TE Vfgh Erkenntnis 2018/2/27 E2927/2017

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Veröffentlicht am 27.02.2018
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags auf subsidiären Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung betreffend einen der turkmenischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Religionsgemeinschaft zugehörigen irakischen Staatsangehörigen mangels hinreichender Auseinandersetzung mit der Frage seiner Sicherheit nach der Rückkehr in den Irak; teils Ablehnung der Beschwerdebehandlung

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt und Beschwerde

1.       Der Beschwerdeführer ist ein am 30. Jänner 1995 geborener irakischer Staatsangehöriger, der turkmenischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Religionsgemeinschaft zugehörig. Er lebte bis zu seiner Ausreise in die Türkei am 16. Juni 2014 in Tal Afar, wo er zwischen 2001 und 2007 die Schule besuchte und anschließend als LKW-Fahrer und Elektriker arbeitete.

Der Beschwerdeführer stellte am 31. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab während der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Fluchtgrund an, dass der Islamische Staat (IS) in seine Heimatstadt gekommen sei. Auf dem Weg vom Einkaufen nach Hause sei er an einem Checkpoint von schiitischen Milizen angehalten worden. Diese hätten ihn aus seinem Auto aussteigen lassen, ihm die Augen verbunden und ihn zu einem Flughafen gebracht. Dort hätten sie ihm gesagt, dass er mit ihnen gegen den IS kämpfen müsse. Wenn er es nicht tue, würde er sterben. Als er gesagt habe, dass er nicht mit ihnen kämpfen werde, hätten sie ihn mit einer Waffe auf den Kopf geschlagen. Nachdem ihn eine Person geschlagen habe, hätte er im Funk gehört, dass sie Richtung Stadttor gehen sollten. Sie hätten ihn dann zurückgelassen und das Tor geschlossen. Eines der Fahrzeuge sei zurückgekommen und habe ihn wieder zum Checkpoint zurückgebracht, wo sie ihm sagten, dass er gehen solle, sie jedoch wieder kommen und ihn finden würden. Zu Hause angekommen habe er seinen Eltern vom Vorfall berichtet, worauf sie ihre Sachen gepackt und in die Türkei geflüchtet seien.

2.       Mit Bescheid vom 18. Mai 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG, erließ gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG, stellte gemäß §52 Abs9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak gemäß §46 FPG fest (Spruchpunkt III.) und setzte gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

3.       Die gegen alle Spruchpunkte erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 17. Juli 2017 als unbegründet abgewiesen.

3.1.    Zur Lage im Herkunftsstaat traf das Bundesverwaltungsgericht u.a. folgende Feststellungen:

"6. IDPs und Flüchtlinge / Bewegungsfreiheit

Der Irak ist seit über einem Jahrzehnt Schauplatz enormer Vertreibungswellen. Innerhalb der letzten beiden Jahre hat sich dies auf Grund der Verschlechterung der Sicherheitslage im Zentral- und Südirak noch einmal massiv verschärft (RI 2.11.2015). Seit Januar 2014 sind geschätzte 3,2 Millionen Menschen zu Internvertriebenen (IDPs) geworden (Stand 1. Jänner 2016). Über 10 Millionen Menschen sind derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen (UNOCHA 4.1.2016). Außerdem befinden sich im Irak rund 245.000 syrische Flüchtlinge (WFP 15.12.2015).

