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L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
AVG §19 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Gritsch, über die Beschwerde 1. der Margarete Kranner und 2. des Leopold Kranner, beide in Heidenreichstein, vertreten durch Dr. Gerhard Rößler, Rechtsanwalt in Zwettl, Hamerlingstraße 1, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 15. September 1999, Zl. RU1-V-98055/01, betreffend Parteistellung in einem Baubewilligungsverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. Stadtgemeinde Heidenreichstein, vertreten durch den Bürgermeister, 2. Hermine Gartner in Heidenreichstein, vertreten durch Dr. Edmund Kitzler, Rechtsanwalt in Gmünd, Bahnhofstraße 58), zu Recht erkannt:
Spruch
I. Die Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers wird abgewiesen.
Der Zweitbeschwerdeführer hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 4.565.- und der zweitmitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.860.- jeweils binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. Auf Grund der Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der Erstbeschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000.- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 3. Juli 1997 wurde der zweitmitbeteiligten Partei die Baubewilligung zur Errichtung einer Dachkonstruktion bei dem bestehenden Reihenhaus auf ihrem Grundstück Nr. 323/10, KG Heidenreichstein, erteilt.
Auf Grund einer Eingabe der Erstbeschwerdeführerin, welche gemeinsam mit dem Zweitbeschwerdeführer Miteigentümer des benachbarten Grundstückes Neuteichstraße 31 ist, wurde am 29. August 1997 an Ort und Stelle eine Überprüfungsverhandlung durchgeführt, in welcher festgestellt wurde, dass die Dachneigung anstelle der bewilligten 20 Grad mit ca. 35 Grad ausgeführt worden ist.
"Der senkrechte Attikaabschluss (seinerzeit waagrechte Holzverschalung) wurde mit einer senkrechten Blechverschalung samt Tropfnase direkt auf die Holzschalung aufgebracht verkleidet. Im Bereich des Hausanschlusses zur Anrainerin (Erstbeschwerdeführerin) wurde, wie im Einreichplan dargestellt, eine Saumrinne und infolge bei der Garage eine Hängerinne hergestellt. Der Überstand der Blechverschalung über die Hausmauer (Garagenflucht) beträgt 9 cm plus 4 cm für die Tropfnase. Gemäß Einreichplan und Dachdetaildarstellung waren 36 cm vorgesehen."
Die anwesende Erstbeschwerdeführerin wendete ein, dass sie auf die Einhaltung der Grundgrenze bestehe und kein Überragen irgendwelcher Bauteile über diese dulde. Sie fordere daher die Beseitigung und Herstellung einer Saumrinne im Bereich des Garagenanbaues. Weiters solle auch die Tropfnase im Bereich der senkrechten Wandschalung entfernt werden.
In dieser Verhandlung beantragte die zweitmitbeteiligte Partei die "nachträgliche Bewilligung der Veränderung der Dachneigung auf 35 Grad". Sie sei nicht gewillt, den Wünschen der Beschwerdeführerin nachzukommen.
Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 22. September 1997 wurde der erstmitbeteiligten Partei die "nachträgliche Bewilligung" für die "Abänderung der Dachneigung" der bereits baubehördlich bewilligten Dachkonstruktion "auf 35 Grad" erteilt. In der Begründung hiezu wurde u. a. ausgeführt, dass "die Änderungen der Dachrinne und der Attikaverkleidung als geringfügig und unter Heranziehung bzw. Modifizierung des § 52 der NÖ Bauordnung 1996 als tolerierbar einzustufen" seien.
Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 16. März 1998 wurde dieser Bescheid auf Grund der Berufungen der Beschwerdeführer dahingehend abgeändert, "dass gem. § 49 Abs. 1 der NÖ BO 1996, LGBl. 8200-0 die bestandmäßig vorhandene Grundstücksgrenze nicht überbaut werden darf und die baulichen Maßnahmen entsprechend abzustimmen bzw. zu entfernen sind".
Mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 27. Oktober 1998 wurde der dagegen erhobenen Vorstellung der zweitmitbeteiligten Partei Folge gegeben, der bekämpfte Gemeinderatsbescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Berufungsbehörde zurückverwiesen. Im bekämpften Bescheid käme der durch den Gemeinderatsbeschluss dokumentierte Bescheidwille nicht zum Ausdruck. Der ausgefertigte Bescheid sei daher dem unterfertigenden Vizebürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde zuzurechnen. Im fortzusetzenden Verfahren werde darauf Bedacht zu nehmen sein, dass Gegenstand nur die Erhöhung der Dachneigung sei, gegen welche die Beschwerdeführer nichts vorgebracht hätten. Die Überbauten könnten allenfalls Gegenstand eines baupolizeilichen Auftragsverfahrens sein.
Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 2. März 1999 wurde die Berufung der Erstbeschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 22. September 1997 "als unzulässig zurückgewiesen". Gemäß § 6 Abs. 1 NÖ BauO 1996 würden Nachbarn nur dann Parteien, wenn sie ihre Rechte spätestens in der Bauverhandlung geltend machen. Mache der Nachbar eine tatsächliche oder mögliche Beeinträchtigung seiner Rechte nicht rechtzeitig geltend, erlange er keine Parteistellung. Eine später gegen die Baubewilligung dennoch erhobene Berufung sei als unzulässig zurückzuweisen. (In der Sitzung des Gemeinderates vom 18. Februar 1999 wurde der Beschluss gefasst, dass auch die Berufung des Zweitbeschwerdeführers als unzulässig zurückgewiesen wird.)
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 15. September 1999 wurde über die dagegen erhobene Vorstellung der Beschwerdeführer wie folgt entschieden:
"I.
Die Vorstellung von (Erstbeschwerdeführerin) wird mangels Parteistellung als unzulässig zurückgewiesen.
II.
Die Vorstellung von (Zweitbeschwerdeführer) wird mangels Erschöpfung des innergemeindlichen Instanzenzuges als unzulässig zurückgewiesen."
Zu Spruchteil I wurde in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt, aus dem mit der Bezugsklausel der baubehördlichen Bewilligung vom 3. Juli 1997 versehenen Einreichplan gehe hervor, dass die Traufenausbildung des Hauses der zweitmitbeteiligten Partei im Bereich des unbebauten Nachbargrundstücksteiles mit einem 36 cm breiten Überstand über die Außenseite der Außenmauer (= Grundgrenze) projektiert sei; bei dieser Maßangabe sei die über diesen Überstand noch hinausragende - und im Einreichplan eingezeichnete - Hängerinne noch nicht berücksichtigt. Des Weiteren sei der verklausulierten Plandarstellung eindeutig zu entnehmen, dass in jenem Bereich, in dem die Gebäude unmittelbar aneinander grenzen, eine Saumrinne auf Seiten des Hauses der zweitmitbeteiligten Partei projektiert sei, deren äußerste Begrenzung sich mit der Grundstücksgrenze decke. In dem zur vorgenannten Baubewilligung vom 3. Juli 1997 führenden Verfahren hätten die Beschwerdeführer keine die überhängende Traufenausbildung betreffenden Einwände erhoben. Die Erstbeschwerdeführerin habe es im Rahmen der Bauverhandlung vom 25. April 1997 unterlassen, Einwendungen gegen den ihr Grundstück betreffenden Überbau zu erheben und habe daher im Hinblick auf die überhängende Traufenausbildung keine Parteistellung erlangt. Wenngleich die vom Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde erteilte Baubewilligung vom 3. Juli 1997 den Bestimmungen des Bebauungsplanes sowie des § 49 Abs. 1 NÖ BauO 1996 widerspreche, sei diese dennoch in Rechtskraft erwachsen. Gegenstand der nachträglichen Baubewilligung sei ausschließlich die Erhöhung der Dachneigung auf 35 Grad gewesen. Dagegen habe die Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vom 29. August 1997 keine Einwendungen erhoben und daher in diesem Verfahren keine Parteistellung erlangt; ihre Vorstellung sei daher zurückzuweisen gewesen.
Zu Spruchteil II des Bescheides wurde ausgeführt, die Erhebung einer Vorstellung an die Aufsichtsbehörde setze die Erschöpfung des Instanzenzuges voraus. Aus der Ausfertigung des Bescheides des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 2. März 1999 gehe eindeutig hervor, dass damit nur die Berufung der Erstbeschwerdeführerin erledigt worden sei. Dem Zweitbeschwerdeführer sei nur die Entscheidung über die Berufung der Erstbeschwerdeführerin zugestellt worden. Die vom Zweitbeschwerdeführer dagegen erhobene Vorstellung sei daher unzulässig.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens in Kopie vor und erstattete - ebenso wie die zweitmitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 61 Abs. 1 NÖ Gemeindeordnung 1973 kann, wer durch den Bescheid eines Gemeindeorganes in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Instanzenzuges innerhalb von zwei Wochen, von der Zustellung des Bescheides an gerechnet, dagegen eine mit einem begründeten Antrag versehene Vorstellung bei der Aufsichtsbehörde erheben.
