Entscheidungsdatum
13.03.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W196 2150887-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2017, Zl. 1031799508-140000227, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.09.2017, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 9 FPG als unbegründet abgewiesen.
II. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG als unzulässig zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin, Staatsangehörige der Russischen Föderation und Zugehörige der tschetschenischen Volksgruppe, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 23.09.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Anlässlich ihrer niederschriftlichen Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 29.09.2014 gab die Beschwerdeführerin an Staatsangehörige der Russischen Föderation, Zugehörige der tschetschenischen Volksgruppe und muslimischen Glaubens zu sein. Sie sei verheiratet gewesen und sei die Ehe durch Scheidung im April 2014 aufgelöst worden. Die Beschwerdeführerin habe im Herkunftsstaat die Grundschule besucht und als Friseurin gearbeitet. Sie beherrsche die Sprachen Tschetschenisch und Russisch in Wort und Schrift. Im Herkunftsstaat würden sich die Mutter, die sechs Schwestern sowie der Bruder der Beschwerdeführerin befinden und sei ihr Vater bereits verstorben. Zu ihren Fluchtgründen befragt führte sie an, dass sie und ihr Ex-Mann im Jahr 2011 einen Autounfall gehabt hätten und sie daraufhin für ungefähr einen Monat im Koma gelegen sei. Als sie aus dem Koma erwacht sei, habe sie bei der Polizei eine Anzeige erstattet. Jedoch habe sie von der Polizei Drohungen bekommen und hätten sie und ihr Mann diese Anzeige zurückziehen sollen. Warum wisse sie nicht. Sie vermute jetzt, dass ein Polizist den Unfall verursacht habe. Weil sie von den Polizisten verfolgt und bedroht worden sei, sei sie nach Dagestan geflüchtet. Ihr Mann und ihre Familie seien aber in Meskety geblieben und seien dort weiter bedroht worden. Ihr Mann habe daraufhin die Scheidung verlangt, welche dann im April 2014 erfolgt sei. Als sie am 27.02.2014 bei ihrer Mutter zu Besuch gewesen sei, seien die Polizisten gekommen und hätten von der Beschwerdeführerin verlangt, dass sie die Anzeige zurückziehen soll. Da habe sie den Entschluss gefasst zu fliehen. Ihr sei wichtig, dass ihre Familie in Ruhe leben könne. Andere Fluchtgründe habe sie nicht.
Vorgelegt wurde der russische Inlandspass der Beschwerdeführerin.
Mit Eingabe vom 24.06.2015 legte die Beschwerdeführerin eine Bestätigung über die Absolvierung eines Alphabetisierungskurses vor.
Am 25.03.2016 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Volksanwaltschaftsbeschwerde aufgrund der überlangen Verfahrensdauer ein.
In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 06.06.2016 gab die Beschwerdeführerin nach Zusammenfassung und Erörterung des bisherigen Verfahrensablaufes an, dass sie ihren Inlandspass bereits als Identitätsdokument vorgelegt habe und sei ihr Reisepass vom Schlepper angenommen worden. Bei der Ausstellung in Grozny habe es keine Probleme gegeben. Nach ihrem gesundheitlichen Zustand befragt führte die Beschwerdeführerin an, dass sie aufgrund ihrer Verletzungen durch den Unfall noch am Bein und noch am Kopf operiert werden würde. Sie leide häufig an Kopfschmerzen. Dabei legte sie diverse Unterlagen zu ihrem Gesundheitszustand in russischer Sprache, sowie Teilnahmebestätigungen an Sprachkursen vor. Die Beschwerdeführerin nehme keine Medikamente und fühle sich sowohl geistig als auch körperlich in der Lage der Einvernahme zu folgen. Sie könne ein wenig Deutsch und die lateinische Schrift lesen. Weiters erklärte sie sich damit einverstanden, dass die Einvernahme in Russisch geführt werde. Außer Russisch spreche die Beschwerdeführerin Tschetschenisch. Zu ihrer Person gab sie an, dass sie Staatsangehörige der Russischen Föderation, Zugehörige der tschetschenischen Volksgruppe und muslimischen Glaubens sei. Sie sei geschieden und habe keine Kinder. Zu ihrem namentlich genannten Ex-Mann gab sie befragt an, dass er die Scheidung habe wollen und habe sie letztlich eingewilligt. Sie hätten am 05.10.2008 in Meskety beim dortigen Standesamt geheiratet und sei die Scheidung im April 2014 beim dortigen Zivilgericht erfolgt. Sie sei in Meskety geboren und aufgewachsen und sei ihr Vater verstorben. Ihre Mutter lebe auch weiterhin dort, sei Pensionistin und erhalten Witwen- und Waisenrente für die Kinder. Der Ex-Mann der Beschwerdeführerin habe eine Schwester und zwei Brüder, die ebenfalls in Meskety leben würden, verheiratet seien, Kinder hätten und im Erwerbsleben stehen würden. Die Beschwerdeführerin halte sich seit dem 29.09.2014 in Österreich auf. Nachgefragt gab sie an, dass sich ihre Geburts-, Heirats- und Scheidungsurkunde im Heimatland befinden würden. Ihr Führerschein sei im Elternhaus und habe ihre Mutter diesen für die Beschwerdeführerin dort verwahrt. Die Beschwerdeführerin habe in Grozny zehn Jahre die Grundschule besucht und abgeschlossen und habe sich sodann zur Friseurin ausbilden lassen. Von 2008 bis 2014 habe sie in Grozny Rechtswissenschaften studiert und das Studium im Juni 2014 abgeschlossen. Dabei habe es sich um ein Fernstudium gehandelt und habe sie dafür einmal im Semester nach Grozny fahren und eine Prüfung ablegen müssen. Als Friseurin habe sie ab dem Jahr 2009 neben dem Studium und bis zur ihrer Ausreise gearbeitet. Gekündigt habe sie im Februar 2014, weil sie bei dem Autounfall vom 04.10.2011 verletzt worden sei. Gearbeitet habe sie jedoch bis Ende Februar 2014. Nachgefragt führte die Beschwerdeführerin an, dass sie nach dem Unfall einen Monat im Koma gewesen sei, dann in Krankenstand und im Juni 2012 ihre Arbeit wieder aufgenommen habe. In dieser Zeit habe sie gemeinsam mit ihrem Mann eine Wohnung in Grozny gemietet, die sie vor ihrer Scheidung gekündigt habe und sei sie zu den Schwiegereltern nach Meskety gezogen. Nach ihrer Scheidung im April 2014 sei sie nach Österreich ausgereist. Zu ihrem damaligen Ehemann gab die Beschwerdeführerin weiters befragt an, dass dieser Möbeltischler sei und noch bei seinen Eltern leben würde. Im Herkunftsstaat würden die sechs Schwestern der Beschwerdeführerin