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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Handstanger, Dr. Lehofer, Mag. Nedwed und Mag. Samm als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der Dr. J B in W, vertreten durch Dr. Hans Peter Ringhofer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juli 2017, Zl. W170 2134489-1/26E, betreffend Entziehung der Sachverständigeneigenschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Präsidentin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin war seit 20. Oktober 2003 (zuletzt befristet bis 31. Dezember 2018) allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige für das Fachgebiet 02.09 (Haut- und Geschlechtskrankheiten).
2 Mit Bescheid der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde vom 29. Juli 2016 wurde der Revisionswerberin die Sachverständigeneigenschaft entzogen. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin - mit einer Maßgabebestätigung - als unbegründet ab. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig.
3 In der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses führt das Verwaltungsgericht aus, dass die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde von einer Richterin eines Bezirksgerichtes darauf aufmerksam gemacht worden sei, dass die Revisionswerberin in einer näher bezeichneten Rechtssache ein großteils unverständliches Gutachten erstattet habe. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde habe die Akten dieses und eines weiteren Verfahrens beigeschafft und die Revisionswerberin aufgefordert, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, da sie sich den Bedenken der Richterin anschließe. Nach einer Stellungnahme der Revisionswerberin habe die Behörde der Vorsitzenden der Begutachtungskommission nach § 4a Sachverständigen- und Dolmetschergesetz (SDG) mitgeteilt, dass Zweifel an der Qualifikation der Revisionswerberin bestünden; die Vorsitzende sei ersucht worden, ein Gutachten der Kommission einzuholen. In der Folge sei der Behörde mitgeteilt worden, dass die Revisionswerberin trotz vorheriger Zusage nicht zur Prüfung erschienen sei. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde habe der Revisionswerberin daraufhin die Eigenschaft als allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige entzogen, im Wesentlichen, weil die Gutachten nicht den jeweils erteilten gerichtlichen Auftrag abdeckten und weil die Formulierungen fast unverständlich, die Gutachten nicht schlüssig und nachvollziehbar aufgebaut und die Schlussfolgerungen nicht nachvollziehbar gewesen seien. Da sich die Revisionswerberin einer Prüfung der Kommission nicht unterzogen habe, sei davon auszugehen gewesen, dass die erforderlichen Kenntnisse über die wichtigsten Vorschriften des Verfahrensrechts, über das Sachverständigenwesen, über die Befundaufnahme sowie über den Aufbau eines schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachtens bei ihr nicht vorhanden seien.
4 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Revisionswerberin wegen einer Verwaltungsübertretung im Straßenverkehr verwaltungsstrafrechtlich vorgemerkt, strafrechtlich aber unbescholten sei. Der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse, der Krankenfürsorgeanstalt der Bediensteten der Stadt Wien, der Sozialversicherungsanstalt der Bauern und der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft seien jeweils keine Vorfälle bekannt, die Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der Revisionswerberin indizieren würden. Das Einzelvertragsverhältnis zwischen der Revisionswerberin und der Wiener Gebietskrankenkasse sei wegen zahlreicher wie fortdauernder Vertragspflichtverletzungen per 31. Dezember 2015 von der Gebietskrankenkasse gekündigt worden. Mit mündlich verkündetem Bescheid der Landesschiedskommission für Wien vom 22. Dezember 2015 sei der Einspruch der Revisionswerberin dagegen abgewiesen worden. Die Revisionswerberin habe gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Die Praxis der Revisionswerberin habe der Wiener Gebietskrankenkasse Leistungen in Bezug auf zwei Versicherte für den Zeitraum