Die Zulässigkeit einer Vorstellung setzt demnach die Erschöpfung des Instanzenzuges, d. h. in einem Baubewilligungsverfahren vor den Baubehörden der mitbeteiligten Stadtgemeinde gemäß § 2 Abs. 1 NÖ Bauordnung 1996 (BO) das Vorliegen eines Bescheides des Gemeinderates als Baubehörde zweiter Instanz, voraus.
Für das Zustandekommen eines Bescheides ist es erforderlich, dass er erlassen wird. Erst mit seiner Erlassung erlangt der Bescheid rechtliche Existenz (vgl. hiezu Walter-Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht, 7. Auflage, Seite 184, Rz 426, und die dort zitierte hg. Rechtsprechung). Mit der nach außen gerichteten Mitteilung wandelt sich der interne Akt der Willensbildung in den in die Bescheidform gekleideten Verwaltungsakt. Solange eine Mitteilung nach außen nicht erfolgt ist, können auch dann, wenn der Bescheidinhalt bereits durch den Beschluss einer Kollegialbehörde gegeben ist, die Bestimmungen des AVG über die Bescheide noch keine Anwendung finden. Es liegt vielmehr lediglich erst ein interner Akt der Willensbildung der betreffenden Behörde vor (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 26. April 1993, Zl. 91/10/0252, m.w.N.). Gemäß § 62 Abs. 1 AVG können Bescheide - sofern die Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmen - sowohl schriftlich als auch mündlich erlassen werden. Maßgebend für die Gesetzmäßigkeit eines Bescheides ist die Fassung, in der er der Partei zugestellt wurde (vgl. hiezu die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 13 zu § 62 AVG, Seite 1102, angeführte hg. Rechtsprechung).
Im Beschwerdefall haben die beiden Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 22. September 1997 getrennt Berufung erhoben. Der Gemeinderat der mitbeteiligten Stadtgemeinde hat in der Sitzung vom 18. Februar 1999 beide Berufungen als unzulässig zurückgewiesen. In der den beiden Beschwerdeführern zugestellten Ausfertigung wird ausdrücklich nur auf die Entscheidung des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde über die Berufung der Erstbeschwerdeführerin Bezug genommen. Vom Vorsitzenden des Gemeinderates (hier: Vizebürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde in Vertretung des Bürgermeisters) wurde mit der den Beschwerdeführern zugestellten Ausfertigung somit beurkundet, dass das zur Entscheidung berufene Kollegialorgan den der auszufertigenden Erledigung zugrundeliegenden Beschluss, nämlich die Zurückweisung der Berufung der Erstbeschwerdeführerin, getroffen hat (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 10 zu § 18 AVG, Seite 402, angeführte hg. Rechtsprechung). Die Ausfertigung stimmt also bezüglich der Erledigung der Berufung der Erstbeschwerdeführerin mit dem Gemeinderatsbeschluss überein, die vom Vizebürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde als Vorsitzender und Genehmigender im Sinne des § 18 Abs. 4 AVG in dieser Ausfertigung vorgenommene Beurkundung ist richtig (siehe hiezu Walter-Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht, 7. Auflage, Seiten 79f und 298, Rzlen 190 und 665). Mit der den Beschwerdeführern zugestellten Ausfertigung des Bescheides des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 2. März 1999 wurde daher nur die Berufung der Erstbeschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 22. September 1997 erledigt, eine Erledigung der Berufung des Zweitbeschwerdeführers wurde mit dieser Ausfertigung jedoch nicht beurkundet. Gegenüber dem Zweitbeschwerdeführer wurde daher der seine Berufung erledigende Berufungsbescheid mit der ihm zugestellten (Bescheid-)Ausfertigung vom 2. März 1999 nicht erlassen. Durch den die Berufung der Erstbeschwerdeführerin erledigenden Berufungsbescheid vom 2. März 1999 kann somit der Zweitbeschwerdeführer in seinen Rechten nicht verletzt sein. Seine Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid ist noch offen. (Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ist ersichtlich, dass diese Berufung offenkundig mit Bescheidausfertigung vom 13. Oktober 1999 erledigt worden ist.) Die Zurückweisung der Vorstellung des Zweitbeschwerdeführers gegen den Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 2. März 1999 durch die belangte Behörde (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides) als unzulässig erweist sich demnach im Ergebnis als richtig. Die in der Beschwerde vertretene Rechtsansicht, es stelle lediglich einen unbeachtlichen Formmangel dar, dass im angefochtenen Bescheid der Name des Zweitbeschwerdeführers beim Abspruch über die Erledigung der Berufung fehle, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu teilen, weil eine an eine Partei übermittelte Behördenerledigung, die - aus welchem Grund immer (z.B. Druckfehler, Versehen) - keinen entsprechenden Spruch enthält, kein Bescheid ist. Begründungselemente vermögen einen normativ verbindlichen Abspruch, wie er vermittels des Spruchs eines Bescheides zu treffen ist, nicht zu ersetzen. Im Beschwerdefall ist aber auch aus der Begründung des hier zu beurteilenden Berufungsbescheides in keiner Weise zu erkennen, dass damit auch die Berufung des Zweitbeschwerdeführers erledigt werden sollte.
