TE Bvwg Beschluss 2018/3/15 I414 2177561-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.03.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

15.03.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

I414 2177563-1/2E

I414 2177561-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX StA. Nigeria, gegen den Bescheid des BFA, RD Wien, Außenstelle Wien vom 13.10.2017, Zl. XXXX, und von XXXX StA. Nigeria, gegen den Bescheid des BFA, RD Wien, Außenstelle Wien vom 13.10.2017, Zl. XXXX, beide vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung neuer Entscheidungen an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin stellte am 16.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und wurde am 18.04.2015 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes dazu erstbefragt. Als Grund für das Verlassen ihres Herkunftsstaates gab sie an, dass ihr Freund in Nigeria von Kultmitgliedern getötet worden sei. Seine Familie glaube aber, sie habe ihn umgebracht und deshalb werde sie verfolgt.

Am 18.06.2015 wurde sie von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Sie gab an, zuerst in Griechenland gelebt zu haben und dort ihren nunmehrigen Lebensgefährten kennen gelernt zu haben. Mit ihm sei sie dann nach Österreich gereist.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 24.06.2015, Zl. XXXX, wurde der Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückgewiesen, da für die Prüfung des Antrages Ungarn zuständig sei. Eine Abschiebung nach Ungarn wurde für zulässig erklärt.

Einer Beschwerde dagegen wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.09.2015, GZ W144 2110817-1/3E, stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Der Zweitbeschwerdeführer wurde am XXXX geboren. Für ihn wurde am 20.07.2017 ein Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt und gleichzeitig beantragt, die Verfahren betreffend die Erstbeschwerdeführerin und den Zweitbeschwerdeführer als Familienverfahren zu führen.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde am 18.07.2017 neuerlich von der belangten Behörde einvernommen. Befragt zu ihrem Fluchtgrund gab sie widersprüchlich an, ihr damaliger Freund sei nach einer Party betrunken nach Hause gekommen und sei im Bett gestorben. Sie habe flüchten müssen, weil sich ihre Familien nicht verstanden haben. Sie hätte nicht gewollt, dass sie zusammen leben. Zu ihren Lebensumständen in Österreich gab sie zu Protokoll, mit ihrem Lebensgefährten und dem gemeinsamen Sohn, dem Zweitbeschwerdeführer, in einem Haushalt zu leben. Sie legte eine Daueraufenthaltskarte, ausgestellt von MA 35, des Lebensgefährten, der ebenfalls nigerianischer Staatsangehöriger ist, eine Geburtsurkunde des Zweitbeschwerdeführers und einen nigerianischen Staatsbürgerschaftsnachweis betreffend den Zweitbeschwerdeführer vor.

Am 04.10.2017 wurde der Lebensgefährte als Zeuge vor der belangten Behörde einvernommen und zum Familienleben mit den Beschwerdeführern befragt.

Mit Bescheiden vom 13.10.2017, Zl. XXXX (Erstbeschwerdeführerin) und XXXX, wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab.

Beide Bescheide sind im Wesentlichen gleichlautend, da der Zweitbeschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe habe, leiten sich diese von der Erstbeschwerdeführerin ab. Dazu wurde im Bescheid betreffend des Zweitbeschwerdeführers von der belangten Behörde festgestellt: "Sie sind die Tochter von Frau SXXXX SXXXX, geb. am

XXXX, IFA: XXXX. [...] Ihre Mutter Frau HXXXX NXXXX geb. am XXXX,

IFA: XXXX wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 13.10.2017 IFA Zahl XXXX, VZ XXXX, die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten, sowie des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat abgewiesen."

Die belangte Behörde führte in der weiteren Begründung aus, dass mit der vorgebrachten Angst vor der Familie bzw. Schwiegermutter kein asylrelevanter Sachverhalt von der Erstbeschwerdeführerin dargelegt worden sei. Zum Privat- und Familienleben wurde im Bescheid betreffend die Erstbeschwerdeführerin festgestellt (Fehler im Original): "Entsprechend Ihrer eigenen Angaben haben Sie in Österreich keine Familienangehörigen i.S.d. Art. 8 EMRK. Aus diesem Grund kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass Sie in Österreich über ein entsprechendes Familienleben verfügen.