4. Quartal 2013 und in Bezug auf eine Versicherte an zwei Tagen im April 2015 verrechnet, obwohl die Versicherten die Ordination wieder verlassen hätten, ohne ärztliche Leistungen in Anspruch genommen zu haben, und die Revisionswerberin von der Wiener Gebietskrankenkasse zuvor schon darauf hingewiesen worden sei, dass diese Vorgehensweise nicht rechtmäßig sei. Die Wiener Gebietskrankenkasse habe nach diesen Vorfällen vier Testpatienten mit dem Auftrag, die Praxis vor einem Ärztekontakt wieder zu verlassen, in die Praxis der Revisionswerberin geschickt. Alle diese Testpatienten hätten die Praxis vor einem Kontakt mit der Revisionswerberin oder einem anderen Arzt oder einer anderen Ärztin wieder verlassen und trotzdem seien diese Besuche der Krankenkasse in Rechnung gestellt worden. Einer von der Wiener Gebietskrankenkasse entsandten Testpatientin sei in der Praxis der Revisionswerberin die ärztliche Hilfe verweigert worden, obwohl diese angegeben habe, Schmerzen zu haben und durch eine Europäische Krankenversicherungskarte Versicherungsschutz bestanden habe. Die Praxis der Revisionswerberin habe der Wiener Gebietskrankenkasse für eine bei ihr angestellte Ordinationsgehilfin für den Tag des Vorstellungsgesprächs im Juli 2013 eine Auflichtuntersuchung ("Muttermaluntersuchung") verrechnet, obwohl es an diesem Tag weder zu einer Auflichtuntersuchung noch zu einer sonstigen ärztlichen Leistung gekommen sei. Die Revisionswerberin habe diese Tatsachen nicht direkt verursacht, sie habe die diesbezüglichen Probleme aber auch nicht abgestellt, nachdem sie von der Wiener Gebietskrankenkasse zuvor schon darauf hingewiesen worden sei; die Tatsachen seien direkt durch einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin der Revisionswerberin verursacht worden.
Weiters traf das Verwaltungsgericht Feststellungen zu zwei von der Revisionswerberin in gerichtlichen Verfahren erstatteten Gutachten, wobei unter anderem festgestellt wurde, dass bei einem Gutachten die "Begründung" schwer verständlich sei, weit über das vom Gericht gegebene Thema hinausgehe und zum Teil nicht nachvollziehbar sei, sowie dass das andere Gutachten schwer verständlich sei und Fragen des Gerichts nicht beantwortet worden seien.
Schließlich stellte das Verwaltungsgericht auch fest, dass die Revisionswerberin für den 24. Juni 2016 zu einer Prüfung vor die Begutachtungskommission gemäß § 4a SDG geladen worden sei, diesen Termin aber nicht wahrgenommen habe.
5 In rechtlicher Hinsicht vertrat das Verwaltungsgericht die Auffassung, es sei zur Prüfung der Vertrauenswürdigkeit berechtigt, wenngleich sich die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde damit nicht befasst habe, weil es die Angelegenheit, die den Spruch des Bescheides der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht gebildet habe, zu erledigen habe. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde habe das Fernbleiben von dem von der Kommission anberaumten Termin zur Überprüfung ihrer Kenntnisse zu Recht als Verletzung der Mitwirkungspflicht qualifiziert. Im Rahmen der Beweiswürdigung sei die Behörde berechtigt gewesen, aus dieser Verletzung der Mitwirkungspflicht für die Revisionswerberin negative Schlüsse zu ziehen. Schon weil die Voraussetzung des § 2 Abs. 2 Z 1 lit. a zweiter Fall SDG weggefallen sei, sei die Entziehung der Sachverständigeneigenschaft berechtigt gewesen. In Zusammenhalt mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Vertrauenswürdigkeit (z.B. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/03/0094) ergebe sich aus den zur Revisionswerberin als Ärztin bzw. Vertragspartnerin der Wiener Gebietskrankenkasse getroffenen Feststellungen der Verlust ihrer Vertrauenswürdigkeit.
6 Die Revision gegen diese Entscheidung wurde für zulässig erklärt, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Mitwirkungspflicht bei der Überprüfung der Kenntnisse nach § 2 Abs. 2 Z 1 lit. a zweiter Fall SDG und zur Frage, welchen Grad nicht gerichtlich bzw. verwaltungsstrafrechtlich und nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Sachverständigentätigkeit stehende Fehlleistungen durch den Sachverständigen erreichen müssten, um zu einer Entziehung der Eigenschaft als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger zu führen, fehle.
