TE Vfgh Erkenntnis 1997/12/5 V56/97

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Veröffentlicht am 05.12.1997
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

Flächenwidmungsplan der Gemeinde Schlins vom 25.11.74
Vlbg RaumplanungsG §2 Abs2
Vlbg RaumplanungsG §14 Abs3

Leitsatz

Aufhebung eines Flächenwidmungsplanes hinsichtlich der Widmung eines - einem Betriebsgebiet benachbarten - Grundstücks als Baufläche-Wohngebiet wegen Verstoß gegen das raumordnungsrechtliche Gebot einer möglichsten Vermeidung gegenseitiger Beeinträchtigungen unterschiedlicher Flächenwidmungen

Spruch

Der Flächenwidmungsplan der Gemeinde Schlins, beschlossen von der Gemeindevertretung der Gemeinde Schlins am 25. November 1974, genehmigt mit Beschluß der Vorarlberger Landesregierung vom 29. Juli 1975, ZVIe-861.73/1975, wird insoweit als gesetzwidrig aufgehoben, als darin die Gst.-Nr. 549, GB Schlins, als Baufläche-Wohngebiet (BW) ausgewiesen ist.

Die Vorarlberger Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine zu B3826/95 protokollierte Beschwerde gemäß Art144 B-VG gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 25. Oktober 1995, ZII-2197/95, anhängig, mit dem der Vorstellung der beschwerdeführenden Gesellschaft als Nachbarin gegen den Bescheid der Gemeindevertretung der Gemeinde Schlins betreffend die Erteilung einer Baubewilligung für die Errichtung einer Mehrwohnhausanlage keine Folge gegeben wurde.

Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Entscheidung durch ein Tribunal gemäß Art6 EMRK, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unverletzlichkeit des Eigentums sowie in ihren Rechten durch die Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als verletzt und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

2. Die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch als belangte Behörde sowie die Gemeinde Schlins beantragten, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

3. Die beschwerdeführende Gesellschaft erstattete eine Replik.

4. Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Beschluß vom 3. März 1997, B3826/95-11, von der Präjudizialität des Flächenwidmungsplanes der Gemeinde Schlins, Beschluß der Gemeindevertretung der Gemeinde Schlins vom 25. November 1974, genehmigt mit Beschluß der Vorarlberger Landesregierung vom 29. Juli 1975, ZVIe-861.73/1975, soweit das Grundstück Nr. 549, GB Schlins, als Baufläche-Wohngebiet (BW) ausgewiesen ist (im folgenden kurz: Flächenwidmungsplan), für die angeführte Beschwerde aus und beschloß, den angeführten Flächenwidmungsplan gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen auf seine Gesetzmäßigkeit zu prüfen.

Der Verfassungsgerichtshof hegte ob der Gesetzmäßigkeit des Flächenwidmungsplanes das Bedenken, daß die Widmung des Baugrundstückes als Baufläche-Wohngebiet gegen das raumordnungsrechtliche Gebot einer möglichst weitgehenden Vermeidung gegenseitiger Beeinträchtigungen verstoße, da der dem Baugrundstück benachbarte Betrieb der Beschwerdeführerin so beschaffen sei, daß Beeinträchtigungen im Falle der Nutzung der benachbarten Grundstücke zu Wohnzwecken mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten seien.

5. Die Vorarlberger Landesregierung beantragte in ihrer Äußerung, die in Prüfung gezogene Verordnung nicht als gesetzwidrig aufzuheben.

5.1. Ausführend wird dazu vorgebracht, daß bei Erstellung des Flächenwidmungsplanes der Umstand, daß im gegenständlichen Gebiet ein unmittelbares Nebeneinander von Betriebs- und Wohnnutzung gegeben war, Berücksichtigung gefunden hätte. Mit der Widmung Baufläche-Wohngebiet sei vor allem auf die Ortsstruktur des Ortsteiles Frommengersch, welcher zum Teil mit charakteristischen und ortsbildprägenden Gebäuden, durchwegs Wohngebäuden, bebaut sei, Bezug genommen worden. Eine Widmung dieses Gebietes als Baufläche-Mischgebiet wäre daher für die gegebene charakteristische Bebauungsstruktur planerisch ungünstig gewesen. Ebenso wäre die Widmung dieses Grundstückes als Freifläche gleichheitsrechtlich nicht unbedenklich gewesen, da dieses inmitten von Wohnhäusern liege.

