TE Vwgh Beschluss 2018/3/1 Ra 2017/19/0583

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Veröffentlicht am 01.03.2018
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §1332;
AVG §71 Abs4;
VwGG §24 Abs1;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs3;
VwGG §46 Abs4;
VwGG §46;
VwGG §61 Abs3;
VwGG §62 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, in der Rechtssache des Antrages des S N in L, vertreten durch Mag. Georg-Alexander Grötz, Rechtsanwalt in 3508 Paudorf, Mitterfeldweg 179, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Oktober 2017, W123 2151418-1/7E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.

Begründung

1 Der Antragsteller begehrt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen ein näher bezeichnetes Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts. Unter einem wird die versäumte Handlung nachgeholt.

2 Dazu bringt der Antragsteller vor, das anzufechtende Erkenntnis sei ihm am 20. Oktober 2017 zugestellt worden. Am 2. November 2017 habe er einen Rechtsberater der Caritas, Asyl- und Fremdenrechtsberatung, aufgesucht. Dieser habe ihm die Ausarbeitung eines Verfahrenshilfeantrages zugesagt und ihn zur Unterfertigung desselben für den 29. November 2017 wiederbestellt. Der Rechtsberater habe dem Antragsteller zugesichert, dass der Verfahrenshilfeantrag noch vor dem 1. Dezember 2017 - dem letzten Tag der Revisionsfrist - zur Post gegeben werde. Der Rechtsberater habe die Briefsendung noch am Mittwoch, den 29. November 2017,

16.30 Uhr, im Postausgangsfach des Büros der Leitung des Caritas, Asylzentrum, deponiert. Auf dem Umschlag sei zudem ein Post-It mit der Aufschrift "Frist 01.12. Roland" angebracht gewesen. Einer Rund-Mail der Leiterin des Asylzentrums der Caritas zufolge werde "(j)eder Brief, der dort MO-DO bis spätestens 15:45 und FR bis spätestens 13:15 dort abgelegt wird (...) garantiert noch am selben Tag zur Post gebracht". Eine entsprechende Beschriftung finde sich auch am Postausgangsfach. Somit habe der Rechtsberater davon ausgehen können, dass das Schriftstück spätestens am Donnerstag, den 30. November 2017, zur Post gebracht werden würde.

3 Das Poststück mit dem Verfahrenshilfeantrag sei am 30. November 2017 gegen 16.00 Uhr von einem Mitarbeiter des Empfangs des Asylzentrums zwecks Postaufgabe entnommen worden. Aufgrund eines "Tumults beim Empfangsschalter" habe dieser das Poststück aber auf seinem Schreibtisch abgelegt und in weiterer Folge auf die Durchführung der Postaufgabe vergessen. Dies sei dem Empfangsmitarbeiter erst am 4. Dezember 2017 bei seiner Rückkehr an seinen Schreibtisch aufgefallen. Der Rechtsberater habe den Antragsteller daraufhin telefonisch über die Fristversäumung informiert. Der Antragsteller sei somit durch ein für ihn unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Stellung des Verfahrenshilfeantrages gehindert gewesen.

4 Zum Beweis seines Vorbringens legte der Antragsteller Erklärungen der Mitarbeiter der Caritas an Eides statt sowie diverse Unterlagen vor. Zudem enthält der Wiedereinsetzungsantrag weitere Beweisanbote.

5 Mangels näherer Vorschriften im VwGG - § 46 Abs. 3 und 4 VwGG enthält Regelungen betreffend die Wiedereinsetzung nach erfolgter Einbringung der Revision bzw. für den Fall der Versäumung der Revisionsfrist - sind Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen (vgl. VwGH 23.9.2014, Ra 2014/01/0070, und dem folgend VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0222).

6 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist, wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

7 Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (vgl. VwGH 8.9.2015, Ra 2015/01/0125, mwN).

8 Das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung ist dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, nicht jedoch ein Verschulden anderer Personen. Führt das Fehlverhalten anderer Personen zu einer Fristversäumung, so ist zu prüfen, ob die Partei selbst dadurch ein schuldhaftes Verhalten gesetzt hat, dass sie eine ihr auferlegte Sorgfaltspflicht außer Acht gelassen hat (z.B. Auswahlverschulden, mangelnde Überwachungstätigkeit oder sonstiges Organisationsverschulden). Wer einen Wiedereinsetzungsantrag auf das Verschulden einer Hilfsperson stützt, hat schon im Wiedereinsetzungsantrag durch ein substantiiertes Vorbringen darzulegen, aus welchen Gründen ihn selbst kein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden trifft (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0222, mwN).

9 Im vorliegenden Fall hat sich der Antragsteller eines Mitarbeiters der Caritas, Asyl- und Fremdenrechtsberatung, der selbst nicht für die Vertretung im Verfahren bevollmächtigt wurde, für die Abfassung und die Einbringung des gegenständlichen Verfahrenshilfeantrages bedient.

10 Ausgehend vom durch die vorhandenen Beweismittel ausreichend bescheinigten Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag ist fallbezogen nicht zu sehen, dass den Antragsteller ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden an der Versäumung der in § 26 Abs. 1 VwGG festgelegten Frist trifft. Insbesondere ist im Verfahren über den Wiedereinsetzungsantrag nicht hervorgekommen, dass er sich nicht ausreichend qualifizierter oder unverlässlicher Personen bedient oder Überwachungspflichten verletzt hätte (vgl. zu den Sorgfaltspflichten einer Partei bei Inanspruchnahme der Rechtsberatung der Caritas VwGH 21.4.2005, 2005/20/0080; 17.12.2009, 2008/22/0414).

11 Somit war dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 VwGG stattzugeben. Dadurch tritt das Verfahren gemäß § 45 Abs. 5 VwGG in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.

12 Über die gemeinsam mit dem Wiedereinsetzungsantrag gestellten Anträge auf Gewährung der Verfahrenshilfe wird gemäß § 14 Abs. 2 VwGG vom Berichter entschieden werden.

Wien, am 1. März 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017190583.L00

Im RIS seit

27.03.2018

Zuletzt aktualisiert am

04.04.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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