7 In ihrer gegen dieses Erkenntnis erhobenen Revision bringt die Revisionswerberin zusammengefasst vor, dass das Verwaltungsgericht das Verfahren nicht auf die Prüfung der Vertrauenswürdigkeit nach § 2 Abs. 2 Z 1 lit. e SDG ausdehnen hätte dürfen, weil dies nicht Gegenstand des Verfahrens vor der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde gewesen sei, sondern ausschließlich die Frage, ob die Revisionswerberin Kenntnisse über die wichtigsten Vorschriften des Verfahrensrechts, über das Sachverständigenwesen, über die Befundaufnahme sowie über den Aufbau eines schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachtens (§ 2 Abs. 2 Z 1 lit. a zweiter Fall SDG) besitze. Zur Beurteilung ihrer Vertrauenswürdigkeit sei das Verwaltungsgericht nicht zuständig gewesen. Das Verwaltungsgericht habe ihr die Vertrauenswürdigkeit wegen ihrer Auseinandersetzungen mit der Wiener Gebietskrankenkasse abgesprochen, obwohl diese in keinem Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Sachverständige stünden. Mit ihr sei zudem nicht erörtert worden, aus welchen Gründen die von ihr erstatteten Gutachten den Anforderungen nicht genügt hätten. Zudem habe das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die von ihr erstatteten und beanstandeten Gutachten Feststellungen getroffen, obwohl der Aufbau, die Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit von Gutachten rechtlich zu beurteilen seien. Schließlich hätte die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde gemäß § 10 Abs. 4 SDG kein Gutachten, sondern bloß eine begründete Stellungnahme der Kommission einholen dürfen.
8 Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, der Revision nicht Folge zu geben. Die Revisionswerberin replizierte auf die Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 § 10 Sachverständigen- und Dolmetschergesetz (SDG) in der Fassung BGBl. I Nr. 10/2017 lautet auszugsweise wie folgt:
"§ 10. (1) Die Eigenschaft als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger ist vom Präsidenten des Landesgerichts (§ 3) durch Bescheid zu entziehen,
1. wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen für die
Eintragung, mit Ausnahme der nach § 2 Abs. 2 Z 2, seinerzeit nicht gegeben gewesen oder später weggefallen sind,
(...)
(2) Ergibt sich in einem bestimmten Verfahren der Verdacht, daß einer der im Abs. 1 genannten Entziehungstatbestände gegeben ist, so hat das Gericht oder die staatsanwaltschaftliche Behörde hiervon dem zur Entziehung berufenen Präsidenten Mitteilung zu machen.
(...)
(4) Im Entziehungsverfahren wegen Wegfalls der Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 Z 1 Buchstabe a und Z 1a kann der Präsident auch eine begründete Stellungnahme der Kommission (§ 4a) oder eine Äußerung eines qualifizierten Mitglieds dieser Kommission einholen; § 4a Abs. 2 letzter Satz findet insofern keine Anwendung."
§ 10 Abs. 4 SDG in der Fassung BGBl. I Nr. 10/2017 trat gemäß § 16h SDG am 1. Jänner 2017 in Kraft. Zuvor lautete § 10 Abs. 4 SDG in der Fassung BGBl. I Nr. 111/2007 wie folgt:
"(4) Im Entziehungsverfahren wegen Wegfalls der Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 Z 1 Buchstabe a und Z 1a kann der Präsident auch ein Gutachten der Kommission (§ 4a) oder eine Äußerung eines qualifizierten Mitglieds dieser Kommission einholen."
Gemäß § 2 Abs. 2 Z. 1 SDG müssen für die Eintragung in die Gerichtssachverständigen- und Gerichtsdolmetscherliste für ein bestimmtes Fachgebiet unter anderem folgende Voraussetzungen in der Person des Bewerbers gegeben sein:
"a) Sachkunde und Kenntnisse über die wichtigsten
Vorschriften des Verfahrensrechts, über das Sachverständigenwesen, über die Befundaufnahme sowie über den Aufbau eines schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachtens,
(...)
e) Vertrauenswürdigkeit,
(...)"
