TE Lvwg Erkenntnis 2017/9/1 VGW-103/040/9636/2016

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.09.2017
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Entscheidungsdatum

01.09.2017

Index

19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht
E3L E02100000
E3L E05100000
E3L E19100000
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

EMRK Art. 8
PassG 1992 §14 Abs1
PassG 1992 §15 Abs1
PassG 1992 §15 Abs5
PassG 1992 §19 Abs2
32004L0038 Unionsbürger-RL Art. 27 Abs1
VwGVG §13 Abs2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Schmid über die Beschwerde des Herrn X. Y., vertreten durch Rechtsanwälte, vom 14.7.2016, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Wien, Magistratsabteilung 62, vom 28.6.2016, Zl. MA 62-…, betreffend Entziehung des Reisepasses und des Personalausweises nach dem Passgesetz, nach durchgeführter Verhandlung am 4.5.2017 zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 28 Absatz 1 und 2 VwGVG wird die Beschwerde abgewiesen.

II. Gegen diese Entscheidung ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Der Spruch das angefochtenen Bescheid lautet:

„1.

Ihr österreichischer Reisepass Nr. ..., ausgestellt vom Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den ... Bezirk, am 17.8.2006, gültig bis 16.8.2016, wird Ihnen entzogen.

2.

Ihr österreichischer Personalausweis Nr. ..., ausgestellt vom Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den ... Bezirk, am 17.8.2006, gültig bis 16.8.2016, wird Ihnen entzogen.

3.

Die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde hinsichtlich der Reisepass- Entziehung und der Personalausweis-Entziehung wird aberkannt.

4.

Der öst. Reisepass Nr. ... und der öst. Personalausweis Nr. ... sind binnen einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung dieses Bescheides bei der Passbehörde (entweder bei der MA 62-Zentrales Passservice der Stadt Wien, 1080 Wien, Lerchenfelder Straße 4, oder bei einem Magistratischen Bezirksamt der Stadt Wien) vorzulegen bzw. für deren Vorlage Sorge zu tragen.

Rechtsgrundlagen:

Zu 1.:

§ 15 Abs. 1 in Verbindung mit 14 Abs. 1 Z. 4 Passgesetz 1992, BGBl. Nr. 839/1992, in der geltenden Fassung (idgF.) BGBl. I Nr. 52/2015.

Zu 2.:

§ 19 Abs. 2 in Verbindung mit § 15 Abs. 1 in Verbindung mit 14 Abs. 1 Z. 4 Passgesetz 1992, BGBl. Nr. 839/1992, in der geltenden Fassung (idgF.) BGBl. I Nr. 52/2015.

Zu 3.:

§ 13 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz 2013 – VwGVG, BGBl. I. Nr. 33/2013, in der geltenden Fassung BGBl. I Nr. 82/2015.

Zu 4.:

§ 15 Abs. 5 und § 19 Abs. 2 in Verbindung mit § 15 Abs. 5 österreichischen Passgesetz 1992, BGBl. Nr. 839/1992, in der geltenden Fassung BGBl. I Nr. 52/2015.“

In der frist- und formgerecht eingebrachten Beschwerde wird das Vorliegen von Tatsachen bestritten, wonach der Beschwerdeführer (kurz BF) eine Gefährdung der Sicherheit der Republik Österreich darstelle. Zudem werden die Verhältnismäßigkeit und die Zweckmäßigkeit der Entzugsmaßnahme in Frage gestellt.

Am 4.5.2017 hielt das Verwaltungsgericht eine Verhandlung ab, in der der BF einvernommen und sein Vertreter gehört wurde. Die Behörde hat auf die Teilnahme verzichtet. Das Verhandlungsprotokoll lautet auszugweise:

„Der BF gibt über Befragen des Verhandlungsleiters an:

Ich habe meinen RP und meinen PA bisher nicht abgegeben. Auch gegen diesen Spruchpunkt habe ich Beschwerde erhoben.

Mir ist mein Strafregister bekannt. Wenn mir mitgeteilt wird, dass in diesem 12 Strafen aufscheinen, bestätige ich dies.