Weiters sei zu betonen, daß die Verkehrserschließung des Betriebsareals der Firma Lorünser nicht in der Nachbarschaft des Wohngebietes erfolge, sodaß keine Störungen durch den Betriebsverkehr zu erwarten seien. Auch diene der ständig wasserführende und somit geräuschverursachende Gießenbach als Puffer zwischen dem Betriebsgebiet und der Grundparzelle Nr. 549, GB Schlins. Die Errichtung von Wohngebäuden auf dieser Grundparzelle diene lediglich der Schließung einer Baulücke. Durch die Errichtung der geplanten Wohngebäude komme es zu keiner Verstärkung der Belästigungen für die Betreiber der Betriebsanlage, da diese nicht näher an der Betriebsanlage liegen, als bereits bestehende Wohngebäude. Es gehe "daher nicht um das Problem der heranrückenden Wohnbebauung, sondern ... darum, eine Baulücke zu schließen". Da es sich bei den von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumenten nicht nur um ein raumplanungsrechtliches, sondern auch um ein gewerberechtliches Problem handle, wären sie daher allenfalls in einem Verfahren gemäß §79 GewO von Bedeutung.

6. Der Gemeinderat der Gemeinde Schlins erstattete eine Stellungnahme, in welcher er ebenfalls die Gesetzmäßigkeit des Flächenwidmungsplanes verteidigt.

6.1. Es lasse sich bereits der dem 1. Flächenwidmungsplan vorausgegangenen Bestandsaufnahme aus dem Jahre 1971 entnehmen, "daß schon damals in einem Abstand von ca. 60 m rund um die Betriebsgrundstücke der Beschwerdeführerin in allen Himmelsrichtungen eine Wohnbebauung gegeben war". Die logische Folge sei die Ausweisung dieser Flächen als Bauwohngebiet gewesen. Andererseits seien die gegenständlichen Flächen der Beschwerdeführerin bereits seit dem Jahre 1852 industriell genutzt worden. Für diesen Bereich sei daher einzig die Widmung als Betriebsgebiet in Frage gekommen. Aufgrund des seit über 100 Jahren bestehenden Nebeneinanders von Industrie- und Wohngebiet in diesem Bereich erscheine auch aus heutiger Sicht die getroffene Widmungsgebung verständlich und klar nachvollziehbar. Jedoch würden die Widmungskategorien Bauwohngebiet und Betriebsgebiet nicht unmittelbar aufeinandertreffen, da zwischen dem Wohngebiet und dem Grundstück der Beschwerdeführerin der Gießenbach gelegen sei, welcher einen natürlichen Puffer darstelle. Im übrigen teile die Gemeinde Schlins aus oben angeführten Gründen nicht die Auffassung des Verfassungsgerichtshofes, daß das zum Flächenwidmungsplan der Gemeinde Altmünster ergangene Erkenntnis VfSlg. 10703/1985 auf die verfahrensgegenständlichen Verhältnisse umzulegen sei.

Weiters sei darauf hinzuweisen, daß im §3 Vorarlberger Raumplanungsgesetz eine bei Plankonflikten vom Verordnungsgeber wahrzunehmende Interessenabwägung vorgesehen sei. Dabei gelte als erster Grundsatz, "daß sämtliche Planungen aufgrund dieses Gesetzes unter möglichster Schonung des Privateigentums durchzuführen sind und die Interessensabwägung so vorzunehmen ist, daß sie dem Gesamtwohl der Bevölkerung am besten entspricht". Auf Grund der vom Verordnungsgeber vorgefundenen Situation wäre eine Widmung des Grundstücks Nr. 549, GB Schlins, als Baumischgebiet oder Freifläche-Landwirtschaft raumplanerisch lediglich als eine durch nichts zu rechtfertigende "Alibihandlung" zu verstehen gewesen. "Aus all diesen Gründen war es der Gemeindevertretung gerade auch aufgrund der richtigen Anwendung der im §3 RPG vorgegebenen Abwägungskriterien unmöglich, die Kategorien Betriebsgebiet und Bauwohngebiet nicht mittelbar (getrennt durch den Gießenbach) aneinanderstoßen zu lassen."