10 Nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa VwGH 9. 9. 2015, Ro 2015/03/0032, m.w.H.) ist das Verwaltungsgericht auf Grund der Beschwerde in seiner rechtlichen Beurteilung an das Beschwerdevorbringen nicht gebunden. Es darf auch Sachverhaltselemente, die bei der Prüfung auf Grund der Beschwerde im gerichtlichen Verfahren hervorgekommen sind, seiner Entscheidung zu Grunde legen. Dabei überschreitet es seine Kognitionsbefugnis im Sinne des § 27 VwGVG nicht.
11 Jene Angelegenheit, die im hier zu beurteilenden Fall den Inhalt des Spruches der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde bildete und damit Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens war, war die Frage, ob der Revisionswerberin die Eigenschaft als allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige zu entziehen ist, weil sich herausgestellt hat, dass die Voraussetzungen für die Eintragung später weggefallen sind (vgl. § 10 Abs. 1 Z 1 SDG). Es war daher zulässig, dass das Verwaltungsgericht Ermittlungen zur Vertrauenswürdigkeit der Revisionswerberin durchgeführt und deren Ergebnisse in seine Beurteilung miteinbezogen hat, obwohl sich die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde mit diesem Aspekt nicht befasst hatte.
12 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betrifft die Frage der Vertrauenswürdigkeit eines Sachverständigen im Sinn des SDG seine persönlichen Eigenschaften. Es kommt darauf an, ob jemand in einem solchen Maße vertrauenswürdig ist, wie es die rechtssuchende Bevölkerung von jemandem erwarten darf, der in die Liste der Sachverständigen eingetragen ist. In Ansehung der bedeutsamen Funktion, die dem Sachverständigen bei der Wahrheitsfindung im gerichtlichen und behördlichen Verfahren obliegt, darf daher nicht der leiseste Zweifel an seiner Gesetzestreue, Korrektheit, Sorgfalt, Charakterstärke sowie an seinem Pflichtbewusstsein bestehen; bei dieser Beurteilung ist ein strenger Maßstab anzulegen; auch ein einmaliges - gravierendes - Fehlverhalten kann Vertrauensunwürdigkeit begründen. Unmaßgeblich ist, in welchen Bereichen die Ursachen für den Verlust der Vertrauenswürdigkeit gelegen sind, weil es nur darauf ankommt, ob das erforderliche Maß an Vertrauenswürdigkeit dem Sachverständigen überhaupt zukommt oder nicht. Es kann daher auch ein Verhalten, das nicht im Zusammenhang mit der Sachverständigentätigkeit steht, Vertrauensunwürdigkeit begründen (vgl. jüngst etwa VwGH 28.6.2017, Ra 2017/03/0066, mit weiteren Nachweisen).
13 Von diesen rechtlichen Vorgaben des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verwaltungsgericht nicht abgewichen. Stellt eine Ärztin bzw. ein unter ihrer Aufsicht stehender Mitarbeiter in ihrem Auftrag (und damit ihr zuzurechnen) einer Krankenkasse entgegen der vertraglich vereinbarten Honorarordnung, trotz entsprechender Hinweise der Krankenkasse über die Unrechtmäßigkeit dieser Vorgehensweise und ohne eine (rechtskräftige) ihre Auffassung bestätigende Entscheidung im vorgesehenen Streitverfahren abzuwarten, wiederholt Rechnungen, denen keine Leistung der Ärztin selbst gegenüber einem Versicherten vorausgegangen ist (und nimmt sie dadurch in Kauf, dass Auseinandersetzungen mit der Krankenkasse insofern auf dem Rücken der Versicherten ausgetragen werden, als diesen die Inanspruchnahme eines anderen Arztes auf Kosten der Krankenkasse für das entsprechende Quartal damit nicht möglich ist), so lässt dies einen Mangel an Sorgfalt, Korrektheit und Charakterstärke erkennen. Dem Verwaltungsgericht kann nicht entgegengetreten werden, wenn es auf dieser Grundlage zum Ergebnis gekommen ist, dass dadurch die erforderliche Vertrauenswürdigkeit nicht mehr gegeben ist, sodass die Eigenschaft als allgemein gerichtlich beeidete und zertifizierte Sachverständige zu entziehen ist. Schon aus diesem Grund liegt die von der Revisionswerberin geltend gemachte Rechtsverletzung nicht vor.