Ich bin gelernter Speditionskaufmann. Nebenbei habe ich ein Studium der … begonnen.

Ich bin seit 1994 verheiratet. Ich habe drei Kinder, 17, 15 und 14 Jahre alt.

In meiner jetzigen Position als Büro- und Lagerarbeiter bin ich seit 11.1.2017. die Firma importiert … aus Tschechien. Im Betrieb gibt es außer dem Firmenchef und seiner Lebensgefährtin eigentlich nur noch mich. Ich brauche meinen RP für meine Berufsausübung, um damit nach Tschechien in die … fahren zu können. Wir importieren sogenannte ..., die wir von mehreren … aus Tschechien beziehen.

Zu meinen strafrechtlichen Vormerkungen befragt, gebe ich an:

Die erste Strafe nach dem Außenhandelsgesetz hat sich nur darauf bezogen, dass ich einen Dispositionsschein nicht rechtzeitig verlängert hatte.

Ich war in den 1980er Jahren Redakteur diverser Zeitungen und kam es in diesem Zusammenhang zu einer Verurteilung wegen übler Nachrede.

Die Sachbeschädigung aus dem Jahr 1983 ist mir nicht erinnerlich.

Zu meinen Vorstrafen wegen Sachbeschädigungen und Körperverletzungen befragt, gebe ich an, dass diese zumeist im Zusammenhang mit politischen Auseinandersetzungen bestanden. Ich war damals schon sehr bekannt und wurde oftmals der Täterschaft bezichtigt.

Die erste Verurteilung nach dem Verbotsgesetz im Jahr 1986 bezog sich auf die Verteilung von Flugzetteln. Das Verfahren war von 1977 an anhängig.

Die Verurteilung nach § 36 WaffG im Jahr 1989 kam so zustande, dass zuvor schon gegen mich ein Waffenverbot erlassen wurde und bei einer Hausdurchsuchung, solche fanden in den 1980er Jahren häufig statt, eine Patrone, ich glaube eine Schrotpatrone, gefunden wurde.

Ich bin im Jahre 1994 zu einer Haftstrafe von 11 Jahren nach dem Verbotsgesetz wegen nationalsozialistischer Propaganda verurteilt worden. Ich bin 7 ½ Jahre in Haft gewesen und bin im Juli 1999 entlassen worden.

Zur zweiten Verurteilung nach dem WaffG befragt, gebe ich an, dass bei einer Hausdurchsuchung im Jahr 2003 bei mir zwei Bajonetten gefunden wurden, die ich von meiner Vater bzw. Großvater geerbt habe und die schon seit Jahren in meiner Wohnung an der Wand gehangen waren. Bei all den vorangegangen Hausdurchsuchungen wurden diese nie beanstandet.

Die dritte Verurteilung nach dem Verbotsgesetz erfolgte durch Wahrspruch des Geschworenengerichts, wonach ich die Einrichtung zweier Homepages durch dritte Personen initiiert habe.

Ich lege aus der Anklageschrift der StA Wien meine E-Mail vom 26.11.2008 an Herrn W. A. vor und erkläre dazu, dass diese Mail ein Treffen mit Freunden und Bekannten vorausgegangen ist, wo wir verabredet haben, eine professionelle Homepage zu betreiben, über die politische Inhalte vermittelt werden sollen. Wer daran inhaltlich mitwirken sollte bzw. wie die Inhalte aussehen sollten, war noch nicht einmal ansatzweise konkretisiert. Herr A. hat mein Ansuchen, wie ich es in dieser E-Mail formuliert habe, rundweg abgelehnt. Die von mir gewünschten Domains wurden nie aktiviert. Herr A. hat allerdings im Jahr 2009 sehr ähnlich klingende Domains freigeschalten und die im Wahrspruch angesprochenen Homepages ins Netz gestellt.

Es war nicht beabsichtigt, nationalsozialistisches Gedankengut über diese Homepages zu betreiben. Angedacht war eher tagesaktuelle Kritik am politischen Geschehen.

Herrn B. kenne ich, er ist der Pate meiner ältesten Tochter, mit ihm bin ich immer noch im Kontakt.