Die Kämpfe zwischen den Regierungstruppen und dem IS führten dazu, dass fast 3,2 Mio. Menschen aus den Provinzen Anbar, Niniveh und Salah al-Din ihre Heimat verließen und in anderen Teilen des Landes Schutz suchten. Viele flohen in die Region Kurdistan oder in andere Provinzen. Einige der Binnenvertriebenen wurden mehr als einmal vertrieben. Im Mai 2015 flohen etwa 500.000 Menschen aus der Provinz Anbar, nachdem der IS die Provinzhauptstadt Ramadi eingenommen hatte. Vielen von ihnen wurde eine Aufnahme in Bagdad von den Behörden verwehrt. Die humanitären Bedingungen für die Binnenvertriebenen waren nach wie vor hart; in vielen Fällen hatten sie keinen Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen. Einige Vertriebene sollen in der kurdischen Stadt Sulaimaniyah von der dortigen Bevölkerung tätlich angegriffen und verletzt worden sein. Andere, die in die Region Kurdistan geflohen waren, wurden inhaftiert, weil man sie verdächtigte, mit dem IS in Verbindung zu stehen.

IOM dokumentierte für den Zeitraum 1.Jänner 2014 bis 3.Dezember 2015 3.195.390 internvertriebene Iraker (532.565 Familien). In den Provinzen Bagdad und Anbar befinden sich mit jeweils 18 Prozent die größten Anteile dieser IDPs, in Dahuk 13 Prozent, Kirkuk 12, Erbil 10, Ninewa 7 und in Suleimaniya 5 Prozent. Bis Dezember 2015 seien Berichten zufolge 458.358 Personen zu ihrem Herkunftsort zurückgekehrt (IOM 18.12.2015). Die folgende Grafik zeigt die Herkunftsregionen der IDPs in Prozent:

(Quelle: IOM 3.2016)

Die Hauptstadt Bagdad (ca. 570.000) und in geringerem Maße der schiitisch geprägte Südirak (ca. 200.000) haben zahlreiche Binnenvertriebene aus umkämpften Gebieten aufgenommen. Aus Furcht vor der Infiltration von Terroristen kam es jedoch zeitweise zur Schließung von Provinzgrenzen. So wurde z.B. im Mai 2015 Flüchtlingen, besonders jungen Männern, aus Anbar der Zugang nach Bagdad verwehrt (AA 18.2.2016). Es gab Berichte, dass IDPs aufgrund ihrer Identität oder Herkunft der Zugang zu sicheren Gebieten versperrt wurde, wodurch sie potentieller Gefahr ausgesetzt wurden. In zahlreichen Gebieten waren IDPs Einschränkungen der Bewegungsfreiheit ausgesetzt, die gegen internationale Standards verstoßen. Der für diese Einschränkungen angegebene Grund ist zumeist die Furcht vor militanten Gruppen, die in Checkpoints eindringen oder Schläferzellen aufbauen könnten. Seit Jänner 2015, als der IS in Anbar erstmals aktiv wurde, wurden Berichte von Menschen, die an Checkpoints festgehalten wurden und daran gehindert wurden, bestimmte Provinzen des Irak zu betreten, immer häufiger. Es gibt regelmäßige Berichte von Zugangssperren in von der irakischen Regierung kontrollierte Gebiete, sowie auch in unter der Kontrolle der Autonomieregion Kurdistan stehende Gebiete. Laut OCHA sind zahlreiche Checkpoints für IDPs geschlossen, zuletzt v.a. im Süden von Sulaymaniyah und in der Provinz Kirkuk. Im Süden verhindern die Zugangsbeschränkungen das Vorankommen von sunnitischen IDPs in die vorwiegend schiitischen Provinzen. Das betrifft viele Familien aus Anbar, die z.B. nach Bagdad, Karbala und Basra wollen. Generell gibt es starke Einschränkungen der Bewegungsfreiheit aufgrund von konfessionellen Spannungen, insbesondere in Bagdad und Salah al-Din, und dies beeinträchtigt die Möglichkeit der Menschen, Zugang zu Versorgungsleistungen und Unterstützung zu finden (IRIN 19.5.2015).

