TE Bvwg Erkenntnis 2018/3/2 W200 2123657-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.03.2018
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Entscheidungsdatum

02.03.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W200 2123657-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SCHERZ als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA: Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.03.2016, Zahl: 1096834402-151879542, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.09.2017, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die beschwerdeführende Partei führt nach eigenen Angaben den im Spruch genannten Namen, ist Staatsangehörige Afghanistans, gehört der tadschikischen Volksgruppe an und ist sunnitischen Glaubens, reiste im November 2015 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 26.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am selben Tag nannte der Beschwerdeführer als Fluchtgrund, dass er aufgrund einer Feindschaft seine Heimat verlassen hätte müssen. Er hätte eine KFZ-Werkstätte betrieben und sei von einem unzufriedenen Kunden mit dem Umbringen bedroht worden. Aus Angst um sein Leben sei er geflohen.

Am 23.02.2016 erfolgte eine Einvernahme beim BFA, in der er angab, aus Kabul zu stammen und immer dort gewohnt zu haben. Er hätte sieben Jahre die Grundschule besucht und sei von Beruf KFZ-Mechaniker. Früher sei er als KFZ-Gehilfe tätig gewesen, während der letzten drei Jahre hätte er ein eigenes KFZ-Geschäft geführt, wo er Autos repariert hätte. Dieses hätte er bis zwei Tage vor seiner Ausreise noch betrieben.

Das Geschäft befinde sich im Stadtteil XXXX , es sei ca. 5x6 m groß gewesen und er hätte drei Gehilfen beschäftigt gehabt. Sie hätten mit Wagenhebern gearbeitet, Hebebühne hätte es keine gegeben. Sonst hätten sie alle notwendigen Werkzeuge besessen. Das Geschäftslokal sei gemietet gewesen und auch sein Vater hätte eine derartige Werkstatt betrieben. Der Familie sei es finanziell gut gegangen.

Befragt, ob an dem Tag, an dem er von seiner Werkstatt aus zu seinem Cousin väterlicherseits gegangen sei, von wo er am Folgetag aus Afghanistan ausgereist sei, die Probleme in Afghanistan begonnen hätten, oder ob sie schon vorher begonnen hätten, antwortete er, dass genau an diesem Tag die Probleme begonnen hätten. Davor hätte er nie Probleme gehabt. Die Werkstatt betreibe jetzt sein Vater, mit seiner Familie hätte er jedoch keinen Kontakt mehr. Er hätte Angst, dass sie durch eine Kontaktaufnahme Probleme bekommen würden.

Nach dem Beginn der Probleme befragt - ob in der Werkstatt, Zuhause oder anderswo in Kabul, antwortete er, dass diese in der Werkstatt begonnen hätten und dass er von dort gleich zu seinem Cousin väterlicherseits gegangen sei und von dort weg aus Afghanistan.

In Afghanistan würden noch seine Eltern, ein Bruder, fünf Schwestern und Onkeln und Tanten mütterlicherseits und väterlicherseits leben. Die Frage, ob er mit niemandem von dieser großen Verwandtschaft Kontakt aufgenommen hätte, verneinte er. Streitigkeiten hätte es in der Familie keine gegeben. Auch sonst hätte er keine Probleme mit den Behörden oder dem Gesetz in Afghanistan, aber der Mann, der ihn töten wolle, hätte Beziehungen zur Regierung. Seine Brüder arbeiten für die Regierung.

