TE Lvwg Beschluss 2018/3/8 LVwG-S-129/001-2017, LVwG-S-130/001-2017, LVwG-S-131/001-2017

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.03.2018
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Entscheidungsdatum

08.03.2018

Norm

ZustG §11 Abs1
RHStRÜbk Eur 2005 Art5
RHStRÜbk Eur 2005 Art3

Text

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch Dr. Köchle als Einzelrichterin über die Beschwerde des VB, ***,
***, in Ungarn, gegen

 

1.   das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 21. November 2016, Zl. BNS2-V-16 30552/5 (protokolliert zu LVwG-S-129/001-2017)

2.   das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 21. November 2016, Zl. BNS2-V-16 30553/5 (protokolliert zu LVwG-S-130/001-2017) und

3.   das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 22. November 2016, Zl. BNS2-V-16 30556/5 (protokolliert zu LVwG-S-131/001-2017)

jeweils betreffend Bestrafung nach dem Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG), den

BESCHLUSS

gefasst:

1.   Die Beschwerde wird gem. § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz – VwGVG als unzulässig zurückgewiesen.

2.   Gegen diesen Beschluss ist gem. § 25a Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz – VwGVG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Begründung:

1.   Verfahrensgang

1.1. Die Finanzpolizei Team *** für das Finanzamt *** führte am 26.04.2016 in *** eine Kontrolle durch, bei der der ungarische Staatsangehörige IC als Lenker eines LKWs der B Kft., einem Unternehmen mit Sitz in Ungarn, angehalten, kontrolliert und mit ihm ein Personenblatt (in ungarischer Sprache) ausgefüllt wurde.

1.2. In Folge der am 26.04.2016 durchgeführten Kontrolle erstattet die Finanzpolizei Anzeigen gegen den Beschwerdeführer als das zur Vertretung nach außen befugtes Organ der ungarischen B Kft.

Auf Grundlage dieser Anzeigen leitete die Bezirkshauptmannschaft Baden (idF: die Behörde) unter Beteiligung der Abgabenbehörde als Partei drei Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer ein.

Eines dieser Strafverfahren betrifft den Vorwurf der Verletzung von § 7b Abs. 8 Z 1 erster Fall iVm § 7b Abs. 3 AVRAG durch nicht rechtzeitige Erstattung einer ZKO-3-Meldung, ein weiteres den Vorwurf, dass § 7b Abs. 8 Z 3 iVm § 7b Abs. 5 AVRAG verletzt worden sei, weil die Unterlagen über die Anmeldungen des Arbeiters zur Sozialversicherung nicht am Arbeitsort bereitgehalten bzw. zugänglich gemacht wurden und das dritte Strafverfahren hat den Vorwurf zum Gegenstand, § 7i Abs. 4 Z 1 iVm § 7d AVRAG sei verletzt worden, weil die Lohnunterlagen nicht in deutscher Sprache am Arbeitsort bereitgehalten worden seien.

Mit (ausschließlich in deutscher Sprache gefassten) Schreiben jeweils vom 25.05.2016 forderte die Behörde den Beschwerdeführer zur Rechtfertigung zu diesen Vorwürfen auf.

1.3. Nach Erhalt der Aufforderungen zur Rechtfertigung meldete sich der Beschwerdeführer zunächst telefonisch bei der belangten Behörde, die ihm mitgeteilte, dass er mit der Behörde auf Deutsch kommunizieren müsse. In weiterer Folge übermittelte er am 13.06.2016 ein in englischer Sprache verfasstes (mehrere Beilagen umfassendes) E-Mail mit folgendem Inhalt:

„Dear Sir,

according to our phone call, I send you [a]ttached the required documentation of this case.

I believe thi[s] was a misunderstanding between the police and the driver.

Please check them, and get back to me if there is any further problem or questions.

Thank you

[…]”

1.4. Die belangte Behörde übermittelte diese Eingabe an die Finanzpolizei die (in drei abgesehen auf die Bezugnahme auf die jeweils gegenständliche Geschäftszahl identischen Stellungnahmen vom 11.11.2016) ausführte, der Strafantrag der Finanzpolizei werde aufrecht erhalten, da ein Missverständnis ausgeschlossen werden könne, weil dem Fahrer eine Liste vorgelegt worden sei, in der in ungarischer Sprache angeführt gewesen sei, welche Dokumente er brauche und außerdem sei die ZKO3-Meldung erst am 26.04.2016 erfolgt, was den Schluss nahe lege, dass die Anmeldung erst erfolgt sei, nachdem der Fahrer kontrolliert wurde.