Laut UK Home Office hängen die beobachteten Zugangsbeschränkungen meist mit bestimmten Kriterien zusammen, wie der Zusammensetzung der Familie, dem religiösen und ethnischen Hintergrund, dem Herkunftsort, dem Alter, in der betreffenden Provinz und dem Mangel an Aufnahmekapazitäten (Home Office 11.2015, bzgl. des Kriteriums Alter: UNAMI 13.7.2015). Männern, die älter sind als 18 Jahre, ist beispielsweise die Einreise in die Provinz Qadisiya verwehrt worden, während die Provinzen Najaf und Wassit im Berichtszeitraum Dezember 2014 – April 2015 gar keinen neuen IDPs Einlass gewährten (UNAMI 13.7.2015). Die Provinz Babil (Anm.: auch Babylon) hat ab Mai 2015 ebenfalls keine IDPs mehr eingelassen (IOM 11.2015). Die Kriterien, die an solchen Zugangs-Checkpoints gelten, müssen nicht unbedingt klar definiert sein oder können sich plötzlich ändern. Eine häufig angewandte Beschränkung der Bewegungsfreiheit ist das sogenannte „Sponsorensystem“. Personen, die in eine Provinz einreisen wollen, müssen einen Sponsor (eine Referenzperson, die im Zielgebiet lebt) vorweisen (Home Office 11.2015). Ein solches Sponsorensystem wird z.B. angewendet auf IDPs aus Anbar, die nach Bagdad flüchten wollen, sowie für viele IDPs, die in die kurdische Autonomieregion flüchten wollen (Home Office 11.2015) [Anm.: Für die Kurdenregion hat es diesbezüglich Änderungen gegeben, s. dazu Abschnitt 11.1.]. Im November 2015 berichtete auch IOM, dass die Bewegungsmöglichkeiten der Flüchtlinge nun noch mehr eingeschränkt seien, da die meisten Provinzen ein neues Gesetz angenommen hätten, das Binnenvertriebene dazu verpflichte, bei der Ankunft einen lokalen Bürgen vorzuweisen (IOM 11.2015).

Selbst wenn der Zugang gewährt wird, kann es für IDPs zusätzliche Anforderungen geben, um sich bei den lokalen Behörden zu registrieren (Home Office 11.2015). Der UNHCR berichtete bereits im Oktober 2014, dass speziell im Süden des Irak Binnenvertriebene von Provinz zu Provinz reisen, um Behörden zu finden, die sie registrieren, damit sie Zugang zu Leistungen wie z.B. Grundversorgung, Bildung und Bargeldversorgung erhalten. Darüber hinaus wird berichtet, dass die Fortbewegungsfreiheit der IDPs zusätzlich durch Unsicherheit (auch auf Grund konfessioneller Spannungen) und laufende militärische Operationen eingeschränkt ist. Der Großteil der Verbindungswege wird von bewaffneten Gruppen kontrolliert (UNHCR 10.2014). Zum Teil werden IDP-Familien nur dann durch einen Checkpoint gelassen, wenn sich die erwachsenen Männer bereit erklären den paramilitärischen Einheiten der Volksmobilisierung (PMU) beizutreten (UNAMI 13.7.2015).

Die Ankunft von IDPs in einem bestimmten Gebiet verschärft immer auch die Spannungen zwischen den ethno-religiösen Gruppen (Home Office 11.2015).

In den Gebieten, die die Kurden vom IS zurückerkämpft haben, insbesondere in den von den Kurden neu besetzten Gebieten werden arabische IDPs von kurdischen Sicherheits-/Streitkräften zu tausenden in sogenannten Sicherheitszonen festgehalten. Sie werden davon abgehalten, in ihre Wohngebiete zurückzukehren, während die kurdischen IDPs zurückkehren dürfen. Teilweise werden auch gezielt Häuser von Arabern zerstört, damit diese nicht zurückkehren. Außerdem kommt es vor, dass Araber von KRI-Streitkräften ohne Anklage für längere Zeit inhaftiert werden (HRW 25.2.2015).

Auch für die Stadt Kirkuk und Umgebung liegen Berichte vor, denen zufolge Sunniten von Kurden aus ihren Gebieten vertrieben werden (Deutschlandfunk 15.7.2015).

