hinrichten lassen. Die Gerichte sprachen ihn danach frei. Heute ist Musa Qitil wieder für die türkische Gendarmarie in der Provinz Diyarbakir (kurd. Amed) im Einsatz. Es wird behauptet, dass mit seiner Entsendung die Hinweise auf erneute außergerichtliche Hinrichtungen gestiegen seien.
Der FDP-Politiker Tobias Huch veröffentlichte auf seiner Facebook-Seite ein Video aus Nusaybin mit dem Hinweis, dass nun offensichtlich M58 MICLIC (Minenräumsprengketten mit C4-Sprengstoff) eingesetzt werden, um alle Häuser systematisch zu zerstören und die Stadt - schlimmer noch als in Cizre - dem Erdboden gleich zu machen. Nach Reuters hat das türkische Militär Kampfjets eingesetzt. Nach dem türkischen Militär seien 27 PKK-Kämpfer dabei getötet worden. Nach dem türkischen Militär, das die Antiterror-Operation am Freitag beendete, aber die Ausgangssperre fortsetzte, seien seit März 496 "Terroristen" getötet, 508 Barrikaden entfernt, 52 Gräben gefüllt und 1.258 Sprengsätze zerstört worden (Bilder aus der zerstörten Stadt).
Die Bürgermeisterin berichtete der Tageszeitung "Yeni Özgür Politika", dass bisher schätzungsweise 8.000 Gebäude zerstört wurden, darunter auch historische Bauten. Selbst in Stadtteilen, in denen es keine Gefechte gegeben habe, seien Gebäude angezündet und zerstört worden. Der älteste Bazar von Nusaybin, Kagakgilar Qargisi, sei abgebrannt und geplündert worden. Auch die Einkaufspassage Acatlar Pasaji sei geplündert worden. Weiter berichtet sie, dass die Versorgung der noch verbliebenen Bevölkerung sehr problematisch sei, da keine neuen Lebensmittel in die Stadt kämen und die Vorräte aufgebraucht seien. Menschen seien vor ihrer Haustür ermordet worden, Häuser über ihrem Kopf zerstört worden. Leichen lägen auf der Straße.
Nusaybin war früher eine der bedeutendsten christlichen Städte in der Region. Die antike Stadt Nisibis entstand um das 10 Jahrhundert vor Christus. Im Grenzbereich gibt es noch Ruinen bedeutender historischer Gebäude der Aramäer. Bekannt ist der Heilige Jakob von Nisibis, der dort um 338 n. Chr. Bischof war. Ein historisches Gebäude ist die Kirche des Jakob von Nisibis. Ob auch sie mit zerstört wurde, entzieht sich der Kenntnis der Autorin. Im März dieses Jahres verließ jedoch der letzte Küster der Jakobskirche mit seiner Familie Nusaybin. Er floh vor den Kämpfen. Das Schicksal der Kirche, die auf der Vorschlagliste für das Weltkulturerbe steht, ist ungewiss. Von 363 bis 489 war Nusaybin auch Sitz der berühmten christlichen Schule von Edessa. Für die aramäischen Christen hat Nusaybin von daher noch heute eine wichtige Bedeutung.
Zu befürchten ist, dass die ganze Stadt abgerissen wird, da sie direkt an der Grenze zu Qamishlo liegt. Zwar behauptet die türkische Regierung, sie würde die zerstörten Stadtteile
kurdischer Städte wieder "modern" aufbauen, aber das ist im Fall Nusaybin zu bezweifeln. Ein Wiederaufbau in Diyarbakir oder Cizre würde zudem einer Gentrifizierung gleichkommen, da sich die kurdische Bevölkerung, die bereits alles verloren hat, solche Häuser oder Wohnungen nicht leisten könnte. (Elke Dangeleit)
• http://www. fr. de/politik/nusa ybin-im-suedosten-der-tuerkei-totenstille-in-einer-
verwuesteten-stadt-a-296891
Totenstille in einer verwüsteten Stadt
Nusaybin war einst ein prosperierender Ort im Südosten der Türkei. Jetzt sieht es dort fast so aus wie in Aleppo. Eine Reportage aus der Stadt im Kurdengebiet an der Grenze zu Syrien.