Bzgl. Ihres Privatlebens in Österreich haben Sie angegeben, dass Sie eine Lebensgemeinschaft führen würden. Mit Ihrem Lebensgefährten hätten sie auch ein Kind. Ihr Lebensgefährte heißt XXXXund besitzt eine Daueraufenthaltskarte welche am 03.05.2016 von der MA 35 ausgestellt wurde. Sie gehören weder einem Verein noch einer sonstigen Organisation angehören und in Ihrer Freizeit würden Sie nichts machen. Sie verfügen über keine nennenswerten Deutschkenntnisse

Zu Ihrem Privatleben ist festzuhalten, dass Sie zumindest seit April 2015 im Bundesgebiet aufhältig sind und Sie zuvor illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist sind und haben sie Ihren Aufenthalt in Österreich ausschließlich mit der Stellung des gegenständlichen Asylantrages legitimiert. Im Strafregister der Republik Österreich scheint keine rechtskräftige Verurteilung über Sie auf."

Im Falle einer Rückkehr seien die Beschwerdeführer keiner Gefahr der Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt. Die Erstbeschwerdeführerin sei arbeitsfähig und könne den Lebensunterhalt in Nigeria sichern. Dazu wurde in der Beweiswürdigung weiter ausgeführt, dass die Erstbeschwerdeführerin "bei einer etwaigen Rückkehr nach Nigeria (wenngleich diese aufgrund Ihres schützenswerten Privatlebens nicht möglich ist) [...] wiederum bei Verwandten Unterkunft und durch die Familie Unterstützung finden [könnte]" .

Dass keine Rückkehrentscheidung erlassen wurde, wurde in beiden Bescheiden gleichlautend und abschließend damit begründet: "Aufgrund verfassungskonformer Auslegung der Gesetze wird über die Rückkehrentscheidung nicht abgesprochen.

Sie sind als begünstigter Drittstaatsangehöriger (Angehöriger einer EWR-Bürgerin), dokumentiert durch die von Ihnen vorgelegte Aufenthaltskarte welche durch die MA 35 ausgestellt wurde, unionsrechtlich aufenthaltsberechtigt. Somit wird gem. § 52 Abs. 2 FPG in Verbindung mit § 66 FPG keine aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen Sie erlassen."

Gegen die Bescheide erhoben die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer eine gemeinsame Beschwerde. Der Beschwerdeschriftsatz wurde durch die Rechtsvertretung MigrantInnenverein St. Marx eingebracht und richtet sich gegen die "Abweisung des Antrages auf Asyl und internationalen Schutz, Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Erlassung einer Rückkehrentscheidung, Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria". Moniert wird eine inhaltlich falsche Entscheidung und mangelhafte Verfahrensführung und setzt sich der Beschwerdeschriftsatz auch inhaltlich unter Punkt V. mit der "Ausweisungsentscheidung" auseinander. Es wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt sowie "die bekämpften Bescheide zu beheben,

festzustellen, dass die Abweisung des Antrages auf Asyl und subsidiären Schutz nicht zulässig ist, ebenso

die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht zulässig sind,

die Sache zur nochmaligen Bearbeitung an das BFA zurückzuverweisen und die nötigen Erhebungstätigkeiten anzuordnen,

vor einer inhaltlichen Entscheidung jedenfalls eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen, zumal es nicht bloß um eine reine Rechtsfrage geht sondern konkret die Frage der persönlichen Glaubwürdigkeit sowie die Richtigkeit der Rückkehrprognose strittig ist,

Asyl, in eventu subsidiären Schutz oder wenigstens einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen und festzustellen, dass die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nicht zulässig ist."

Die Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakte wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 23.11.2017 zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Entscheidung über die Beschwerde gegen die angefochtenen

Bescheide:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Ausführlich hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, (ebenso VwGH, 27.01.2015, Ro 2014/22/0087) mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Der Verwaltungsgerichtshof hat jüngst mit Erkenntnis vom 10.09.2014, Ra 2014/08/0005 die im Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 angeführten Grundsätze im Hinblick auf Aufhebungs- und Zurückweisungsbeschlüsse des Verwaltungsgerichtes gemäß § 28 Abs 3 VwGVG nochmals bekräftigt und führte ergänzend aus, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden mündlichen Verhandlung im Sinn des § 24 VwGVG zu vervollständigen sind.

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung auch eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389).

Im Erkenntnis vom 17.10.2006 (Zl 2005/20/0459) hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Absatz 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung/Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist.

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, in seinem Erkenntnis vom 7.11.2008, Zl. U 67/08-9, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes. Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).