1.5. In der Folge übermittelte die belangte Behörde sowohl dem Beschwerdeführer als auch der Finanzpolizei die drei im Spruch genannten Straferkenntnisse, in denen der Beschwerdeführer, hinsichtlich IC, des kontrollierten ungarischen LKW-Fahrers als Arbeitnehmer des genannten Unternehmens, jeweils schuldig erkannt wird, näher genannte Vorgaben des AVRAG verletzt zu haben und wurden über den Beschwerdeführer deswegen Verwaltungsstrafen verhängt.

Konkret wurde der Beschwerdeführer erstens mit dem (im beim Verwaltungsgericht zur Zahl LVwG-S-129/001-2017 protokollierten Verfahren gegenständlichen) Straferkenntnis vom 21.11.2016, Zl. BNS2-V-16 30552/5, einer Übertretung von
§ 7b Abs. 8 Z. 1 erster Fall iVm § 7b Abs. 3 AVRAG – ZKO3-Meldung nicht eine Woche vor Arbeitsantritt erstattet – für schuldig erkannt und wurde über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von 1.000,-- Euro verhängt und ihm ein Beitrag zu den Kosten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens in der Höhe von 100,-- Euro auferlegt.

Zweitens wurde der Beschwerdeführer mit dem (im beim Verwaltungsgericht zur Zahl LVwG-S-130/001-2017 protokollierten Verfahren gegenständlichen) Straferkenntnis vom 21.11.2016, Zl. BNS2-V-16 30553/5 einer Übertretung von § 7b Abs. 8 Z. 3 iVm
§ 7b Abs. 5 AVRAG – Unterlagen über die Anmeldung zur Sozialversicherung nicht am Arbeitsort bereitgehalten – für schuldig erkannt und wurde über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von 1.000,-- Euro verhängt und ihm ein Beitrag zu den Kosten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens in der Höhe von 100,-- Euro auferlegt.

Drittens wurde der Beschwerdeführer mit dem (im beim Verwaltungsgericht zur Zahl LVwG-S-131/001-2017 protokollierten Verfahren gegenständlichen) Straferkenntnis vom 22.11.2016 einer Übertretung von § 7i Abs. 4 Z. 1 iVm § 7d Abs. 1 AVRAG – Lohnunterlagen in deutscher Sprache nicht am Arbeitsort bereitgehalten – für schuldig erkannt und wurde über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von 1.000,-- Euro verhängt und ihm ein Beitrag zu den Kosten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens in der Höhe von 100,-- Euro auferlegt.

1.6. Diese drei verfahrensgegenständlichen Straferkenntnisse wurden sowohl der Abgabenbehörde als auch dem Beschwerdeführer ausschließlich in deutscher Sprache und ohne Beifügung einer ungarischen Übersetzung übermittelt. Bei der Abgabenbehörde langten die Strafbescheide am 22.11.2016 ein, dem Beschwerdeführer wurden die Straferkenntnisse mit „internationalem Rückschein“ an seine in der Datenbank „Orbis“ aufscheinende Adresse in Ungarn übermittelt, wo sie am 20.12.2016 ausgefolgt wurden.

1.7. Am 16.01.2017 langte bei der belangten Behörde ein mit 11.01.2017 datiertes Schreiben ein, das auf die Zahlen aller drei Straferkenntnisse Bezug nimmt und in dem in weitgehend verständlichem, wenn auch nicht völlig korrektem (so wird ua zB auch ein ungarisches Wort in einem grundsätzlich deutschen Satz verwendet) Deutsch „unter Bezugnahme auf die Sachen unter den oben angegebenen Nummern“ vorgebracht wird, dass nach Meinung des Beschwerdeführers die Behörde in ihrem Verfahren „die wichtigsten Bestimmungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union über die justiziellen Rechte“ verletzt habe.

