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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §93 Abs3 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision 1. der W und 2. des W, beide in G, beide vertreten durch Mag. Gerhard Walzl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 25, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 3. August 2016, Zl. RV/7106397/2015, betreffend Dienstgeberbeitrag, Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag und Haftung für Lohnsteuer für die Jahre 2011 bis 2013 sowie Säumniszuschläge, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die revisionswerbenden Parteien betrieben in den Streitjahren 2011 bis 2013 in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts eine Vermittlung tschechischer Reinigungskräfte ("Reinigungsagentur") an Kunden in Österreich, wobei sie - abgesehen von der vorübergehenden Anmeldung noch nicht über eine Gewerbeberechtigung verfügender Reinigungskräfte als geringfügig beschäftigt - den Standpunkt vertraten, die Reinigungskräfte seien selbständig erwerbstätig.
2 Das Finanzamt kam im Anschluss an eine gemeinsame Prüfung lohnabhängiger Abgaben zu der Auffassung, die Reinigungskräfte seien Dienstnehmerinnen der revisionswerbenden Parteien gewesen, und erließ unter Berücksichtigung entsprechender Feststellungen in Bezug auf dreizehn Reinigungskräfte Bescheide über Dienstgeberbeitrag, Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag und Haftung für Lohnsteuer. Zur Begründung wurde auf einen Prüfungsbericht vom 5. Oktober 2015 verwiesen, der zunächst nur unvollständig übermittelt und zu dem den revisionswerbenden Parteien nach Einbringung der Beschwerden ein Nachtrag übermittelt wurde.
3 In ihren Beschwerden erstatteten die revisionswerbenden Parteien umfangreiches Vorbringen zu den von ihnen bestrittenen Beschäftigungsverhältnissen, wobei u.a. auf das Zustandekommen und den Inhalt der Aussagen von fünf im Zuge der Ermittlungen vernommenen Reinigungskräften kritisch eingegangen und die Zeugenvernehmung dieser Reinigungskräfte beantragt wurde. Zu drei der fünf Reinigungskräfte wurde jeweils gesondertes Vorbringen über die Umstände ihrer Tätigkeit erstattet, zu einer vierten wurde dargelegt, sie sei die Mutter einer dieser drei Reinigungskräfte und bei dieser Tochter beschäftigt gewesen. Beantragt wurde u.a. auch die Einvernahme von neun Personen, für die die Reinigungskräfte in Österreich tätig gewesen waren.
4 In den Beschwerden betreffend Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag wurde einleitend dargelegt, "im Sinne der §§ 122, 126 WKG" werde "ausdrücklich unsere Umlagepflicht bereits dem Grunde nach" bestritten. Zu den Bescheiden gebe es in diesem Punkt keine Begründung, "obwohl die Umlagepflicht unabdingbare Voraussetzung dafür ist, dass überhaupt ein Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag eingehoben werden darf".
5 Kritisiert wurde auch die Bemessung der Abgaben, die anhand des als Begründung dienenden Berichtes nicht nachvollziehbar sei. Auf Beschwerdevorentscheidungen wurde verzichtet.
6 Im Vorlagebericht nahm das Finanzamt zur Bestreitung des Zuschlages "dem Grunde nach" dahingehend Stellung, dass "die Pflicht zur Entrichtung eines Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag immer bestanden hat (Mitglied der Wirtschaftskammer), aber erst auf Grund der (...) Außenprüfung die Bemessungsgrundlagen (...) de(n) Betrag von EUR 1.095,-- überschritten haben und (es) daher zu erstmaligen Vorschreibungen gekommen ist". In der Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht kam dieses Thema nicht zur Sprache.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis änderte das Bundesfinanzgericht einen Teil der Bescheide für das Jahr 2013 (wegen Honorarnoten, die der Prüfer versehentlich nicht berücksichtigt hatte) zum Nachteil der revisionswerbenden Parteien ab. Die Beschwerden wies es als unbegründet ab.