14 Im Übrigen ist die Revisionswerberin, soweit sie geltend macht, die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde hätte gemäß § 10 Abs. 4 SDG kein Gutachten, sondern bloß eine begründete Stellungnahme der Kommission einholen dürfen, zunächst darauf zu verweisen, dass Verfahrensvorschriften - wenn, wie hier, keine abweichende gesetzliche Anordnung getroffen wurde - in jener Fassung anzuwenden sind, die zum Zeitpunkt der Setzung der entsprechenden Verfahrenshandlungen gegolten haben (VwGH 20.3.2006, 2002/17/0023). Die von der Revisionswerberin herangezogene Fassung des § 10 Abs. 4 SDG, wonach die Behörde im Entziehungsverfahren wegen Wegfalls der Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 Z 1 lit. a und Z 1a SDG "auch eine begründete Stellungnahme der Kommission (§ 4a) oder eine Äußerung eines qualifizierten Mitglieds dieser Kommission einholen" kann, beruht auf der insoweit (vgl. § 16h SDG) mit 1. Jänner 2017 in Kraft getretenen Novelle zum SDG durch das Berufsrechts-Änderungsgesetz 2016, BGBl. I Nr. 10/2017. Nach der damit von der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde anzuwendenden Fassung des § 10 Abs. 4 SDG vor der Novelle BGBl. I Nr. 10/2017 war die Behörde somit berechtigt, im Entziehungsverfahren wegen Wegfalls der Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 Z 1 lit. a und Z 1a SDG "ein Gutachten der Kommission (§ 4a) oder eine Äußerung eines qualifizierten Mitglieds dieser Kommission" einzuholen. Im Übrigen ist nicht zu erkennen, dass sich die Frage der Mitwirkungspflicht der Revisionswerberin (dazu im Folgenden in Rn. 15 ff) im Hinblick auf eine nach § 10 Abs. 4 SDG in der Fassung BGBl. I Nr. 10/2017 allenfalls einzuholende begründete Stellungnahme der Kommission anders darstellen würde als im Hinblick auf ein zuvor nach § 10 Abs. 4 SDG in der Fassung BGBl. I Nr. 111/2007 allenfalls einzuholendes Gutachten der Kommission.
15 Die Mitwirkungspflicht der Partei hat insbesondere dort Bedeutung, wo ein Sachverhalt nur im Zusammenwirken mit der Partei geklärt werden kann, etwa weil die Behörde außerstande ist, sich die Kenntnis von ausschließlich in der Sphäre der Partei liegenden Umständen von Amts wegen zu beschaffen. Die Verweigerung der Mitwirkung an der Feststellung des Sachverhaltes ist nur dann berechtigt, wenn hiefür ausreichende Gründe vorliegen oder der Partei der Nachweis gelingt, dass die Anordnung der Prüfung den Bestimmungen des § 39 Abs. 2 AVG widerstreitet, also dass sie unbegründet angeordnet worden ist (vgl. etwa VwGH 31.3.2004, 2002/06/0214).
16 Infolge des an die Präsidentin des Landesgerichtes als zuständiger Behörde nach § 10 Abs. 2 SDG von einem Gericht - auf Grund eines Gutachtens, das die Revisionswerberin erstattet hatte -
herangetragenen, nicht von vornherein als unbegründet zu beurteilenden Verdachts, dass einer der in § 10 Abs. 1 SDG genannten Entziehungstatbestände gegeben sei, hatte die Präsidentin des Landesgerichtes ein Entziehungsverfahren durch entsprechende Ermittlungen einzuleiten. Dabei stand ihr frei, die Gestaltung der Befundaufnahme und Gutachtenserstattung auf dem betreffenden Fachgebiet (Gutachtensmethodik) und der Verfahrensrechtskunde (Kenntnis der wichtigsten Vorschriften des Verfahrensrechts und über das Sachverständigenwesen) allein zu beurteilen oder ein Gutachten der Kommission (§ 4a SDG) einzuholen (§ 10 Abs. 4 SDG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 111/2007).
