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60/03 Kollektives Arbeitsrecht;Norm
ASVG §49 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der I Gesellschaft m. b.H. in S, vertreten durch Dr. Georg Schima, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Porzellangasse 4, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 23. April 1996, Zl. 121.077/2-7/95, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Kärntner Gebietskrankenkasse in 9021 Klagenfurt, Kempfstraße 8), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) Aufwendungen von S 565,-- binnen zwei Wochen bei Exekution zu ersetzen.
Das Kostenbegehren der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der im Devolutionswege zuständig gewordenen belangten Behörde wurde der Einspruch der beschwerdeführenden Gesellschaft gegen den erstinstanzlichen Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse als unbegründet abgewiesen und die Beschwerdeführerin verpflichtet, Sonderbeiträge samt Zinsen für zwei näher bezeichnete Dienstnehmer in der Höhe von S 1.834,56 zu entrichten.
Aufgrund einer Beitragsprüfung hatte die Gebietskrankenkasse festgestellt, dass zwei namentlich genannte Dienstnehmer der Beschwerdeführerin im Jahre 1992 wegen Selbstkündigung vor dem 1. Oktober gem. § 12 Z. 5 des KollV für Bauindustrie und Baugewerbe kein Weihnachtsgeld ausbezahlt bekommen hatten. Die belangte Behörde hat (ebenso wie schon die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse) die genannte kollektivvertragliche Bestimmung, nach welcher im Falle der Beendigung des Dienstverhältnisses nur jene Arbeitnehmer den aliquoten Teil des Weihnachtsgeldes erhalten, deren Beschäftigungsverhältnis nach mindestens fünfmonatiger Dauer nach dem 1.10. des Kalenderjahres gelöst wird, unter Zugrundelegung der diesbezüglichen Rechtsprechung des OGH als rechtsunwirksam angesehen und der Beschwerdeführerin die aufgrund eines aliquoten Anspruchs der genannten Dienstnehmer auf Weihnachtsgeld zu entrichtenden Sonderbeiträge samt Zinsen im vorerwähnten Ausmaß zur Zahlung vorgeschrieben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 49 Abs. 1 ASVG sind unter Entgelt die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer (Lehrling) aus dem Dienst(Lehr)verhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus aufgrund des Dienst(Lehr)verhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält.
Gemäß § 49 Abs. 2 ASVG sind Sonderzahlungen Bezüge im Sinne des Abs. 1, die in größeren Zeiträumen als den Beitragszeiträumen gewährt werden, wie z.B. ein 13. oder 14. Monatsbezug, Weihnachts- oder Urlaubsgeld, Gewinnanteile oder Bilanzgeld. Sie sind als Entgelt nur nach Maßgabe der Bestimmungen des § 54 und der sonstigen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes, in denen die Sonderzahlungen ausdrücklich erfasst werden, zu berücksichtigen.
Da § 49 Abs. 2 ASVG auf den ersten Absatz dieser Gesetzesbestimmung verweist, sind trotz der Wendung "gewährt werden" unter Sonderzahlungen nicht nur solche Geld- und Sachbezüge zu verstehen, die dem pflichtversicherten Dienstnehmer (Lehrling) in größeren Zeiträumen als den Beitragszeiträumen tatsächlich "zukommen", sondern entweder Geld- und Sachbezüge, auf die er aus dem Dienst(Lehr)verhältnis "in größeren Zeiträumen als den Beitragszeiträumen" nach zivil(arbeits)rechtlichen Grundsätzen Anspruch hat, ohne Rücksicht darauf, ob sie ihm überhaupt oder in der gebührenden Höhe zukommen, oder die er darüber hinaus in diesen "Zeiträumen" aufgrund des Dienst(Lehr)verhältnisses vom Dienstgeber oder einem Dritten tatsächlich erhält (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 26. Jänner 1984, Zl. 81/08/0211, vom 30. März 1993, Zl. 92/08/0050, vom 8. Februar 1994, Zl. 93/08/0219, und vom 17. Oktober 1995, 94/08/0236 ).
Nach den unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde besteht gem. § 12 Z. 5 des KollV für Bauindustrie und Baugewerbe in der hier anzuwendenden Fassung dann Anspruch auf Bezahlung des aliquoten Teiles des Weihnachtsgeldes, wenn das Arbeitsverhältnis nach einmonatiger Betriebszugehörigkeit vom Arbeitgeber durch Kündigung oder nach § 82 lit. h GewO durch Entlassung oder vom Arbeitnehmer nach § 82a GewO gelöst wird. Ebenso gebührt die Bezahlung des aliquoten Teiles des Weihnachtsgeldes, wenn das Arbeitsverhältnis nach mindestens fünfmonatiger Dauer vom Arbeitnehmer nach dem 1. Oktober des laufenden Jahres gelöst wird.