Die IDPs leben in gemieteten Unterkünften, unfertigen Gebäuden, Notunterkünften, oft ohne adäquate Ernährung, Wasserversorgung oder medizinische Versorgung. Von den 3,2 Millionen IDPs befinden sich in etwa 2,3 Millionen im Zentral- und Südirak (RI 2.11.2015). Das World Food Programme setzte sich das Ziel, 2,2 Millionen Vertriebene und vom Konflikt betroffene Personen im Irak mit einer monatlichen Essensration zu versorgen. Auf Grund der Zugangsbeschränkungen musste das Word Food Programme seine Hilfsleistungen zurückstufen und versorgt nun lediglich 1,5 Millionen Menschen jeden Monat (WFP 1.12.2015). Das World Food Programme war auf Grund von Unterfinanzierung dazu gezwungen, die Essensrationen um bis zu 50 Prozent zu verringern, was dazu führt, dass viele Familien, die bisher versorgt waren, nun ebenfalls unter Nahrungsmittel-Unsicherheiten leiden (UN News Service 27.11.2015).

In den nicht-kurdischen Gebieten erreicht die humanitäre Hilfe die Menschen weitaus seltener als in der kurdischen Autonomieregion teilweise, weil es an Information mangelt, welche Güter/Leistungen benötigt werden und wie diese dorthin transportiert werden sollen, und teilweise, weil gewaltsame Konflikte es den humanitären Organisationen praktisch unmöglich machen, in diesen Gegenden zu operieren (RI 2.11.2015).

Neben dem IS sind auch die Preisfluktuationen und die reduzierte Wasserversorgung dafür verantwortlich, dass die Nahrungsmittelproduktion im Irak lahm gelegt ist, was die Lage der 2,4 Millionen Iraker, die an unsicherer Nahrungsmittelzufuhr leiden, verschärft (UN News Service 27.11.2015).

Ein UN-Beobachter hat bereits im Mai 2015 die irakischen Behörden für ihr Versagen, den fast 3 Millionen IDPs im Irak adäquate Unterstützung und Schutz zu bieten, massiv kritisiert (IRIN 19.5.2015).

Beispiele für die Rückkehr von Flüchtlingen, die vor dem Terror des IS geflohen waren, gibt es auch. So sind seit der Rückeroberung von Tikrit im vergangenen März durch schiitische Freiwilligenmilizen und die irakische Armee zwei Drittel der einst 200.000 – überwiegend sunnitischen – Einwohner in die Stadt zurückgekehrt (FAZ15.11.2015)."

3.2.    Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Fluchtgründe unglaubhaft sei. Unabhängig davon sei dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beizupflichten, dass versuchte Rekrutierungen durch Private niemals ausgeschlossen werden könnten, weil im Herkunftsstaat seit Mitte des Jahres 2014 Konfliktherde bestehen würden. Allgemeine Unglücksfolgen, die aus einer Bürgerkriegssituation resultieren, würden keinen asylrelevanten Sachverhalt begründen. Der Beschwerdeführer vermochte deshalb nicht, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen. Ebenso wenig könne im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat eine anderweitige individuelle Gefährdung festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende Todesstrafe, unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak, weshalb die Voraussetzungen für die Gewährung des subsidiären Schutzes nicht vorlägen.

4.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Begründend wird darin im Wesentlichen ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung unterlassen habe, obwohl der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde nicht ausreichend geklärt gewesen sei. Die unterlassene Verhandlung stelle deshalb eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach Art47 Abs2 GRC dar.

5.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses jedoch ausdrücklich Abstand genommen.

