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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Kail und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Gritsch, über die Beschwerde der Maria Anna Patak in Schwechat, vertreten durch Dr. Rolf Schuhmeister, Rechtsanwalt in Schwechat, Bruck-Hainburger Straße 7, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 16. November 1999, Zl. RU1-V-99105/00, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 AVG in einer Bauangelegenheit, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Auf Grund der Beschwerde und der dieser angeschlossenen Ausfertigung des angefochtenen Bescheides ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Mit Eingabe vom 4. Mai 1999 hat die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Vorstellung gegen den Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde Schwechat vom 23. März 1999 eingebracht. Dieser Antrag war damit begründet, dass der Beschwerdeführerin die Zustellung dieses Bescheides, die angeblich am 23. März 1999 versucht worden sein solle, bis zum Zugang des Schreibens der Stadtgemeinde Schwechat vom 16. April 1999 unbekannt geblieben sei. Da sie 86 Jahre als sei, nehme ihre Tochter, I.H., die Leerung ihres Briefkastens vor. Ihrer Tochter sei nie eine Hinterlegungsanzeige aufgefallen. Wenn eine solche in den Briefkasten eingelegt worden sei, so habe es ihre Tochter offensichtlich irrtümlich in der (bereits unzumutbaren) Masse des Werbematerials übersehen. In der mit der Wiedereinsetzung verbundenen Vorstellung wendet sich die Beschwerdeführerin gegen den mit dem angeführten Bescheid vom 23. März 1999 erlassenen Abbruchsauftrag.
Wie im angefochtenen Bescheid ausgeführt ist, sei nach den Aktenunterlagen der Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde Schwechat vom 23. März 1999 am 25. März 1999 beim Postamt S. hinterlegt worden. Am 12. April 1999 sei das nicht behobene Schriftstück der Stadtgemeinde S. wieder retourniert worden. Obwohl auf Grund der ordnungsgemäßen Hinterlegung der Bescheid als zugestellt zu werten sei, sei die Beschwerdeführerin im Rahmen des Bürgerservice mittels eines Schreibens von der Entscheidung des Gemeinderates in Kenntnis gesetzt worden.
Wie im angefochtenen Bescheid ausgeführt, habe die Stadtgemeinde S. Erhebungen durchgeführt und auch die Zustellerin als Zeugin befragt. Aus der Niederschrift sei zu entnehmen, dass ihr dieser Zustellvorgang noch in Erinnerung sei. Sie habe die Sendung zustellen wollen, sei jedoch auf ihr Läuten nicht eingelassen worden. Daraufhin habe sie die Hinterlegungsanzeige vorschriftsmäßig in den Postkasten geworfen. Sie könne sich auch noch erinnern, dass der Postkasten überfüllt gewesen sei. Sie habe anlässlich der Zustellung eines anderen Schriftstückes mit der Tochter der Beschwerdeführerin gesprochen, die ihr mitgeteilt habe, dass sie an dem fraglichen Tag den Postkasten geleert und offensichtlich den Verständigungszettel unbeachtet weggeworfen habe. Die Beschwerdeführerin habe die Aussage der Zustellerin zur Kenntnis genommen und ergänzend ausgeführt, dass es sich wahrscheinlich so zugetragen habe, wie die Zustellerin bzw. ihre Tochter vermuteten.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde im Spruchpunkt 1. dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben und in Spruchpunkt 2. die Vorstellung als verspätet zurückgewiesen. Diese Entscheidung ist im Wesentlichen damit begründet, dass ein Ereignis nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dann unabwendbar sei, wenn sein Eingriff objektiv von einem Durchschnittsmenschen nicht verhindert werden könne. Unvorhergesehen sei es hingegen, wenn es die Partei tatsächlich nicht mit einberechnet habe und seinen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten habe können. Der Begriff des minderen Grades des Versehens sei als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Die Beschwerdeführerin dürfe also nicht die ihr zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Mag auch das Vorbringen bezüglich der Zustellung einer (bereits unzumutbaren) Masse von Werbematerial zutreffen und der Briefkasten überfüllt sein, so hätte umso mehr eine genaue Durchsicht der in diesem befindlichen Sendungen erfolgen müssen, um ja nichts zu übersehen. Gerade bei überfüllten Briefkästen komme es dazu, dass weitere Sendungen hineingezwängt würden. Eine Überhäufung mit Werbematerial könne zwar - menschlich gesehen und durchaus berechtigt - Aversionen gegen ein solches auslösen, enthebe aber nicht von der Verpflichtung, das Werbematerial nicht ungesehen wegzuwerfen, sondern kurz durchzuschauen. Dies sei zumutbar und erfordere auch nur einen geringen Zeitaufwand. Der Wiedereinsetzungsantrag sei somit nicht berechtigt.
Daraus ergebe sich, dass die Vorstellung verspätet erhoben worden sei und daher als unzulässig zurückzuweisen sei.
In der dagegen erhobenen Beschwerde wird die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:
"1. die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, ..."
Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss gemäß § 71 Abs. 2 AVG binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden. Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei gemäß § 71 Abs. 3 AVG die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.
Ein einem Vertreter widerfahrenes Ereignis gibt einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann ab, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unverschuldet eingetreten ist sowie für ihn unvorhergesehen oder unabwendbar war. Ein Verschulden des Vertreters wird daher einem Verschulden des Vertretenen gleichgesetzt (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 28. April 1992, 92/05/0051).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 29. November 1994, Zl. 94/05/0318) ist ein Ereignis unvorhergesehen, wenn die Partei es tatsächlich nicht mit einberechnet hat und dessen Eintritt unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte. Das im Begriff der "Unvorhergesehenheit" gelegene Zumutbarkeitsmoment ist dahin zu verstehen, dass die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit dann noch gewahrt ist, wenn der Partei (ihrem Vertreter) in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein "minderer Grad des Versehens" (seit der AVG-Novelle 1990, BGBl. Nr. 357) unterläuft (siehe auch das hg. Erkenntnis vom 26. November 1992, Zl. 92/06/0222). Ein solcher "minderer Grad des Versehens" (§ 1332 ABGB) liegt nur dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht. Der Wiedereinsetzungswerber darf nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, wobei an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige Personen (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 29. März 1995, Zl. 93/05/0088, und vom 29. November 1994, Zl. 94/05/0318).
Die belangte Behörde hat zutreffend die Auffassung vertreten, dass im Falle eines mit Werbematerial angefüllten Postkastens die Durchsicht des Inhaltes des Postkastens besonders genau zu erfolgen hat, um nichts zu übersehen. Aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ergibt sich nun nicht, dass ihre Tochter als ihre Vertreterin bei der Durchsicht des Inhaltes des Briefkastens den Inhalt des Postkastens besonders genau durchgesehen hätte. Zutreffend hat daher die belangte Behörde die Auffassung vertreten, dass dem von der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter vermuteten Übersehen der Hinterlegungsanzeige unter dem umfangreichen Werbematerial durch ihre Tochter nicht bloß ein minderer Grad des Versehens zugrundelag.
Die belangte Behörde hat daher auch die Vorstellung zu Recht als verspätet zurückgewiesen.
Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Wien, am 26. April 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:2000050054.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
24.03.2011