TE Vwgh Beschluss 2018/2/27 Ra 2017/05/0208

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Veröffentlicht am 27.02.2018
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §8;
B-VG Art133 Abs1 Z1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §58 Abs2 idF 1997/I/088;
VwGG §58 Abs2 idF 2013/I/033;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und den Hofrat Dr. Enzenhofer sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Artmann, über die Revision des F W in N, vertreten durch die Sacha Katzensteiner Blauensteiner Rechtsanwälte GmbH in 3500 Krems, Gartenaugasse 3, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 21. April 2017, Zl. LVwG-AV-1275/001-2016, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde in einer baurechtlichen Angelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Gemeindevorstand der Marktgemeinde P; weitere Partei:

Niederösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Parteien:

1. E M und 2. M M, beide in N, beide vertreten durch die Onz, Onz, Kraemmer, Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Revisionswerber hat den mitbeteiligten Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1 Die mitbeteiligten Parteien sind Eigentümer eines Grundstückes, auf dem ein Maschinenschuppen errichtet ist. Der Revisionswerber ist Eigentümer eines angrenzenden Grundstückes. Dieser erklärte gegenüber dem Bürgermeister der Marktgemeinde P. (im Folgenden: Bürgermeister) mit Schreiben (Mail) vom 2. Dezember 2014, dass er aufgrund des baulichen Zustandes der Halle (Maschinenschuppen) das Umstürzen der Hallenmauer befürchte.

2 Mit Bescheid des Bürgermeisters vom 14. Juni 2016 wurde den mitbeteiligten Parteien gemäß § 35 Abs. 2 Z 2 NÖ Bauordnung 2014 - NÖ BO 2014 der Auftrag zum Abbruch des Maschinenschuppens erteilt.

3 Mit Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde P. (im Folgenden: Gemeindevorstand) vom 19. Oktober 2016 wurde der von den mitbeteiligten Parteien gegen den Bescheid des Bürgermeisters erhobenen Berufung teilweise Folge gegeben und dieser Bescheid dahingehend abgeändert, dass (unter Spruchpunkt 1.) den mitbeteiligten Parteien gemäß § 34 Abs. 2 NÖ BO 2014 die Behebung eines (näher bezeichneten) Baugebrechens erteilt wurde (Instandsetzungsauftrag), wobei (unter Spruchpunkt 2.) ihnen weiters die Vorlage einer diesbezüglichen Bestätigung über die fachgerechte Behebung aufgetragen wurde.

4 Dieser Bescheid wurde - wie bereits der erstinstanzliche Bescheid - nur gegenüber den mitbeteiligten Parteien erlassen. Diese erhoben dagegen Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich.

5 Auch der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid an das Landesverwaltungsgericht Beschwerde und brachte darin (u.a.) vor, dass er durch Akteneinsicht erstmals am 7. November 2016 Kenntnis von diesem Bescheid erlangt habe, weshalb die Beschwerde rechtzeitig erhoben werde, und dass einem Nachbarn in einem Bauauftragsverfahren Parteistellung zukomme, wenn er diesen Bauauftrag angezeigt bzw. beantragt habe und durch das vorschriftswidrige Bauwerk in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt werde. Im vorliegenden Fall sei die Anzeige durch ihn (den Revisionswerber) erfolgt und sei er durch das gegenständliche Bauwerk in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt.

6 Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes vom 21. April 2017 wurde der Beschwerde der mitbeteiligten Parteien gegen den genannten Berufungsbescheid Folge gegeben, dieser Bescheid aufgehoben und eine ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt. Diese Entscheidung begründete das Landesverwaltungsgericht (u.a.) damit, dass die Berufungsbehörde bei Umwandlung eines Beseitigungsauftrages in einen Instandsetzungsauftrag nicht mehr in der "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG entscheide und daher der Gemeindevorstand den erstinstanzlichen Abbruchbescheid "bloß" ersatzlos hätte beheben dürfen. Habe eine unzuständige Behörde entschieden, so sei diese Unzuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen und die angefochtene Entscheidung zu beheben.

7 Dieses Erkenntnis wurde laut seiner Zustellverfügung nur gegenüber den mitbeteiligten Parteien, dem Gemeindevorstand und der Niederösterreichischen Landesregierung, nicht jedoch auch gegenüber dem Revisionswerber erlassen und nach Ausweis der in den vorgelegten Verfahrensakten enthaltenen, dem Erkenntnis angeschlossenen Kopien der diesbezüglichen Rückscheine jeweils am 25. April 2017 an den Gemeindevorstand und die mitbeteiligten Parteien zugestellt. Diesem Erkenntnis (das dieselbe Geschäftszahl wie der angefochtene Beschluss aufweist) ist auch ein Zustellnachweis (in Kopie) hinsichtlich einer Zustellung an den Revisionswerber (am 25. April 2017) angeschlossen, welcher jedoch in seinem Schriftbild dem Zustellnachweis gleicht, der dem nunmehr angefochtenen Beschluss beiliegt.