Insbesondere wird unter anderem vorgebracht:

Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen

Die von Ihnen mir gesandtem Dokumente sind ausschließlich deutschsprachig. Als ich Sie per Telefon ersuchte, waren Sie nicht bereit, in meiner Muttersprache oder in englischer Sprache Informationen zu liefern, noch dazu betonten Sie, dass ich Deutsch sprechen muss.

Nach Anführung weiterer (Grund-)Rechte mit jeweils kurzer Anmerkung bzw. Begründung, warum diese nach Auffassung des Beschwerdeführers verletzt wurden, lauten die letzten beiden Sätze wie folgt:

Mit Rücksicht auf die Vorstehende, meiner Meinung nach, habe ich keine Verbrechen begangen, sowie war ihr Verfahren unangemessen.

Ich bitte Sie, im Folgenden in der Sache – sowohl an mich als auch an die anderen 2 Geschäftsführer – in ungarischer Sprache detaillierte Informationen zu senden, anderenfalls können wir uns nicht in der Sache damit befassen.“

1.8. Dieses Schreiben wurde von der Behörde (und in der Folge auch vom Verwaltungsgericht) als Beschwerde gegen alle drei in Frage stehenden Straferkenntnisse gewertet. Mit (drei, auf die Zahl jeweils eines der drei Straferkenntnisse Bezug nehmenden) Schreiben jeweils vom 17.01.2017 wurde dem Verwaltungsgericht die Beschwerde sowie drei gegenständlichen verwaltungsstrafbehördlichen Akten vorgelegt.

Nach Beschwerdevorlage durch die belangte Behörde räumte das Verwaltungsgericht der Finanzpolizei Team *** für das Finanzamt *** zur Wahrung des Parteiengehörs die Möglichkeit ein, zu den Ausführungen des Beschwerdeführers Stellung zu nehmen. Auf die Übermittlung der Stellungnahmen der Finanzpolizei durch das Verwaltungsgericht reagierte der Beschwerdeführer mit einem ausschließlich in ungarischer Sprache gehaltenem Schreiben (dessen Übersetzung vom Verwaltungsgericht veranlasst und in der Folge auch den anderen Verfahrensparteien übermittelt wurde) mit folgendem Inhalt:

„Sehr geehrte Damen und Herrn,

der von Ihnen mir zugesandte Brief […] wurde in einer mir unverständlichen Sprache verfasst. Ich ersuche Sie, mir in meiner Muttersprache, d.h. in Ungarisch gehaltene Schriftstücke zu schicken.“

1.9. Um beurteilen zu können, ob die in Frage stehenden Straferkenntnisse rechtswirksam an den Beschwerdeführer zugestellt wurden, forderte das Verwaltungsgericht zum einen die belangte Behörde auf, mitzuteilen, ob die Straferkenntnisse unter Beifügung einer Übersetzung zugestellt wurden und forderte sie weiters auf, dazu Stellung zu nehmen, ob und in welcher Form das Telefonat mit der Behörde, auf das der Beschwerdeführer sowohl in seinem E-Mail vom 13.06.2016 als auch in der Beschwerde Bezug nimmt, stattgefunden hat und inwiefern aufgrund dieses Telefonates oder aufgrund allfälliger sonstiger Kommunikation mit dem Beschwerdeführer seitens der Behörde davon ausgegangen wurde, dass dieser der deutschen Sprache (nicht) mächtig sei.

Zum anderen forderte das Landesverwaltungsgericht (mit einem unter Beifügung einer ungarischen Übersetzung übermittelten Schreiben) den Beschwerdeführer auf, mitzuteilen, wie es ihm möglich gewesen sei, seine Beschwerde in weitgehend verständlichem Deutsch einzubringen, obwohl er laut eigenem Vorbringen kein Deutsch spreche.

1.10. Die Bezirkshauptmannschaft Baden teilte auf diese Anfrage des Verwaltungsgerichtes zum einen mit, es könne nicht mehr nachvollzogen werden, ob das vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde angesprochene Telefonat stattgefunden habe bzw. wie dieses verlaufen sei. Zum anderen wurde mitgeteilt, dass die Straferkenntnisse ausschließlich in deutscher Sprache, ohne Beifügung einer Übersetzung, übermittelt worden seien.