Herrn A. kenne ich nicht näher. Ich würde ihn nicht einmal vom Sehen her kennen. Zuletzt habe ich ihn im Strafprozess gesehen.

Zur Begründung der Strafbemessung möchte ich noch sagen, dass sich das Gericht auf Fakten gestützt hat, bezüglich derer ich freigesprochen wurde.“

Der BF hat auf die Fortsetzung der Verhandlung verzichtet und die Übermittlung der Prozessunterlagen (aus dem Strafverfahren nach dem Verbotsgesetz) angekündigt. Diese sind am 8.5.2017 beim Gericht eingelangt. Da diese Unterlagen umfangreich sind, nahm deren Sichtung längere Zeit in Anspruch.

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Aufgrund des Akteninhaltes, der vom BF vorgelegten Unterlagen, seinen Ausführungen in der Verhandlung und den notorischen Tatsachen trifft das Verwaltungsgericht folgende Feststellungen:

Herr X. Y. ist am ... in Wien geboren, ist österreichischer Staatsbürger, weist im Strafregister der LPD Wien (Stand: 4.5.2017) zwölf Verurteilungen auf und befindet sich zurzeit in Strafhaft. Der BF ist „Freigänger“ und arbeitet für eine Importfirma. Er ist verheiratet und hat Kinder. Der BF ist seit den 1980er Jahren medial als „Leitfigur“ der österreichischen Neonaziszene bekannt. Die ersten Verurteilungen, die damit in Zusammenhang stehen, stammen aus den Jahren 1982 bis 1986 und betreffen Körperverletzungen, Nötigung und eine Verurteilung nach dem Verbotsgesetz. In den Jahren 1989 bis 1994 kam es zu weiteren Verurteilungen wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung und nach dem Waffengesetz. 1994 wurde der BF nach dem Verbotsgesetz zu 11 Jahren (unbedingter) Freiheitsstrafe verurteilt. Im Jahr 1999 wurde er aus der Haft entlassen. 2005 wurde der BF nach dem Waffengesetz bestraft. Im Jahr 2014 wurde der BF nach § 3g Verbotsgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren, im Rechtsmittelwege auf 7 Jahre und 9 Monate unbedingter Freiheitsstrafe herabgesetzt (8 Jahre Freiheitsstrafe minus 3 Monate wegen einer Verletzung von Art. 6 EMRK), rechtskräftig verurteilt. Diese Strafe sitzt der BF zurzeit ab.

Im Zusammenhang mit seiner zweiten Verurteilung nach dem Verbotsgesetz im Jahr 1994 wurde dem BF sein Reisepass bereits einmal entzogen. Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu im Erkenntnis vom 30.5.2001, 2000/18/0086, ausgeführt (auszugsweise Wiedergabe):

„Die Beschwerde bestreitet nicht die im angefochtenen Bescheid getroffenen Sachverhaltsfeststellungen betreffend die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung und das dieser Verurteilung zugrunde liegende Fehlverhalten. Der Beschwerdeführer hat eine Verbindung gegründet, die auf die Beseitigung der demokratischen Republik Österreich und die Wiedererrichtung eines nationalsozialistischen Regimes gerichtet ist, und sich im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er Aussagen mit eindeutig nationalsozialistischem Inhalt gemacht hat. Unstrittig steht auch fest, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 1990 und 1991 mehrmals Kontakte zu Gruppen der Neonazi-Szene und deren Vertretern in Deutschland und Ungarn gehabt hat. Wie aus dem Akteninhalt ersichtlich ist, ist der Beschwerdeführer im Zuge dessen nach Deutschland gereist, wiederholt als Redner bei Versammlungen rechtsextremer Gruppierungen aufgetreten und zum Vorsitzenden der rechtsextremen "Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front" gewählt worden. Weiters ist es auch in Ungarn zu einem Treffen mit einem führenden Mitglied der dortigen rechtsextremen Szene gekommen.