8 Mit diesem Beschluss wurde (unter Spruchpunkt 1.) die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den oben genannten Berufungsbescheid als unzulässig zurückgewiesen und (unter Spruchpunkt 2.) eine ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt.

9 Dazu führte das Landesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass die Parteistellung des Revisionswerbers im gesamten verwaltungsbehördlichen Verfahren keinesfalls unstrittig gewesen sei und er zumindest die Feststellung seiner Parteistellung hätte erwirken müssen sowie demnach nicht beschwerdelegitimiert sei.

10 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende, am 30. Mai 2017 zur Post gegebene Revision mit dem Antrag, den Beschluss aufgrund der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben und dem Landesverwaltungsgericht eine inhaltliche Entscheidung aufzutragen oder allenfalls in der Sache selbst zu entscheiden.

11 Mit den Verfahrensakten wurde ein gegenüber den mitbeteiligten Parteien erlassener Bescheid des Gemeindevorstandes vom 30. Juni 2017 vorgelegt, mit dem der erstinstanzliche Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Bürgermeister zurückverwiesen wurde.

12 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung, in der sie (u.a.) nach Hinweis auf den Bescheid des Gemeindevorstandes vom 30. Juni 2017 vorbrachten, dass das Rechtsschutzbedürfnis eine Prozessvoraussetzung sei und der Revisionswerber materiell klaglos gestellt worden sei.

13 Auch der Gemeindevorstand erstattete eine Revisionsbeantwortung, dies mit dem Vorbringen, sich den Argumenten des Landesverwaltungsgerichtes im angefochtenen Beschluss anzuschließen.

14 Mit hg. Verfügung vom 17. Jänner 2018 erging an den Revisionswerber die Anfrage, ob und - zutreffendenfalls - aus welchen Gründen er sich im Hinblick darauf, dass der genannte Bescheid vom 19. Oktober 2016 infolge seiner Aufhebung mit dem genannten Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes bereits im Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Revision nicht mehr dem Rechtsbestand angehörte, noch als durch den angefochtenen Beschluss in subjektiven Rechten verletzt erachte.

15 Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2018 brachte der Revisionswerber (unter Punkt 1.) im Wesentlichen vor, dass das genannte Erkenntnis, welches offensichtlich aufgrund einer ihm ebenfalls nicht bekannten Beschwerde der mitbeteiligten Parteien ergangen sei, ihm nicht zu Handen dessen rechtsfreundlichen Vertreters zugestellt worden sei, weshalb er nicht in der Lage sei, zu dieser Beschwerde der mitbeteiligten Partei und diesem Erkenntnis Stellung zu nehmen. Er stelle den Antrag, ihm sowohl die Beschwerde als auch das Erkenntnis zur Kenntnis zu bringen, damit ihm überhaupt eine Stellungnahme zum Inhalt dieser Entscheidung und zu der an ihn herangetragenen Fragestellung ermöglicht werde.

16 Weiters brachte der Revisionswerber in diesem Schriftsatz (unter Punkt 2.) unter anderem vor, dass er vor mehr als drei Jahren die Einsturzgefährdung der verfahrensgegenständlichen Mauer aufgezeigt und das ihm zweifelsohne zukommende Nachbarrecht, die Beseitigung der von der Mauer ausgehenden Gefährdung durch Erlassung eines Abbruchauftrages zu verlangen, ausgeübt habe. Die mitbeteiligten Parteien hätten bisher weder das einsturzgefährdete Bauwerk abgeändert noch irgendwelche Maßnahmen getroffen, welche die Einsturzgefahr beseitigt hätten. Er gehe davon aus, dass damit ausführlich seine subjektiven Rechte dargelegt seien.

II.

17 Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, denen (u.a.) der Mangel der Berechtigung zu ihrer Erhebung entgegensteht, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Gemäß § 34 Abs. 3 leg. cit. ist ein Beschluss nach Abs. 1 in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

18 Im Hinblick darauf, dass § 58 Abs. 2 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013 auch für Revisionen das Rechtsschutzinteresse als Prozessvoraussetzung umschreibt, ist die zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 bezüglich des Rechtsschutzinteresses als einer Prozessvoraussetzung für Parteibeschwerden im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergangene Rechtsprechung auf Revisionen vor dem Verwaltungsgerichtshof entsprechend anzuwenden. Die Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist somit (u.a.) nur dann zulässig, wenn die Möglichkeit besteht, dass die angefochtene Entscheidung in Rechte des Revisionswerbers eingreift (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 29.9.2015, Ra 2015/05/0064, mwN).