Im gegenständlichen Fall liegen besonders gravierende Ermittlungslücken der Behörde vor:

Die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderte ganzheitliche Würdigung bzw. die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens ist im gegenständlichen Fall unterblieben und ist die belangte Behörde nach dem Dafürhalten des Bundesverwaltungsgerichts ihrer Begründungspflicht nicht nachgekommen. Im vorliegenden Fall sind die seitens der Höchstgerichte gestellten Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:

Zunächst ist in den Vordergrund zu rücken, dass die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet abgewiesen hat.

§ 10 Abs 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 lautet:

"(1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird."

§ 52 Abs 2 Z 2 FPG normiert, dass die belangte Behörde gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen hat, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Gemäß Abs 9 leg. cit. ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Dazu trifft die belangte Behörde Feststellungen zur Person der Erstbeschwerdeführerin, zu den Gründen des Verlassens des Herkunftsstaates, zur Situation im Fall der Rückkehr, zur Lage im Herkunftsstaat und zum Privat- und Familienleben. Hinsichtlich des Privat- und Familienlebens werden allerdings gegensätzliche Feststellungen getroffen. Zunächst wird festgestellt, dass die Erstbeschwerdeführerin keine Familienangehörigen in Österreich hat. Im nächsten Absatz stellt sie die Personalien des Lebensgefährten und ein gemeinsames Kind fest. Es wird auch eine Daueraufenthaltskarte des Lebensgefährten festgestellt, weitere Feststellungen zum Zusammenleben, Bindungen zum Kind, Freizeitgestaltung, Familienaktivitäten sind unterblieben, obwohl der Lebensgefährte als Zeuge einvernommen wurde. Befragt wurde er aber nur kurz. Die sechs Fragen lauteten: "Führen Sie ein Familienleben oder eine Lebensgemeinschaft in Österreich? Wo haben Sie Ihre Freundin kennengelernt? Gehen Sie derzeit einer beruflichen Beschäftigung nach? Seit wann sind Sie in Österreich? Seit wann sind Sie mit ihrer Freundin zusammen? War Ihr gemeinsames Kind geplant?"

Ob die belangte Behörde nun davon ausgeht, dass ein Familienleben in Österreich besteht und ob dieses schützenswert ist, ergibt sich nicht aus den Feststellungen und kann nur angenommen werden, dass sie von einem bestehenden und schützenswerten Privat- und Familienleben ausgeht. Um konkrete Feststellungen treffen zu können, wird die belangte Behörde die Erstbeschwerdeführerin detaillierter über das Zusammenleben mit dem Kindsvater befragen müssen und auch die erhobenen Beweise entsprechend würdigen müssen. Es genügt nicht, beweiswürdigend auszuführen, dass sich die Feststellungen zum Privat- und Familienleben aus den Angaben im Verfahren und den vorgelegten Dokumenten (Geburtsurkunde des Zweitbeschwerdeführers und Daueraufenthaltskarte des nigerianischen Lebensgefährten) ergibt. Diese Ausführungen geben keinerlei Aufschluss darüber, ob das Familienleben schützenswert ist.

Da die belangte Behörde es unterlassen hat, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, obwohl darüber gemäß dem oben zitierten §§ 10 AsylG und 52 FPG zwingend abzusprechen ist, sind die angefochtenen Bescheide mit einem gravierenden Mangel behaftet. Erklärend wurde festgehalten, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Nigeria keiner wie auch immer gearteten Verfolgung ausgesetzt wären und in keine aussichtslose oder unmenschliche Situation geraten würde, eine Rückkehr aber aufgrund des schützenswerten Privatlebens nicht möglich sei. Wie die Begründung, dass aufgrund verfassungskonformer Auslegung der Gesetze nicht über die Rückkehrentscheidung abgesprochen wird, zu verstehen ist, bleibt offen. Es wird weder konkretisiert, welche Gesetzesstellen in Betracht gezogen werden, noch auf welche Auslegungsart sich die belangte Behörde bezieht. Eine Rückkehrentscheidung ist nur in bestimmten Fällen nicht zu erlassen. Die belangte Behörde führt keinen Grund aus, der das Unterbleiben einer Rückkehrentscheidung rechtfertigt.