Es besteht daher der begründete Verdacht, dass der Beschwerdeführer den Reisepass dazu benützen würde, um neuerlich ins Ausland zu reisen, um dort mit Vertretern der rechtsextremen Szene wieder in Kontakt zu treten, sein ideologisches Konzept umzusetzen oder dementsprechende Vorbereitungshandlungen vorzunehmen. Die Ansicht der belangten Behörde, dass vor diesem Hintergrund die Annahme gerechtfertigt sei, durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Ausland würde die innere oder äußere Sicherheit der Republik Österreich gefährdet, kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden.

(…)

Weiters führt der Beschwerdeführer ins Treffen, dass das für die Beurteilung als maßgeblich herangezogene strafbare Verhalten des Beschwerdeführers bereits acht bis 13 Jahre zurückliege und nach Verstreichen eines derart langen Zeitraumes eine negative Prognose nicht mehr zulässig sei.

Dem ist entgegenzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer seit Begehung der letzten strafbaren Handlung siebeneinhalb Jahre, nämlich vom 6. Jänner 1992 bis 13. Juli 1999, in Haft befunden hat und der seit seiner bedingten Entlassung verstrichene Zeitraum von fünf Monaten angesichts der beim Beschwerdeführer bestehenden Wiederholungsgefahr viel zu kurz ist, um einen Wegfall der von ihm ausgehenden Gefahr annehmen zu können.

(…)

Schließlich wendet der Beschwerdeführer ein, dass für ihn mit dem Entzug des Reisepasses insofern ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre, als er ohne Reisepass daran gehindert sei, wieder eine Beschäftigung in seinem erlernten Beruf als Spediteur, welche bekanntlich mit einer besonders umfangreichen Reisetätigkeit - auch ins Ausland - verbunden sei, aufnehmen zu können.

Auch dieses Vorbringen ist nicht zielführend, weil bei der Entziehung eines Reisepasses nach den einschlägigen Bestimmungen des PassG auf persönliche oder wirtschaftliche Interessen des Betroffenen nicht Rücksicht zu nehmen ist (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis, Zl. 98/18/0354).“

Der Wahrspruch der Geschworenen zur dritten (und aktuellen) Verurteilung nach dem Verbotsgesetz lautet (siehe Urteilsaufertigung des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 10.1.2013, 606 Hv 2/11h):

„X. H. Y., F.B. und W.C.A. (Anonymisierung durch VwG Wien) sind schuldig, es haben X. H. Y., F. B. und W. C. A. sich auf andere, als die in §§ 3a bis 3f Verbotsgesetz bezeichnete Weise in national-sozialistischem Sinn betätigt, indem I./ X. H. Y. im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) mit F.B. und W.C.A. die vom 21.3.2009 bis zum 22.3.2011 betriebene Homepage http://www.al...info (kurz …) und das Forum http://www.ali...com (kurz …), deren nationalsozialistische Ausrichtung sich dadurch ausdrückt, dass sie die Wiederrichtung eines großdeutschen Reiches auch unter Aufruf zu Kampf und Gewalt, den Austausch rassistisch rechtsextremen Gedankenguts und auch die Verherrlichung Hitlers ermöglichten und unterstützten, mit dem Vorsatz durch sein Handeln die ziele der NSDAP zu fördern, dadurch initiierte, dass X. H. Y. die Namen der beiden Domains zunächst mit al..info und ald..com aussuchte und W.C.A. mit der Registrierung und Einrichtung dieser Domains nach dem Vorbild von Alt., einer neonazistischen deutschen Homepage beauftragte, die dann von W.C.A. als al...info und ali...com registriert wurden;“

In der Strafbemessung bejahte das Landesgericht für Strafsachen Wien die besondere Gefährlichkeit des BF und verhängte die Freiheitsstrafe nach dem „zweiten Strafrahmen“ des § 3g Verbotsgesetz.

Die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wurde vom OGH (12 Os 82/13w-20 vom 15.1.2014) verworfen. Die Freiheitsstrafe wurde – siehe oben – reduziert. Der OGH bestätigt die Ansicht der Tatrichter, dass der BF „führend an der in Rede stehenden Straftat beteiligt war“ und stärkt die Begründung des Erstgerichts, wonach sich „aus seiner Stellung als Initiator des Internetauftritts und (…) aus seinem Vorleben als Anführer einer militanten neonazistischen Vereinigung begründeten besonderen Stellung als Szeneführer und Vorbild für einen erweiterten Adressatenkreis“ in seiner Person eine besonderer Gefährlichkeit bestehe (Blatt des Urteils).

