TE Lvwg Beschluss 2018/1/16 LVwG-S-1603/001-2017

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Veröffentlicht am 16.01.2018
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Entscheidungsdatum

16.01.2018

Norm

ZustG §11
RHStRÜbk Eur 2005 Art5 Abs3

Text

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch Richter Mag. Gindl über die Beschwerde des JJ, vertreten durch Mag. Michal Slany, Rechtsanwalt in ***, ***, gegen die als Straferkenntnis bezeichnete Erledigung der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf vom 3. März 2017, Zl. GFS2-V-16 34089/5, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960) den

BESCHLUSS

gefasst:

1.   Die Beschwerde wird mangels Anfechtungsobjekt zurückgewiesen.

2.   Eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist nicht zulässig.

Begründung:

Aus dem vorgelegten Verwaltungsstrafakt ergibt sich nachstehender, entscheidungswesentlicher Sachverhalt:

Aufgrund einer an den Beschwerdeführer in der Slowakei, jedoch ausschließlich in deutscher Sprache verfassten Aufforderung zur Rechtfertigung der belangten Behörde vom 24. Oktober 2016 antwortete dieser mit E-Mail vom 8. November 2016 Folgendes:

„Guten Tag.

Er erhielt eine Mail von Ihnen eine Geldstrafe zu rufen. Ich erkläre, dass ich das Fahrzeug nicht besitzen otorové 207 km / h m, die ich in meinem Leben nie ging nicht. Ich Invaliden und leben in den Ruhestand 204 €. Ich spreche kein Deutsch, also schreibe ich über Google zu übersetzen.

Anbei finden Sie die Dokumente

Dobrý de?.

Prišla mi od Vás pošta , predvolanie za pokutu. Prehlasujem, že nevlastním toto motorové vozidlo 207 km/h som nikdy v živote nešiel. Som invalidný dôchodca a žijem z dôchodku 204€. Neviem po nemecky, takže píšem cez google preklada?.

v prílohe Vám zasielam dokumenty“

In weiterer Folge erfolgte ein E-Mail-Schriftverkehr zwischen der belangten Behörde und dem Beschwerdeführer.

Mit der als Straferkenntnis bezeichneten Erledigung vom 3. März 2017,

Zl. GFS2-V-16 34089/5, wurde dem Beschwerdeführer Folgendes zur Last gelegt:

„Sie haben folgende Verwaltungsübertretung begangen:

Zeit:

19.08.2016, 17:15 Uhr

Ort:

Gemeindegebiet ***, auf der *** nächst Strkm. ***, Fahrtrichtung ***

 

Fahrzeug:

***, Motorrad

Tatbeschreibung:

Sie haben auf der Freilandstraße die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um mehr als 50 km/h überschritten.
207 km/h gefahrene Geschwindigkeit nach Abzug von 5% Messtoleranz.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:

§ 20 Abs.2 StVO 1960, § 99 Abs.2e StVO 1960

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:

Geldstrafe von               falls diese uneinbringlich ist, Gemäß

                               Ersatzfreiheitsstrafe von

€ 2.180,00                 1.008 Stunden            § 99 Abs.2e StVO 1960

Vorgeschriebener Kostenbeitrag gemäß § 64 Abs.2
Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), das sind 10% der
Strafe, mindestens jedoch 10 Euro                                                                                                    28,00

                                                        Gesamtbetrag                           2.398,00“

Dieses Schriftstück war seitens der belangten Behörde gänzlich in deutscher Sprache abgefasst.

Der Aktenlage wurde dieses Schriftstück mittels „internationalem Rückschein“ versendet und 13. März 2017 zugestellt.

Aus einer Niederschrift über die Einvernahme des Beschuldigten vom 8. Juni 2017, GFS2-V-16 34089/5, bei der belangten Behörde ergibt sich im Wesentlichen Folgendes:

„JJ erscheint heute in Begleitung eines slowakischen Fernsehteams. Dem Team wird der Zugang zu den Amtsräumen verweigert und ein Filmverbot ausgesprochen. Vom Leiter des Fachgebietes Strafen wird mitgeteilt, dass Auskünfte in der Sache aus gesetzlichen Gründen nicht erfolgen darf. Akteneinsicht hat nur der Beschuldigte und sein Rechtsvertreter.

Herrn JJ wird durch die Dolmetscherin der Sachverhalt vollinhaltlich zur Kenntnis gebracht. Herr JJ gibt an, dass die von der Behörde übermittelten Übersetzungen so mangelhaft waren, dass er lediglich ca. ein Drittel nach mehrmaligem Durchlesen verstehen konnte.