8 In den Erwägungen traf das Bundesfinanzgericht zunächst kurze Feststellungen zum Sachverhalt, wobei auf einzelne Reinigungskräfte nicht besonders eingegangen wurde. Daran schloss sich sogleich die rechtliche Würdigung, in deren Verlauf an einzelnen Stellen auf Ermittlungsergebnisse hingewiesen wurde. An anderen Stellen wurde angemerkt, das Vorbringen der revisionswerbenden Parteien sei "weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht" worden, von den behaupteten Tatsachen könne "nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes keine Rede sein", oder "Nachweise" dafür seien "bis dato jedenfalls nicht erbracht oder glaubhaft gemacht" worden, sodass "die diesbezüglichen bloßen Behauptungen der Bf.
(...) daher ins Leere" gingen.
9 Eine Begründung für die Nichtaufnahme der beantragten
Zeugenbeweise ist im angefochtenen Erkenntnis nicht enthalten.
10 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für nicht
zulässig.
11 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche
Revision, zu der das Finanzamt nach Einleitung des Vorverfahrens keine Revisionsbeantwortung erstattet hat.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
13 Die Revision ist wegen der geltend gemachten Verfahrensfehler zulässig und begründet.
14 Ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes muss so begründet sein, dass der Denkprozess, der darin seinen Niederschlag findet, sowohl für den Abgabepflichtigen als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen nachvollziehbar ist. Dabei ist auf alle vom Abgabepflichtigen substantiiert vorgetragenen, für die Entscheidung relevanten Behauptungen einzugehen (vgl. zuletzt etwa VwGH 13.9.2017, Ra 2015/13/0019, m.w.N.).
15 Das angefochtene Erkenntnis entspricht dem weder in Bezug auf die Feststellungen zum Sachverhalt, die sich mit den strittigen Arbeitsbedingungen der dreizehn Reinigungskräfte nicht im Einzelnen auseinandersetzen und auf das Vorbringen dazu nicht näher eingehen, noch in Bezug auf die beweiswürdigende Begründung der allgemein gehaltenen Feststellungen. Für das Absehen von den beantragten Beweisaufnahmen fehlt jede Begründung, wozu anzumerken ist, dass die Liste der beantragten Zeugen zwar jeweils am Schluss der Beschwerden zusammengefasst war, die Beantragung der im Zuge der Ermittlungen vernommenen Zeugen aber in einem klar erkennbaren Zusammenhang mit der Kritik an diesen Einvernahmen und zum Teil auch mit dem gesonderten Vorbringen zu ihrer Tätigkeit stand und die namhaft gemachten Kunden jeweils schon im Text der Schriftsätze den sie betreffenden Behauptungen zugeordnet waren. Für das völlige Absehen von Einvernahmen bestand unter diesem Gesichtspunkt daher kein Anlass.
16 Im fortgesetzten Verfahren wird auch zu klären sein, ob die revisionswerbenden Parteien ihre Kammermitgliedschaft bestreiten. Nur für diesen Fall - und nicht für den einer bloßen Bestreitung der Dienstverhältnisse - würden sich nach dem Maßstab des Erkenntnisses vom 26. Jänner 2011, 2010/13/0197, VwSlg 8608/F, die in der Revision in diesem Zusammenhang relevierten Fragen stellen. Was die Bemessung der Abgaben anlangt, so scheint sie im Detail nicht völlig nachvollziehbar, wobei es aber an den revisionswerbenden Parteien liegen wird, ihre diesbezüglichen Bedenken zu konkretisieren. Die mehrfach und auch noch in der Revision vorgetragene Behauptung, in einer auf Seite 18 des Prüfungsberichtes enthaltenen Tabelle seien zu den Dienstgeberbeiträgen und Zuschlägen völlig andere Beträge angegeben, beruht auf der Verkennung ihrer ausdrücklichen Bezeichnung als "Differenz" (zwischen der Summe der Einzelbeträge auf den Seiten 2 bis 11 und den Ergebnisübersichten auf Seite 19).
17 Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 21. Februar 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016130049.L00Im RIS seit
27.03.2018Zuletzt aktualisiert am
14.05.2018