Die Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers war daher aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 22. September 1997 wurde allein die nachträgliche Bewilligung für die Abänderung der Dachneigung der mit rechtskräftigen Bescheid der Baubehörde vom 3. Juli 1997 baubehördlich genehmigten Dachkonstruktion auf 35 Grad bewilligt. Wie es zur Baubewilligung vom 3. Juli 1997 gekommen ist, war nicht Gegenstand dieses Bescheides. Ob die zweitmitbeteiligte Partei das Bauvorhaben gemäß der Bewilligung vom 3. Juli 1997 ausgeführt hat, wurde mit der nachträglichen Baubewilligung vom 22. September 1997 nicht geklärt. Warum die nachträgliche Baubewilligung des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 22. September 1999 subjektiv-öffentliche Rechte der Erstbeschwerdeführerin verletzt, wird zwar nicht ausgeführt. Die Erstbeschwerdeführerin erachtet sich jedoch in ihrem Recht auf meritorische Erledigung ihrer Berufung gegen den nachträglichen Baubewilligungsbescheid verletzt.
Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen rechtswidrig:
Die Beschwerdeführer wurden zu der gemäß § 27 NÖ BauO 1996 (BO) abgeführten Verhandlung vom 29. August 1997 persönlich geladen. Als Verhandlungsgegenstand wurde angeführt, beim Ortsaugenschein auf der Liegenschaft der zweitmitbeteiligten Partei werde bei der "Bauführung (Dachkonstruktion)" die "Einhaltung der Bestimmungen der NÖ Bauordnung 1996" überprüft. Im Zuge dieser Verhandlung hat die mitbeteiligte Bauwerberin in Anwesenheit der Erstbeschwerdeführerin mündlich "um nachträgliche Bewilligung der Veränderung der Dachneigung auf 35 Grad" ersucht.
Am 1. Jänner 1999 ist zwar die Verwaltungsverfahrensnovelle 1998 in Kraft getreten, welche für anhängige Verfahren keine Übergangsbestimmungen enthält. Gemäß § 82 Abs. 7 AVG in der Fassung dieser Novelle treten alle in Vorschriften des Bundes und der Länder enthaltenen Bestimmungen, die u.a. von § 42 AVG 1998 abweichen, mit Ablauf des 31. Dezember 1998 außer Kraft. Dies gilt jedoch nicht, wenn diese Bestimmungen nach dem 30. Juni 1998 kundgemacht worden sind. Die BO in ihrer Stammfassung ist am 1. Jänner 1997 in Kraft getreten (§ 78 Abs. 1 BO), danach gab es bis zur Erlassung des Berufungsbescheides keine hier interessierende Kundmachung durch den niederösterreichischen Landesgesetzgeber.
Im hier zu beurteilenden Fall ist daher sachverhaltsmäßig davon auszugehen, dass im Zeitpunkt des Antrages der zweitmitbeteiligten Partei um nachträgliche Baubewilligung vom 29. August 1997 und Erlassung des erstinstanzlichen Baubewilligungsbescheides vom 22. September 1997 noch das AVG vor der Verwaltungsverfahrensnovelle 1998 in Geltung stand, im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides vom 2. März 1999 aber bereits das AVG in der Fassung dieser Novelle in Kraft war.