Herr JJ kann sich nicht erklären, wie eine Kopie seines Führerscheins zur Behörde gelangen kann. Ihm wird erklärt, dass die Kopie vom Zulassungsbesitzer des Motorrades ***, Herrn DS, mit der Lenkerauskunft übermittelt wurde. Herr JJ erklärt, dass er sich zum Vorfallszeitpunkt am 17.8.2016 keineswegs in Österreich aufgehalten hat, auch nicht einige Wochen später, zum Zwecke der Ausfertigung einer Lenkerauskunft. Er hat noch nie ein Motorrad gelenkt. Aus gesundheitlichen Gründen sei er auch nicht dazu in der Lage ein Motorrad zu lenken. Der Vergleich der Führerscheinkopie mit seinem Führerschein ergibt jedoch eine für ihn nicht erklärbare komplette Übereinstimmung. Er hat niemals auf eine Annonce reagiert, da er nie beabsichtigt hat ein Motorrad zu kaufen. Die Interneteinrichtung „Will haben“ ist ihm nicht bekannt. Die Schrift der Lenkererhebung stammt nicht von ihm, was in einem Schriftenvergleich auch festgestellt wird.

Das Straferkenntnis wurde von einem Familienmitglied übernommen, der Inhalt war für Herrn JJ jedoch nicht verständlich. Am heutigen Tag wird ihm der komplette Akt in Kopie ausgefolgt. Diese Kopie enthält auch das Straferkenntnis, das somit am heutigen Tag zugestellt wird. Eine Übersetzung des Sachverhalts erfolgt durch die Dolmetscherin. Die Rechtsmittelfrist beginnt somit mit 8.6.2017 zu laufen. Eine Beschwerde kann innerhalb von 4 Wochen eingebracht werden und muss in deutscher Sprache übermittelt werden. Bisher eingelangte Schriftstücke können nicht als eingebrachte Beschwerde anerkannt werden, da die Bescheidzustellung erst am heutigen Tag erfolgte.“

In weiterer Folge hat der Beschwerdeführer, nunmehr vertreten durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter, mit Schreiben vom 28. Juni 2017 Beschwerde erhoben.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat erwogen:

Gemäß § 11 des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982 sind Zustellungen im Ausland nach den bestehenden internationalen Vereinbarungen oder allenfalls auf dem Weg, den die Gesetze oder sonstigen Rechtsvorschriften des Staates, in dem zugestellt werden soll, oder die internationale Übung zulassen, erforderlichenfalls unter Mitwirkung der österreichischen Vertretungsbehörden, vorzunehmen.

Aus § 11 Abs. 1 Zustellgesetz ergibt sich eine abgestufte Reihenfolge, die bei der Prüfung, ob eine entsprechende Zustellung in einen anderen Staat möglich und zulässig ist, anzuwenden ist (vgl. VwGH vom 1. März 2016, Ra 2015/11/0097, mit Verweis auf Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely, Österreichisches Zustellrecht, 2. Auflage, Rz 2 f. zu § 11 ZustellG). Entscheidend sind daher in erster Linie bestehende internationale Vereinbarungen.

Gemäß Art. XIII Abs. 4 zweiter und dritter Satz des Vertrags zwischen der Republik Österreich und der Slowakischen Republik über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen und die Erleichterung seiner Anwendung (in der Folge: Ergänzungsvertrag), BGBl. Nr. 28/1996, gilt die Zustellung in beiden Vertragsstaaten als nicht bewirkt, wenn das zuzustellende Schriftstück nicht mit einer Übersetzung in die Sprache des ersuchten Staates versehen ist. Bei der Zustellung von Schriftstücken im Postweg an eigene Staatsangehörige kann auf Übersetzungen verzichtet werden.

Gemäß Art. 5 Abs. 3 des Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (in der Folge: EU-RHÜ 2000), BGBl. III Nr. 65/2005, ist, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Zustellungsempfänger der Sprache, in der die Urkunde abgefasst ist, unkundig ist, die Urkunde – oder zumindest deren wesentlicher Inhalt – in die Sprache oder in eine der Sprachen des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Empfänger sich aufhält, zu übersetzen. Ist der Behörde, die die Verfahrensurkunde ausgestellt hat, bekannt, dass der Empfänger nur einer anderen Sprache kundig ist, so ist die Urkunde - oder zumindest deren wesentlicher Inhalt - in diese andere Sprache zu übersetzen.