28.10.2016 10:29 Uhr
Durch den drei Meter hohen Maschendrahtzaun blickt Abdülkerim Can auf ein Trümmerfeld, zerstörte Häuser, soweit das Auge reicht. Der Wind wirbelt Müll und Staub auf. "Da hinten", sagt der alte Mann, "steht mein Haus. " Er deutet auf eine zweistöckige, altrosa gestrichene Ruine zwischen anderen Ruinen im Sperrgebiet. Er kann noch immer nicht fassen, was mit ihm und seiner Heimatstadt geschehen ist. Warum dieser einst prosperierende Ort der Türkei jetzt aussieht wie Aleppo in Syrien und wieso die Hälfte der Stadt nicht mehr betreten werden darf. Totenstill ist es hier mitten in Nusaybin, im Südosten der Türkei, direkt an der syrischen Grenze.
"Sieben Mal gab es Ausgangssperren, ununterbrochen wurde geschossen und aus der Luft bombardiert", sagt Abdülkerim Can mit zitternder Stimme. Er ist ein gesetzter Herr mit Glatze und grauem Schnurrbart, der mehr als zwei Jahrzehnte eine kleine Schneiderei in seinem Haus betrieben hat. Elf Kinder haben er und seine Frau dort groß gezogen. Aber nur eine Tasche hätten sie packen können, als sie geflohen sind. Hemd und Jackett, die er trägt, sind von seinem Bruder, in dessen Haus er jetzt mit seiner Frau, zwei Söhnen, deren Frauen und sechs Enkeln wohnt. "Immerhin, wir leben", sagt er.
Anders als in Aleppo hat der Kampf um Nusaybin keine weltweiten Schlagzeilen gemacht. Die 90.000-Einwohner-Stadt, in der fast ausschließlich Kurden leben, liegt in fruchtbarem, flachen Land, das sich auf der anderen Seite in Syrien ebenso flach fortsetzt. Die türkischen Befestigungen erinnern an DDR-Grenzanlagen: Stacheldraht, Minen, Wachtürme. Jetzt wird auch eine Mauer errichtet. Früher sei er oft nach drüben gegangen, aber seit Beginn des Bürgerkriegs im Nachbarland sei das nicht mehr möglich, erzählt Herr Can. Und jetzt sei der Bürgerkrieg ja auch in die Türkei zurückgekehrt.
Monatelang lieferten sich jugendliche kurdische Rebellen in den Städten des Grenzgebiets harte Gefechte mit den türkischen Sicherheitskräften. Die Zivilisten gerieten zwischen die Fronten. "Das Militär wusste genau, dass in unserem Haus nur Zivilisten und Kinder waren, aber es wurde mit Kugeln jedes Kalibers geschossen. Wer vor die Tür trat, war tot", berichtet Herr Can. "Während der Ausgangssperren gab es keinen Strom und kein Wasser, die letzten Tropfen haben wir schluckweise geteilt." Schließlich hätten er, seine Söhne, die Schwiegertöchter und sechs Enkelkinder in einer Feuerpause die Flucht ergriffen. "Später haben sie mit Panzern auf unser Haus geschossen, bis es unbewohnbar war. "
Trügerische Ruhe
Bis Ende Juli wurde in Nusaybin gekämpft, jetzt herrscht Ruhe, aber sie ist trügerisch. Jeden Tag sterben Menschen in Südostanatolien, wie damals in den furchtbaren 90er Jahren, als der Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK seinen Höhepunkt erreichte. Erst nachdem der PKK-Führer Abdullah Öcalan 1999 gefangen worden war und lebenslang ins Gefängnis kam, kehrte ein wenig Normalität ein.