Er hätte an diesem Tag die Werkstatt um 08:00 Uhr geöffnet und um 09:00 Uhr hätte der Mann sein Auto zur Reparatur zu ihm ins Geschäft gebracht. Er wollte das Auto nachher wieder abholen. Er hätte das Auto in diesem Zeitraum repariert und eine Rechnung von 16.000,-- Afghani ausgestellt. Die Reparaturen hätte er auch auf der Rechnung aufgelistet. Als der Mann zurückgekommen sei und er ihm die Rechnung gegeben hätte, hätte dieser nicht geglaubt, dass er alles repariert hätte und hätte gesagt, dass er ihm zeigen solle, was er alles gemacht hätte. Dann habe er das Auto mit dem Wagenheber angehoben und gesagt, er solle dort nichts anfassen, aber er hätte gesagt, dass er die anderen Sachen aufschreiben solle und hätte dann einen Reifen abgeschraubt. Dabei hätte der Wagenheber nachgegeben und das Auto sei auf seinen Fuß gefallen und er hätte sich den Fuß gebrochen. Sein Vater und andere Mechaniker seien zu Hilfe gekommen und hätten das Auto angehoben. Er selbst sei weggegangen. Er sei dann zu seinem besagten Cousin nach Hause gegangen. Sein Vater und sein Bruder seien dann zur Polizeidienststelle gebracht worden und die Polizei hätte nach ihm selbst gefragt. Sowohl sein Vater als auch er hätten eine Werkstatt geführt und die Geschäfte seien gut gelaufen. Sie hätten viele Kunden gehabt und gut verdient. Darum seien die anderen Mechaniker sehr neidisch auf sie gewesen und nach dem Vorfall hätten sie gemeint, dass er den Wagenheber absichtlich falsch hingestellt hätte. Deshalb seien sein Vater und sein Bruder zur Polizei gebracht worden. Sein Cousin hätte dann dafür gesorgt, dass sein Bruder und sein Vater freigekommen seien. Aus Angst, dass der Verletzte ihm etwas antue, sei er am Tag darauf ausgereist. Dessen Brüder arbeiten für die Regierung.

Aufgefordert, den Namen dieses Mannes zu nennen, antwortete er " XXXX ". Den Familiennamen wisse er nicht.

Befragt, woher er wisse, dass dieser XXXX , dessen Familienname er nicht einmal kenne, Brüder bei der Regierung hätte, antwortete er, dass sein Cousin bei der Polizei gewesen sei, um seinen Vater und seinen Bruder freizubekommen. Die Brüder von XXXX seien dort gewesen und hätten gemeint, dass sie Rache für die Verletzung des Bruders nehmen werden. Sein Cousin hätte ihm gesagt, dass XXXX Brüder für die Regierung arbeiten würden. Mehr wisse er nicht.

Befragt, ob es richtig sei, dass er einzig wegen dieses einen Vorfalls und dem, was ihm der Cousin erzählt hätte, gleich Afghanistan fluchtartig verlassen hätte, antwortete er, Ja. Sonst hätte er kein Problem. Sie wollten ihn töten, hätte ihm sein Cousin gesagt. Sie wollten den Konflikt nicht anders lösen. Dies hätten die Brüder vor seinem Vater und seinem Bruder bei der Polizei gesagt.

Darauf hingewiesen, dass es unwahrscheinlich sei, dass man bei der Polizei jemandes Leben bedrohe und die Polizei einfach so zuhöre, antwortete er, dass dies aber so gewesen sei. Die Brüder seien ja bei der Regierung. Er wisse aber nicht, was sie dort machen würden.

Auf die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens hingewiesen, antwortete er, dass es gut sei, das Land zu verlassen, wenn man mit dem Tod bedroht werde.

Er hätte alle Gründe gesagt, hinzukomme die schlechte Sicherheitslage.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.03.2016 wurde der Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberichtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen und dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei sowie ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen gewährt.

Nach Wiedergabe der Einvernahmeprotokolle stellte das BFA die afghanische Herkunft, Abstammung aus Kabul, Volksgruppenzugehörigkeit und den moslemischen Glauben, die siebenjährige Grundschulbildung, die strafrechtliche Unbescholtenheit und geistige und körperliche Gesundheit ebenso fest, wie, dass der Beschwerdeführer ledig und kinderlos sei und in Afghanistan nach wie vor Eltern und Verwandte leben würden. Es wurde ausgeführt, dass die vorgebrachte Verfolgung nicht glaubhaft sei. Andere Gründe für das Verlassen Afghanistan hätten nicht festgestellt werden können. Er verfüge über eine siebenjährige Schulbildung und jahrelangen Berufserfahrung.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wiederholte er sein Vorbringen und führte er aus, dass der Kunde offensichtlich davon ausgegangen sei, dass der Beschwerdeführer ihn absichtlich verletzt hätte. Später sei der Beschwerdeführer auch im Elternhaus von Verwandten des XXXX gesucht worden. Der Vater des Beschwerdeführers hätte gesagt, dass der Beschwerdeführer nicht Zuhause sei, dass er aber um eine Aussprache mit XXXX ersuche und der Vater und der Bruder des Beschwerdeführers hätten sich mit ihm und dessen Verwandten getroffen und der Vater hätte sie zu überzeugen versucht, dass es sich um einen Unfall und keine absichtliche Körperverletzung gehandelt hätte. Er hätte alles tun wollen, um eine Versöhnung zu erreichen. Er hätte gemeint, dass er nicht viel Geld habe, aber er werde bezahlen, was er könne, um XXXX zufriedenzustellen. Da der Beschwerdeführer um sein Leben bzw. seine körperliche Unversehrtheit gefürchtet hätte, hätte er Afghanistan verlassen. Der Beschwerdeführer hätte aus dem Verhalten von XXXX und seinen Brüdern erkannt, dass es sich um einflussreiche Personen handle. XXXX hätte in seinem Auto eine Pistole bei sich geführt, die Brüder des XXXX hätten offen gesagt, dass sie sich für die Verletzung des Bruders rächen würden und für die Verwandten des Beschwerdeführers sei erkennbar gewesen, dass die Brüder des XXXX für die Regierung arbeiten würden. Dieser Versöhnungsversuch sei dezidiert abgelehnt worden und für den Beschwerdeführer sei nicht der Name des Kunden bzw. welche Position dessen Brüder innehätten entscheidend, sondern dies sei ausreichend, dass er um sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit fürchte und dass er keinen effektiven staatlichen Schutz in Afghanistan erwarten könne.

Im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung des BVwG am 21.09.2017 wiederholte der Beschwerdeführer, Tadschike, Sunnite und aus Kabul stammend zu sein. Er hätte immer in Kabul gelebt, sieben Jahre die Schule besucht. Sein Wissen über die Mechanikertätigkeit hätte er als Lehrling erworben. Durch die Arbeit als Mechaniker hätte er seinen Lebensunterhalt finanziert.

Zum Ausreisegrund gestaltete sich die Verhandlungsschrift wie folgt:

"BF: Wir hatten zwei Werkstätten, diese lagen nebeneinander. Wir haben dort gearbeitet. Wir hatten offen von 08:00 Uhr, solange wir Arbeit hatten, ca. bis 18:00 Uhr. An einem Tag, gegen ca. 09:00 Uhr kam einer mit einem Auto und brachte es zur Reparatur. Er gab mir den Auftrag und sagte: "Reparieren Sie alles, ich komme nach ein paar Stunden." Wir haben die kaputten Teile des Autos gewechselt, die Panne haben wir behoben und wir stellten auch eine Rechnung mit der Liste, wo aufgelistet war, was alles repariert wurde. Ich habe ihm diese Rechnung gegeben und auch die kaputten Teile des Autos gegeben. Nachdem er sich die Rechnung angeschaut hat, sagte er, warum die Kosten so hoch sind, ich würde lügen. Ich fuhr mit dem Auto zur Montagegrube und machte die Teile wieder auf und zeigte ihm damit, dass ich diese Teile des Autos für ihn repariert habe. Wir hatten eine Montagegrube und einen Wagenheber.

VR: Weiter.

BF: Zuerst habe ich ihm mit einem Wagenheber den reparierten Teil des Autos gezeigt. Er hat mir immer noch nicht geglaubt, ich bat ihn zu warten, damit ich eine ältere Person, meinen Vater dazu hole, in der Hoffnung, dass mein Vater ihn überzeugen könne. Bevor mein Vater dazu gekommen ist, stürzte das Auto auf seinen rechten Fuß. Dann hatte er laut geschrien, und sagte: "Der Junge hat das Auto auf mich geschoben und versuchte mich umzubringen."

VR: Sie sagen das heute zum ersten Mal, dass er das geschrien hat.

BF: Habe ich das das erste Mal gesagt?

VR: Im Akt ist es nicht vermerkt.

BF: Nun, er hat geschrien, dass sein Fuß unter den Auto gequetscht ist und ich hätte versucht ihn umzubringen. Die Nachbarn von den umliegenden Geschäften und mein Vater kamen ihm zu Hilfe. Sie befreiten seinen Fuß und ich war sehr ängstlich, blass. Mein Vater und die Geschäftsnachbarn brachten den Mann ins Spital. Mein Vater hat mir gesagt, dass ich das Geschäft zusperren soll und nach Hause gehen. Ich bin aber zu meinem Cousin väterlicherseits, XXXX , gegangen. Vom Spital haben mein Vater und die Geschäftsnachbarn den Bruder des verletzten Mannes angerufen. Danach kamen die Brüder des Verletzten. Der Verletzte erzählte seinen Brüdern, dass ich versucht hätte ihn umzubringen. Mein Vater hat XXXX angerufen. Mein Vater und mein Bruder waren in Gewahrsam der Polizei. Mein Vater hatte XXXX angerufen und ihn gebeten zur Polizei zu gehen. Nachdem Telefonat mit meinem Vater ging XXXX zur Polizei und bürgte für meinen Vater und meinen Bruder. Somit wurden sie von der Polizei entlassen. Der Bruder des Verletzten namens XXXX sagte zu meinem Vater im Polizeigebäude: "Wir werden deinen Sohn töten.".

VF: Wieso wurden die beiden zur Polizei gebracht?

BF: Die Brüder von XXXX haben die Polizei angerufen und erzählten der Polizei, dass ich versucht hätte, den Verletzten umzubringen. Mein Bruder und mein Vater wurden im Spital von der Polizei verhaftet.

VR: Welche Person war dafür verantwortlich, dass Ihr Vater und Ihr Bruder festgenommen wurden?

BF: Die Geschäftsnachbarn waren auch nicht gut zu uns, weil sie mit uns konkurriert haben. Sie haben auch ebenfalls dem XXXX erzählt, dass ich versucht habe, ihn umzubringen. Die haben gelogen, weil sie keine gute Beziehung zu uns hatten.

VR: Sie haben gesagt, dass die Brüder des Verletzten für die Regierung arbeiten? Welche Funktion haben die Brüder des Verletzten?

BF: Sie waren in Parwan Region bei der Polizei tätig. Aber welche Positionen sie hatten, kann ich Ihnen nicht sagen. Wenn sie kamen, trugen sie Waffen.

VR: Das Tragen von Waffen ist nicht unüblich.

BF: Wenn sie kamen trugen sie Uniformen. Mein Vater konnte herausfinden, dass sie in der Parwan Regierung bei der Polizei tätig sind.

VR: Waren beide Brüder im Polizeigebäude anwesend?

BF: Ja, sie waren dort. Sie waren jedoch im Gelände des Polizeigebäudes, was mir mein Vater erzählt hat. Mein Cousin und Bruder waren auch dort.

VR: Es wäre von den beiden Brüdern des Verletzten aber ziemlich unklug vor der Polizei auszusagen, dass sie Ihnen etwas antun wollen. Das ist völlig unplausibel.

BF: Man kann sich nicht von der afghanischen Polizei Schutz erwarten.

VR: Es ist aber intensiver, jemanden direkt vor der Polizei mit dem "Umbringen" zu bedrohen.