leben, die - bis auf die jüngsten zwei und ihr Bruder, die im Elternaus wohnen und die Schule besuchen würden - alle verheiratet seien. Weiters habe sie vier Tanten und drei Brüder väterlicherseits sowie eine Tante und fünf Onkeln mütterlicherseits. Danach befragt führte die Beschwerdeführerin an, dass sie anlässlich eines Besuches bei ihrer Mutter am 27.07.2014 zum ersten Mal daran gedacht habe, den Herkunftsstaat zu verlassen und habe sie dies tatsächlich am 22.09.2014 getan. Die letzte Nacht vor ihrer Ausreise sei sie zuhause an ihrer Heimatadresse gewesen. Die Reise sei schlepperunterstützt erfolgt und habe sie die 1.500,- Euro durch Ersparnisse beglichen. Österreich sei ihr Zielland gewesen, weil die Sozialleistungen gut seien und sie sich hier medizinischen behandeln lassen könne. Die letzten drei Jahre sei sie immer in Meskety gewesen, habe aber auch in Grozny und Dagestan gelebt. Nachdem ihr Gatte im April 2014 die Scheidung eingereicht habe und sie geschieden gewesen sei, sei sie zu einer Freundin nach Dagestan gezogen und dort bis zum 27.07.2014 verblieben. An diesem Tag habe ein Fest stattgefunden und sei sie zu ihren Eltern nach Meskety gegangen, wo sie bis zu ihrer Ausreise am 22.09.2014 gelebt habe. Ihren Familiennamen habe sie auch im Herkunftsstaat getragen. Die Beschwerdeführerin verneinte die Fragen, ob sie in ihrer Heimat jemals vorbestraft, inhaftiert, vor Gericht gestanden, politisch tätig oder Mitglied einer politischen Partei oder einer Organisation gewesen sei, bzw. Probleme aufgrund ihres Religionsbekenntnisses, ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, wegen Privatpersonen oder mit den Behörden gehabt habe. Auch habe sie an keinen bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen teilgenommen. Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates führte die Beschwerdeführerin befragt an, dass sie nach ihrem Unfall im Jahr 2011 und ihrem einmonatigen Koma eine Anzeige gegen den anderen Verkehrsteilnehmer erstattet habe. Daraufhin sei sie von der Polizei aufgefordert worden, diese wieder zurückzuziehen. Im April 2014 habe ihr Mann die Scheidung eingereicht und sei die Beschwerdeführerin nach Dagestan gezogen. Am 27.07.2014 habe sie ihre Mutter besucht, es habe ein großes Fest stattgefunden. Da sei die Polizei gekommen und hätte verlangt, dass die Beschwerdeführerin die Anzeige zurückziehe. Aus diesem Grund habe sie beschlossen, das Land zu verlassen. Auf die Frage gegen wen die Beschwerdeführerin eine Anzeige erstattet habe führte sie an, dass sie sich nicht mehr an den Namen der Person erinnern könne. Sie und ihr Mann hätten gegen den Fahrer des anderen Autos eine Anzeige erstattet. Sie sei nach der Entlassung aus dem Krankenhaus zur Polizei gegangen und hätte Anzeige erstattet. Ihr Mann hätte dasselbe gemacht und sei er nicht so lange im Krankenhaus gewesen, wie die Beschwerdeführerin. Weiters befragt führte sie an, dass sie glaube die Anzeige bei der Polizei in Grozny im Zentrum am 04.11.2011 erstattet zu haben, weil der Unfall in Gudermes stattgefunden habe. Im generischen Fahrzeug sei nur ein Mann gewesen und könne sie nicht angeben, ob dieser irgendwelche Verletzungen erlitten habe. Die anderen Zeugen des Unfalles hätten angegeben, dass er habe normal gehen können. Es habe eine Reihe von anderen Unfallzeugen gegeben. Der Unfall habe am helllichten Tag auf der Umfahrung von Gudermes stattgefunden und gab die Beschwerdeführerin weiters auf Nachfrage an, dass die Unfallzeugen auch von der Polizei einvernommen worden seien. Auf die Frage ob es nach dem Unfall eine Gerichtsverhandlung gegeben habe gab sie an, dass es bis heute keine gegeben habe. Die Polizei in Grozny habe zwar die Ermittlungen eingeleitet und seien die Beschwerdeführerin sowie auch andere Zeugen von der Polizei in Grozny einvernommen und befragt worden. Ihr Unfallgegner sei bei der Polizei beschäftigt. Dies sei ihr im Rahmen der Anzeigeerstattung von anderen Polizeibeamten mitgeteilt worden. Der Polizeibeamte, welcher ihre Anzeige entgegengenommen habe, habe gesagt, es würde dabei nichts herauskommen. Auf die Frage wer die Beschwerdeführerin konkret bedrohe gab diese an, dass sie das nicht wisse. Auf die Frage wann sie bedroht worden sei entgegnete sie, dass der Unfall am 04.10.2011 stattgefunden und sie die Anzeige am 04.11.2011 erstattet habe. Seither sei sie bedroht worden. Sie sei ständig bedroht worden, und zwar in der Form, dass sie gewarnt worden sei. Der Beschwerdeführerin wurde vorgehalten, dass sie dennoch zur Polizei gegangen und ihren Inlandsreisepass habe ausstellen lassen. Darauf entgegnete die Beschwerdeführerin, dass man ihr ihren Inlandsreisepass nicht vorenthalten könne. So habe sie sich auch einen Reisepass ausstellen lassen. Auf die Frage ob ihr Gatte, welcher ebenfalls eine Anzeige erstattet habe, keine Probleme gehabt habe antwortete die Beschwerdeführerin, dass sie das nicht wisse. Sie habe nichts von etwaigen Problemen gehört. Auf Nachfrage gab sie weiters an, dass dieser auch weiterhin in Meskety lebe und dort als Möbeltischler arbeite. Sie und ihr Mann seien insgesamt vier Mal zur Polizei geholt und sei die Beschwerdeführerin auch mit Strom gefoltert worden. Andere Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates habe sie nicht und habe sie sämtliche Gründe vollständig geschildert. Für den Fall einer Rückkehr habe sie Angst, sie könne wieder Probleme mit den Behörden ihres Heimatsstaates bekommen. Die Frage ob es aus ihrer Sicht Gründe gäbe, die gegen eine Ausweisung aus Österreich sprechen würden, verneinte die Beschwerdeführerin. Sie lebe in Österreich auch mit niemandem zusammen und habe hier entfernte Verwandte, die sie aber nicht kennen würde. Sie habe auch keine privaten Interessen und sei auch nicht in Vereinen tätig und besuche auch keinen Deutschkurs. Die Beschwerdeführerin lebe von der Grundversorgung und mache den ganzen Tag nichts außer dem Deutschkurs. Sie habe auch keine Probleme mit den Gesetzen und stelle sie sich für die Zukunft vor, hier zu leben und als Friseurin zu arbeiten. Die Beschwerdeführen gab schließlich erneut an, genügend Zeit gehabt und alle Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates genannt zu haben.
