TE Vwgh Beschluss 2018/3/1 Ra 2017/19/0269

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Veröffentlicht am 01.03.2018
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3;
AVG §68;
BFA-VG 2014 §9;
B-VG Art133 Abs4;
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und die Hofräte Mag. Eder und MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, in der Revisionssache des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Juni 2017, L523 2016337-2/7E, betreffend eine Angelegenheit nach dem FPG (mitbeteiligte Partei: M H in V, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte, eine armenische Staatsangehörige, stellte in Österreich am 23. November 2012 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt gab diesem Antrag keine Folge und wies die Mitbeteiligte nach Armenien aus. Die dagegen von der Mitbeteiligten erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 6. Februar 2014, Asyl und subsidiären Schutz betreffend, als unbegründet ab. Im Übrigen verwies es gemäß § 75 Abs. 20 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) "das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung" an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurück. Die dagegen von der Mitbeteiligten eingebrachte außerordentliche Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 23. September 2014, Ra 2014/01/0008, zurückgewiesen.

2 Mit Bescheid vom 26. November 2014 sprach das BFA aus, dass der Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§§ 55 und 57 AsylG 2005) nicht erteilt werde. Unter einem wurde gegen die Mitbeteiligte eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Armenien zulässig sei. Schließlich setzte das BFA die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der Mitbeteiligten wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 8. Jänner 2015 als unbegründet ab. Die gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revision der Mitbeteiligten wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 24. März 2015, Ra 2015/21/0025, zurück.

3 Am 20. Mai 2015 stellte die Mitbeteiligte einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

4 Das BFA wies diesen Antrag mit Bescheid vom 13. Februar 2017 gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I.). Es erteilte der Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) gegen die Mitbeteiligte eine Rückkehrentscheidung und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass ihre Abschiebung nach Armenien zulässig sei (Spruchpunkt II.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1a FPG nicht eingeräumt (Spruchpunkt III.), der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.) und gegen die Mitbeteiligte gemäß § 53 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.).

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht unter Spruchpunkt A) I. die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der Mitbeteiligten hinsichtlich der Spruchpunkte I., II. und III. des Bescheides vom 13. Februar 2017 als unbegründet ab. Unter Spruchpunkt A) II. behob das Verwaltungsgericht die Spruchpunkte IV. ("Aberkennung der aufschiebenden Wirkung") und V. ("Einreiseverbot") des Bescheides vom 13. Februar 2017 ersatzlos. Das Verwaltungsgericht sprach weiters aus, dass die Revision im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6 Die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision der Mitbeteiligten wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Oktober 2017, Ra 2017/19/0226, zurückgewiesen.

7 Die vorliegende außerordentliche Revision des BFA richtet sich ausdrücklich nur gegen die mit dem angefochtenen Erkenntnis erfolgte ersatzlose Aufhebung des durch die Behörde gegen die Mitbeteiligte verhängten Einreiseverbots. In der Revision wird "Rechtswidrigkeit" mit dem Antrag geltend gemacht, das angefochtene Erkenntnis aus diesem Grund im bekämpften Umfang aufzuheben.

8 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit führt die Revision ins Treffen, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Berücksichtigung humanitärer Gründe im Sinn von Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (im Folgenden: Rückführungsrichtlinie) bei Erlassung eines Einreiseverbotes fehle. Die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses sei insofern in sich widersprüchlich, als das Verwaltungsgericht einerseits nach Durchführung einer Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK die gegen die Mitbeteiligte erlassene Rückkehrentscheidung bestätigt und andererseits das in Verbindung mit der Rückkehrentscheidung verhängte Einreiseverbot wegen humanitärer Gründe im Sinn von Art. 11 Abs. 3 der Rückführungsrichtlinie ersatzlos aufgehoben habe. Es sei unklar, inwiefern sich der Beurteilungsmaßstab betreffend das Vorliegen "humanitärer Gründe" im Verständnis des nationalen Rechts von dem gemäß Art. 11 Abs. 3 der Rückführungsrichtlinie maßgeblichen Beurteilungsmaßstab unterscheide. Sollten sich die nach nationalem Recht sowie die nach Art. 11 Abs. 3 der Rückführungsrichtlinie anzuwendenden Beurteilungsmaßstäbe decken, dann hätte das Gericht auch die Rückkehrentscheidung aufheben müssen. Hätten hingegen die "humanitären Erwägungen" des Art. 11 Abs. 3 Rückführungsrichtlinie "schwerer zu wiegen" als die bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu prüfenden, im Sinn von Art. 8 EMRK geschützten Interessen des Betroffenen, so ließe das angefochtene Erkenntnis eine nachvollziehbare, einzelfallbezogene Abwägung und Begründung vermissen. Die Rückkehrentscheidung stelle für den Rechtsunterworfenen im Verhältnis zu dem Einreiseverbot die wesentlich härtere Maßnahme dar. Das Gericht hätte die Dauer des Einreiseverbots auch angemessen reduzieren können. Grundsätzlich sei bei illegalem Aufenthalt die Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot zu verbinden. Fallbezogen liege zudem nicht nur ein illegaler Aufenthalt vor, sondern es sei die Mitbeteiligte darüber hinaus ihrer Ausreiseverpflichtung nach dem negativen Abschluss des Asylverfahrens nicht nachgekommen. In Zeiten "eines starken Migrationsstroms unter Missbrauch des Asylrechts" könne "dies", wie das Verwaltungsgericht selbst erkannt habe, niemals als nur geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Interessen gewertet werden.

9 Im Übrigen macht die Revision eine Verletzung des Überraschungsverbotes insofern geltend, als das Bundesverwaltungsgericht ohne Einräumung von Parteiengehör die für die Behörde überraschende rechtliche Beurteilung getroffen habe, dass das vom BFA gegen die Mitbeteiligte verhängte Einreiseverbot aufzuheben sei. Der Behörde sei dadurch die Möglichkeit genommen worden, zu den rechtlichen Erwägungen des Gerichts Stellung zu nehmen und die oben dargestellten Argumente vorzutragen, die geeignet gewesen wären, eine für die revisionswerbende Partei günstigere Entscheidung herbeizuführen.

Mit diesem Vorbringen wird eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht aufgezeigt.

10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13 Mit ihrem Vorbringen übersieht die Revision, dass das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen in tragender Weise bereits das Vorliegen einer die Verhängung eines Einreiseverbotes rechtfertigenden, von der Mitbeteiligten ausgehenden Gefährdung verneinte. Es ist auf dem Boden der Revision, die der vom Verwaltungsgericht angestellten Gefährdungsprognose in der allein maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung nicht substantiiert entgegen tritt, somit nicht ersichtlich, dass das Schicksal der Revision von den ins Treffen geführten Rechtsfragen abhinge (vgl. VwGH 3.4.2017, Ra 2016/20/0373). Soweit die Revision auf bei der Interessenabwägung zur Anwendung zu bringende Beurteilungsmaßstäbe verweist, wird daher bereits aus diesem Grund eine Rechtsfrage im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht angesprochen.

14 Vor diesem Hintergrund gelingt es der Revision, wenn sie eine Verletzung des Überraschungsverbotes geltend macht, schon jedenfalls nicht, die Relevanz des gerügten Verfahrensmangels darzulegen. Ferner erstreckt sich das zum Überraschungsverbot in Beziehung gesetzte Parteiengehör nur auf die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts, nicht aber auf die rechtliche Beurteilung des Verwaltungsgerichts (VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0421).

15 Die Revision war daher mangels Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen. Wien, am 1. März 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017190269.L00

Im RIS seit

23.03.2018

Zuletzt aktualisiert am

30.03.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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