TE Vwgh Erkenntnis 2018/2/22 Ra 2017/18/0426

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Veröffentlicht am 22.02.2018
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision des S E M in W, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. August 2017, Zl. W220 2010259- 1/24E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 18. Februar 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er zusammengefasst an, dass er in Afghanistan als Fahrer tätig gewesen sei und im Zuge seiner Tätigkeit zwei Fahrgäste, Mitglieder einer einflussreichen Familie, von den Taliban entführt und getötet worden seien. Der Revisionswerber sei von der Familie der Opfer zu Unrecht beschuldigt worden, die Fahrgäste an die Taliban ausgeliefert zu haben, weshalb diese Familie veranlasst habe, dass die Polizei zu ihm nach Hause gekommen sei, um ihn abzuholen. Aus Angst um sein Leben habe er Afghanistan verlassen müssen.

2 Mit Bescheid vom 7. Juli 2014 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.).

3 Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass es dem Revisionswerber nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen, und sich auch keine Anhaltspunkte für Umstände ergeben hätten, aufgrund derer ihm subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen wäre.

4 Das BVwG hat über die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers am 29. Juni 2017 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Im Zuge dieser Verhandlung brachte der Revisionswerber erstmals vor, dass er zum Christentum übergetreten sei, und beantragte zum Beweis für seine Abkehr vom Islam unter Hinwendung zum Christentum die Einvernahme des ihn betreuenden Pastors.

5 Mit Stellungnahme des Revisionswerbers vom 7. August 2017 wurde ein Schreiben des als Zeugen beantragten Pastors vom 10. Juli 2017 vorgelegt, dem zu entnehmen ist, dass der Revisionswerber die Veranstaltungen der Gemeinde des Pastors besuche, Interesse für das Christentum zeige und seinen Wunsch getauft zu werden geäußert habe. Sein Taufunterricht dauere bis Ende des Jahres und er werde nach dessen Abschluss getauft werden. Der Tauftermin sei noch nicht festgelegt worden. Natürlich sollten die Bibelkenntnisse des Revisionswerbers noch vertieft werden, damit er den christlichen Glauben besser verstehe und danach lebe. Der Revisionswerber bemühe sich in diese Richtung.

6 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 11. August 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde des Revisionswerbers gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 52, 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), abgesehen von einer Aufhebung des Bescheids, soweit damit über die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 abgesprochen wurde, als unbegründet ab (Spruchpunkt A) und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).

7 Auch das BVwG verneinte die Glaubhaftmachung einer asylrelevanten Verfolgung und das Vorliegen von Umständen, aufgrund derer dem Revisionswerber subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen wäre. Hinsichtlich der behaupteten Konversion führte es aus, dass dem Revisionswerber nicht abgesprochen werde, sich seit einigen Monaten für den christlichen Glauben zu interessieren, sich Wissen über diesen Glauben angeeignet zu haben und den Gottesdienst und Veranstaltungen der Iranischen Christlichen Gemeinde in Wien seither regelmäßig zu besuchen. Da diese äußere Handlungsweise und sein zumindest grundlegendes Wissen über Eckpunkte des christlichen Glaubens ohnehin nicht in Abrede gestellt würden, seien diesbezüglich keine weiteren Beweise mehr aufzunehmen gewesen, sodass insbesondere die beantragte Einvernahme des Pastors als Zeugen unterbleiben habe können. Da sich der Pastor im vorgelegten Schreiben schriftlich geäußert habe, sei die Abhaltung einer weiteren Verhandlung nicht nötig gewesen.

8 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit im Wesentlichen geltend gemacht wird, dass das BVwG den beantragten Zeugen, der den Revisionswerber in seiner Gemeinde als Geistlicher betreue, hätte einvernehmen müssen. Die herangezogene schriftliche Stellungnahme vom 10. Juli 2017 entspreche nicht dem Unmittelbarkeitsgrundsatz. Außerdem habe sich das BVwG nicht in ausreichendem Umfang mit der Echtheit und Richtigkeit des vom Revisionswerber vorgelegten Arztschreibens und Festnahmeauftrags auseinandergesetzt.

9 Das BFA nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11 Die Revision ist zulässig und begründet.

12 Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 2.9.2015, Ra 2015/19/0091-0092, mwN).

13 Beweisanträgen ist grundsätzlich zu entsprechen, wenn die Aufnahme des darin begehrten Beweises im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint; dementsprechend dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen (vgl. VwGH 23.6.2017, Ra 2016/08/0141, mwN).

14 Solange einem Zeugenbeweis die grundsätzliche Eignung, zur Feststellung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen, nicht abgesprochen werden kann, wäre in einer Feststellung der belangten Behörde, der Zeuge hätte ohnedies nichts Wesentliches beitragen können, eine unzulässige vorwegnehmende Beweiswürdigung gelegen (vgl. VwGH 24.7.2017, Ro 2014/08/0043, mwN).

15 Im vorliegenden Fall hat das BVwG dem Beweisantrag des Revisionswerbers auf Einvernahme des Pastors zum Beweis für seine Abwendung vom Islam unter Hinwendung zum Christentum mit der Begründung nicht entsprochen, dass der Besuch von Gottesdiensten durch den Revisionswerber und dessen zumindest grundlegend vorhandenes Glaubenswissen ohnehin nicht in Abrede gestellt würden und sich der genannte Pastor bereits mit einem Schreiben schriftlich geäußert habe, weshalb die Abhaltung einer weiteren Verhandlung nicht nötig gewesen sei.

16 Dabei übersieht das BVwG, dass die Einvernahme des Pastors nicht nur über die in seinem Schreiben dargelegten Punkte, sondern auch über die innere Glaubensüberzeugung des Revisionswerbers Aufschluss hätte geben können und sich auch der Beweisantrag nicht auf die im Schreiben dargelegten Punkte beschränkte.

17 Aufgrund des persönlichen Kontakts eines Pastors mit seinen Gemeindemitgliedern und seiner entsprechenden Ausbildung und Erfahrung konnte der Aussage des beantragten Zeugen die prinzipielle Eignung zur Feststellung des maßgebenden Sachverhalt beizutragen, nicht grundsätzlich abgesprochen werden und erweist sich daher die Annahme des BVwG, dass dieser über die ohnehin nicht in Abrede gestellten Gottesdienstbesuche und das vorhandene Glaubenswissen hinaus keine Auskünfte über die Ernsthaftigkeit der Hinwendung des Revisionswerbers zum Christentum geben könnte, als verfehlt. Mit dieser Vorgangsweise nimmt das BVwG ein von ihm vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorweg, was sich nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als rechtswidrig erweist (vgl. dazu auch bereits VwGH 23.6.2015, Ra 2014/01/0117).

18 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus den obigen Erwägungen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

19 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. Februar 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017180426.L00

Im RIS seit

14.03.2018

Zuletzt aktualisiert am

27.03.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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