Am Ende der Einvernahme wurden mit der Beschwerdeführerin die Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat erörtert und ihr eine zweiwöchige Frist für eine etwaige Stellungnahme gewährt. Die Beschwerdeführerin verzichtete auf die Abgabe einer diesbezüglichen Stellungnahme.
Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.02.2017 wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert zu den aktuellen Länderinformationen zur Russischen Föderation Stellung zu nehmen sowie anzugeben, ob sich zwischenzeitlich im Privat- und Familienleben Änderungen ergeben hätten. Hierzu langte keine Stellungnahme ein.
Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. des Bescheides wurde der Antrag der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen. Ferner wurde unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist. Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.).
Dem Bescheid wurden die entsprechenden Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin zu Grunde gelegt. Sie sei alleine in Österreich aufhältig, leide an keiner lebensbedrohlichen Krankheit und nehme auch keine Medikamente. Ihr sei es nicht gelungen eine glaubhafte Verfolgung geltend zu machen und seien ihre Ausführungen derart offensichtlich unglaubhaft, dass einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung habe aberkannt werden müssen. Auch habe für den Fall einer Rückkehr der Beschwerdeführerin keine reale Gefahr der Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention festgestellt werden können oder dass sie als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt wäre. Dass die Beschwerdeführerin nie politisch aktiv gewesen und auch nie aufgrund ihrer Religion oder Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt worden sei, oder Probleme mit den Behörden ihrer Heimat gehabt habe, ergebe sich daraus, dass sie dies konkret danach befragt verneint habe. Aufgrund der vorhandenen familiären Anknüpfungspunkte, sowie aufgrund der Feststellungen zur gewährleisteten Grundversorgung in der Russischen Föderation und des Umstandes, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine arbeitsfähige und selbsterhaltungsfähige Person handle sei davon auszugehen, dass sie im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland nicht in eine die Existenz bedrohende Notlage gelangen würde. Da die Beschwerdeführerin den Großteil ihres Lebens in der Russischen Föderation verbracht habe, die dortige Sprache spreche und eine Reintegration somit möglich sei, sei im Fall der Beschwerdeführerin im Hinblick auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung davon auszugehen, dass die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung überwiegen würden. Es hätten keine Hinweise vorgefunden werden können, dass eine Ausweisung auf unzulässige Weise im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK eingreifen würde. Schließlich wurde die aufschiebende Wirkung der Beschwerde durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aberkannt, da das Vorbringen der Beschwerdeführerin offensichtlich nicht den Tatsachen entsprechen würde und sei davon auszugehen, dass die sofortige Umsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Interesse eines geordneten Fremdenwesens geboten sei.
Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes vom 27.02.2017 wurde der Beschwerdeführerin für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
Gegen den oben genannten Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, in welcher ausgeführt wurde, dass die Beschwerdeführerin bei einem Verkehrsunfall verwickelt worden sei, bei welchem diese und eine andere Person schwer verletzt worden sowie weitere Personen gestorben seien. Zwar habe die Beschwerdeführerin eine Anzeige erstattet, jedoch habe sie weder eine schriftliche Ausfertigung, noch die Namen der Beteiligten bekommen. Ihr sei nur mitgeteilt worden, dass es sich bei dem Unfallgegner um einen Polizeibeamten gehandelt habe. Daraufhin sei sie von staatlicher Seite massiv bedroht und sogar mit Stromschlägen gefoltert worden, damit sie die Anzeige zurückziehe. Ob der Ex-Mann der Beschwerdeführerin unbehelligt in Tschetschenien lebe sei auch eine bloße Mutmaßung seitens der Behörde, zumal die Beschwerdeführerin keinen Kontakt zu ihm habe und dazu keine Angaben machen könne. Auch sei die Ausstellung des Reisepasses durch eine von der Polizei unabhängigen Behörde erfolgt. Die Beschwerdeführerin erhalte im Herkunftsstaat keinen effektiven Schutz und decke sich dies mit den im Bescheid herangezogenen Länderberichten. So sei auch keine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben. Auch im Hinblick auf ihre Krankheitsgeschichte und dem nötigen Behandlungsbedarf könne sie keinesfalls in ihr Heimatland zurückkehren. Beantragt wurden die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung sowie die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde und schließlich die Erstellung eines medizinischen Gutachtens über den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin.
Der Beschwerde wurde ein Konvolut an Beilagen über den gesundheitlichen Zustand der Beschwerdeführerin beigelegt.
Mit Schriftsatz vom 08.05.2017 wurde beim Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerdeergänzung eingebracht, in welcher vorgebracht wurde, dass die Beschwerdeführerin vor dem für die Sprache Tschetschenisch bestellten Dolmetscher nicht in der Lage gewesen sei, frei zu sprechen, weshalb sie um Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin ersuche. Es sei nicht klar, was bei den Verhören durch die tschetschenische Polizei vorgefallen sei, da die Beschwerdeführerin bewusstlos gewesen sei. Aus diesem Grund sei sie von ihrem Mann verstoßen worden und habe er auch deswegen die Scheidung eingereicht. Allein die Tatsache, dass sie von fremden Männern berührt worden war, habe für ihn einen Ehrverlust bedeutet. So sei ihr vorgeworfen worden, Schande über die Familie gebracht zu haben. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sie während der Bewusstlosigkeit sexuell missbraucht oder vergewaltigt worden sei. Jedenfalls liege eine frauenspezifische Verfolgung als Angehörige zur sozialen Gruppe der Frauen in Tschetschenien vor und ergehe das Ersuchen, die Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht von einer Richterin und unter Zuziehung einer weiblichen Dolmetscherin zu führen. Vorgelegt wurden weitere Integrationsunterlagen der Beschwerdeführerin.
Am 14.09.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Zuhilfenahme einer geeigneten, weiblichen Dolmetscherin für die Sprache Russisch statt, an der die Beschwerdeführer und ihre Rechtsvertreterin teilnahmen.
Der Befragung der Beschwerdeführerin sind folgende Passagen zu entnehmen:
RI: Als was wollten Sie arbeiten?
P: Ich habe einen Kindheitstraum. Ich wollte Richterin werden.
RI: Sie haben als Friseurin gearbeitet?
P: Ich habe das Studium für russisches Recht abgeschlossen und kam danach gleich nach Österreich. Dieses Studium dauert sechs Jahre lang.
RI: Können Sie Deutsch sprechen?
P: Ich habe Kurse abgeschlossen und lege Bestätigungen vor. Ich habe Kurse besucht, aber danach war ich im Krankenhaus. Im September möchte ich eine A2-Prüfung machen.
RI: Schildern Sie mir genau den Verkehrsunfall?