II.      Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1.       Für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht regelt §21 Abs7 BFA-VG den Entfall der mündlichen Verhandlung. Das Absehen von einer mündlichen Verhandlung steht – sofern bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde – jedenfalls in jenen Fällen im Einklang mit Art47 Abs2 GRC, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist (vgl. VfSlg 19.632/2012). Gegen das Unterbleiben der mündlichen Verhandlung bestehen vor dem Hintergrund des gegenständlichen Verfahrens keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

2.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1.    Das Bundesverwaltungsgericht trifft Feststellungen, die den Akten bzw. der Beweiswürdigung widersprechen. So wird festgestellt, dass die Eltern, zwei Onkel und die Großmutter des Beschwerdeführers weiterhin im Irak aufhältig seien. In der Beweiswürdigung wird hingegen ausgeführt, dass die Eltern, zwei Brüder und zwei Schwestern in der Türkei lebten, was sich mit den Vernehmungsprotokollen deckt. In den vorgelegten Akten konnte kein Hinweis auf zwei Onkel oder eine Großmutter gefunden werden.

3.2.    Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner Entscheidung davon aus, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat den Beschwerdeführer nicht in seinen Rechten nach Art2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzten würde.

Diese Annahme steht jedoch im Widerspruch zu den im Erkenntnis wiedergegebenen Länderfeststellungen: Diesen zufolge gebe es starke Einschränkungen der Bewegungsfreiheit auf Grund von konfessionellen Spannungen, insbesondere in Bagdad und Salah al-Din und dies beeinträchtige die Möglichkeit der Menschen, Zugang zu Versorgungsleistungen und Unterstützung zu finden. Im Süden würden Zugangsbeschränkungen das Vorankommen von sunnitischen Binnenvertriebenen (IDPs) in die vorwiegend schiitischen Provinzen verhindern. Zudem sei in den meisten Provinzen ein neues Gesetz angenommen worden, das IDPs dazu verpflichte, bei der Ankunft einen lokalen Bürgen vorzuweisen. Die IDPs würden in gemieteten Unterkünften, unfertigen Gebäuden, Notunterkünften, oft ohne adäquate Ernährung, Wasserversorgung oder medizinische Versorgung leben.

Unter Berücksichtigung dieser Feststellungen sind die Ausführungen, wonach es dem Beschwerdeführer zumutbar wäre, das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige durch eigene und notfalls wenig attraktive und seiner Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite, zB Verwandte, sonstige ihn schon bei der Ausreise unterstützende Personen, Hilfsorganisationen, religiös-karitativ tätige Organisationen zu erlangen, nicht zutreffend.

Das Bundesverwaltungsgericht trifft nämlich zum einen keine Feststellungen, ob Verwandte oder andere Personen bestehen, die den Beschwerdeführer im Irak unterstützen könnten bzw. als Bürgen zur Verfügung stehen würden, um ihm den Aufenthalt in einer sicheren Provinz zu ermöglichen. Zum anderen kann sich der Beschwerdeführer gemäß den Länderfeststellungen – entgegen den Ausführungen im Erkenntnis – nicht auf eine Unterstützung durch Hilfsorganisationen oder religiös-karitativ tätige Organisationen verlassen. Nach den Länderfeststellungen erreicht humanitäre Hilfe die Menschen in nicht-kurdischen Gebieten weitaus seltener als in der kurdischen Autonomieregion – teilweise, weil es an Information mangelt, welche Güter/Leistungen benötigt werden und wie diese dorthin transportiert werden sollen, und teilweise, weil gewaltsame Konflikte es den humanitären Organisationen praktisch unmöglich machen, in diesen Gegenden zu operieren. Insbesondere wird den Länderberichten zufolge gerade sunnitischen Flüchtlingen der Zugang zu solchen sichereren Gebieten verwehrt.

4.       Das Bundesverwaltungsgericht belastet seine Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, daher insofern mit Willkür, als es sich nicht in ausreichendem Maße mit der Sicherheit des Beschwerdeführers nach der Rückkehr in den Irak auseinandersetzt.

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2.       Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Im Übrigen wird von einer Behandlung der Beschwerde abgesehen.

4.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, Entscheidung Trennbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E2927.2017

Zuletzt aktualisiert am

15.03.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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