1.11. Der Beschwerdeführer teilte (erneut mit in ungarischer Sprache gehaltenem Schreiben, dessen Übersetzung das Verwaltungsgericht veranlasst und den übrigen Verfahrensparteien übermittelt hat) ua. mit, dass er die Beschwerde mit „Google Translate“ übersetzt habe.

2.   Weitere Feststellungen:

2.1. Das Verwaltungsgericht legt seiner Entscheidung zum einen den oben unter Pkt. 1. dargestellten Verfahrensgang als erwiesen zugrunde und gründet seinen Beschluss weiter insbesondere auf folgende Feststellungen:

2.2. Der Beschwerdeführer ist ungarischer Staatsangehöriger, der in Ungarn lebt. Er verfügt nicht über hinreichende Deutschkenntnisse, die ihm die Wahrung seiner Rechte im Strafverfahren ermöglichen würden.

2.3. Im verwaltungsstrafbehördlichen Verfahren nahm der Beschwerdeführer (nachdem er in jedem der drei gegenständlichen Strafverfahren mit ausschließlich in deutscher Sprache übermitteltem Schreiben zur Rechtfertigung aufgefordert worden war) an einem nicht mehr feststellbaren Datum telefonisch Kontakt mit der belangten Behörde auf. Im Zuge dieses Telefonates ersuchte er darum, Informationen auf Ungarisch oder Englisch zu erhalten. Unter Bezugnahme auf dieses Telefonat übermittelte der Beschwerdeführer am 13.06.2016 ein in englischer Sprache verfasstes (mehrere Beilagen umfassendes) E-Mail, das von der Behörde als Rechtfertigung gewertet wurde.

2.4. Dem Beschwerdeführer wurden die drei gegenständlichen Straferkenntnisse (jeweils betreffend Übertretungen des AVRAG) mittels „internationalem Rückschein“ ausschließlich in deutscher Sprache, ohne Beifügung einer Übersetzung in eine dem Beschwerdeführer verständliche Sprache, übermittelt.

2.5. Die Abgabenbehörde (Finanzpolizei Team *** für das Finanzamt ***) hat in Verwaltungsstrafen betreffend die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Übertretungen des AVRAG Parteistellung. Ihr wurden die gegenständlichen Straferkenntnisse am 21. bzw. 22.11.2016 wirksam zugestellt.

3.   Beweiswürdigung

3.1. Der oben unter Pkt. 1 festgestellte Sachverhalt bzw. Verfahrensgang, insbesondere der Inhalt der Stellungnahmen der Verfahrensparteien sowie die Feststellung zu Nationalität und Wohnort des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt des Aktes der Verwaltungsbehörde sowie aus dem Inhalt des verwaltungsgerichtlichen Aktes.

3.2. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist, gründet sich auf die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers. Die Angaben des Beschwerdeführers, nicht über hinreichende Deutschkenntnisse zu verfügen – die von den anderen Verfahrensparteien trotz Möglichkeit zur Stellungnahme nicht in Zweifel gezogenen wurden – scheinen nachvollziehbar und glaubwürdig, hat der Beschwerdeführer doch zum einen sein im Akt befindliches E-Mail im erstinstanzlichen Verfahren nicht auf Deutsch, sondern in englischer Sprache verfasst und hat er stets und wiederholt – sowohl in seiner Beschwerde als auch in seinen Schreiben vom 12.02.2018 an das Verwaltungsgericht – vorgebracht, dass er der deutschen Sprache nicht mächtig sei.

3.3. Davon, dass der Beschwerdeführer wie von ihm in der Beschwerde vorgebracht im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens ein Telefonat mit der Behörde führte, in dem er um Informationen in einer ihm verständlichen Sprache, nämlich Ungarisch oder Englisch ersuchte, ist deshalb auszugehen, weil das diesbezügliche Vorbringen in der Beschwerde aus folgenden Gründen nachvollziehbar, widerspruchsfrei und glaubwürdig ist:

Der Beschwerdeführer hat schon in seinem von der Behörde als Rechtfertigung gewerteten E-Mail auf dieses Telefonat Bezug genommen, ohne dass die Behörde in irgendeinem Verfahrensstadium etwa in einem Schreiben an den Beschwerdeführer oder einem Aktenvermerk darauf hingewiesen oder vermerkt hätte, dass ein solches Gespräch entgegen der Angaben des Beschwerdeführers nicht stattgefunden hätte und auch in der Stellungnahme an das Verwaltungsgericht (auf ausdrückliche diesbezügliche Nachfrage) wurde von der Behörde nicht etwa ausgeschlossen, dass ein solches Telefonat stattgefunden hat, sondern wurde mitgeteilt, dass nicht mehr nachvollzogen werden könne, ob und in welcher Form ein solches stattgefunden habe.

3.4. Die Feststellungen betreffend die Zustellung der Straferkenntnisse an die Abgabenbehörde konnte aufgrund der im Akt befindlichen und unbedenklichen Bescheideingangsbestätigungen der Amtspartei getroffen werden. Die Feststellungen über die Form der Zustellung der Straferkenntnisse an den Beschwerdeführer gründen sich auf die in den Akten befindlichen internationalen Rückscheine sowie auf die Stellungnahme der Behörde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in der diese angab, dass die Übermittlung ohne Beifügung einer Übersetzung erfolgt sei.

4.   Rechtliche Beurteilung:

4.1. Maßgebliche Rechtslage:

4.1.1. § 11 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Zustellung behördlicher Dokumente (Zustellgesetz – ZustG) idgF lautet wie folgt:

Besondere Fälle der Zustellung

§ 11. (1) Zustellungen im Ausland sind nach den bestehenden internationalen Vereinbarungen oder allenfalls auf dem Weg, den die Gesetze oder sonstigen Rechtsvorschriften des Staates, in dem zugestellt werden soll, oder die internationale Übung zulassen, erforderlichenfalls unter Mitwirkung der österreichischen Vertretungsbehörden, vorzunehmen.“

4.1.2. Das (auch von Ungarn ratifizierte) Übereinkommen vom 29.5.2000 – gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union samt Erklärungen, StF: BGBl. III Nr. 65/2005 idgF (im Folgenden: EU-RHÜ 2000) lautet auszugsweise wie folgt:

„Artikel 3

Verfahren, in denen ebenfalls Rechtshilfe geleistet wird

(1) Rechtshilfe wird auch in Verfahren wegen Handlungen geleistet, die nach dem innerstaatlichen Recht des ersuchenden oder des ersuchten Mitgliedstaats oder beider als Zuwiderhandlungen gegen Rechtsvorschriften durch Verwaltungsbehörden geahndet werden, gegen deren Entscheidung ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht angerufen werden kann.

[…]

Artikel 5

Übersendung und Zustellung von Verfahrensurkunden

(1) Jeder Mitgliedstaat übersendet Personen, die sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhalten, für sie bestimmte Verfahrensurkunden unmittelbar durch die Post.

(2) Die Verfahrensurkunden können nur dann durch Vermittlung der zuständigen Behörden des ersuchten Mitgliedstaats übersandt werden, wenn      

a) die Anschrift des Empfängers unbekannt oder nicht genau bekannt ist,

b) die entsprechenden Verfahrensvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats einen anderen als einen auf dem Postweg möglichen Nachweis über die Zustellung der Urkunde an den Empfänger verlangen,

c) eine Zustellung auf dem Postweg nicht möglich war, oder

d) der ersuchende Mitgliedstaat berechtigte Gründe für die Annahme hat, daß der Postweg nicht zum Ziel führen wird oder ungeeignet ist.

(3) Wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Zustellungsempfänger der Sprache, in der die Urkunde abgefaßt ist, unkundig ist, so ist die Urkunde - oder zumindest deren wesentlicher Inhalt - in die Sprache oder in eine der Sprachen des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Empfänger sich aufhält, zu übersetzen. Ist der Behörde, die die Verfahrensurkunde ausgestellt hat, bekannt, daß der Empfänger nur einer anderen Sprache kundig ist, so ist die Urkunde - oder zumindest deren wesentlicher Inhalt - in diese andere Sprache zu übersetzen.“

4.2. Erwägungen:

4.2.1. Die Behörde hat die Zustellung der gegenständlichen Straferkenntnisse an den Beschwerdeführer an dessen Adresse in Ungarn im Postwege unter Verwendung eines „internationalen Rückscheines“ vorgenommen, wobei die Übermittlung der als „Straferkenntnisse“ bezeichneten Erledigungen ausschließlich in deutscher Sprache, ohne Beifügung einer Übersetzung erfolgte. Im Hinblick auf die oben wiedergegebenen Bestimmungen, insbes. Art 5 EU-RHÜ 2000, erweist sich diese Form der Zustellung der in Frage stehenden Straferkenntnisse an den Beschwerdeführer im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen als unwirksam:

4.2.2. Gemäß § 11 ZustellG sind Zustellungen im Ausland nach den bestehenden internationalen Vereinbarungen oder allenfalls auf dem Weg, den die Gesetze oder sonstigen Rechtsvorschriften des Staates, in dem zugestellt werden soll, oder die internationale Übung zulassen, erforderlichenfalls unter Mitwirkung der österreichischen Vertretungsbehörden, vorzunehmen.

Aus § 11 Abs. 1 Zustellgesetz ergibt sich eine abgestufte Reihenfolge, die bei der Prüfung, ob eine entsprechende Zustellung in einen anderen Staat möglich und zulässig ist, anzuwenden ist (vgl. VwGH 01.03.2016, Ra 2015/11/0097, mit Verweis auf Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely, Österreichisches Zustellrecht2, Rz 2 f. zu § 11 ZustellG). Entscheidend sind daher in erster Linie bestehende internationale Vereinbarungen.

4.2.3. Aus Artikel 3 des (sowohl von Ungarn als auch von Österreich ratifizierten) EU-RHÜ 2000 ergibt sich, dass dieses Abkommen jedenfalls auch für Zustellungen in Verwaltungsstrafsachen im behördlichen Verfahren gilt, wenn diese in weiterer Folge durch ein Gericht wie im vorliegen Fall durch das Verwaltungsgericht überprüft werden können.

Aus Artikel 5 Abs 1 EU-RHÜ 2000 ergibt sich, dass die Zustellung im Postwege nicht nur möglich, sondern sogar vorrangig vorgesehen ist, da Rechtshilfe bei Zustellungen nur ausnahmsweise in den in Artikel 5 Abs 2 genannten Fällen geleistet wird. Die im vorliegenden Fall erfolgte Zustellung im Postweg war somit grundsätzlich zulässig.

Allerdings sieht Artikel 5 Abs 3 EU-RHÜ 2000 für direkte Zustellungen auf dem Postweg ebenso wie auch für die Zustellung von Schriftstücken im Rechtshilfewege durch ersuchte Behörden vor, dass dann, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Zustellungsempfänger der Sprache, in der die Urkunde abgefasst ist, unkundig ist, die Urkunde – oder zumindest deren wesentlicher Inhalt – in die Sprache oder in eine der Sprachen des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Empfänger sich aufhält, zu übersetzen ist. Ist der Behörde, die die Verfahrensurkunde ausgestellt hat, bekannt, dass der Empfänger nur einer anderen Sprache kundig ist, so ist die Urkunde – oder zumindest deren wesentlicher Inhalt – in diese andere Sprache zu übersetzen.

4.2.4. Im vorliegenden Fall gab es schon im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens insbesondere aufgrund des auf Englisch verfassten E-Mails des Beschwerdeführers vom 13.06.2016 aber auch aufgrund des Telefonates, in dem der Beschwerdeführer die Behörde um Informationen in einer ihm verständlichen Sprache ersuchte, deutliche Hinweise dahingehend, dass der Beschwerdeführer der deutschen Sprache nicht ausreichend kundig ist.

Angesichts dessen hätte die Zustellung der gegenständlichen Straferkenntnisse aufgrund von Artikel 5 Abs 3 EU-RHÜ 2000 unter Anschluss einer ungarischen Übersetzung erfolgen müssen, um wirksam zu sein.