Beweiswürdigend ist festzuhalten, dass die zitierten Urteile rechtskräftig sind. Der BF hat auch vor dem Verwaltungsgericht nicht den Versuch unternommen, die Verurteilung in Abrede zu stellen oder vorzubringen, dass sich seine Gesinnung zwischenzeitig geändert habe.

Die vorliegende Entscheidung gründet auf folgenden Bestimmungen des Passgesetzes:

„§ 14. (1) Die Ausstellung, die Erweiterung des Geltungsbereiches und die Änderung eines Reisepasses sind zu versagen, wenn (…)

4. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch den Aufenthalt des Passwerbers im Ausland die innere oder äußere Sicherheit der Republik Österreich gefährdet würde.

§ 15. (1) Ein Reisepass, dessen Gültigkeitsdauer nicht länger als fünf Jahre abgelaufen ist, ist zu entziehen, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, die die Versagung der Ausstellung des Reisepasses rechtfertigen.

§ 19. (2) Auf die Ausstellung, die Gültigkeitsdauer und ihre Einschränkung, die Vorlagepflicht, die Versagung und die Entziehung von Personal ausweisen, sowie auf die Abnahme von Personalausweisen sind die diesbezüglichen, die gewöhnlichen Reisepässe betreffenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes einschließlich der §§ 9 Abs. 7 und 15 Abs. 5 mit der Maßgabe anzuwenden, dass Entziehungsverfahren auf gültige Personalausweise beschränkt sind.“

Rechtlich folgt daraus:

Die Behörde hat als Entziehungsgrund (Spruchpunkte 1 und 2 des Bescheids) jeweils § 14 Absatz 1 Ziffer 4 Passgesetz herangezogen.

Nach dieser Bestimmung müssen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch den Aufenthalt des Passwerbers im Ausland die innere oder äußere Sicherheit der Republik Österreich gefährdet würde.

Es ist daher zu prüfen, ob relevante Tatsachen im Sinne des § 14 Absatz 3 Z 4 Passgesetzt vorliegen.

Für diese Prüfung kommt gemäß § 46 AVG, der nach § 17 VwGVG im verwaltungsgerichtlichem Verfahren sinngemäß anzuwenden ist, nach dem Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist. Dem Gericht ist nicht verwehrt, aus dem - vom BF nicht bestrittenen - Umstand seiner (rechtskräftigen) Verurteilung, wie auch seinem diesen Strafverfahren zugrunde liegenden Verhalten auf die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung seiner Taten zu schließen (in diesem Sinne VwGH vom 15.12.2005, 2002/18/0224).

Die Frage, ob die Reisepass- und Personalausweisentziehungsgründe gemäß § 14 Abs 1 Z 4 und in Verbindung mit § 15 Abs 1 und § 19 Abs 2 PassG vorliegen, stellt nicht auf eine formelle Prüfung des Vorliegens bestimmter Verurteilungen ab, sondern verlangt eine materielle Prüfung des Gesamt(fehl)verhaltens des Reisedokumentenbesitzers. Bei dieser Prüfung hat die Behörde alles zu berücksichtigen, was für die anzustellende Prognose relevant ist (vgl. ua VwGH vom 25.11.2010, 2007/18/0002, und vom 13.10.2000, 2000/18/0092).

Anhand von in der Vergangenheit bzw. aktuell vorliegenden Tatumständen ist somit vom Verwaltungsgericht eine Wahrscheinlichkeitsprognose (Zukunftsprognose) der Verwirklichung der im § 14 Abs 1 Z 4 PassG genannten Gefährdung der inneren und äußeren Sicherheit der Republik Österreich unter Verwendung eines österreichischen Reisedokuments zu erstellen.

