RS Vfgh 2018/3/6 WI4/2017

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Veröffentlicht am 06.03.2018
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Index

10/04 Wahlen

Norm

B-VG Art141 Abs1 lita
B-VG Art26, Art26a
VfGG §12, §67 Abs2
NRWO 1992 §42, §43, §44, §49, §57, §65, §68, §106, §107, §108, §110
EMRK 1. ZP Art3
EGVG ArtI Abs3 Z4

Leitsatz

Keine Stattgabe der Anfechtung der Nationalratswahl 2017 durch die Wählergruppe "Für Österreich, Zuwanderungsstopp, Grenzschutz, Neutralität, EU-Austritt (EUAUS)" betr den Landeswahlkreis Wien und das dritte Ermittlungsverfahren; verfassungsrechtlich vorgegebenes System der Briefwahl mit den Grundprinzipien der Verfassung vereinbar; kein Verstoß gegen die NRWO durch Verwendung von Sonderzeichen und Abkürzungen in Parteibezeichnungen mangels Beeinträchtigung der Unterscheidbarkeit von anderen wahlwerbenden Parteien; keine Bedenken gegen die Reihung der Parteien auf den Stimmzetteln angesichts Abstellens auf die materielle Identität der kandidierenden Listen mit den nach der Nationalratswahl 2013 im Nationalrat vertretenen Parteien; unterschiedliche zustellungsbevollmächtigte Vertreter für eine Wahlpartei auf den Landeswahlvorschlägen und dem Bundeswahlvorschlag gesetzlich gedeckt; keine Verletzung des geheimen Wahlrechts durch Veröffentlichung eines Fotos bei Stimmabgabe; keine Bedenken gegen die Ergebnisermittlung der - in beschlussfähiger Weise besetzten - Bundeswahlbehörde; Zurückweisung der Wahlanfechtung betr den Landeswahlkreis Niederösterreich mangels Einbringung eines Wahlvorschlages durch die anfechtungswerbende Partei

Rechtssatz

Keine Stattgabe der - in Bezug auf den Landeswahlkreis Wien sowie das dritte Ermittlungsverfahren zulässigen - Anfechtung der Wahl zum Nationalrat vom 15.10.2017; im Übrigen Zurückweisung der Anfechtung mangels Legitimation.

Die Anfechtungswerberin, die lediglich einen Landeswahlvorschlag im Landeswahlkreis Wien und einen Bundeswahlvorschlag für die Ermöglichung der Zuweisung von Mandaten im dritten Ermittlungsverfahren eingebracht hat, ist zur Anfechtung der Nationalratswahl nicht zur Gänze legitimiert, also nicht auch betreffend jene Wahlkreise, in denen sie nicht kandidiert hat.

Keine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Briefwahl an sich und ob ihrer Vereinbarkeit mit den Grundprinzipien der Verfassung; keine Gesamtänderung der Bundesverfassung.

Kein Verstoß der - Abkürzungen bzw Sonderzeichen beinhaltenden - Parteibezeichnungen von FLÖ und NEOS gegen die Vorgaben des §43 NRWO.

Bei der Beurteilung der Unterscheidbarkeit ist auf den Eindruck der gesamten Parteibezeichnung abzustellen, sohin einschließlich einer allfälligen Kurzbezeichnung. Die - jeweils als unteilbares Ganzes aufzufassenden und somit insgesamt zu betrachtenden - Parteibezeichnungen sind genügend individualisiert in der Bedeutung des §43 Abs1 NRWO, sodass nach allgemeiner Lebenserfahrung von einer - die Gefahr einer Verwechslung in sich bergenden - schweren Unterscheidbarkeit, welche die Landeswahlleiter zur Einleitung eines (weiteren) Verfahrens iSd §44 Abs1 NRWO verpflichtet hätte, keinesfalls gesprochen werden kann.

Keine Bedenken ob der Rechtmäßigkeit der Reihung der wahlwerbenden Parteien auf den Stimmzetteln.

Bestimmungen, wonach Bezeichnung und Listenplatz von jenen wahlwerbenden Parteien, die bereits zuvor im Nationalrat vertreten waren, gesetzlich besonders geschützt werden, liegen im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Ob es sich bei einer wahlwerbenden Partei um die Nachfolgerin einer "im Nationalrat vertretenen Partei" handelt, ist anhand einer wertenden Gesamtschau aller einschlägigen Aspekte zu ermitteln. Dabei sind die Partei- und Kurzbezeichnung sowie die Frage nach einem Übereinstimmen von Grundelementen der Wahlprogramme, personelle Aspekte, aber auch die hinter einer Kandidatur stehende politische Partei oder die zuletzt im nunmehr neu zu wählenden allgemeinen Vertretungskörper vertretenen Personen in die Beurteilung miteinzubeziehen.

Die Reihung der wahlwerbenden Partei "Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei" (ÖVP) an zweiter Stelle liegt darin begründet, dass es sich um eine Partei handelt, die bei der letzten Nationalratswahl als wahlwerbende Partei "Österreichische Volkspartei" (ÖVP) die zweitgrößte Anzahl an Mandaten erreicht hat und daher gemäß §49 Abs3 NRWO an dieser Stelle zu reihen ist. Auf Grund der vorliegenden weitgehenden Übereinstimmung der Parteibezeichnung (ÖVP als Kurzbezeichnung, "Volkspartei" als Teil der Parteibezeichnung) und der Unterstützung durch dieselbe politische Partei, die für eine materielle Identität mit einer im Nationalrat vertretenen Partei sprechen, kann der Beurteilung durch die Bundeswahlbehörde nicht entgegengetreten werden. Aus denselben Erwägungen auch keine Bedenken betreffend die Reihung der wahlwerbenden Partei NEOS auf Listenplatz 6 der Stimmzettel.