Wenn sie sowohl für die Erstbeschwerdeführerin als auch für den Zweitbeschwerdeführer gleichlautend ausführt, dass sie bzw. er "als begünstigter Drittstaatsangehöriger (Angehöriger einer EWR-Bürgerin), dokumentiert durch die von Ihnen vorgelegte Aufenthaltskarte welche durch die MA 35 ausgestellt wurde, unionsrechtlich aufenthaltsberechtigt" ist, so kann nur erahnt werden, welche Personen in welchem Zusammenhang gemeint sein könnten. Es wurde eine Aufenthaltsberechtigungskarte, ausgestellt von MA 35, vorgelegt. Diese betrifft aber den Kindsvater, der ebenso nigerianischer Staatsbürger ist. Somit können die Beschwerdeführer keine begünstigten Drittstaatsangehörigen sein. Zudem wird von einer "EWR-Bürgerin" gesprochen. Um welche Person es sich diesfalls handelt, ist völlig unbekannt, zumal sich im gesamten Verwaltungsakt keine Hinweise auf eine Frau aus dem EWR-Raum ergeben.

Insgesamt wird der Eindruck geweckt, die belangte Behörde hat sich unterschiedlicher Textbausteine bedient, diese versucht, an den gegenständlichen Fall anzupassen und letztlich von der Erstbeschwerdeführerin auf den Zweitbeschwerdeführer übertragen, ohne die bereits teilweise ermittelten Sachverhalte vollständig und fallbezogen zu erheben und einer zutreffenden Feststellung bzw. Beweiswürdigung zuzuführen.

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

Auch diesbezüglich sind keine Feststellungen getroffen worden und gehen schon fehlende Ermittlungsschritte in diese Richtung voraus. Auch wenn sich die Beschwerde mit dem in den angefochtenen Bescheiden nicht abgesprochenen Aufenthaltstiteln und Rückkehrentscheidungen beschäftigt, ist ihr zumindest beizupflichten, dass die Ermittlungen zur Feststellung einer Rückkehrentscheidung und Abschiebung als unzureichend anzusehen sind. Da mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden ist und die Zulässigkeit der Abschiebung zu prüfen ist, sind Ermittlungsschritte jedenfalls notwendig und nachzuholen.

Angesichts der damit aufgezeigten fehlenden Ermittlungsschritte, insbesondere im Hinblick auf die Rückkehrsituation der Beschwerdeführers in Bezug auf Nigeria und der sohin - rechtlich - nicht möglichen Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung iSd §§ 52 Abs. 9 iVm 46 FPG, welche ebenfalls eine amtswegige Abklärung der Situation im Hinblick auf Art 2 und 3 EMRK im Rückkehrstaat verlangt, erweisen sich die Entscheidungen der belangten Behörde hinsichtlich der nicht hinreichenden Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes als mangelhaft.

Dazu ist festzuhalten, dass die belangte Behörde es unterlassen hat amtswegige Ermittlungen hinsichtlich des Aufenthaltstitels des Lebensgefährten, oder sonstiger etwaiger Aufenthaltstitel im Schengenraum zu durchzuführen, wobei darauf hinzuweisen ist, dass sich die belangte Behörde auch mit der Gültigkeit des Aufenthaltstitels und etwaiger Ableitungen auf weitere Familienmitglieder hätte auseinandersetzen müssen.

Zudem wurde auf ein etwaiges Familien- oder Privatleben der Beschwerdeführer nur sehr lapidar eingegangen, bzw. wurde ein solches abschnittsweise sogar negiert. Es wird speziell zu prüfen sein, inwieweit eine Abschiebung der Beschwerdeführer ins Familienleben eingreift, ob es in Nigeria fortgesetzt werden kann und muss auch auf das Kindeswohl gesondert eingegangen werden.

Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln in Bezug auf verschiedene grundlegende Fragen. Damit hat die belangte Behörde im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt. Die belangte Behörde wird sich daher im fortgesetzten Verfahren mit der allgemeinen Lage in Nigeria und insbesondere mit der Situation von Rückkehrern in Nigeria auseinanderzusetzen haben. In weiterer Folge sind den Beschwerdeführern die aktuellen Länderberichte zu Nigeria zur Kenntnis zu bringen. Erst aufgrund der dadurch gewonnen Ermittlungsergebnisse wird eine entsprechende Würdigung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und der Abschiebung zu erfolgen haben, über die aber in jedem Fall abzusprechen ist.

Es kann jedenfalls nicht Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes sein, das Ermittlungsverfahren hinsichtlich des Familienlebens sowie der Situation in Nigeria neu zu beginnen, wobei in einem solchen Fall den Beschwerdeführern auch der Instanzenzug abgeschnitten würde. Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

bestehendes Familienleben, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Rechtsirrtum, Rückkehrentscheidung,
wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I414.2177561.1.00

Zuletzt aktualisiert am

23.03.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten