TE OGH 2018/2/20 10ObS160/17b

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Veröffentlicht am 20.02.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Ing. Christian Stangl-Brachnik, MA BA (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Ausgleichszulage, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Oktober 2017, GZ 10 Rs 30/17f-73, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die 1952 geborene Klägerin ist ungarische Staatsbürgerin und bezieht von einem ungarischen Versicherungsträger eine Pension in durchschnittlicher Höhe von knapp 500 EUR monatlich. Sie hält sich seit Juni 2012 ständig in Österreich auf, wo sie gemeinsam mit ihrem Sohn und dessen Familie wohnt. Ab 1. Juli 2012 war sie in Österreich geringfügig mit einem monatlichen Einkommen von 150 EUR beschäftigt. Im Hinblick auf dieses Arbeitsverhältnis erhielt die Klägerin am 13. November 2012 die Anmeldebescheinigung für EWR-Bürger gemäß dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Am 26. November 2012 wurde über ihren Arbeitgeber das Sanierungsverfahren eröffnet. Am 3. Dezember 2012 stellt sie bei der beklagten Pensionsversicherungsanstalt einen Antrag auf Ausgleichszulage. Ihr Arbeitsverhältnis endete am 31. März 2013 durch Austritt gemäß § 25 IO. Die im Sanierungsverfahren angemeldeten Gehaltsforderungen wurden nachträglich durch den Insolvenzverwalter bezahlt. Die Klägerin besitzt ein Sparbuch mit einem Stand von 10.000 EUR. Ob und in welcher Höhe sie von ihrer Familie Unterstützung erhält, kann nicht festgestellt werden. Sie hat an ihren Sohn unterschiedliche Beträge überwiesen, die zwischen 110 und 400 EUR liegen.

Mit Bescheid vom 18. September 2013 lehnte die Beklagte die Gewährung der Ausgleichszulage ab.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1.1 Das Vorliegen der behaupteten Nichtigkeit des Ersturteils infolge Widersprüchlichkeit der Begründung hat bereits das Berufungsgericht verneint. In diesem Fall ist die Wahrnehmung der neuerlich behaupteten Nichtigkeit im Verfahren dritter Instanz nicht mehr möglich (RIS-Justiz RS0042981).

1.2 Auch die bereits vom Berufungsgericht verneinten Verfahrensmängel können im Revisionsverfahren nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0043061).

1.3 Letztendlich ist es auch nicht möglich, den in der Berufung nicht ins Treffen geführten Rechtsmittelgrund der Aktenwidrigkeit im Revisionsverfahren nachzutragen (RIS-Justiz RS0041773 [T9]).

2. Soweit die Revisionswerberin ihren Ausführungen ein Einkommen von monatlich 300 EUR zugrundelegt, setzt sie sich in Widerspruch zu der Feststellung, wonach dieses Einkommen nur 150 EUR monatlich betrug. Insoweit ist ihre Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt (RIS-Justiz RS0043312).

3.1 Der EuGH hat in den Entscheidungen vom 19. September 2013, C-140/12, Brey, vom 11. November 2014, C-333/13, Dano, vom 15. September 2015, C-67/14, Alimanovic, und vom 25. Februar 2016, C-299/14, García-Nieto ua, ausgesprochen, dass die Einstufung einer Leistung (wie der österreichischen Ausgleichszulage) als „beitragsunabhängige Sonderleistung“ iSd Art 70 Abs 2 lit c der VO (EG) 883/2004 nicht ausschließt, dass die Leistung gleichzeitig auch unter den Begriff der Sozialleistungen im Sinn der Richtlinie 2004/38 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Unionsbürger-RL) fallen kann.

3.2 Gemäß § 292 Abs 1 ASVG hat der Pensionsberechtigte Anspruch auf Ausgleichszulage, solange er seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat.

3.3 Nach Art 7 Abs 1 lit a der Unionsbürger-richtlinie steht das Recht auf Aufenthalt wirtschaftlich nicht aktiven Personen zu, die sich länger als drei Monate, aber nicht mehr als fünf Jahre, im Aufenthaltsmitgliedstaat aufhalten, und die Voraussetzungen des Art 7 Abs 1 lit b der Unionsbürger-RL erfüllen, also über ausreichende Existenzmittel und einen Krankenversicherungsschutz verfügen, sodass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates in Anspruch nehmen müssen (RIS-Justiz RS0130764). Nur unter diesen Voraussetzungen steht einem Unionsbürger hinsichtlich des Zugangs zur Ausgleichszulage eine Gleichbehandlung mit Inländern zu.

3.4 Da sich eine Anmeldebescheinigung für EWR-Bürger nur auf das Aufenthaltsrecht bezieht, hat diese Bescheinigung keinen Einfluss auf den Sozialleistungsanspruch (10 ObS 15/16b). Das Gericht muss im Rahmen der Beurteilung eines Anspruchs eines EWR-Bürgers auf Ausgleichszulage daher selbständig prüfen, ob die für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts notwendigen Voraussetzungen vorliegen.

