TE Vwgh Beschluss 2018/2/22 Ra 2017/18/0366

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Veröffentlicht am 22.02.2018
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §11;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision des F K M in S, vertreten durch Dr. Mario Züger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilergasse 16, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. August 2017, Zl. W255 2150783- 1/12E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 19. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte zusammengefasst vor, aus der Provinz Kapisa, Distrikt Tagab, zu stammen und dort aufgewachsen zu sein. Sein Bruder sei in der afghanischen Nationalarmee tätig gewesen. Wenige Tage vor der Flucht des Revisionswerbers aus Afghanistan seien Taliban in das Haus seiner Familien gekommen und hätten den Bruder mitgenommen (in weiterer Folge sei er, wie der Revisionswerber später gehört habe, von den Taliban ermordet worden). Den Revisionswerber hätten die Taliban aufgefordert, sich ihnen anzuschließen, anderenfalls würde er getötet werden. Der Revisionswerber habe daraufhin die Flucht ergriffen.

2 Mit Bescheid vom 3. März 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß

3 § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen fest.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

5 Begründend schenkte das BVwG dem Vorbringen des Revisionswerbers in Bezug auf die Ermordung seines Bruders (wegen dessen Tätigkeit für die afghanische Nationalarmee) Glauben. Auch erachtete es als glaubhaft, dass die Taliban den Revisionswerber unter Todesdrohung aufgefordert hatten, sich ihnen anzuschließen. Im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsdistrikt Tagab, Provinz Kapisa, drohe dem Revisionswerber deshalb Verfolgung durch die Taliban. Es könne aber nicht festgestellt werden, dass der Revisionswerber (auch) in der Stadt Kabul von den Taliban verfolgt würde. Dieser Ort stehe ihm daher als innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Eine Rückkehr dorthin sei ihm - aus näher dargestellten Gründen - auch zumutbar.

6 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit geltend gemacht wird, dem angefochtenen Erkenntnis liege eine aktenwidrige Annahme zugrunde: Das BVwG gehe nämlich davon aus, dass der Revisionswerber in der Stadt Kabul von den Taliban nicht verfolgt werde und begründe diese Negativfeststellung damit, dass der Revisionswerber seine Gefährdung auf seinen Heimatdistrikt beschränkt und nie behauptet habe, von den Taliban in anderen Provinzen Afghanistans bedroht, gesucht oder gefunden zu werden. Der Revisionswerber habe aber in seiner Beschwerde vorgebracht, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Betracht komme, weil die Taliban ihn in ganz Afghanistan verfolgen würden. Er habe weiters geltend gemacht, dass die Taliban eine Person, die in ihr Blickfeld geraten sei, in ganz Afghanistan ausfindig machen könnten. Diese Einschätzung finde auch Deckung in den UNHCR-Richtlinien zur Feststellungen des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016. Da sich das BVwG mit dem Vorbringen des Revisionswerbers, in ganz Afghanistan von den Taliban verfolgt zu werden, und den Aussagen der zitierten UNHCR-Richtlinien nicht auseinander gesetzt habe, sei seine auf einer aktenwidrigen Annahme beruhende Beweiswürdigung in einem tragenden Punkt unschlüssig und daher revisibel.

7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

8 Im vorliegenden Fall führte das BVwG aus, der Revisionswerber habe in der mündlichen Verhandlung vom 25. August 2017 ausgesagt, keine Zuflucht in der afghanischen Hauptstadt Kabul gesucht zu haben, weil er sich dort das Leben nicht habe leisten können (eine Annahme, die das BVwG aus näher dargestellten Gründen nicht teile). Eine Verfolgungsgefahr durch die Taliban habe er - nach seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung - hingegen nur für den Heimatdistrikt Tagab angenommen. Die von der Revision kritisierte Schlussfolgerung des BVwG, der Revisionswerber selbst habe seine Gefährdung auf den Heimatdistrikt "beschränkt", bezieht sich daher offenkundig auf dessen Aussage in der mündlichen Verhandlung und ist als solche - wie eine Überprüfung der Verwaltungsakten bestätigt - nicht aktenwidrig.

9 Im Übrigen trifft es zwar zu, dass der UNHCR in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 darauf hinweist, dass (etwa) die Taliban über die operativen Kapazitäten verfügen, Angriffe in allen Teilen des Landes auszuführen (S. 95). Davon zu trennen ist aber die Frage, ob es - prognostisch - wahrscheinlich ist, dass sie gerade den Revisionswerber in der afghanischen Hauptstadt Kabul suchen und verfolgen würden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Taliban nach dem - der angefochtenen Entscheidung insoweit zugrunde gelegten - Vorbringen des Revisionswerbers den Bruder des Revisionswerbers entführt und ermordet haben, weil er für die afghanische Nationalarmee tätig war. In Bezug auf den Revisionswerber beschränkte sich das Interesse der Taliban hingegen auf die bloße Aufforderung, sich ihnen anzuschließen, bestärkt durch die Drohung, ihn sonst zu töten. Seither sei die Familie des Revisionswerbers, die sich größtenteils noch in der Heimatprovinz aufhalte und zu der der Revisionswerber auch regelmäßig Kontakt habe, nicht mehr von den Taliban heimgesucht worden. Bei dieser Sachlage kann die Einschätzung des BVwG, die Taliban würden den Revisionswerber bei Ansiedlung in der afghanischen Hauptstadt Kabul nicht suchen und verfolgen, nicht als fehlerhaft erkannt werden.

10 Insgesamt begegnet somit die Annahme des BVwG, der Revisionswerber finde in Kabul - aus näher dargestellten einzelfallbezogenen Gründen - eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG 2005 vor, keinen Bedenken (vgl. dazu allgemein etwa auch VwGH vom 23.1.2018, Ra 2018/18/0001).

11 Die Revision war daher wegen Nichtvorliegens einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zurückzuweisen.

Wien, am 22. Februar 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017180366.L00

Im RIS seit

14.03.2018

Zuletzt aktualisiert am

27.03.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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