7. Die beschwerdeführende Gesellschaft im Anlaßbeschwerdeverfahren hat eine als Replik bezeichnete Äußerung erstattet:

Darin wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, die verfahrensgegenständliche Liegenschaft als "Pufferzone" zur räumlichen Abgrenzung zwischen ihrem bereits über 100 Jahre bestehenden Betrieb und der jüngst heranrückenden Wohnbebauung als Freifläche zu widmen. Gerade der von der Vorarlberger Landesregierung geäußerte Hinweis auf zukünftige Maßnahmen nach §79 GewO lasse die raumordnungsrechtliche Problematik der heranrückenden Wohnbebauung erkennen.

Zu den gleichheitsrechtlichen Bedenken der Vorarlberger Landesregierung gegen eine Widmung des verfahrensgegenständlichen Grundstücks, die keine Wohnbebauung ermögliche, wird auf die Notwendigkeit einer gehörigen Interessenabwägung nach §3 Vorarlberger Raumplanungsgesetz verwiesen, derzufolge die Interessen privater Eigentümer bei der Durchsetzung öffentlicher Interessen an einer gestaltenden Raumplanung zurückzutreten hätten. Soweit der zwischen den beiden relevanten Grundstücken verlaufende Gießenbach samt seinem Geräuschpegel von der Vorarlberger Landesregierung als natürliche Abgrenzung zwischen den beiden Grundstücken verstanden wird, vermeint die beschwerdeführende Gesellschaft, daß darin höchstens ein weiterer Grund gelegen sei, das Grundstück Nr. 549 nicht als Wohngebiet zu widmen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hätte bei seiner Entscheidung über die zu B3826/95 protokollierte Beschwerde den Flächenwidmungsplan der Gemeinde Schlins vom 25. November 1974, soweit darin für das Grundstück Nr. 549, GB Schlins, die Widmung Baufläche-Wohngebiet (BW), auf die sich der zur angeführten Zahl angefochtene Bescheid ua. stützt, anzuwenden.

Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das von Amts wegen eingeleitete Verordnungsprüfungsverfahren gemäß Art139 Abs1 B-VG zulässig.

2. a. Das Vorarlberger Raumplanungsgesetz, LGBl. Nr. 15/1973 idF Nr. 27/1993 (RPG 1973), sah in seinem §14 Abs3 vor, daß als "Wohngebiete" Flächen zu widmen sind, "die für Wohngebäude bestimmt sind", während andere Bauwerke und sonstige Anlagen in Wohngebieten nur errichtet werden dürfen, wenn - neben anderen Voraussetzungen - "ihre ordnungsgemäße Benützung keine Gefahren oder Belästigungen für die Einwohner mit sich bringt". Bereits aus dieser Bestimmung wird deutlich, daß der Raumplanungsgesetzgeber auch in Vorarlberg davon ausgegangen ist, daß Wohngebiete nur dann und insoweit festgelegt werden dürfen, als ein bestimmter Standard an Wohnqualität gesichert erscheint.

Diese Vorstellung des Gesetzgebers wird bekräftigt durch die

Raumplanungsziele nach §2 Abs2 litb, c und e RPG 1973: Als

Raumplanungsziele werden demnach der "Schutz der Umwelt,

insbesondere ... durch Sicherung vor Lärm- und

Geruchsbelästigungen ..." (litb), die "Schaffung der räumlichen

Voraussetzungen für gesunde Lebens-, insbesondere Wohn-, Arbeits-

und Freizeitbedingungen" (litc) sowie die "Vorsorge für

geeignete Standortbereiche für Betriebe ... des Gewerbes, ... der

Industrie" (lite) genannt.

Ganz ähnlich legt das Vorarlberger Raumplanungsgesetz in der

derzeit geltenden Fassung, LGBl. Nr. 39/1996, (RPG 1996) für

Wohngebiete in §14 Abs3 fest, daß darin "das Wohnen ... nicht

gestört" werden darf; als Raumplanungsziel wird in §2 Abs2

litf leg.cit. der Raumplanung aufgetragen, "Gebiete und Flächen

für Wohnen, Arbeiten ... einander so zuzuordnen, daß

Belästigungen möglichst vermieden werden".