Im Einklang mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 24.3.1998, VwGH 96/18/0475, ergibt sich der Inhalt des Begriffes „Gefährdung der inneren und äußeren Sicherheit der Republik Österreich“ insbesondere aus § 16 Sicherheitspolizeigesetz – SPG, der den sicherheitspolizeilichen Gefahrenbegriff definiert. Danach besteht eine die öffentliche Sicherheit gefährdende „allgemeine Gefahr“ u.a. - nur dieser Tatbestand ist für den vorliegenden Fall von Relevanz - bei einem „gefährlichen Angriff“ (§ 16 Abs. 1 Z 1 SPG). Gemäß § 16 Abs. 2 leg. cit. ist ein gefährlicher Angriff die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer (Z 3) nach dem Verbotsgesetz strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt wird. Damit ist klargestellt, dass die Delikte des Verbotsgesetzes einen „gefährlichen Angriff' und solcherart eine „allgemeine Gefahr“ gemäß § 16 Abs. 1 SPG begründen. Diese Qualifizierung führt unter Zugrundelegung der Auslegung der im § 14 Abs. 1 Z 4 PassG bezeichneten „Gefährdung“ mit Hilfe des Gefahrbegriffes des § 16 Abs. 1 und Abs 2 SPG dazu, dass ein dem § 3g Verbotsgesetz zu subsumierendes Verbrechen, zu dem der BF nach dem hier zu Grunde liegenden Urteil rechtskräftig verurteilt wurde, eine Gefahr für die „innere oder äußere Sicherheit" der Republik Österreich bewirkt.

Es ist notorisch, dass sich die rechtsextreme bzw. neonazistische Szene, wie auch andere extremistische Szenen, immer mehr international vernetzen. Durch Reisen ins Ausland besteht die Möglichkeit, dort mit Vertretern der rechtsextremen Szene persönlich in Kontakt zu treten, um ihr ideologisches Konzept umzusetzen oder dementsprechende Vorbereitungshandlungen vorzunehmen.

Nachfolgend wird eine Urteilspassage des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wiedergegeben, wo dieses im gegenständlichen Urteil vom 10.1.2013 treffend ausführt, dass „der BF sich durch die Nutzung des Internets eines Mittels zur Tatbegehung bedient habe, das durch seine Natur geeignet ist, eine besondere Gefährlichkeit der Betätigung zu begründen, da es sich um ein undifferenziertes, überregionales Sprachrohr handelt.“

Das Landesgericht hält zudem fest, dass „die besondere Gefährlichkeit insbesondere in der eklatanten Reichweite der auf diesen Internetseiten infolge unbegrenzter Internetnutzbarkeit verbreiteten Aufrufe zur Ausübung von Gewalt und sogar zum nationalen Widerstand sowie der vielfältigen Wirkungen auf die Öffentlichkeit liegt. Hinzu trete die damit verbundene Möglichkeit der direkten Kontaktaufnahme mit einer Vielzahl an Sympathisanten, wodurch Potential für eine erhebliche Bedrohung der verfassungsmäßigen Ordnung sowie der inneren Sicherheit der Republik entstand.“

Der Gedanke der besonderen Gefährlichkeit der Tat für die Gesellschaft ergibt sich, laut dem Landesgericht, auch in Bezug auf die Altersstruktur des Adressatenkreises durch die Wahl des Mediums, welches eine verstärkte Präsenz bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen besitzt, sodass dieses besonders geeignet ist, Nachwuchs für die Gesinnungsgemeinschaft zu rekrutieren.

Diese Beurteilungen teilt das Verwaltungsgericht Wien. Es liegen daher „Tatsachen“ im Sinne des § 14 Absatz 3 Z 4 Passgesetz vor.

Bei der Berechnung des bisherigen Wohlverhaltens sind gemäß § 14 Abs. 3 letzter Halbsatz PassG und der einschlägigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nur Zeiten, die der BF in Freiheit verbracht hat, in Betracht zu ziehen. Zeiten, die er seit der angeführten Straftat in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug verbracht habe, werden nicht als Wohlverhaltenszeiträume gewertet (vgl. ua VwGH vom 24.7.2002, 99/18/0260, und vom 18.9.2001, 2001/18/0169).

Der BF befindet sich noch im Strafvollzug. Relevante Wohlverhaltenszeiten im Sinne des Gesetzes und der Rechtsprechung liegen keine vor.