Nusaybin war damals stark angewachsen, weil Menschen vom Land vor den Kämpfen in die Stadt flüchteten. Die unscheinbare Ortschaft profitierte vom Handel mit Syrien, wurde sogar zur Großgemeinde aufgewertet. Die Leute bauten sich solide, gute Häuser, konzentrierten sich auf ihr Leben und ihre Geschäfte. Für Abdülkerim Can verband sich der Frieden vor allem aber mit der Person des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und dessen islamisch-konservativer Regierungspartei AKP. "Zuerst haben wir ihn gemocht, den Erdogan", erzählt Can. "Er kam hierher und sagte, er werde das Kurdenproblem lösen, es solle kein Blut mehr fließen, die Kinder sollten nicht mehr weinen. Deshalb haben wir ihn gewählt. "
In der vernachlässigten Region wurde investiert: in neue Straßen, Fabriken, Wohnungen. Erdogan begann 2013 sogar einen Friedensdialog mit Abdullah Öcalan und der PKK- Führung. Ein Friedensabkommen schien möglich - nach 30 Jahren Kampf und 40.000 Toten. Zwei Jahre hielt die Waffenruhe, selbst Touristen kamen. 2014 schien der Frieden zum Greifen nahe. "Wir haben Erdogan geglaubt, dass er es ernst meinte. Aber dann hat sich die Atmosphäre total verändert", sagt Can.
Im benachbarten Syrien hatten die Kurden ein selbstverwaltetes Autonomiegebiet ausgerufen. Im September 2014 attackierten Kämpfer des Islamischen Staates (IS) die syrisch-kurdische Grenzstadt Kobane. Die Türkei ließ Panzer auffahren, griff aber nicht ein. Damals sagte Erdogan jenen Satz, der ihn die Sympathie von Abdülkerim Can und Millionen anderer Kurden kostete: "Kobane wird bald fallen." Das, sagt Herr Can, war der Wendepunkt. "Danach konnte ich Erdogan nicht mehr wählen, denn jetzt war klar, er stand auf der Seite des IS und nicht der Kurden. "
Bei den Parlamentswahlen im Juni 2015 wählten die Kurden in der Türkei auch deshalb die prokurdischen Linkspartei HDP, die mit 13 Prozent der Wählerstimmen erstmals ins nationale Parlament kam, sodass die AKP ihre absolute Mehrheit verlor. Dieses Wahlergebnis hatte Folgen.
Präsident Erdogan hielt den Kurden und der HDP vor, dass sie ihm sein Entgegenkommen nicht gedankt hätten und beendete den Friedensprozess. Andererseits präsentierten mehrere kurdische Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Überschwang des Wahlerfolgs und der US-unterstützten Erfolge der syrischen Kurden damals "Autonomieerklärungen", in denen sie ihre Gemeinden für unabhängig erklärten. Als die Polizei daraufhin kurdische Aktivisten verhaftete, begannen jugendliche PKK- Anhänger, in einem Dutzend Städten Gräben auszuheben und Barrikaden zu errichten; die politischen Führer der Kurden hinderten sie nicht daran. Nachdem die Sicherheitskräfte sie attackierten, schossen sie zurück. Ein blutiger Straßenkampf begann.
Ganze Stadtviertel sind zerstört
Kurz nach der Wiederholung der Parlamentswahl im November, in der die AKP die absolute Mehrheit zurückgewann, befahl Erdogan der Armee, die Aufstände niederzuschlagen. Die Regierung verhängte monatelange Ausgangssperren, ließ Artillerie, Hubschrauber und sogar Kampfjets anrücken und kurdische Wohnviertel in Grund und Boden bombardieren. Tausende PKK-Kämpfer wurden getötet, aber auch hunderte Soldaten der türkischen Armee. Allein in Nusaybin fanden 350 Menschen den Tod, ihre Leichen seien verschwunden, sagt Abdülkerim Can. Ganze Stadtviertel sind zerstört, der volkswirtschaftliche Schaden ist gigantisch. Eine halbe Million Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen.