P: Wir sind mit dem Auto nach Hause gefahren. Das war ein Autounfall. Ich kann mich an das Jahr erinnern, das war 2011. Um circa 11 Uhr da bin ich von zu Hause in Grozny zu meiner Mutter gefahren. Das ist in Meskety, das ist etwa eine Stunde von mir zu Hause entfernt. Mein Exmann ist mit dem Auto gefahren. Wir zwei sind alleine gefahren. Es war zufällig. Ich kann mich nur daran erinnern, dass uns ein Auto entgegenkam. Danach war ich im Koma. Wir sind frontal zusammengestoßen.
RI: Bei dem Autounfall sind Sie dann ins Koma gefallen?
P: Ich weiß danach nichts mehr.
RI: Was passierte mit Ihrem Exmann?
P: Er war nicht so schwer verletzt.
RI: Wo sind Sie nach dem Koma wieder aufgewacht?
P: Das war in Gudermes oder in Grozny, das weiß ich nicht mehr, da bin ich aufgewacht.
RI: Einen Monat lang waren Sie im Koma, weil?
P: Weil ich ein Kopftrauma erlitten habe. Als ich zu mir kam, hat man mich entlassen. Ich hatte einen Handbruch. Übermorgen habe ich eine Operation, das ist eine Nasenoperation, in der Folge des Unfalls. Man hat mir gesagt, dass ich eine Nasenoperation brauche. Im Oktober werde ich dann am Kopf operiert.
Beilage 1 (ärztliche Bestätigung)
Als ich diesen Unfall hatte, ist es zu einer Beschädigung gekommen. Es ist wahrscheinlich ein Gewächs, aufgrund der damaligen Verletzung. Deshalb habe ich oft Anfälle.
Meine Verwandten holten mich vom Krankenhaus ab. Meine Mutter holte mich ab. Dann fuhr ich mit meiner Mutter zu ihr nach Hause und danach zu meinem Mann nach Hause. Bei meiner Mutter verbrachte ich einige Tage und danach fuhr ich selbst zu meinem Mann nach Hause. Mein Mann war nicht so schwer verletzt und er war zu Hause. Er war nicht im Krankenhaus. Ich habe dann bei meinem Mann gelebt. Ich hatte ständig Anfälle und Probleme mit meinem Kopf. Ich hatte sehr starke Kopfschmerzen und bin immer wieder plötzlich in Ohnmacht gefallen. Ernste Verletzungen zog ich mir nach diesen Anfällen nicht zu. Man verständigte mehrmals die Rettung, weil ich immer wieder ohnmächtig geworden bin. Der Mann, der uns damals mit dem Auto entgegenkommen ist, war an dem Unfall schuld. Ich habe Anzeige gegen ihn erstattet. Mein Mann war damit nicht einverstanden. Ich ging zu einer Organisation, bei der man Anzeige erstatten kann. Ich habe die Bezeichnung vergessen, wie diese Organisation heißt. Mein Mann wollte keine Anzeige erstatten.
RI: Und Sie können sich an den Unfall so genau erinnern, damit Sie ganz genau wissen, dass der andere Autofahrer schuld war?
P: Ja.
RI: Das haben Sie bei dieser Organisation gesagt?
P: Ja.
RI: Was passierte danach?
P: Die Organisation heißt nicht Polizei, sondern es ist eine Behörde von Kadyrow. Man nennt sie Kadyrow-Leute. Als ich Anzeige erstattete, forderte man von mir, dass ich diese Anzeige zurückziehen sollte. Zuerst nahmen sie die Anzeige entgegen und danach sollte ich sie wieder zurückziehen.
RI: Haben Sie irgendwelche Unterlagen über die Anzeige?
P: Ich hatte eine Bestätigung vom Krankenhaus, weil ich ja wegen des Unfalls ins Krankenhaus kam. Ich bekam ein Entlassungsschreiben des Krankenhauses. Ich habe eine schriftliche Anzeige abgegeben. Ich habe diese Anzeige zu Hause geschrieben und habe sie dorthin gebracht.
RI: Was stand auf dieser Anzeige?
P: Das man mir helfen soll.
RI: Das ist keine Anzeige.
P: Bei uns gibt es eine Stelle die Anzeigen entgegennimmt. Eine Stelle für Menschenrechte. Ich habe auf dieser Anzeige beschrieben, was passiert ist. Es war ein handgeschriebener Zettel. Ich habe darauf geschrieben, dass ich einen Unfall hatte und, dass ich verletzt worden bin und dass mir jemand helfen sollte. Entweder der Staat oder der Schuldige.
RI: Was stand über den Unfall auf dieser Anzeige?
P: Ich habe geschrieben, dass ich eine Geschädigte bin und im Krankenhaus war.
RI: Haben Sie dieses Schreiben noch?
P: Nein, ich habe es von dieser Stelle nicht abgeholt.
RI: Aus diesem Schreiben ging aber nicht hervor, wer schuld an diesem Unfall ist.
P: Ich habe geschrieben, dass es ein Unfall ist und dass der andere Schuld ist.
RI: Aber den Unfallgegner konnten Sie nicht sehen, weil Sie ja ins Koma gefallen sind, aber Ihr Mann hätte ihn sehen können. Was hat der gesagt?
P: Ich weiß es nicht.
RI: Sie haben Ihren Mann nicht gefragt?
P: Ich habe ihn nicht gefragt.
RI: Sie gehen und machen eine Anzeige über den Unfall, bei dem Sie nichts gesehen haben und fragen Ihren Mann nicht, was passiert ist?
P: Ja. Mein Mann wollte nicht, dass der Staat und die Behörden involviert werden. Er wollte das selbst erledigen, weil es bei uns so üblich ist.
RI: Was heißt selbst erledigen?
P: Er wusste, dass der andere Unfallbeteiligte bei der Behörde tätig ist und wollte nicht, dass das publik wird. Er wollte sich eigentlich so verhalten, als wenn es nicht passiert wäre.
RI: Und Sie haben trotzdem, gegen den Willen Ihres Mannes, die Anzeige erstattet?
P: Ja, er wusste es.
RI: Was ist danach weiter passiert?
P: Ich und mein Mann haben dann weiter in Grozny gelebt. Wir haben vorher und nachher in Grozny gelebt. Dort gibt es verschiedene Polizeistellen, die mit Nummern versehen sind. Es gibt zum Beispiel die Polizeistelle Nr. 15 und Nr. 16. Dann sind die Leute zu uns nach Grozny gekommen, sie kannten uns. Sie haben mich zur Polizeistelle mitgenommen, welche weiß ich nicht mehr.
RI: Wer, wann und wie viele sind gekommen?