Bei der Beurteilung des Falles sind auch europarechtlichen Vorgaben zu beachten:

Gemäß Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (in der Folge: „Unionsbürger-Richtlinie“) stellen die Mitgliedstaaten ihren Staatsangehörigen gemäß ihren Rechtsvorschriften einen Personalausweis oder einen Reisepass aus, der ihre Staatsangehörigkeit angibt, und verlängern diese Dokumente. Art. 4 Abs. 4 dieser Richtlinie sieht vor, dass der Reisepass zumindest für alle Mitgliedstaaten und die unmittelbar zwischen den Mitgliedstaaten liegenden Durchreiseländer gelten muss. Sehen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats keinen Personalausweis vor, so ist der Reisepass mit einer Gültigkeit von mindestens fünf Jahre auszustellen oder zu verlängern.

Unter wiederholter Bezugnahme auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in der Rs Gaydarov, C-430/10, vom 17. November 2011 hielt der Verwaltungsgerichtshof im Zuge des Erkenntnis vom 6. September 2012, 2009/18/ 0168, ausdrücklich fest, dass die Entscheidung eines Mitgliedstaates – wie hier vorliegend – seinem eigenen Staatsbürger die Ausreise zu verbieten, eine Angelegenheit darstelle, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts, konkret der Richtlinie 2004/38/EG sowie Art. 20 und Art. 21 AEUV falle. Allerdings habe der EuGH darauf hingewiesen, dass das Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit nicht uneingeschränkt bestünde, sondern den im Vertrag und in den Bestimmungen zu seiner Durchführung vorgesehenen Beschränkungen unterworfen werden dürfe. In Zusammenhang mit der Zulässigkeit solcher Beschränkungen wurde in diesem Erkenntnis explizit auf die Bestimmung des Art. 27 Abs. 1 der Unionsbürger-Richtlinie Bezug genommen, wonach die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit der Unionsbürger oder ihrer Familienangehörigen nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken dürften. Der EuGH habe aber bereits klargestellt, dass der Begriff der öffentlichen Ordnung jedenfalls voraussetze, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstelle, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegen müsse, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre (Randnr. 33 Urteil C-430/10). Die Ausnahmen vom freien Personenverkehr, auf die sich ein Mitgliedstaat berufen könne, implizierten in diesem Rahmen, wie Art. 27 Abs. 2 der Unionsbürger-Richtlinie zu entnehmen sei, insbesondere, dass Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nur gerechtfertigt wären, wenn für sie ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sei, während vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen nicht zulässig wären. Strafrechtliche Verurteilungen allein könnten eine die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit beschränkende Maßnahme nicht ohne weiteres begründen (Randnr. 34 Urteil C-430/10). Der EuGH habe in seinem Urteil vom 17.11.2011 aber auch klargestellt, dass die beschränkende Maßnahme geeignet sein müsse, die Erreichung des mit ihr verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie nicht über das hinausgehen dürfe, was zur Erreichung des Zieles erforderlich sei. In den Ausführungen in Randnr. 40 dieses Urteils präzisiere der EuGH dies dahingehend, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden müsse.

Auch nach den Vorgaben des Europarechts kann daher eine Entziehung eines Reisedokuments und damit naturgemäß einhergehend eine Beschränkung der Freizügigkeit dahingehend, dass es dem BF unmöglich gemacht wird, sich ins Ausland zu begeben und sich dort aufzuhalten, zulässig sein, sofern berechtigter Grund zu der Annahme besteht, dass von ihm aufgrund seines bisher gezeigten persönlichen Verhaltens eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefährdung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zu befürchten ist und diese Maßnahme im Einzelfall auch dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entspricht.

Aufgrund des in der Vergangenheit vom BF wiederholt (siehe die einzelnen Strafverfahren gegen den BF) gezeigten hohen Ausmaßes an krimineller Energie, insbesondere in der dreimaligen Verurteilung nach dem Verbotsgesetz, liegen mehrfach Anhaltspunkte dafür vor, dass der BF auch künftig durch einen Aufenthalt im Ausland die innere und äußere Sicherheit der Republik Österreich gefährdet.