4.1 Dass die Klägerin die Voraussetzungen des Art 7 Abs 1 lit b der Unionsbürger-RL nicht erfüllt, kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Dass den Vorinstanzen dabei eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist, zeigt die Revision nicht auf:

4.2 In der Rechtssache C-67/14 (Alimanovic) erachtete der EuGH die konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation des einzelnen Betroffenen unter Hinweis darauf als nicht notwendig, dass in bestimmten Fallgestaltungen das in der Unionsbürger-RL vorgesehene abgestufte System selbst verschiedene Faktoren berücksichtige, die ihrerseits persönliche Umstände der antragstellenden Person widerspiegeln (EuGH C-67/14, Alimanovic, Rz 59 ff; EuGH C-299/14, Garcia-Nieto ua). Demnach können aufgrund des Unionsrechts EU-Bürger, die nicht erwerbstätig und nur zum Zweck eines Leistungsbezugs mobil sind (und damit in die Kategorie der „Armutszuwanderung“ fallen), keine Ansprüche auf Leistungen wie die Ausgleichszulage geltend machen (10 ObS 15/16b mwN; 10 ObS 31/16f).

4.3 Dem Standpunkt der Klägerin, ihre Situation sei gänzlich anders, weil sie ab Beginn ihres Aufenthalts in Österreich einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen sei und diese Tätigkeit nur gegen ihren Willen habe aufgeben müssen, hielten die Vorinstanzen entgegen, dass auch eine individuelle Prüfung der konkreten wirtschaftlichen Situation – wie sie der EuGH noch in der Rs Dano Rs C-333/13, Rz 76) für erforderlich gehalten hat – auf unionsrechtlicher Grundlage nicht dazu führt, den Anspruch auf Ausgleichszulage zu bejahen. Die Ansicht, es habe der Klägerin an ausreichenden Existenzmittel gemangelt, weil ihre Pension deutlich unter dem jeweils geltenden Ausgleichszulagenrichtsatz gelegen sei, welche Situation sich auch durch das (vorübergehend bezogene) Arbeitseinkommen von 150 EUR nicht geändert habe, ist jedenfalls vertretbar.

5.1 Auch wenn man das Vorbringen der Klägerin dahin interpretiert, dass sie ihr Aufenthaltsrecht für die Zeit ab Antragstellung auf Ausgleichszulage am 3. Dezember 2012 auf ihre Eigenschaft als Arbeitnehmerin iSd Art 7 Abs 1 lit a der Unionsbürger-RL) und nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf den Erhalt der Erwerbstätigeneigenschaft (Art 7 Abs 3 Unionsbürger-RL) stützen will, führt dies zu keinem für sie günstigeren Ergebnis:

5.2 Für die Qualifizierung als Arbeitnehmer iSd Art 7 der Unionsbürger-RL ist erforderlich, dass eine Person eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, die keinen so geringen Umfang hat, dass sie sich als vollständig untergeordnet und unwesentlich darstellt. Ob eine tatsächliche und echte Tätigkeit vorliegt, ist vom nationalen Gericht an Hand objektiver Kriterien zu beurteilen; es sind alle Umstände des Falls, die sich auf die Art sowohl der fraglichen Tätigkeit als auch des fraglichen Arbeitsverhältnisses beziehen, in ihrer Gesamtheit zu beurteilen. Wesentliches Merkmal eines Arbeitsverhältnisses ist die Erbringung von Leistungen nach Weisung während einer bestimmten Zeit, für die als Gegenleistung Vergütungen gewährt werden (EuGH 21. Februar 2013, C-46/12, L.N, Rz 40 ff).

5.3 Die Klägerin bringt dazu vor, ihre Beschäftigung sei bereits aufgrund des Sanierungsverfahrens tatsächlich beendet gewesen (S 7 der Revisionsschrift), das Unternehmen ihres Arbeitgebers sei aufgelöst worden (S 2 der Klagsschrift). Steht weiters fest, dass die (nur sehr geringen) Gehälter erst im Nachhinein aufgrund der Anmeldung im Sanierungsverfahren vom Insolvenzverwalter nachgezahlt wurden, fehlen bei diesen Gegebenheiten die für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses maßgeblichen Merkmale einer „tatsächlichen und echten Tätigkeit“.

5.4 Eine (etwaige) Erwerbstätigeneigenschaft könnte im Übrigen nur unter den in Art 7 Abs 3 lit a) bis d) der Unionsbürger-RL ausdrücklich genannten Voraussetzungen erhalten bleiben (zB bei vorübergehende Arbeitsunfähigkeit infolge Unfalls oder Krankheit, bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit innerhalb der ersten zwölf Monate und zur Verfügungstellung beim zuständigen Arbeitsamt). Dazu wurde aber kein Vorbringen erstattet und es ergeben sich auch aus der Aktenlage keine Anhaltspunkte.

Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

Textnummer

E120942

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00160.17B.0220.000

Im RIS seit

21.03.2018

Zuletzt aktualisiert am

22.06.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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