Angesichts dieser Rechtslage verstößt (- ebenso wie zufolge der für Oberösterreich vom Gerichtshof in VfSlg. 10703/1985, 12231/1989 und 12582/1990 festgestellten Rechtslage auch in Vorarlberg -) eine Widmung bestimmter Flächen als Wohngebiet gegen das raumordnungsrechtliche Gebot einer möglichst weitgehenden Vermeidung gegenseitiger Beeinträchtigungen, wenn ein den betreffenden Flächen benachbarter Betrieb, von dessen aufrechtem Bestand die Raumordnung ausgeht (und dessen Absiedlung sohin anders als in VfSlg. 14151/1995 nicht das Ziel der Raumordnung bildet), so beschaffen ist, daß Beeinträchtigungen im Falle der Nutzung benachbarter Grundstücke zu Wohnzwecken mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Zwar nimmt der Verfassungsgerichtshof sehr wohl wahr (VfSlg. 12231/1989, 499; vgl. aber auch VfSlg. 10377/1985, 10836/1986, 12936/1991 und 13306/1992 zum Oberösterreichischen und Tiroler Raumordnungsrecht), daß dem raumordnungsrechtlichen "Gebot, die verschiedenen Baulandwidmungen so aufeinander abzustimmen, daß eine gegenseitige Beeinträchtigung möglichst vermieden wird, in vielen Fällen nicht voll Rechnung getragen werden kann". Gleichwohl geht er davon aus, daß dem genannten Erfordernis "bei einem Zusammentreffen von (reinem) Wohngebiet und Betriebsbaugebiet" besonderes Gewicht zukommt, und daß "die Bedachtnahme auf die tatsächlichen Gegebenheiten", wie das Vorhandensein eines emittierenden Betriebes, der von der Raumordnung durch Widmung der entsprechenden Grundflächen als Betriebsbaugebiet auch akzeptiert wurde, ein wichtiges Kriterium bildet, welches der Verordnungsgeber im Rahmen seines Planungsermessens bei Beachtung der Ziele der Raumordnung zu berücksichtigen hat. (So VfSlg. 12231/1989, 499.)

In VfSlg. 12582/1990 erkannte der Verfassungsgerichtshof ferner zu Recht, daß selbst die Wohngebietswidmung einzelner nichtbebauter Grundstücke, welche "lediglich Enklaven einer beinahe abgeschlossenen Wohngebietsbebauung darstellten", rechtswidrig sein können, wenn sie an ein Betriebsbaugebiet grenzen, das einem bereits bestehenden Betrieb als Standort dient, der seinerseits im Zuge der heranrückenden Wohnbebauung mit Beeinträchtigungen in Gestalt nachträglicher Auflagen (gemäß §79 Abs2 GewO 1973) zu rechnen hätte. Der Gerichtshof trat zwar in jenem Erkenntnis der Auffassung nicht entgegen, daß "Lücken im verbauten Gebiet kein raumordnungsrechtlich erstrebenswerter Zustand" sind, daß gleichwohl bei der Gefahr hoher, von einem rechtmäßig im Betriebsbaugebiet angesiedelten Betrieb ausgehender Emissionen die Verhinderung einer weiteren, "heranrückenden" Wohnbebauung ein raumplanungsrechtlich gebotenes Ziel bildet. Dies selbst dann, wenn eine Verhinderung der Bebauung einzelner Grundstücke noch keine "Verbesserung" der Vermeidung gegenseitiger Beeinträchtigung mit sich bringt, weil dadurch zumindest "eine Verstärkung der Beeinträchtigungen auf ein weiteres bebautes Grundstück, also eine 'Verschlechterung', vermieden" wird.

b. Nach den im Verordnungsprüfungsverfahren unwidersprochen gebliebenen Sachverhaltsfeststellungen betreibt die zu B3826/95 beschwerdeführende Gesellschaft auf einem als Betriebsbaugebiet gewidmeten und seit 1852 für industrielle Zwecke benutzten Betriebsareal eine industrielle Fertigung von Armaturen für Hochspannungsfreileitungen und Hochspannungsschaltanlagen unter Einsatz einer Gesenkschmiede, einer Verzinkerei und Beizerei, einer Schlosserei sowie Gießerei und Formerei. Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, daß Lärmbelästigungen trotz ihres Bemühens um weitestgehende Emissionsreduktion nicht ausgeschlossen sind und daß diese bisher schon regelmäßig zu Auseinandersetzungen mit den Anrainern sowie zur nachträglichen Vorschreibung von Bescheidauflagen gemäß §79 GewO 1973 führten.

