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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Breunlich, über die Beschwerde des H in U, vertreten durch DDr. Elisabeth Steiner und Dr. Daniela Witt-Döring, Rechtsanwälte in Wien I, Nibelungengasse 1/3/46, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 9. November 1999, Zl. Senat-WU-98-229, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 9. Februar 1999 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er habe am 23. November 1997 um 22.00 Uhr im Gemeindegebiet von P. auf der A 1 an einer näher bezeichneten Stelle als Fahrzeuglenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeuges bei einem Verkehrsunfall Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs (Randleitschiene) beschädigt und habe es unterlassen, die nächste Gendarmeriedienststelle oder den Straßenerhalter von der Beschädigung ohne unnötigen Aufschub zu verständigen.
Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 31 Abs. 1 in Verbindung mit § 99 Abs. 2 lit. e Straßenverkehrsordnung 1960 begangen, weshalb über ihn eine Geldstrafe von S 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 2 Tage) zu verhängen gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 31 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung 1960 dürfen Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs (insbesondere Verkehrsampeln, Signalscheiben, Straßenverkehrszeichen, Verkehrsleiteinrichtungen, Sockel für Verkehrsposten, Verkehrstürme, Schutzinseln, Sperrketten, Geländer, Begrenzungspfeiler, Randsteine, radableitende Randbegrenzungen, Straßenbeleuchtungseinrichtungen, Schneegatter, Verkehrsspiegel und das allenfalls mit solchen Einrichtungen verbundene Rückstrahlmaterial) nicht beschädigt oder unbefugt angebracht, entfernt, verdeckt oder in ihrer Lage oder Bedeutung verändert werden.
Gemäß § 99 Abs. 2 lit. e Straßenverkehrsordnung 1960 begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 500 S bis 30.000 S, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von 24 Stunden bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs unbefugt anbringt, entfernt, verdeckt oder in ihrer Lage oder Bedeutung verändert oder solche Einrichtungen beschädigt, es sei denn, die Beschädigung ist bei einem Verkehrsunfall entstanden und die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle oder der Straßenerhalter ist von der Beschädigung unter Bekanntgabe der Identität des Beschädigers ohne unnötigen Aufschub verständigt worden.
Im Gegensatz zu § 4 Abs. 5 Straßenverkehrsordnung 1960 (Verständigungspflicht nach Verkehrsunfällen) ist es bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 99 Abs. 2 lit. e leg. cit. - wie sich auch aus den Materialien zu dieser Gesetzesstelle (479 der Beilagen XII. GP) ergibt - nicht erforderlich dass der Beschädiger selbst oder sein Bote die Verständigung der in dieser Gesetzesstelle angeführten Stellen vornimmt; vielmehr steht aus Gründen der Verkehrssicherheit die Raschheit der Verständigung, die auch durch am Geschehen Unbeteiligte und ohne die Initiative des Beschädigers erfolgen kann, im Vordergrund.
Die belangte Behörde ging in der Begründung des angefochtenen Bescheides davon aus, dass auf Grund der Zeugenaussage des Meldungslegers RI H. erwiesen sei, dass der Beschwerdeführer weder an der Unfallstelle noch in der nahe gelegenen Raststation anzutreffen gewesen sei. Weder der Meldungsleger noch einer seiner Kollegen seien über den Verkehrsunfall verständigt worden. Vielmehr sei die Verständigung der Gendarmerie durch einen unbekannten Fahrzeuglenker erfolgt. Von der Einvernahme einer vom Beschwerdeführer namhaft gemachten, zum Unfallszeitpunkt beim ÖAMTC Dienst versehenden Zeugin, welcher der Beschwerdeführer telefonisch den Unfall gemeldet, und die zugesagt habe, den Straßenerhalter zu verständigen, habe abgesehen werden können, weil durch die Aussage des meldungslegenden Gendarmeriebeamten erwiesen sei, dass weder die Gendarmerie noch der Straßenerhalter vom Beschwerdeführer verständigt worden seien. Den Umstand, dass die Bedienstete des ÖAMTC als Botin seinen Auftrag nicht erfüllt habe, müsse sich der Beschwerdeführer zurechnen lassen.
Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten hat der Meldungsleger am 30. Mai 1998 vor der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten ausgesagt, weder er noch einer seiner Kollegen seien über den Verkehrsunfall verständigt worden. Er habe davon durch den Journaldienstbeamten der Verkehrsabteilung Niederösterreich Kenntnis erlangt. Nach Auffassung des Meldungslegers wäre, da infolge Abwesenheit des Beschwerdeführers vom Unfallsort ein Identitätsaustausch mit dem Geschädigten nicht möglich gewesen sei, der Beschwerdeführer als Verursacher des Verkehrsunfalles, bei dem "Fremdschaden zum Nachteil der Autobahnmeisterei P. entstanden" sei, verpflichtet gewesen, den Geschädigten (Straßenmeisterei P.) oder die nächste Gendarmeriedienststelle zu verständigen. Eine Aussage etwa in der Richtung, dass eine Verständigung des Straßenerhalters unterblieben sei, kann dem Protokoll über diese Einvernahme nicht entnommen werden.
Der Beschwerdeführer hat bereits in seiner der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung gegenüber abgegebenen Sachverhaltsdarstellung vom 20. Februar 1998 ausgeführt, er habe unverzüglich per "Handy" den ÖAMTC verständigt. Die dort Diensthabende habe ihm mitgeteilt, dass das Fahrzeug innerhalb der nächsten Stunde abgeholt und die zuständige Straßenmeisterei durch sie verständigt werden würde. In der Berufung gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis hat er den Namen und die Anschrift dieser Bediensteten bekannt gegeben und gerügt, dass weder ein informierter Vertreter des ÖAMTC noch ein Vertreter der Straßenmeisterei zur Klärung der Frage, ob der angeführte Schaden gemeldet worden sei, einvernommen worden seien. Tatsächlich sei "meines Wissens" die Meldung an die Straßenmeisterei unter Bekanntgabe der Identität des Beschwerdeführers auch erfolgt.
Nach ständiger hg. Rechtsprechung müssen die Verwaltungsstrafbehörden im Rahmen ihrer Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung darum bemüht sein, auch ohne einen entsprechenden Antrag des Beschuldigten, alle sich ihnen noch bietenden Erkenntnisquellen sorgfältig auszuschöpfen und insbesondere diejenigen Beweise zu erheben, die sich nach den Umständen des jeweiligen Falles anbieten oder als sachdienlich erweisen könnten (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, S 299 zitierte Judikatur). Auch darf die Behörde einen angebotenen Beweis wie z.B. Zeugen nur dann von vornherein ablehnen, wenn die angebotenen Beweismittel an sich nicht geeignet sind, über den Gegenstand einen Beweis zu liefern. Eine antizipative Beweiswürdigung ist gesetzlich nicht gedeckt (vgl. die in Hauer-Leukauf, aaO, S 302f zitierte Judikatur).
Die belangte Behörde hat von keiner der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Stellen eine Erklärung eingeholt. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde wären aber zur Klärung der Tatbildmäßigkeit des dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Verhaltens solche Ermittlungen erforderlich gewesen, um Feststellungen darüber treffen zu können, ob überhaupt bzw. zu welchem Zeitpunkt (unter Angabe der Identität des Beschädigers) eine Verständigung des Straßenerhalters von dem Unfall mit Beschädigung der Randleitschiene erfolgt ist. Dass dies auszuschließen sei, kann dem Protokoll über die Einvernahme des meldungslegenden Gendarmeriebeamten nicht entnommen werden.
Die belangte Behörde ist somit auf ein nicht von vornherein als untauglich zu erkennendes Beweisanbot des Beschwerdeführers nicht eingegangen und hat den angefochtenen Bescheid ohne Anhörung der namhaft gemachten Zeugin insbesondere aber auch, ohne Ermittlungen beim geschädigten Straßenerhalter durchzuführen, erlassen. Daraus folgt, dass der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.
Der angefochtene Bescheid musste daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 27. April 2000
Schlagworte
MeldepflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999020373.X00Im RIS seit
12.06.2001