Hingegen reicht die Unterstützung durch Abgeordnete zum Nationalrat für eine wahlwerbende Partei isoliert betrachtet noch nicht aus, um diese Partei als im Nationalrat vertretene Partei iSd §14 Abs5 NRWO mit den entsprechenden Vorschlagsrechten für die Besetzung der Wahlbehörden sowie den sich daraus ergebenden Folgen für die Reihung ansehen zu können. Es muss vielmehr zwischen einer neu antretenden Gruppierung und einer der wahlwerbenden Parteien des zuletzt gewählten Nationalrates Kontinuität begründende Identität bestehen.

Keine Rechtswidrigkeiten bei Zusammenzählung der Reststimmen im dritten Ermittlungsverfahren sowie der damit zusammenhängenden Einhaltung der Formalvorschriften bei der Einreichung der (Landes- und) Bundeswahlvorschläge.

In allen neun Landeswahlkreisen wurden Landeswahlvorschläge sowie für das dritte Ermittlungsverfahren ein Bundeswahlvorschlag unter derselben Parteibezeichnung "Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei" (ÖVP) bzw "NEOS - Das Neue Österreich gemeinsam mit Irmgard Griss, Bürgerinnen und Bürger für Freiheit und Verantwortung" (NEOS) eingebracht.

Die Nennung unterschiedlicher zustellungsbevollmächtigter Vertreter für dieselbe Wahlpartei auf den Landeswahlvorschlägen und dem Bundeswahlvorschlag stellt keine Rechtswidrigkeit dar. Aus der der NRWO immanenten Einteilung der Wahlkreise (Art26 Abs2 B-VG) und den einschlägigen Bestimmungen über die Anforderungen an die Wahlvorschläge ergibt sich nicht, dass eine einzige Person für alle zehn Wahlvorschläge als zustellungsbevollmächtigter Vertreter genannt werden müsste.

Politische Parteien, die sich an Wahlen zu allgemeinen Vertretungskörpern beteiligen, verfügen in der Regel über mehrere rechtlich selbstständige Organisationen. Es ist unbedenklich, wenn auf dieselbe wahlwerbende Partei lautende Landeswahlvorschläge durch eine Partei oder eine Untergliederung einer politischen Partei eingebracht werden.

Die Veröffentlichung eines Fotos von Sebastian Kurz bei der Stimmabgabe in einem Printmedium ist ungeachtet dessen, ob das fragliche Foto tatsächlich im Wahllokal oder vielmehr (wie die Bundeswahlbehörde unter Verweis auf konkrete Anhaltspunkte vertritt) von außerhalb des konkreten Wahllokales aufgenommen wurde, nicht rechtswidrig. Anders als in VfSlg 11740/1988 ist nämlich keine Interaktion mit Wahlwilligen durch den Fotografen im Wahllokal behauptet worden oder auch nur ansatzweise hervorgekommen.

Keine Verletzung des geheimen Wahlrechts durch Veröffentlichung dieses Fotos, zumal "[d]ie Wahl [...] auch dann nicht ungültig [ist], wenn der Wahlberechtigte kein Geheimnis daraus macht, wie er den Stimmzettel ausfüllt" (VfSlg 5229/1966) und das Stimmverhalten auf dem Foto gerade nicht eindeutig erkennbar ist. Kein Hinweis darauf, dass im betreffenden Wahllokal keine im Sinne der Vorgaben des §57 Abs2 NRWO hergestellte, die Ausübung des geheimen Wahlrechts ermöglichende Wahlzelle vorhanden war.

Keine Rechtswidrigkeiten im Zusammenhang mit der Zusammensetzung der Bundeswahlbehörde und deren Ergebnisermittlung.

Keine unrichtige Zusammensetzung der Bundeswahlbehörde aufgrund Mitwirkung "parteipolitisch befangener Mitglieder": gemäß Art26a B-VG (idF vor dem am 1.1.2018 in Kraft getretenen BGBl I 106/2016) haben den Wahlbehörden als stimmberechtigte Beisitzer Vertreter der wahlwerbenden Parteien anzugehören, wobei insbesondere die (proporzmäßige) Zusammensetzung der Wahlbehörden die Objektivität dieser Behörden verbürgen soll.

Hilfskräfte können im Wahlverfahren insbesondere für vorgelagerte, rein administrative Tätigkeiten herangezogen werden. Vor diesem Hintergrund bestehen gegen die - insbesondere durch die erforderlichen Berechnungen - vorgenommene Vorbereitung der Sitzung der Bundeswahlbehörde, die der Ergebnisermittlung im dritten Ermittlungsverfahren dient, keine Bedenken.

Art1 Abs3 Z4 EGVG ist verfassungsrechtlich unbedenklich.

Über den Einwand der Befangenheit einzelner Mitglieder des VfGH ist - angesichts der Unzulässigkeit eines Antrages auf Ablehnung eines Mitgliedes des VfGH - nicht abzusprechen; im Übrigen sind die von Amts wegen wahrzunehmenden Voraussetzungen einer Ausschließung iSd §12 VfGG nicht gegeben.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Wahlen, Nationalrat, Briefwahl, Stimmzettel, Partei politische, Zustellungsbevollmächtigter, Wahlvorschlag, Wahlkreise, Wahlbehörden, Ermittlungsverfahren, Wahlergebnis, Wahlrecht geheimes, VfGH / Wahlanfechtung, VfGH / Legitimation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:WI4.2017

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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