P: Die Leute sind mehrmals gekommen. Mein Mann und ich waren zu Hause. Untertags haben wir beide gearbeitet. Ich habe als Friseurin gearbeitet. Es war abends. Die Leute sind gekommen und haben mich mitgenommen und zur Polizeistelle gebracht. Ich dachte es sei wegen des Unfalls. Ich bin mitgegangen. Das es Abend war, war nicht ungewöhnlich. Die Leute können zu beliebiger Zeit kommen.
P: Für uns, das heißt, unsere Religion ist das eine Schande, wenn die Frau vor den Augen des Ehemannes weggebracht wird. Es waren die Kadyrow-Leute. Man erkennt sie an den Uniformen. Sie haben eine eigene Uniform und das war eine Schande für den Mann und die ganze Familie. Auch deswegen, weil er darauf beharrt hat, dass ich diese Anzeige nicht erstatte.
RI: Warum haben Sie Anzeige erstattet? Was wollten Sie durch diese bewirken?
P: Ich wollte, dass meine Rechte wahrgenommen werden. Ich wollte, dass der Unfallgegner bestraft wird. Ich bin ja zu Schaden gekommen. Wenn es zu einer Gerichtsverhandlung gekommen wäre, hätte ich psychische Unterstützung und Geld bekommen. Mein Ehemann wollte das aber nicht. Er wusste, was die Leute machen und ich habe ihm das geglaubt, aber ich wollte, dass die Gesetzte wahrgenommen werden. Ich wollte das erreichen, was ich mir vorgenommen habe. Mein Vater hat auch bei den Kadyrow-Leuten gearbeitet. Er ist 2004 gestorben. Ich war noch Schülerin. Es gab eine Schießerei, der Mann, der meinen Vater erschossen hat, wurde nie verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich den Traum, dass ich Richterin werde und solche Leute verurteilen werde. Meine Familie hatte Angst, dass sie ebenfalls umgebracht werden und deshalb wurde damals keine Anzeige erstattet. Ich habe seitdem den Traum, Richterin zu werden. Als ich die Anzeige erstattet habe, habe ich erfahren, dass die Leute ebenfalls Kadyrow-Leute sind und deshalb habe ich Anzeige erstattet. Ich habe dann erfahren, dass der Mann, der uns damals mit dem Auto entgegengekommen ist, ein Kadyrow-Mann war. Ich habe das erfahren, als die Leute gekommen sind und mich mitgenommen haben. Ich wusste zuerst nicht, wer das ist.
Sie haben mich verhört. Sie haben mir meine Anzeige gezeigt. Sie wollten von mir, dass ich schreibe, dass es ein Fehler war und dass ich mich geirrt habe. Ich war nach dem Unfall sehr schwach. Sie haben mir mehrmals Stromstöße versetzt, sodass ich ohnmächtig wurde. Sie haben sehr darauf beharrt, dass ich die Anzeige zurückziehe. Sie haben dann begonnen über meinen Vater zu sprechen, dass ich doch wisse, was sie mit ihm gemacht hätten.
RI: Ihr Vater hat doch auch für Kadyrow gearbeitet?
P: Ja, zu Hause gibt es auch Dokumente darüber. Mein Vater wollte die Arbeit verlassen. Jetzt sind die Umstände bei uns normal. Damals hat es noch Krieg gegeben. Wir sind eine große Familie. Es hat oft Schießereien gegeben. Mein Onkel wollte, dass mein Vater deswegen die Arbeitsstelle verlässt. Er hatte Angst, dass mein Vater sterben wird. Am 12.12. hat er einen Entlassungsantrag gestellt.
RI: Was war das für eine Stelle?
P: Er war ein Militärangehöriger. Er war nicht bei der Polizei. Er war oft unterwegs. Am 13.12. war er schon tot. Ich kann mich erinnern, dass er gleich nachdem er diesen Antrag gestellt hat, angerufen wurde und man hat ihm mitgeteilt, dass er irgendwohin fahren soll. Und am 13.12. war er schon tot.
RI: Wissen Sie wer Ihren Vater getötet hat?
P: Meine Mutter kennt den Mörder, ich aber nicht. Ich suche ihn bis jetzt. Er hat auch beim Militär gearbeitet, so wie mein Vater. Meine Mutter weiß den Namen und sagt ihn mir nicht, weil sie Angst hat, dass ich etwas unternehmen werde.
RI: Was passierte weiter?
P: Sie haben mich mehrmals an demselben Abend mit Strom gefoltert. Ich wachte dazwischen immer wieder auf. Sie haben mir gesagt, dass sie alles mit mir machen können, weil sie das Recht dazu haben. Ich wollte, dass die Anzeige das Gericht in Moskau erreichen wird, das heißt, dass er damit bestraft werde. Die höheren Instanzen befinden sich dann in Moskau, um dort wieder überprüft zu werden.
RI: War diese Anzeige bereits unterwegs nach Moskau?
P: Zuerst sollte es die Behörde in Grozny entscheiden.
RI: Die hat aber nichts gemacht?
P: Nein.
RI: Wie sollte die Anzeige, dann nach Moskau kommen?
P: Als ich die Anzeige erstattete, wusste ich noch nicht, dass das ein Kadyrow-Mann ist. Bei einem normalen Menschen hätte die Anzeige schon Moskau erreicht.
RI: Wann sind Sie dann wieder nach Hause zurückgekehrt?
P: Ich hatte mehrtägige Anfälle, diese dauern vier bis fünf Tage. Ich kann mich danach nicht mehr erinnern. Als ich dann wieder zu mir kam, war ich wieder zu Hause. Dann sind sie circa zwei- oder dreimal gekommen. Es war die gleiche Situation. Sie haben mich bedroht. Sie haben mir gesagt, dass sie mich umbringen werden. Wenn man mich dort umgebracht hätte, hätte niemand diese Leute dort bestraft.
RI: Trotzdem haben Sie auf diese Anzeige bestanden?
P: Ja, ich habe sie bis jetzt nicht zurückgezogen.
RI: Ist da inzwischen etwas passiert?
P: Ich und mein Mann haben immer wieder gestritten und danach ließen wir uns scheiden.
RI: Wie waren Sie verheiratet?
P: Wir haben sowohl standesamtlich als auch muslimisch geheiratet. Wir sind geschieden.
RI: Gibt es über die Scheidung Unterlagen?
P: Mein Exmann hat sie mir nicht gegeben, er hat sie bei ihm gelassen.
Ich möchte etwas sagen. Ich hatte bei der vorigen Einvernahme einen tschetschenischen Dolmetscher. Hier gibt es viele Tschetschenen und viele, die für Kadyrow arbeiten. Ich habe mich deshalb nicht getraut, alles zu sagen und ich freue mich, dass heute eine Russisch sprechende Dolmetscherin da ist. Ich will nichts Schlechtes über meine Republik sagen. Einmal sind Leute aus Europa nach Tschetschenien gekommen, es sind Journalisten. Sie sind mit einem Bus gekommen und es gab eine Explosion. Für diese Explosion wurde niemand bestraft. Das war für alle ein Stress. Sie wollten sich unsere Stadt anschauen. Das ist Ungerechtigkeit. Man stellt mir immer die Frage, warum ich hierhergekommen bin. Ich habe normal gelebt, gearbeitet und gelernt. Ich war verheiratet. Ich bin nur wegen dieses Vorfalls hierhergekommen.