Die Rechtsmittelbehörde hat zwar im Allgemeinen das im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides geltende Recht anzuwenden (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis des verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Slg Nr. 9315/A). Eine andere Betrachtungsweise wird - von dem hier nicht in Betracht kommenden Fall, dass der Gesetzgeber in einer Übergangsbestimmung zum Ausdruck bringt, auf anhängige Verfahren sei noch das bisher geltende Gesetz anzuwenden, abgesehen - aber dann Platz zu greifen haben, wenn darüber abzusprechen ist, was an einem bestimmten Stichtag oder in einem konkreten Zeitraum rechtens war. Dann, wenn die Auslegung der Verwaltungsvorschriften ergibt, dass eine vor der Erlassung des Berufungsbescheides bestandene Rechtslage von Bedeutung ist, kommt es nicht auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides an (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis des verstärkten Senates vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11237/A).
Ob - in Ermangelung einer Übergangsbestimmung - eine stichtags- bzw. zeitraumbezogene Entscheidung zu erfolgen hat, muss aus der Bestimmung selbst ermittelt werden (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 1991, Slg. Nr. 13384/A).
Im Beschwerdefall geht es darum, ob die Erstbeschwerdeführerin mangels Erhebung rechtzeitiger Einwendungen gegen das mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 22. September 1997 bewilligte Bauvorhaben der zweitmitbeteiligten Bauwerberin präkludiert ist. Es kommt also auf die Abgabe einer Prozesserklärung in einer bestimmten Lage des Baubewilligungsverfahrens an. Um im Beschwerdefall die Wirkungen der Präklusion zu verhindern, hatte die Erstbeschwerdeführerin die für den Erwerb und Verlust ihrer Parteistellung im Baubewilligungsverfahren maßgeblichen materiell-rechtlichen und formellrechtlichen Bestimmungen zu beachten. Auf Grund der im Zeitpunkt der Bauverhandlung in Geltung gestandenen Niederösterreichischen Bauordnung 1996, LGBl. 8200-0, waren daher die darauf bezugnehmenden Regelungen über die Parteistellung der Nachbarn im Baubewilligungsverfahren gemäß § 6 Abs. 1 2. Satz leg. cit. maßgeblich. Für die Annahme einer Präklusion durch die Erstbeschwerdeführerin hatte demnach auch die Berufungsbehörde von der im Zeitpunkt der Bauverhandlung geltenden Rechtslage auszugehen.
Auch für nachträgliche Baubewilligungen gelten die Regelungen über das Bewilligungsverfahren (§§ 18 ff BO). Gemäß § 6 Abs. 1 Z. 3 leg. cit. können in einem Baubewilligungsverfahren u. a. die Eigentümer der Grundstücke, die mit dem Baugrundstück eine gemeinsame Grenze haben (Nachbarn), Parteistellung erlangen. Nachbarn werden nur dann Parteien, wenn sie durch das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechten berührt werden. Im Baubewilligungsverfahren werden sie gemäß § 6 Abs. 1 zweiter Satz BO in der im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides noch geltenden Fassung LGBl. 8200-0 nur dann Parteien, wenn sie diese Rechte spätestens in der Bauverhandlung geltend machen.
Die BO in der im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides noch geltenden Fassung LGBl. 8200-0 ordnete bezüglich der Bauverhandlung - soweit hier maßgeblich - an:
"§ 21 Bauverhandlung
(1) Führt die Vorprüfung (§ 20) zu keiner Abweisung des Antrages, hat die Baubehörde eine Bauverhandlung abzuhalten, in deren Verlauf ein Augenschein an Ort und Stelle vorzunehmen ist.
Wenn eine gewerbliche Betriebsanlage auch einer Genehmigung durch die Gewerbebehörde bedarf und der Bauwerber es beantragt, dann ist die Bauverhandlung zugleich mit der Verhandlung der Gewerbebehörde abzuhalten.
(2) Zur Bauverhandlung sind zu laden:
1. die Parteien und Nachbarn nach § 6 Abs. 1 Z. 1 bis 4,
...
(5) Sonstige Beteiligte sind von der Bauverhandlung durch eine Kundmachung an der Amtstafel der Gemeinde zu verständen.
(6) Weist ein Nachbar der Baubehörde nach, dass er ohne sein Verschulden daran gehindert war, die Parteistellung nach § 6 Abs. 1
2. Satz, spätestens in der Bauverhandlung geltend zu machen, darf er seine Einwendungen nach § 6 Abs. 2 gegen die Bauführung bis längstens 3 Monate nach dem angezeigten Baubeginn vorbringen. Solche Einwendungen sind binnen 2 Wochen nach Wegfall des Hindernisses bei der Baubehörde einzubringen. Nach diesem Zeitpunkt ist für Nachbarn die Erlangung der Parteistellung ausgeschlossen."