17 Um die für den Abschluss des Verfahrens erforderlichen Feststellungen über das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 Z 1 lit. a SDG treffen zu können, war die Mitwirkung der Revisionswerberin erforderlich. Sie traf dabei eine erhöhte Mitwirkungspflicht, weil sich die Präsidentin des Landesgerichtes ebenso wie die Kommission nach § 4a SDG ohne Mitwirkung der Revisionswerberin keine zureichenden Informationen über das Wissen der Sachverständigen über die Gutachtensmethodik und die wichtigsten Vorschriften des Verfahrensrechts und über das Sachverständigenwesen verschaffen kann.
18 Das SDG geht davon aus, dass (unter anderem) die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 Z 1 lit. a SDG im Eintragungsverfahren grundsätzlich im Rahmen einer mündlichen Prüfung des Bewerbers zu prüfen sind und nur ergänzend allenfalls auch eine schriftliche Prüfung vorzunehmen ist (vgl. § 4a Abs. 2 SDG). Da § 10 Abs. 4 SDG für das Entziehungsverfahren auf die Möglichkeit hinweist, "eine begründete Stellungnahme der Kommission (§ 4a)" einzuholen (vor dem 1.1.2017: "ein Gutachten der Kommission (§ 4a)"), ist auch im Entziehungsverfahren, wenn die Präsidentin des Landesgerichtes von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, grundsätzlich eine mündliche Prüfung im Sinne des § 4a Abs. 2 SDG vorzunehmen. Wirkt die Sachverständige dabei nicht mit, etwa indem sie - wie im hier vorliegenden Fall - ohne hinreichenden Grund an der Prüfung nicht teilnimmt, so verletzt sie die ihr obliegende Mitwirkungspflicht, woraus im Rahmen der Beweiswürdigung für die Partei negative Schlüsse gezogen werden können (vgl. zur Mitwirkung an der Erstellung eines Sachverständigengutachtens allgemein VwGH 26.2.2002, 2001/11/0220).
19 Gibt eine nach § 10 Abs. 2 SDG erstattete Mitteilung Anlass zu begründeten Zweifeln über das weitere Vorliegen der Voraussetzungen für die Eintragung als Sachverständige nach § 2 Abs. 2 Z 1 lit. a SDG (was jedenfalls dann der Fall ist, wenn - wie im hier vorliegenden Fall - in zwei gerichtlichen Verfahren wie vom Verwaltungsgericht festgestellt schwer verständliche, teilweise nicht nachvollziehbare und in mehrfacher Hinsicht den gerichtlichen Aufträgen nicht entsprechende Gutachten erstattet wurden), so obliegt es der Sachverständigen, sich - wenn die Präsidentin des Landesgerichts eine begründete Stellungnahme (bzw. vor dem 1.1.2017 ein Gutachten) der Kommission nach § 4a SDG einholt - der Prüfung durch diese Kommission zu stellen. Es ist damit nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die festgestellten Mängel der erstatteten Gutachten und die unterbliebene Mitwirkung der Revisionswerberin an der Prüfung durch die Kommission nach § 4a SDG zum Ergebnis gekommen ist, dass die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 Z 1 lit. a SDG nicht mehr vorliegen und die Entziehung der Eigenschaft als Sachverständige auch auf diesen Grund gestützt werden kann.
20 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Ein Kostenausspruch hatte zu unterbleiben, da die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde keinen Antrag auf Aufwandersatz gestellt hat.
Wien, am 23. Februar 2018
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung MitwirkungspflichtBegründungspflicht Manuduktionspflicht MitwirkungspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RO2017030025.J00Im RIS seit
20.03.2018Zuletzt aktualisiert am
28.03.2018