19 Das somit als Prozessvoraussetzung erforderliche Rechtsschutzbedürfnis besteht im objektiven Interesse des Revisionswerbers an einer Beseitigung der angefochtenen, ihn beschwerenden verwaltungsgerichtlichen Erledigung. Das objektive Interesse des Revisionswerbers an der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof gründet in dessen Beschwer. Eine derartige Beschwer liegt vor, wenn das angefochtene verwaltungsgerichtliche Handeln vom Antrag des Revisionswerbers zu dessen Nachteil abweicht (formelle Beschwer) oder mangels Antrages das Verwaltungsgericht den Revisionswerber durch seine Entscheidung belastet. Dieses Rechtsschutzinteresse wird daher immer dann zu verneinen sein, wenn es (aufgrund der geänderten Umstände) für die Rechtsstellung des Revisionswerbers keinen Unterschied mehr macht, ob die angefochtene Entscheidung aufrecht bleibt oder aufgehoben wird, bzw. wenn die Erreichung des Verfahrenszieles für den Revisionswerber keinen objektiven Nutzen hat, also die in der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen insoweit nur (mehr) theoretische Bedeutung haben. Der Verwaltungsgerichtshof ist somit zu einer rein abstrakten Prüfung der Rechtmäßigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht berufen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 27.6.2017, Ra 2017/10/0083, mwN).

20 Fehlte es bereits im Zeitpunkt der Revisionserhebung am erforderlichen Rechtsschutzinteresse, ist die Revision zurückzuweisen (vgl. dazu auch etwa VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0235, mwN).

21 Der vorliegend angefochtene Beschluss kann den Revisionswerber aus folgenden Gründen nicht in subjektiven Rechten verletzen:

22 Wie oben dargestellt, wurde der vom Revisionswerber vor dem Landesverwaltungsgericht mit Beschwerde bekämpfte Berufungsbescheid vom 19. Oktober 2016 mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes vom 21. April 2017 aufgehoben, wobei dieses Erkenntnis den mitbeteiligten Parteien und dem Gemeindevorstand jeweils am 25. April 2017 zugestellt wurde. Das genannte Erkenntnis erlangte mit seiner Erlassung gegenüber (wenigstens) einer Partei seine rechtliche Existenz (vgl. dazu etwa VwGH 12.11.2014, Fr 2014/20/0028) und wurde damit für das Landesverwaltungsgericht unabänderlich und unwiderrufbar (vgl. in diesem Zusammenhang auch Hengstschläger/Leeb, AVG ErgBd (2017) § 29 VwGVG Rz 3 erster Absatz), auch wenn es gegenüber dem Revisionswerber - wie von diesem im Schriftsatz vom 14. Februar 2017 ins Treffen geführt - nicht erlassen wurde. Im Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Revision (am 30. Mai 2017) gehörte der Berufungsbescheid daher nicht mehr dem Rechtsbestand an. Selbst wenn der angefochtene Beschluss aufgrund der vorliegenden Revision aufgehoben würde, führte dies nicht zu einer günstigeren Rechtsposition des Revisionswerbers und würde dies nichts daran ändern, dass sich dessen Beschwerde gegen einen rechtlich nicht mehr existenten Bescheid richten würde.

23 Im Übrigen ändert auch ein weiterhin vorhandenes abstraktes Interesse des Revisionswerbers an der Klärung der Frage seiner Parteistellung nichts an der Unzulässigkeit (oder allfälligen Gegenstandslosigkeit) der Revision, wenn das mit dieser verfolgte konkrete Rechtsschutzinteresse - wie im vorliegenden Fall - nicht (mehr) vorhanden ist (vgl. dazu etwa VwGH 30.11.2015, Ra 2015/08/0111).

24 Zum Antrag des Revisionswerbers im Schriftsatz vom 14. Februar 2017, ihm die Beschwerde der mitbeteiligten Parteien und das genannte Erkenntnis zwecks Abgabe einer weiteren Stellungnahme zur Kenntnis zu bringen, wird bemerkt, dass der Inhalt des Spruches dieses Erkenntnisses oben dargestellt wurde und aufgrund der obigen rechtlichen Erwägungen die Einholung einer weiteren Stellungnahme des Revisionswerbers in Bezug auf die hier in Rede stehende Frage des Rechtsschutzinteresses nicht geboten erschien.

25 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG wegen des Mangels der Berechtigung zu ihrer Erhebung in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

26 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung, BGBl. II Nr. 518/2013, in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 27. Februar 2018

Schlagworte

Parteibegriff Parteistellung strittige Rechtsnachfolger ZustellungIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017050208.L00

Im RIS seit

23.03.2018

Zuletzt aktualisiert am

28.03.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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