Aus dieser § 356 Abs. 3 Gewerbeordnung 1994 (GewO) nachgebildeten Regelung ergibt sich, dass ein Nachbar, der eine tatsächliche oder mögliche Beeinträchtigung seiner Rechte nicht rechtzeitig geltend macht, keine Parteistellung im Baubewilligungsverfahren erlangt. Daraus haben die Berufungs- und auch die belangte Behörde im Beschwerdefall geschlossen, dass die Erstbeschwerdeführerin mangels Einwendungen in der mündlichen Verhandlung vom 29. August 1997 im Verfahren über die mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 22. September 1997 erteilte nachträgliche Bewilligung für die Abänderung der Dachneigung keine Parteistellung erlangt hat und ihr deshalb auch kein Berufungsrecht zusteht.
Damit verkennen aber die vorgenannten Behörden, dass die Präklusionsregelung des § 6 Abs. 1 BO im Zusammenhang mit den Ladungs- und Kundmachungsvorschriften des § 21 leg. cit. und der §§ 41f AVG auszulegen ist. Im Hinblick auf die Erlassung des Berufungsbescheides vom 2. März 1999 hatte die Berufungsbehörde die BO in der Stammfassung, LGBl 8200-0, anzuwenden.
Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen ist daher im Beschwerdefall zu bedenken, dass - wie schon oben unter Hinweis auf § 21 BO angedeutet - der Eintritt der Präklusion im Sinne des § 6 Abs. 1 vorletzter Satz BO die persönliche Ladung der Nachbarn (§ 21 Abs. 2 Z. 1 BO) und die Kundmachung an der Amtstafel der Gemeinde (§ 21 Abs. 5 BO) voraussetzt. Da die BO für die Voraussetzungen der Ladung und Kundmachung keine vom AVG abweichende Regelung enthält, sind die entsprechenden Regelungen des § 19 Abs. 2 AVG und § 41 Abs. 2 AVG anzuwenden. Voraussetzung für den Eintritt der Rechtsfolgen des § 6 Abs. 1 2. Satz BO ist demnach, dass der Gegenstand der Verhandlung mit dem Gegenstand der Kundmachung (Ladung) übereinstimmt. Nur in diesem Fall tritt Präklusion im Sinne dieser Gesetzesstelle ein und nur in diesem Umfang erlangen die Nachbarn, die es unterließen, rechtzeitig Einwendungen zu erheben, keine Parteistellung, weil die Präklusion sich immer nur innerhalb der durch den angegebenen Gegenstand gezogenen Grenzen auswirken kann (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 15. April 1986, Zl. 85/04/0173, zur hier insoweit vergleichbaren Rechtslage des § 356 Abs. 3 GewO). Präklusion kann nur eintreten, soweit das verhandlungsgegenständliche Vorhaben dem Nachbarn bekannt ist (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1997, Zl. 94/05/0305). Diese Voraussetzung ist hinsichtlich der persönlich zu verständigenden Nachbarn nur gegeben, sofern diese auch tatsächlich fehlerfrei geladen wurden, hinsichtlich jener, die mittels Edikt zu verständigen waren, sofern die Kundmachung fehlerfrei erfolgte.
Dem steht auch § 21 Abs. 6 BO in der Fassung LGBl. 8200-0 nicht entgegen, weil Einwendungen nur erhoben werden können, wenn dem Nachbarn das Vorhaben bekannt sein musste. Dies ist jedenfalls dann auszuschließen, wenn keine das Vorhaben betreffende Kundmachung erfolgt ist.
Über den Gegenstand des die nachträgliche Baubewilligung vom 22. September 1997 bildenden Bauvorhabens erhielt die Erstbeschwerdeführerin weder eine Ladung, noch erfolgte eine Kundmachung. Die Erstbeschwerdeführerin konnte sohin im Anwendungsbereich der Präklusionsregelungen der BO nicht präkludiert sein. Die Zurückweisung ihrer Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 22. September 1997 mangels Parteistellung erfolgte daher zu Unrecht.
Der angefochtene Bescheid war daher auf Grund der Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 26. April 2000
Schlagworte
Bauverfahren (siehe auch Behörden Vorstellung Nachbarrecht Diverses) Parteien BauRallg11/1 Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der RechtswirkungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999050239.X00Im RIS seit
03.05.2001