Die Gemeinde Schlins weist in ihrer im Verordnungsprüfungsverfahren neuerlich beschlossenen Stellungnahme vom 27. Februar 1996 ausdrücklich darauf hin, daß sie angesichts der seit dem Jahre 1852 üblichen gewerblichindustriellen Nutzung der Liegenschaften der beschwerdeführenden Gesellschaft "gar nicht anders ... (konnte)", als diesen Bereich mit der Widmungskategorie "Betriebsgebiet" zu belegen. Als Argumente für die Zulässigkeit der benachbarten Wohngebietswidmung der Gst.-Nr. 549, GB Schlins, wird die sonstige, bereits bestehende Bebauung im Norden, Osten und Westen des Grundstücks Nr. 549, die Trennung dieses Grundstücks vom Grundstück der beschwerdeführenden Gesellschaft durch den Gießenbach sowie der massive Eingriff in das Privateigentum, den eine Widmung des Grundstücks Nr. 549 als Freifläche bedeutet hätte, angeführt.

c. Auf Grund der oben unter a. dargelegten Rechtslage ist die von der Gemeinde Schlins vorgenommene Widmung des Grundstücks Nr. 549 rechtswidrig: Wie im bereits zitierten Erkenntnis VfSlg. 12582/1990, vom Gerichtshof näher ausgeführt, kann auch für einzelne, in einem - ansonsten mit Rücksicht auf die bestehende Wohnbebauung rechtmäßig - als Wohngebiet gewidmeten Gebiet gelegene, unbebaute "Enklaven" die Wohngebietswidmung rechtswidrig sein, wenn dadurch zusätzliche Beeinträchtigungen im Wege heranrückender Wohnbebauung für rechtmäßig genutzte Gewerbe- oder Betriebsbaugebiete dadurch provoziert werden, daß die raumordnungsrechtlich zulässige Nutzung benachbarter Flächen als Betriebsbaugebiet (durch nachträgliche Auflagen gegenüber dem dort befindlichen Betrieb) eingeschränkt wird. Daß bestehende Wohngebäude auf benachbarten, als Wohngebiete gewidmeten Flächen eine davon abweichende Widmung auf einem einzelnen, enklavenartig gelegenen Grundstück - anders als die Vorarlberger Landesregierung meint - nicht gleichheitswidrig machen, ergibt sich einmal aus der bislang fehlenden Nutzung dieses Grundstücks für Wohnzwecke im Verein mit dem von der Sache her notwendigen raumordnungsrechtlichen Verbot der Festlegung miteinander konfligierender Planungen.

Die störende Wirkung des rechtmäßig bestehenden Betriebes wird auch durch den (schmalen) Gießenbach nicht unterbunden, zumal nach Meinung der Vorarlberger Landesregierung die von diesem Bach ausgehende Lärmbelästigung für das Grundstück Nr. 549 ebenfalls erheblich ist. Soweit die Gemeinde Schlins schließlich auf das Interesse der Eigentümer des Grundstück Nr. 549 an dessen Wohngebietswidmung abstellt, ist sie darauf zu verweisen, daß gemäß §3 Vorarlberger Raumplanungsgesetz die Planung zwar "unter möglichster Schonung des Privateigentums durchzuführen" ist, daß es umgekehrt aber gerade der Sinn der Raumplanung ist, daß private Interessen gegenüber überwiegenden öffentlichen Interessen auch zurückzutreten haben. Bereits in VfSlg. 12231/1989 hat es der Verfassungsgerichtshof daher als "nicht von ausschlaggebender Bedeutung" genannt, ob im Falle konfligierender Betriebs- und Wohngebietswidmungen der Liegenschaftseigentümer des Wohngebietes mit der Ausweisung seines Grundstücks als Grünland einverstanden ist.

Die Widmung der Gst.-Nr. 549, GB Schlins, als Baufläche-Wohngebiet (BW) im Flächenwidmungsplan der Gemeinde Schlins vom 25. November 1974 ist sohin mit dem aus den zitierten Bestimmungen des Vorarlberger Raumplanungsgesetzes hervorgehenden Erfordernis einer möglichsten Vermeidung gegenseitiger Beeinträchtigungen unterschiedlicher Flächenwidmungen nicht zu vereinbaren. Sie ist demgemäß zufolge Art139 Abs1 B-VG als gesetzwidrig aufzuheben.

3. Die Verpflichtung zur Kundmachung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne

mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung vom Verfassungsgerichtshof beschlossen werden.

Schlagworte

Baurecht, Raumordnung, Flächenwidmungsplan

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:V56.1997

Dokumentnummer

JFT_10028795_97V00056_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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