RI: Wann ließen Sie sich von Ihrem Mann scheiden?
P: Als ich bei meiner Mutter war, sind diese Leute sind diese Leute zu meiner Mutter gekommen. Ich hatte eine weitschichtige Verwandte in Dagestan. Für meine Schwester war das ein großer Stress, wenn die Leute kamen. Sie hatte Angst, weil unser Vater auch getötet wurde, also fuhr ich davon weg nach Dagestan. In Dagestan bin ich nicht gesucht worden. Dort gibt es andere Gesetze. Wenn die Leute es gewollt hätten, hätten sie mich auch in Dagestan gefunden. Ich hätte mich nicht schützen können.
RI: Was glauben Sie, passiert jetzt mit Ihrer Anzeige?
P: Ich weiß es nicht, ich habe sie nicht zurückgenommen. Das spielt keine Rolle, ob ich die Anzeige zurücknehme oder nicht, es geht darum, dass ich diese Anzeige überhaupt erstattet hatte. Sie wollten, dass ich sie zurücknehme, weil es ein Mitarbeiter von ihnen war. Sie haben mich gefragt, warum ich es gewagt habe, eine Anzeige zu erstatten, weil sie annehmen, dass alle vor ihnen Angst haben. Die Leute machen, was sie wollen, alle schweigen davon und niemand wird bestraft. Da ich eine juristische Ausbildung gemacht habe, wollte ich es in der Praxis umsetzen.
RI: Hätten Sie die Anzeige auch erstattet, wenn Sie gewusst hätten, dass es ein Kadyrow-Mann war?
P: Ich weiß es nicht, aber ich glaube, wenn ich gewusst hätte, dass ich das Land verlassen muss, hätte ich es nicht gemacht. Bei uns im Dorf wurden praktisch in jeder Familie zwei bis drei Angehörige umgebracht, aber es schweigen alle Leute.
RI: Ihr Exmann wurde nie bedroht?
P: Nein, wurde er nicht.
RI an RV: Wollen Sie etwas ergänzen?
P: Laut unserer islamischen Tradition ist alles sehr streng. Als ich die Anzeige erstattet habe, waren alle meine Verwandten dagegen. Als es zu der Scheidung mit meinem Mann gekommen ist, gab es Gerüchte, dass ich von den Kadyrow-Leuten vergewaltigt wurde. Das war aber nicht der Fall. Mein Exmann hat erzählt, dass sie mich mitgenommen haben. Man drohte mir, dass ich vergewaltigt werde. Für die ganze Familie ist es eine Schande.
RI: Was ist die Familie?
P: Die Familie meines Vaters. Es ist egal, ob eine Frau verheiratet ist oder nicht, aber wenn sie sich nicht ordnungsgemäß verhält, kann sie auch umgebracht werden, auch ohne Strafe. Der älteste Onkel hatte immer wieder gesagt, dass er mich umbringen wird, wenn es die Kadyrow-Leute nicht erledigen. Das war nach der Scheidung. Solange ich verheiratet gewesen wäre, hätte mich mein Mann umbringen können.
Als man meinen Mann gefragt hat, warum er sich von mir scheiden lässt, hat er gesagt, dass ich vor seinen Augen von Männern aus dem Haus mitgenommen wurde. Mein Onkel hat mich ständig bedroht. Ich meine nach der Scheidung. Ich habe ihn nicht gesehen. Ich weiß nicht, ob er mich nicht umgebracht hätte, wenn ich ihn gesehen hätte. Ich war ja in Dagestan und bin dann nach Österreich. Meine Mutter hatte Angst, dass mein Onkel mich umbringen werde. Nur meine Mutter wusste, dass ich flüchten werde. Meine Mutter weiß, dass ich in Österreich bin.
RV legt den EASO-Bericht vom März 2017 vor, aus dem hervorgeht, über die Probleme, die entstehen, wenn Kadyrow-Leute angezeigt werden, wobei die relevanten Stellen markiert sind.
Beilage 2
RI: Können Sie sich vorstellen in Restrussland zu leben?
P: Nein, weil dort kann man leicht gefunden werden, weil alle Daten im Computer sind.
RV: Die P befürchtet, dass sie von der Familie ihres Vaters wegen der tschetschenischen Communitys, die es in ganz Russland gibt, gefunden würde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Aufgrund der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, des Antrages auf internationalen Schutz vom 23.09.2014, der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 23.09.2014, der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 06.06.2016 sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 14.09.2017, werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1. Feststellungen:
Die Identität der Beschwerdeführerin steht fest. Sie ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und bekennt sich zum muslimischen Glauben.
Die Beschwerdeführerin reiste im Jahr 2014 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 23.09.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Die Beschwerdeführerin hat keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht. Die Beschwerdeführerin war nie politisch aktiv und ist auch nie aufgrund ihrer Religion oder Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt worden.
Nicht festgestellt werden konnte, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für diese als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.
Die Beschwerdeführerin leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen (im Endstadium), bezüglich derer es keine Behandlungsmöglichkeiten in der Russischen Föderation gibt.
Festgestellt wird, dass die Beschwerdeführerin außerordentlich gut ausgebildet, arbeitsfähig und über eine gesicherte Existenzgrundlage verfügt.
Im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin befinden sich ihre engsten Verwandten in Form von ihrer Mutter, ihren sechs Schwestern und ihres Bruders. Sie verfügt über zahlreiche weitere Verwandte in Form von Onkeln und Tanten mütterlicher- und väterlicherseits, die ebenfalls im Herkunftsstaat leben.
Es konnten keine Anhaltspunkte, welche für die Annahme einer hinreichenden Integration der Beschwerdeführerin in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht sprechen, festgestellt werden. Die Beschwerdeführerin bezog stets Leistungen aus der Grundversorgung und kamen Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht hervor.
Zur Situation in der Russischen Föderation wird festgestellt:
Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit 17.11.2016 in das LIB RUSS übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 4. Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7. Korruption).