Geht Abdülkerim Can vom Trümmerfeld zum Stadtzentrum, dann wirkt trotz des verhängten Ausnahmezustandes auf den ersten Blick alles ganz normal: Geschäfte sind geöffnet, Männer sitzen in Teestuben, auf der Hauptstraße herrscht dichter Verkehr. Doch überall patrouillieren gepanzerte Fahrzeuge der hochgerüsteten Antiterrorpolizei. Rathaus und Gericht sind weiträumig abgesperrt, jede Polizeistation ist mit Betonbarrieren und Wachtürmen gesichert wie eine Festung. Auch wer sich nur kurz in Nusaybin aufhält, spürt die nervöse Spannung und die Angst vor den Sicherheitskräften, die inzwischen jeden Kurden als potentiellen Terroristen betrachten.
Die fatale Entscheidung der PKK, den Kampf in die Städte zu tragen, hat den Kurden nichts gebracht außer Gewalt und Tod. Doch bestätigen diverse Quellen, dass die Guerilla derzeit Zulauf von jungen Leuten habe wie noch nie. "Die Bevölkerung wurde angegriffen, sie mussten sich verteidigen", ist eine Meinung, die man oft hört. Wer die Dinge anders sieht, äußert sich sehr vorsichtig. "Wenn ich ehrlich antworte, wird mir weder die AKP noch die PKK erlauben, hier weiter zu existieren", sagt ein Geschäftsmann. "Natürlich wäre es besser gewesen, es hätte keinen Krieg gegeben. "
Wie jeden Tag besucht Abdülkerim Can im Stadtzentrum das Büro der linken Kurdenpartei, die hier SDP heißt, um zu erfahren, ob es endlich Klarheit über Rückgabe oder Entschädigung der Hauseigentümer gibt. Wie Tausende andere Kurden in Nusaybin hat er alle geforderten Papiere beim Amt des Gouverneurs abgegeben. "Niemand weiß, was mit den Gebieten geschehen soll", sagt Sara Kaya, die gewählte Bürgermeisterin. In ihrem schmucklosen Büro hängt ein Porträt Abdullah Öcalans, den auch die legale Partei als ihren geistigen Anführer betrachtet. Die Wände sind mit Löchern übersät. "Die Polizei ist nachts gekommen und hat mehr als tausend Schüsse abgefeuert", sagt Sara Kaya, "zum Glück war niemand in den Räumen."
Sie berichtet von willkürlichen Festnahmen ohne Gerichtsbeschluss, von Drohungen und Einschüchterung - und von der Entmachtung der gewählten Stadtverordneten durch die Regierung in Ankara.
"Ins Rathaus lässt man uns gar nicht mehr hinein", sagt Sara Kaya. Das Stadtparlament werde nicht mehr einberufen. "Das ist absurd. Entweder müssen sie in der Türkei Wahlen abschaffen oder das Ergebnis akzeptieren, auch wenn es ihnen nicht passt." Mehr als 90 Prozent der Stimmen holte ihre Partei in Nusaybin. Gleichwohl wurde Kaya bereits vor einem Jahr von der Regierung abgesetzt und verhaftet, weil sie die "Selbstverwaltung" der Stadt ausgerufen hatte und damit "Terrorpropaganda betrieben" habe. Drei Monate war die 44- jährige Mutter von vier Kindern inhaftiert, wurde zu sechseinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Derzeit läuft die Berufung.
Zahlreiche Verhaftungen im Kurdengebiet
Mindestens 26 gewählte HDP-Bürgermeister im Kurdengebiet hat Erdogan seit September wegen mutmaßlicher Unterstützung der PKK entlassen und durch staatliche Zwangsverwalter ersetzen lassen. Dutzende von HDP- und DBP-Mitgliedern wurden verhaftet; zuletzt wurden sogar die Oberbürgermeister der Millionenmetropole Diyarbakir festgenommen. Die Regierung wirft der Partei vor, militante Kurden zu unterstützen.