4.2.5. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass ein Verstoß gegen in internationalen Abkommen zwingend vorgesehene Übersetzungspflichten im Lichte des § 7 ZustellG einen unheilbaren Zustellmangel darstellt. Dies deshalb, weil dem Empfänger auf Grund der fehlenden Übersetzung ein unvollständiges Schriftstück zugekommen ist (s. insbes. die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.05.1988, Zl. 87/16/0110 und vom 26.06.2014, Zl. 2010/16/0103, in welchen der Verwaltungsgerichtshof jeweils bei Verstößen gegen Übersetzungspflichten bei Zustellungen auf Grund von bilateralen Abkommen sowie des Amtshilfeabkommens, BGBl. Nr. 708/1995, und der Verordnung EG Nr. 515/97, betreffend jeweils Zustellungen in zollrechtlichen und abgabenrechtlichen Angelegenheiten zum Ergebnis gelangte, dass das Fehlen der nach diesen Vorschriften zwingend anzuschließenden Übersetzung in die Sprache jenes Landes, in welches zugestellt werden soll, einen unheilbaren Zustellmangel und somit die Unwirksamkeit des gegenständlichen Bescheides zur Folge hat.).

4.2.6. Ausgehend von dieser Judikatur steht für den vorliegenden Fall jedenfalls fest, dass die Straferkenntnisse dem Beschwerdeführer nicht rechtswirksam zugestellt wurden, da sie trotz erkennbar unzureichender Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers entgegen Artikel 5 Abs 3 EU-RHÜ 2000 ohne Übersetzung übermittelt wurden und somit ein unheilbarer Zustellmangel vorliegt.

4.2.7. Gäbe es neben dem Beschwerdeführer keine weiteren Parteien, käme den Straferkenntnissen mangels rechtswirksamer Erlassung keine Bescheidqualität zu und wäre die Beschwerde nach der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes mangels geeigneten Anfechtungsgegenstandes als unzulässig zurückzuweisen.

Im vorliegenden Fall liegt allerdings insofern ein „Mehrparteienverfahren“ vor, als die gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren angenommene Übertretungen von § 7b Abs. 8 bzw § 7i Abs. 4 AVRAG idF vor BGBl. I 44/2016 betreffen und somit der Abgabenbehörde gemäß § 7i Abs. 8 AVRAG idF vor BGBl. I 44/2016 Parteistellung zukommt. Da die Straferkenntnisse der Abgabenbehörde als Verfahrenspartei auch rechtswirksam zugestellt wurden, kommt den hier in Frage stehenden Straferkenntnissen nach Auffassung des Verwaltungsgerichts jedenfalls Bescheidqualität zu, womit eine Beschwerdezurückweisung mangels tauglichen Anfechtungsobjekts ausscheidet.

Auch ist in einem Mehrparteienverfahren zu berücksichtigen, dass nach § 7 Abs. 3 VwGVG gegen ein Bescheid, der bereits einer anderen Partei zugestellt oder verkündet wurde, auch von einem Beschwerdeführer, dem der Bescheid noch nicht zugestellt wurde, nach § 7 Abs. 3 VwGVG grundsätzlich bereits ab dem Zeitpunkt Beschwerde erhoben werden kann, in dem er von dem Bescheid Kenntnis erlangt hat (vgl. auch die die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, nach der „in einem Mehrparteienverfahren […] eine Berufung einer Partei gegen einen Bescheid, der zwar nicht ihr, wohl aber anderen Parteien des Verfahrens zugestellt wurde, grundsätzlich zulässig [ist], wenn ihr der Inhalt des Bescheides zur Gänze bekannt war“ – s. VwGH 2005/09/0067 4.9.2006, mw).

4.2.8. Vor dem Hintergrund der in Art 5 RHÜ 2000 normierten Übersetzungspflicht und der grundrechtlichen Vorgaben von Art 6 EMRK sowie Art 47 GRC erschiene es dem Verwaltungsgericht aber zum einen problematisch, bei einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Beschuldigten in einem Verwaltungsstrafverfahren davon auszugehen, dass ihm durch eine entgegen entsprechender Verpflichtung ohne Übersetzung erfolgte Zustellung der Inhalt eines Bescheides, der durch Erlassung gegenüber einer anderen Verfahrenspartei rechtlich existent geworden ist, iS dieser Judikatur „zur Gänze bekannt war“.

