Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer, sowie die fachkundigen Laienrichter Ing. Christian Stangl-Brachnik, MA BA (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr. Gerhard Rößler Rechtsanwalt KG in Zwettl, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Dezember 2017, GZ 10 Rs 50/17x-29, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der am 12. 4. 1967 geborene Kläger hat den Beruf des Malers und Anstreichers erlernt. Er beantragte am 1. 12. 2015 die Zuerkennung einer Invaliditätspension. In dem um die Zeiten des Bezugs einer Invaliditätspension (1. 8. 2004 bis 31. 12. 2011) bis zum 1. 7. 1993 verlängerten Rahmenzeitraum des § 255 Abs 2 ASVG erwarb der Kläger 83 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach dem ASVG aufgrund einer Erwerbstätigkeit als Maler und Anstreicher.
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab 1. 12. 2015 (zusammengefasst) ab, weil der Kläger seinen Berufsschutz gemäß § 255 Abs 2 ASVG nicht erhalten habe und Invalidität gemäß § 255 Abs 3 ASVG nicht vorliege.
In seiner außerordentlichen Revision macht der Kläger geltend, dass er als Maler und Anstreicher immer wieder von saisonalen Unterbrechungen seiner Arbeitstätigkeit betroffen gewesen sei. Der Rahmenzeitraum des § 255 Abs 2 ASVG sei um diese saisonal bedingten Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs bis zum 1. 5. 1992 zurück auszudehnen; in diesem Rahmenzeitraum habe er 92 Beitragsmonate der Pflichtversicherung im erlernten Beruf gearbeitet und genieße daher Berufsschutz. Die starre Regelung des § 255 Abs 2 ASVG benachteilige Saisonarbeitskräfte gegenüber ganzjährig beschäftigten Arbeitnehmern, weil es für Saisonarbeitskräfte schwieriger sei, die erforderliche Zahl an Beitragsmonaten im erlernten Beruf zu erreichen. Die Regelung sei daher gleichheitswidrig; sie berücksichtige – anders als § 255 Abs 4 ASVG – diese Nachteile für Saisonarbeitskräfte nicht, ohne dass dafür eine sachliche Rechtfertigung gegeben wäre. Da die saisonal bedingte Arbeitslosigkeit – anders als die Langzeitarbeitslosigkeit – dazu diene, den Arbeitsplatz der betroffenen Arbeitskräfte zu erhalten, liege ein wertungsmäßig mit den Zeiten des Bezugs einer Invaliditätspension gleichzuhaltender Fall vor, der eine Erstreckung des Rahmenzeitraums des § 255 Abs 2 ASVG auch im Wege der Analogie rechtfertige.
Rechtliche Beurteilung
Damit zeigt der Revisionswerber keine erhebliche Rechtsfrage auf:
1. Liegen – wie hier unstrittig – zwischen dem Ende der Ausbildung (§ 255 Abs 2a ASVG) und dem Stichtag mehr als 15 Jahre, so verlängert sich der in § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG genannte Rahmenzeitraum von 90 Pflichtversicherungsmonaten einer Erwerbstätigkeit gemäß § 255 Abs 2 Satz 4 ASVG um Versicherungsmonate nach § 8 Abs 1 Z 2 lit a, d, e und g ASVG, um Monate des Bezugs von Übergangsgeld nach § 306 ASVG sowie um höchstens 60 Monate des Bezugs von Rehabilitationsgeld nach § 143a ASVG und von Umschulungsgeld nach § 39b AlVG. Die Rahmenfristerstreckung steht im Zusammenhang damit, dass in diesen speziellen Zeiten der qualifizierte Beruf nicht ausgeübt werden konnte, aber die dafür maßgebenden Gründe (Kindererziehung, Wochengeldbezug, Präsenz- oder Zivildienstleistung) vom Gesetzgeber als schützenswert angesehen werden (10 ObS 45/17s; 10 ObS 143/15z, SSV-NF 30/27).
2. Für die Frage der Erhaltung des Berufsschutzes hat der Oberste Gerichtshof das Vorliegen einer planwidrigen Gesetzeslücke in § 255 Abs 2 ASVG bejaht, die im Hinblick auf das Gebot der verfassungskonformen Interpretation im Weg der analogen Anwendung des § 255 Abs 4 Z 1 ASVG zu schließen ist: demnach wird der Rahmenzeitraum des § 255 Abs 2 ASVG auch um (neutrale) Zeiten des Bezugs einer Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit (§ 234 Abs 1 Z 2 lit a ASVG) verlängert (10 ObS 12/14h, SSV-NF 28/13). Grund dafür war die Vermeidung der Benachteiligung behinderter Menschen (Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG), die durch den Bezug einer befristeten Pension nicht in Gefahr laufen sollen, einen bestehenden Berufsschutz zu verlieren. Der Versicherte ist nämlich in der Zeit des Bezugs einer Invaliditätspension (Berufsunfähigkeitspension) arbeitsunfähig und kann daher in dieser Zeit keiner sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen.