Zwar wurden auch in vier anderen, nicht überwiegend kurdischen Städten gewählte Bürgermeister durch staatliche Verwalter ersetzt. Der Unterschied ist nur, dass dort gewählte Stadträte zum Verwalter bestellt wurden.
"Niemand kümmert sich um die 50.000 Menschen, die ihre Häuser verloren haben und jetzt im Elend leben", sagt Sara Kaya. "Auch völlig intakte Häuser werden abgerissen. Man will sie vertreiben, wie in den 90er Jahren. " Damals wurden Tausende Dörfer im Kurdengebiet zerstört, Hunderttausende Menschen zogen in die Westtürkei. "Aber diesmal ist es anders", sagt Sara Kaya. "Fast alle Leute sind noch hier oder in der Umgebung, obwohl man ihnen sagt, geht wohin ihr wollt, wir bezahlen euch auch die Miete. " Das gilt für Nusaybin wie für die fast völlig entleerte 10O.OOO-Einwohner-Stadt Sirnak, wo Tausende auf freiem Feld in Sichtweite der Ruinen kampieren, bis sie vergangene Woche auch von dort vertrieben wurden.
• Massiver Druck auf Kurden
• Klima der Angst in der Türkei
Sara Kaya glaubt, dass die Regierung der HDP die Schuld für die Zerstörungen zuschieben und sie damit von der Bevölkerung entfremden wolle. "Aber die Menschen wissen, wer das angerichtet hat. Sie wissen auch, wer sich jetzt um sie kümmert. " Sie glaubt daher nicht, dass die Strategie der AKP aufgeht. "Würden morgen Wahlen sein, würde das Ergebnis wieder ganz ähnlich ausfallen." Auch Herr Can würde wieder für die HDP stimmen. "Weil sie für den Frieden ist", sagt er.
Es bestehe die Gefahr, dass sich im Kurdengebiet eine Gesellschaft herausbilde, die in ständiger Gegnerschaft mit dem Staat stehe, warnt Murad Akincilar, Koordinator der unabhängigen Denkfabrik "Institut für politische und soziale Forschung" (DISA) in der nahen Metropole Diyarbakir. "Die Unterstützung für einen unabhängigen kurdischen Staat und eine moralische Wende war noch nie so hoch wie jetzt. " Nach dem gescheiterten Putsch habe sich ein historisches Fenster zur erneuten Versöhnung geöffnet, doch die Regierung habe stattdessen ihre "Ausmerzungsaktionen" auch auf die Kurden ausgeweitet, die HDP völlig vom politischen Prozess ausgeschlossen und praktisch alle oppositionellen Zeitungen, Radio- und Fernsehsender geschlossen, die den Kurden eine Stimme gaben. "Eine große Chance wurde vertan", sagt der 55-jährige Wissenschaftler.
In Nusaybin hat der staatliche Verwalter kürzlich eine neue Parkanlage eingeweiht. Ein Mitarbeiter von Sara Kaya zeigt Bilder der Zeremonie auf seinem Handy. Man sieht, dass nur Offizielle aus Ankara und Polizisten da sind. "Kein Mensch aus der Bevölkerung ist gekommen. Die AKP war unter sich", sagt die abgesetzte Bürgermeisterin Kaya. Den Zwangsverwalter kann man zu all dem nicht befragen. Den Weg zum Rathaus sperren Polizisten ab, die niemanden durchlassen.
500 Meter entfernt räumen Bagger die Trümmer eines anderen Wohnviertels ab. Einsam ragt das Minarett einer Moschee noch aus der riesigen Schutthalde. Staub steigt auf, wenn wieder