Russlands Oberster Gerichtshof hat das Urteil aus dem "Kirowles-Prozess" gegen den Oppositionellen Alexej Nawalny aufgehoben. Nawalny war 2013 wegen angeblicher Veruntreuung zum Schaden des Holzbetriebs Kirowles zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Ein Mitangeklagter, der Unternehmer Pjotr Ofizerow, erhielt vier Jahre. Beide Urteile wurden kurz darauf in eine Bewährungsstrafe umgewandelt. Nawalny, der den Prozess stets als politisch motiviert bezeichnete, hatte im Februar vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit seiner Klage Erfolg. Der EGMR rügte das Urteil als "willkürlich" und "von politischer Natur" und verurteilte Russland zu Kompensationszahlungen. Auf der Grundlage dieses Richterspruchs hat nun das Oberste Gericht in Russland reagiert und "im Zusammenhang mit den neuen Erkenntnissen" eine Neuverhandlung angeordnet. Nawalny selbst hatte eine Aufhebung des Urteils und die Einstellung des Verfahrens gefordert. Ein Teilziel hat der Oppositionspolitiker trotzdem erreicht. Theoretisch kann er nun wieder bei der Präsidentschaftswahl 2018 antreten. Die zwei anderen Vorstrafen, die er hat - eine in einem ähnlich gelagerten Fall um den Kosmetikkonzern Yves Rocher und eine wegen Verleumdung - gelten als geringfügig und behindern seine Kandidatur nicht. Nawalnys Chancen bei einem Antritt wären jedoch gering. Jüngsten Umfragen zufolge wünschen sich 63 Prozent der Russen, dass Wladimir Putin bis (mindestens) 2024 weitermacht. Der russische Präsident hat zugleich mit seinem neuen Ukas [Präsidentenerlass] Russland weiter von der internationalen Rechtsprechung abgekoppelt. Hat die Duma erst jüngst wieder - auch aufgrund der vielen für Moskau ärgerlichen Vorschriften des EGMR - den Vorrang nationalen Rechts vor internationalem eingeführt, so verabschiedet sich Russland nun auch endgültig vom Projekt des Internationalen Strafgerichtshofs. Moskau lehnt Den Haag ab. Der Kreml übt seit Längerem scharfe Kritik am Gericht in Den Haag. Moskau hatte kurz nach Amtsantritt Putins anno 2000 zwar die Vereinbarung über die Beteiligung am Internationalen Gerichtshof unterzeichnet, das Papier aber nie ratifiziert. Putin hat nun endgültig das Statut des Haager Strafgerichts gekündigt. Moskau erkennt damit dessen Urteile nicht mehr an. Auslöser der Entscheidung dürfte ein gerade erschienener Bericht des Gerichtshofs über die Ereignisse auf der Krim und im Donbass-Gebiet gewesen sein. Die Chefanklägerin Fatou Bensouda qualifizierte dort den russischen Anschluss der Krim als bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Auch die Krise im Donbass weise Anzeichen eines internationalen bewaffneten Konflikts auf, so Bensouda. (Standard 16.11.2016, vgl. FAZ 16.11.2016).
Quellen:
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FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.11.2016): Russland kehrt internationalem Strafgericht den Rücken, http://www.faz.net/aktuell/politik/russland-kehrt-istgh-wegen-ukraine-krise-den-ruecken-14530535.html, Zugriff 17.11.2016
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Der Standard (16.11.2016): Russland: Oberstes Gericht erleichtert Nawalny um Vorstrafe,
http://derstandard.at/2000047679523/Oberstes-Gericht-erleichtert-Nawalny-um-eine-Vorstrafe, Zugriff 17.11.2016
Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit 17.11.2016 in das LIB RUSS übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 7. Korruption).
Seltener Vorgang in Russland: Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew ist wegen mutmaßlicher Korruption von Präsident Putin entlassen worden. Zuvor war er festgenommen worden. Der 60-Jährige soll im Zusammenhang mit einem großen Übernahmegeschäft zwei Millionen US-Dollar (rund 1,85 Millionen Euro) Schmiergeld angenommen haben. Das teilte die staatliche Untersuchungskommission mit, die direkt Präsident Wladimir Putin unterstellt ist. Der Präsident habe das Vertrauen verloren, teilte Putins Sprecher wenige Stunden nach der Festnahme mit. Die Kommission erklärte weiter, sie werde bald die Anklagepunkte gegen den Minister veröffentlichen. Uljukajew sei direkt nach seiner Vernehmung festgenommen worden. Ein Gericht stellte ihn für zwei Monate unter Hausarrest. Nach Angaben eines Ermittlers hat Uljukajew die Annahme von Bestechungsgeld bestritten. Das Vorgehen gegen einen amtierenden Minister gilt als beispiellos. Uljukajew ist der hochrangigste Politiker, der seit 1991 in Russland verhaftet wurde. Als Gegenleistung für die Schmiergeldzahlung soll Uljukajews Ministerium den Angaben zufolge dem Verkauf von 50 Prozent Staatsanteilen am Ölkonzern Baschneft an den ebenfalls staatlich kontrollierten Ölriesen Rosneft zugestimmt haben. Im Oktober hatte Rosneft für 330 Milliarden Rubel (fünf Milliarden Dollar) die Hälfte der Anteile an Baschneft übernommen. Rosneft wird von Igor Setschin geführt, einem bisherigen Weggefährten Putins. Nach Behördenangaben richten sich die Vorwürfe nicht gegen Rosneft. Der frühere stellvertretende Nationalbankchef Uljukajew ist seit 2013 Minister für wirtschaftliche Entwicklung. Er gilt als einer der liberalen Spezialisten, die Russlands Wirtschaft trotz Krise am Laufen halten und keinem der beiden Lager zuzurechnen sind. Ihm werden vielmehr enge Kontakte zu Andrej Kostin nachgesagt, dem einflussreichen Chef von Russlands zweitgrößter Bank VTB. Uljukajew war zunächst dagegen, dass Baschneft an Rosneft geht. Schließlich gab er grünes Licht (Zeit 15.11.2016, vgl. ORF.at 15.11.2016). Der Minister sei bei einem Einsatz des russischen Geheimdienstes FSB festgenommen worden, teilte die Ermittlungsbehörde mit. Er habe das Schmiergeld gestern [14.11.2016] entgegengenommen. Es werde nun bald Anklage erhoben; dem Minister drohten zwischen acht und 15 Jahren Gefängnis (ORF.at 15.11.2016).
Quellen:
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Zeit Online (15.11.2016): Wirtschaftsminister wegen Korruptionsverdacht festgenommen, http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-11/russland-wirtschaftsminister-alexei-uljukajew-korruption-festgenommen, Zugriff 17.11.2016
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ORF.at (15.11.2016): Russlands Wirtschaftsminister verhaftet, http://orf.at/stories/2366725/, Zugriff 17.11.2016
Kommentar:
An der Schmiergeldzahlung kamen in Russland Zweifel auf. Korruptionsprozesse sind in Russland manchmal politisch motiviert, um unliebsame Personen ruhig zu stellen (vgl. beispielsweise Mikhail Chodorkowski, Alexej Nawalny).
Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit 17.11.2016 in das LIB RUSS übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 10. Wehrdienst).