Ein wiederholter Verstoß gegen das Verbotsgesetz stellt eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Der Entzug eines Reisedokuments ist ein legitimes und taugliches Mittel, um solch eine Gefahr abzuwenden bzw. zu verringern. Die Entscheidung ist europarechtlich geboten und verhältnismäßig.

Dem berechtigten öffentlichen Interesse an der Verhinderung von nationalsozialistischer Wiederbetätigung stellt der BF berufliche Interessen entgegen. Konkret wird vorgebracht, dass der BF auf seinem Arbeitsplatz ein Reisedokument benötige, um in die Tschechische Republik reisen zu können.

Wenn auch berufliche Gründe im Lichte des Art. 8 EMRK nicht unbedeutend sind, überwiegt das öffentliche Interesse an der Gewährleistung der Sicherheit der Republik Österreich und an der Verhinderung von nationalsozialistischer Wiederbetätigung. Die öffentlichen Interessen überwiegen die privaten.

In Anbetracht der gravierenden Verfehlungen des BF und des Umstandes, dass sich der BF zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch in Haft befand, aber nicht auszuschließen war, dass der BF als „Freigänger“ seine Reisedokumente nutzen könnte, war der von der belangten Behörde verfügte Ausschluss der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der verfügten Entziehung des Reisepasses und Personalausweises des BF berechtigt, zumal hierdurch das hohe öffentliche Interesse an der inneren und äußeren Sicherheit der Republik Österreich geschützt werden sollte.

Gelangt die Behörde zur Ansicht, dass eine aktuelle Wiederholungsgefahr zur neuerlichen Delinquenz besteht, muss sie denklogisch die aufschiebende Wirkung ausschließen, weil anderenfalls der Sicherungsgedanke nicht erreicht werden kann. Private oder familiäre Interessen treten diesfalls in den Hintergrund.

Aus den genannten Gründen war daher spruchgemäß zu entscheiden und die Entscheidung der belangen Behörde in allen vier Spruchpunkten zu bestätigen.

Zur Revisionsentscheidung:

Gemäß § 25a Absatz 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Nach Artikel 133 Absatz 4 B-VG ist die (ordentliche) Revision zulässig, wenn eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, insbesondere weil das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des VwGH abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des VwGH nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach der Rechtsprechung des VwGH liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dann vor, wenn die Entscheidung der Sache im Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen, auf zusätzliche Argumente gestützte Rechtsprechung liegt. Das ist dann der Fall, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, die auch für eine Reihe anderer gleichgelagerter Fälle von Bedeutung ist und diese durch die Rechtsprechung des VwGH bisher nicht abschließend geklärt worden ist. Es muss sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage des materiellen oder formellen Rechts handeln (vgl. Paar, ZfV, 892)

Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor, wenn die Rechtsfrage klar aus dem Gesetz lösbar ist (vgl. Köhler, ecolex 2013, 596, mit weiteren Nachweisen; Nedwed, Die Zulässigkeit der Revision an den Verwaltungsgerichtshof, ÖJZ 2014/153 S 1042; vgl. auch VwGH 28.5.2014, Ro 2014/07/0053).

Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt auch dann nicht vor, wenn die Klärung dieser Rechtsfrage keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat (vgl. Thienel, aaO, 73f; Nedwed, Die Zulässigkeit der Revision an den Verwaltungsgerichtshof, ÖJZ 2014/153 S 1041; vgl. auch VwGH 1.9.2014, Ro 2014/03/0074).

Da im gegenständlichen Fall eine solche Rechtsfrage nicht vorliegt, war die ordentliche Revision nicht zuzulassen.

Schlagworte

Reisedokument; Reisepass, Entzug des; Personalausweis, Entzug des; Zukunftsprognose; Fehlverhalten; Wohlverhalten; Sicherheit, innere, äußere; öffentliche Ordnung; Interessenabwägung; Bewegungsfreiheit; Freizügigkeit, Beschränkung der; Familienleben, Recht auf; Kriminalität, grenzüberschreitende; Wiederbetätigung; Wiederholungsgefahr; aufschiebende Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.103.040.9636.2016

Zuletzt aktualisiert am

23.03.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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