3.1 Eine solche eine Analogie ermöglichende planwidrige Lücke des § 255 Abs 2 Satz 4 ASVG ist jedoch, worauf die Vorinstanzen hingewiesen haben, für Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht zu bejahen (10 ObS 8/15x, SSV-NF 29/10). Dies gilt entgegen der Rechtsansicht des Revisionswerbers nicht nur für Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit, denn generell muss der Versicherte während des Bezugs von Arbeitslosengeld (und Notstandshilfe) grundsätzlich arbeitsfähig sein, was der Revisionswerber auch zugesteht. Es liegt nicht dem Konzept des Gesetzgebers des ASVG zugrunde, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit den gesetzlichen Rahmenzeitraum verlängern und damit den Zugang zur Invaliditätspension erleichtern sollen (10 ObS 8/15x). Arbeitslosigkeit – auch bei saisonaler Beschäftigung – fällt in den Risikobereich der Arbeitslosenversicherung, kann aber keinen Leistungsanspruch in der Pensionsversicherung begründen (vgl RIS-Justiz RS0085056).
3.2 Dass es daher auch verfassungsrechtlich nicht bedenklich ist, wenn eine (längere) Arbeitslosigkeit den Rahmenzeitraum des § 255 Abs 2 ASVG nicht erstreckt, hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 10 ObS 8/15x dargelegt (ebenso Födermayr/Resch in SV-Komm [197. Lfg] § 255 Rz 114 aE; zur Verfassungskonformität dieser Bestimmung vgl auch 10 ObS 144/14w mwH).
4.1 Auch aus § 255 Abs 4 ASVG lassen sich die vom Revisionswerber gegen § 255 Abs 2 ASVG geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht begründen. Motiv des Gesetzgebers des BBG 2011, BGBl I 2010/111, war es, gemäß § 255 Abs 2 ASVG nur noch eine längere tatsächliche Ausübung des qualifizierten Berufs zu schützen (10 ObS 86/16v; 10 ObS 63/14h, SSV-NF 28/48; ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 205). § 255 Abs 4 ASVG wurde mit dem SVÄG 2000, BGBl I 2000/43, geschaffen. Es entspricht bereits der älteren Rechtsprechung zu § 255 Abs 4 ASVG, der ebenfalls auf die tatsächliche Ausübung einer Tätigkeit abstellt, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit während der Wintermonate – insbesondere auch bei Saisonarbeitskräften – nicht als Zeiten der Ausübung der unselbständigen Erwerbstätigkeit gewertet werden können (10 ObS 156/03v, SSV-NF 17/74; RIS-Justiz RS0117787).
4.2 Der Revisionswerber weist selbst darauf hin, dass im Zug der Neuregelung des § 255 Abs 4 ASVG mit dem SVÄG 2000, BGBl I 2000/43, das ursprünglich beabsichtigte Erfordernis einer Ausübung einer Tätigkeit über 144 Kalendermonate (= 12 Jahre) im Rahmenzeitraum der letzten 180 Kalendermonate (= 15 Jahre) vor dem Stichtag auf 120 Kalendermonate (= 10 Jahre) verringert wurde, um Saisonarbeitskräfte vom neuen Berufsschutz nicht von vornherein auszuschließen (10 ObS 156/03v mH auf Rudda, Neuer Berufsschutz in der Pensionsversicherung, SozSi 2000, 852 [854 f]). Dass der Gesetzgeber bei der Schaffung dieser Bestimmung auf die besondere Stellung von Saisonarbeitskräfte geachtet hat ergibt sich auch daraus, dass die von § 255 Abs 4 ASVG geforderte 10-jährige Tätigkeit nicht – ohne Unterbrechungen – in aufeinander folgenden Kalendermonaten ausgeübt werden muss (RIS-Justiz RS0117787). Andernfalls könnte diese Bestimmung für Saisonarbeitskräfte oder bei vorübergehender Arbeitslosigkeit nie zum Tragen kommen (Rudda, SozSi 2000, 858).
4.3 Der Gesetzgeber geht in § 255 Abs 4 ASVG daher selbst davon aus, dass auch eine (sogar ältere) Saisonarbeitskraft in der Lage ist, Tätigkeitsschutz nach dieser Bestimmung durch die Ausübung einer insgesamt zehnjährigen Arbeitstätigkeit in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag zu erwerben. Mit der Einführung des § 255 Abs 2 ASVG mit dem BBG 2011 wurde auch § 255 Abs 4 ASVG geändert und die Erlangung des Tätigkeitsschutzes erleichtert (ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 206; vgl dazu ebenfalls 10 ObS 12/14h), ohne allerdings die Zahl von 120 Kalendermonaten zu kürzen. Demgegenüber verlangt § 255 Abs 2 ASVG für die Erhaltung des Berufsschutzes innerhalb desselben Rahmenzeitraums von 15 Jahren vor dem Stichtag (lediglich) eine Erwerbstätigkeit im erlernten (angelernten) Beruf oder als Angestellte/r im Ausmaß von gesamt 90 Pflichtversicherungsmonaten (= 7,5 Jahre), sodass sich die behauptete unsachliche Schlechterstellung von Saisonarbeitskräften in § 255 Abs 2 ASVG auch nicht aus dem Bezug auf § 255 Abs 4 ASVG ergibt.
5. Vor diesem Hintergrund liegen weder die behauptete primäre noch sekundäre Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der in § 502 Abs 2 ZPO geforderten Qualifikation war die außerordentliche Revision daher zurückzuweisen.
Textnummer
E120916European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00014.18H.0220.000Im RIS seit
19.03.2018Zuletzt aktualisiert am
22.06.2020