Das Verteidigungskomitee der Staatsduma hat Abänderungen des Gesetzes über den Militärdienst zugestimmt. Die vom Verteidigungsministerium vorgeschlagenen Änderungen werden es dem Militärpersonal ermöglichen, Dienstverträge mit der russischen Armee für eine Zeitspanne von sechs Monaten bis zu einem Jahr einzugehen. Bis jetzt war die kürzeste Zeitspanne eines Vertrages drei Jahre. Diese Verträge sollen nicht nur mit Reservisten eingegangen werden können, sondern auch mit Wehrpflichtigen, die einen Monat vor Beendigung ihres Dienstes stehen. Laut Gesetzesentwurf gelten diese Kurzzeitverträge nur bei außergewöhnlichen Umständen wie Naturkatastrophen oder Notfällen, wenn zusätzliche Kräfte notwendig sind, um die konstitutionelle Ordnung wieder herzustellen oder den Frieden im Ausland zu erhalten oder wieder herzustellen. In der Erklärung zum Gesetz steht ausdrücklich, dass diese Kurzzeitverträge das durch die veränderte militärisch-politische Situation und durch die verstärkten Aktivitäten von internationalen Terroristen und extremistischen Organisationen entstandene Problem zu lösen. Es geht darum, Einheiten abseits des Standards zu schaffen, die schnell bewaffnet werden können. Die Einführung solcher Einheiten durch das Verteidigungsministerium scheint ein Versuch zu sein, jenen russischen Staatsbürgern, die schon in Syrien und vorher in der Ukraine kämpften einen legalen Status zu verleihen. Diese Personen werden durch Mittelsmänner angeheuert, um Kampffunktionen auszuüben, jedoch sind ihre Kampfaktivitäten nicht durch momentanes russisches Recht abgedeckt. Es wird auch davon ausgegangen, dass durch diese Kurzzeitverträge, der Mangel an Personal im russischen Militär ausgeglichen werden soll. Ebenso wird im Artikel darauf hingewiesen, dass die Initiative der 6-Monats-Verträge darauf hinweisen könnte, dass der Kreml eine große Bodenoffensive in Syrien in nächster Zukunft starten könnte, da die Luftschläge auf Aleppo nicht den erhofften militärischen Effekt brachten. Jedoch ist es nicht einfach, solch eine Offensive auf die Beine zu stellen. Die russischen Behörden haben wiederholt versprochen, keine Wehrpflichtigen zu Kampfeinsätzen ins Ausland zu schicken. Wohingegen sich die Regierung scheinbar weniger verantwortlich für die Leben seiner Vertragssoldaten fühlt, die ja freiwillig das Leben eines Soldaten gewählt haben. Es scheint also, dass Russland nicht mehr die Verbesserung der Qualität ihres militärischen Personals den Vorrang einräumt, sondern dass einfach die Anzahl an Männern-unter-Waffen, die in den Kampf geschickt werden können, wichtig ist (Jamestown Foundation 9.11.2016).
Quellen:
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Jamestown Foundation (9.11.2016): Short-Term Personnel Contracts Negate Goals of Russia's Military Reforms, Eurasia Daily Monitor -- Volume 13, Issue 180,
https://jamestown.org/program/short-term-personnel-contracts-negate-goals-russias-military-reforms/#sthash.E5rMJfVW.dpuf, Zugriff 17.11.2016
Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit 21.9.2016 in das LIB RUSS übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 2).
Bei der Parlamentswahl (Duma) am 18.9.2016 konnte die Regierungspartei Einiges Russland eine Dreiviertelmehrheit auf sich vereinen. Knapp über 54 Prozent der Wählerstimmen konnte die Partei Einiges Russland auf sich vereinigen, die absolute Mehrheit schlägt sich jedoch noch stärker bei der Sitzverteilung im Unterhaus der Föderalen Versammlung nieder. Durch ein Mischsystem aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht ziehen insgesamt 343 Abgeordnete - mehr als je zuvor - für Einiges Russland in die Staatsduma ein: 140 Abgeordnete über die Parteiliste und zusätzliche 203 über Direktmandate. Von den verbleibenden 107 Sitzen gingen 42 Mandate an die Kommunistische Partei (KPRF), 39 Mandate an die nationalistische Liberal-Demokratische Partei (LDPR) und 23 Mandate an die Partei Gerechtes Russland. Keine andere Partei schaffte es, über die Fünf-Prozent-Einzugshürde zu kommen. Durch Direktmandate ziehen außerdem ein Kandidat der rechtspopulistischen Partei "Rodina" (Heimat), ein Kandidat der Partei "Graschdanskaja Platforma" (Bürgerplattform) und der einzige unabhängige Kandidat, Waldislaw Resnik, in die Staatsduma ein. Letzterer wird aufgrund seiner Mitgliedschaft bei der Regierungspartei Einiges Russland von zahlreichen kritischen Medien de facto zu den Mandaten von Einiges Russland hinzugerechnet (Standard 20.9.2016).
In der neuen Duma werden somit vier Parteien vertreten sein: Einiges Russland mit der Mehrheit der Sitze sowie die systemische Opposition bestehend aus der Kommunistischen Partei, der LDPR und Gerechtes Russland. Unter systemischer Opposition sind die Parteien gemeint, die in der Duma vertreten sind, mehrheitlich mit der Regierungspartei stimmen, ihre Politik eng mit dem Kreml abstimmen und damit keine reale Opposition darstellen. Damit hat Einiges Russland gegenüber 2011 sogar noch einmal zugelegt. Die echte
Opposition ist dagegen chancenlos geblieben: Einerseits wurde ihre Führung und insbesondere der ursprünglich gemeinsame Kandidat Michail Kasjanow im Vorfeld diskreditiert. Anderseits sind die Führer der Opposition so stark zerstritten, dass mehrere Parteien angetreten sind und sich gegenseitig die wenigen Stimmen abgenommen haben. Die liberalen Parteien Jabloko und Parnas sind nicht annähernd an die Fünf-Prozent-Hürde gekommen. Neben der Diskreditierung von Kandidaten dieser Parteien fehlte ihnen auch der Kontakt zur Bevölkerung. Die Kompromisslosigkeit ihres Führungspersonals sowie das Fehlen neuer, unverbrauchter Persönlichkeiten bestätigen nur die tiefe Krise und Irrelevanz der nicht-systemischen Opposition. Die niedrige Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent im Landesdurchschnitt und unter 30 Prozent in Moskau und Sankt Petersburg zeigt, wie wenig die Parteien Wähler motivieren konnten, und schwächt die Legitimität der zukünftigen Duma. Das war letztlich von der politischen Führung in Kauf genommen worden, um die Wahl unter Kontrolle zu haben. Eine Mehrheit für Einiges Russland in der Duma ist letztlich zweitrangig, da mit der systemischen Opposition ausschließlich Parteien im Parlament vertreten sind, die alle vom Kreml initiierten Gesetzesprojekte durchbringen können (Zeitonline 19.9.2016).
Quellen:
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