4.2.9. Insbesondere aber ist zum anderen ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichts davon auszugehen, dass die in den dem Beschwerdeführer ohne die erforderliche Übersetzung zugestellten Straferkenntnissen ausgesprochenen Verwaltungsstrafen aufgrund des unheilbaren Zustellmangels noch gar nicht rechtswirksam über den Beschwerdeführer verhängt wurden. Eine Verletzung des Beschwerdeführers in subjektiven Rechten durch die in Frage stehenden Straferkenntnisse kommt nach Auffassung des Verwaltungsgerichts erst nach deren rechtswirksamen (die Beifügung einer Übersetzung voraussetzenden) Zustellung an den Beschwerdeführer in Betracht.

Da eine rechtswirksame Zustellung an den Beschwerdeführer bislang wie festgestellt nicht erfolgt ist, können die in Frage stehenden Straferkenntnisse den Beschwerdeführers nicht in subjektiven Rechten verlezten, sodass dessen Beschwerde gegen die ihm gegenüber noch nicht rechtswirksam erlassenen Straferkenntnisse – gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG unter Entfall einer im Übrigen von keiner der Parteien beantragten mündlichen Verhandlung – als unzulässig zurückzuweisen war.

4.2.10. Um Missverständnisse zu vermeiden wird darauf hingewiesen, dass mit dieser Entscheidung keine inhaltliche Entscheidung über die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen getroffen wurde:

Diese Zurückweisung der Beschwerden bedeutet weder, dass die dem Beschwerdeführer angelasteten Verwaltungsstrafen als erwiesen angenommen werden und die drei gegenständlichen, ohne Übersetzung übermittelten Straferkenntnisse rechtskräftig geworden wären, noch werden die Verwaltungsstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer durch diesen Beschluss eingestellt oder müssten diese aufgrund dieses Beschlusses eingestellt werden.

Von einer wirksamen Zustellung der Straferkenntnisse gegenüber dem Beschwerdeführer, die Voraussetzung sowohl für deren Vollstreckbarkeit als auch für die Möglichkeit einer Rechtsverletzung (was wiederum Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Beschwerde an das Verwaltungsgericht ist), kann nur und erst dann ausgegangen werden, wenn die belangten Behörde eine neuerliche Zustellung der Straferkenntnisse unter Beifügung einer Übersetzung (zumindest der wesentlichen Teile) vornimmt.

Auch die Zustellung dieses Beschlusses an den Beschwerdeführer erfolgt unter Beifügung einer von einer gerichtlich beeideten Dolmetscherin für die ungarische Sprache angefertigten Übersetzung in die ungarische Sprache, da aufgrund der vom Verwaltungsgericht festgestellten mangelnden Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers davon auszugehen ist, dass ein Verstoß gegen die in Artikel 5 Abs 3 EU-RHÜ 2000 enthaltene Übersetzungspflicht nicht nur die Ungültigkeit der Zustellung bewirkt, sondern eine Übersetzung auch aufgrund von Artikel 6 EMRK bzw. Artikel 47 GRC erforderlich ist.

5.   Zur Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen. Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis (und zufolge Art. 133 Abs. 9 B-VG grundsätzlich auch gegen einen Beschluss) eines Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Aus Sicht des Verwaltungsgerichts kommt der Frage, welche Auswirkungen es auf die Zulässigkeit einer Beschwerde hat, wenn sie sich gegen ein Straferkenntnis richtet, das zwar einer Amtspartei, dem Beschwerdeführer mangels zwingend erforderlicher Beifügung einer Übersetzung in eine dem Beschwerdeführer verständliche Sprache hingegen nicht wirksam zugestellt wurde, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zu. Da diese Frage nach Auffassung des Verwaltungsgerichts durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht geklärt ist, und die maßgebliche Rechtslage auch nicht derart eindeutig, dass eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung von vorneherein ausscheiden würde (vgl. zur diesfalls gegebenen Unzulässigkeit der Revision etwa VwGH 29.07.2015, Ra 2015/07/0095), ist die Revision zulässig.

Schlagworte

Verfahrensrecht; Zustellung; Übersetzung; Verletzung in Rechten; Mehrparteienverfahren;

Anmerkung

VwGH 01.10.2018, Ro 2018/11/0026-3, Einstellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2018:LVwG.S.129.001.2017

Zuletzt aktualisiert am

15.10.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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