Da die beiden von der Beitragsnachrechnung betroffenen Dienstnehmer für das Jahr 1992 unbestrittenermaßen kein Weihnachtsgeld erhalten haben, weil sie - im Sinne des § 12 Z. 5 des Kollektivvertrages für Bauindustrie und Baugewerbe - vor dem 1. Oktober durch Dienstnehmerkündigung aus dem Dienstverhältnis ausgeschieden sind und die genannte Bestimmung für diesen Fall den Verlust der Weihnachtsremuneration zur Gänze vorsieht, hängt die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides davon ab, ob die genannte Kollektivvertragsnorm - wie die belangte Behörde meint - als rechtsunwirksam zu beurteilen ist.
Der OGH hat Bestimmungen in Kollektivverträgen, die einen
Sonderzahlungsanspruch für einen vergangenen Zeitraum von der
Erreichung eines bestimmten Stichtages abhängig machten, als
nichtig angesehen (vgl. OGH vom 30. August 1989, 9 Ob A 177/89,
Arb 10.822, und vom 16. Jänner 1991, 9 Ob A 609/90, SZ 64/6, unter
Berufung auf die §§ 16 und 40 AngG; sowie 9 Ob A 275/90 =
Arb 10.902, 9 Ob A 142/92 = SZ 65/103 = DRdA 1993, 117
(Grillberger), 9 Ob A 154/92 = ZAS 1993, 218 (Gruber) = DrDA 1993,
206 (Runggaldier) für vergleichbare Bestimmungen in
Arbeiterkollektivverträgen). Auch die neuere Judikatur des OGH hat
- entgegen der gegenteiligen Beschwerdeauffassung - daran
festgehalten (vgl. u.a. die Entscheidungen vom 15. September 1994,
8 ObA 240/94 =Arb 11.255 = RdW 1995, 69; vom 25. Mai 1994, 9 Ob A
38/94, DRdA 1995, 336 ff, insbesondere 337, 338; vom 6. Juli 1998,
8 Ob A 167/98) und insbesondere (freilich erst zu einem Zeitpunkt
nach Einbringung der vorliegenden Beschwerde) die auch hier
anzuwendende Bestimmung des § 12 Z. 5 Abs. 2 des Kollektivvertrages
für Bauindustrie und Baugewerbe mit der Begründung als unwirksam
angesehen, sie schränke die Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers
unzulässig ein (vgl. OGH vom 28. November 1996, 8 Ob A 2277/96, und
vom 12. Februar 1997, 9 Ob A 6/97).
Dieser Auffassung und ihrer Begründung ist ungeachtet der Kritik in einem Teil der Lehre (vgl. dazu ablehnend Runggaldier in Anmerkungen zu den Entscheidungen in DRdA 1993, 209, und RdW 1995, 64, vor allem aber ausführlich in: Grenzen der Kollektivvertragsautonomie bei der Regelung des Entgelts, Orac 1995, 66, 74, 132 f, 145 f ; ua. dagegen Trost in: Anspruch auf Sonderzahlungen in entgeltfreien Zeiten, DRdA 1995, 118 f, sowie in einer weiteren Entscheidungsanmerkung, DRdA 1995, 342) zu folgen:
Anders als dies bei Wartezeitregelungen am Beginn eines Dienstverhältnisses der Fall ist (vgl. dazu das Erkenntnis vom 17. Oktober 1995, Zl. 94/08/0236), schränkt die hier maßgebende Regelung des Kollektivvertrages für Bauindustrie und Baugewerbe dadurch, dass der durch Arbeitsleistungen bereits verdiente aliquote Anteil der Weihnachtsremuneration bei Selbstkündigung vor dem 1. Oktober eines Kalenderjahres wieder verloren geht, die Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers in unzulässiger Weise ein.
§ 12 Z. 5 Abs. 2 des KollV für Bauindustrie und Baugewerbe in der im Beschwerdefall maßgebenden Fassung ist daher - wie die belangte Behörde zutreffend erkannt hat - rechtsunwirksam.
Entgegen den diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde hängt das Weihnachtsgeld nach dem Kollektivvertrag auch nicht von einer besonderen Betriebstreue ab, zumal es schon nach einmonatiger Betriebszugehörigkeit im anteiligen Ausmaß gebührt. Wird eine solche Sonderzahlung lediglich bei Selbstkündigung des Arbeitnehmers an eine fünfmonatige Dauer der Betriebszugehörigkeit gebunden und fällt sie überdies dann wieder weg, wenn die Auflösung des Dienstverhältnisses vor dem 1. Oktober erfolgt, so liegt darin nichts weiter als eine Sanktion bei Kündigung durch den Arbeitnehmer zu einem anderen als einen bestimmten, gewünschten Zeitpunkt. Gerade darin liegt aber die verpönte einseitige Beschränkung des Arbeitnehmers in seinen Kündigungsmöglichkeiten.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994. Das Kostenbegehren der anwaltlich nicht vertretenen Gebietskrankenkasse war abzuweisen (analog § 49 Abs. 1 VwGG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 88/1997).
Wien, am 26. April 2000
Schlagworte
KollektivvertragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1996080184.X00Im RIS seit
20.11.2000