Während XIII Abs. 4 des Ergänzungsvertrages mit der Slowakei eine Übersetzung des Schriftstückes (bei sonstiger Rechtsunwirksamkeit der Zustellung) vorschreibt, sieht Art. 5 Abs. 3 EU-RHÜ 2000 das Erfordernis einer Übersetzung von in einem anderen Mitgliedstaat zugestellten Verfahrensurkunden nur für den Fall vor, dass der Zustellungsempfänger der Sprache, in der die Urkunde abgefasst ist, unkundig ist. Dieser allfällige Normenkonflikt ist dahin zu lösen, dass dem Art. 5 Abs. 3 EU-RHÜ 2000 zum einen schon nach der lex-posterior-Regel der Vorrang zukommt. Zum anderen ist zu beachten, dass die genannten Vorschriften, wie sich schon aus dem Titel des Vertrages und aus Art. 1 des Übereinkommens ergibt, dazu dienen sollen, die Anwendung (u.a.) des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959, BGBl. Nr. 41/1969, zu „erleichtern“, sodass Art. 5 Abs. 3 EU-RHÜ 2000 (und nicht Art. XII Abs. 3 iVm Art. XIII Abs. 4 des Ergänzungsvertrages) die „günstigere“ Bestimmung im Sinne des Art. 1 Abs. 2 dieses Übereinkommens darstellt und damit nach der letztgenannten Bestimmung Vorrang hat (vgl. abermals VwGH vom 1. März 2016, Ra 2015/11/0097).

Die Behörde hatte aufgrund des in Reaktion auf die Aufforderung zur Rechtfertigung ergangenen E-Mails des Beschwerdeführers ausreichend Anhaltspunkte dafür, dass er der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist. Dies wurde auch im weiteren Verfahrensablauf bestätigt.

Vor diesem Hintergrund kann das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich der Feststellung der belangten Behörde, wonach eine „Zustellung“ des Straferkenntnisses bis zum 8. Juni 2017 (siehe Feststellungen der belangten Behörde in der obigen Niederschrift vom 8. Juni 2017) nicht erfolgte, nicht entgegentreten.

Im Rahmen der Vorsprache bei der belangten Behörde (siehe Niederschrift vom 8. Juni 2017) erfolgten eine Übersetzung des Sachverhaltes sowie eine Ausfolgung einer Aktenkopie (inklusive Straferkenntnis vom 3. März 2017). Eine mündliche Verkündung des Straferkenntnisses im Rahmen dieser Niederschrift erfolgte nicht, sodass das Straferkenntnis nicht durch Verkündung erlassen wurde.

Eine Ausfolgung einer Kopie des Straferkenntnisses (in deutscher Sprache) kann aus Sicht des Landesverwaltungsgericht Niederösterreich vor dem Hintergrund der obigen Ausführung (mangels Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers) nicht als wirksame Zustellung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 EU-RHÜ 2000 angesehen werden. Demnach ist das Erfordernis einer Übersetzung, für den Fall, dass der Zustellungsempfänger der Sprache, in der die Urkunde abgefasst ist, unkundig ist, vorgesehen. Für die „Zustellung“ eines Straferkenntnisses bedeutet dies, dass der Beschwerdeführer in die Lage versetzt ist, während der Rechtsmittelfrist, das ihm „zugestellte“ Schriftstück in einer ihm verständlichen Sprache zur Verfügung zu haben um sich auch entsprechend (insbesondere auch durch Erhebung einer Beschwerde) rechtfertigen zu können.

Die Erledigung vom 3. März 2017 ist daher nicht als Bescheid zu qualifizieren und ist die dagegen gerichtete Beschwerde daher mangels tauglichen Anfechtungsobjekts zurückzuweisen.

Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass dieser Beschluss nicht in die slowakische Sprache zu übersetzen ist, da der Beschwerdeführer sich nunmehr eines deutschsprachigen Rechtsvertreters bediente.

Zur Nichtzulassung der ordentlichen Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist.

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine Rechtsfrage im Sinne des Artikel 133 Abs. 4 B-VG, welcher grundsätzliche Bedeutung zukommt, war gegenständlich nicht zu lösen, sodass eine ordentliche Revision nicht zulässig ist.

Schlagworte

Verkehrsrecht; Verfahrensrecht; Straferkenntnis; Zustellung; Sprache; Übersetzung;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2018:LVwG.S.1603.001.2017

Zuletzt aktualisiert am

26.03.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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