BF: Das war nicht vor hochrangigen Offizieren, sondern diese Bedrohungen haben vor den normalen Polizisten stattgefunden. Von dort ist mein Vater zusammen mit meinem Bruder nach Hause gegangen und mein Vater schickte mir eine Nachricht durch XXXX . Ich sollte nicht nach Hause kommen. Mein Vater ist am folgenden Tag zu den Brüdern des Verletzten gegangen. Er wollte das Problem schlichten und die Brüder des Verletzten sagten zu meinem Vater bei dem Versuch der Schlichtung "Wir werden deinen Sohn nicht in Ruhe lassen. Wir werden ihn umbringen. Solltest du noch einmal auftauchen, werden wir dich auch umbringen." Mein Vater wollte, dass die Personen mich in Ruhe lassen und Frieden abschließen.

VR: Beim BFA haben sie gesagt auf die Frage: "Warum wurde nicht einfach versucht, den Konflikt anders zu lösen? Etwa durch eine Schmerzensgeldzahlung, per gerichtlicher Schritte, mit der Hilfe von Weißbärtigen?" Worauf sie aber sagten:" Sie wollten das nicht. Sie sagten, sie wollen mich töten."

BF: Das ist korrekt.

VR: Warum haben Sie selbst nicht den Schlichtungsversuch erwähnt, sondern nur diese Frage beantwortet. Sie haben nicht von sich aus gesagt, dass es einen Schlichtungsversuch gegeben hat.

BF: Ich habe auf die Frage gewartet. Hätte mir man die Frage nicht gestellt, hätte ich nichts gesagt.

VR: Wie hat sich der Schlichtungsversuch gestaltet?

BF: Mein Vater ging zu ihnen und bat sie um eine Lösung und bat ihnen auch den Frieden an, dass sie ihr Einverständnis abgeben. Das Ziel meines Vaters war, dass sie mich, uns in Ruhe lassen. Damit wir wieder ins normale Leben zurückfinden. Sie akzeptierten das nicht und sagten zu meinem Vater, dass er nie wieder kommen solle, ansonsten werden wir dich töten.

VR: Mit wem und wo hat Ihr Vater sich getroffen?

BF: Mit dem ältesten Bruder. Mein Vater dachte sich dabei, dass der älteste Bruder der vernünftigste sei, vielleicht kann er eine Lösung erzielen.

VR: In der Beschwerde steht, dass Ihr Vater sich mit dem XXXX und dessen Verwandten getroffen hat.

BF: Das stimmt, der Bruder von XXXX ist ein Verwandter von ihm.

VR wiederholt die Frage.

BF: Mein Vater hatte sich mit mehreren Verwandten und auch mit dem Bruder des Verletzten getroffen und bat sie um eine Lösung. Er bot ihnen Geld und wenn sie einverstanden sind, mein Vater wäre bereit für alle Lösungen.

VR: Wann sind Sie ausgereist? Wie viele Tage nach dem Vorfall?

BF: Zwei Tagen nach diesem Vorfall.

VR: Ist im Zuge des Schlichtungsversuches Ihrem Vater etwas passiert?

BF: Sie haben ihn bedroht, sollte er noch einmal hier erscheinen. Sie würden ihn umbringen.

VR: Ist irgendjemanden von Ihrer Familie etwas passiert?

BF: Ja, meiner Familie ist einiges nach meiner Ausreise passiert. Einmal wurde mein Bruder von drei bis vier Personen aufgehalten und geschlagen. Sie fragten ihn, wo ich sei. Mein Bruder sagte ihnen, dass er es nicht weiß und ich sei nicht da.

VR: Wieso sollte der Kunde den Eindruck haben, dass Sie ihn absichtlich verletzt haben?

BF: Ich ging, um meinen Vater zu holen und er wollte weiter das Auto inspizieren und zufälligerweise ist das Auto auf seinen Fuß gefallen. Ich bin selber auch verwundert, warum er mir die Schuld gibt und mich beschuldigt. Wenn er nicht zahlen wollte, wäre das auch kein Problem gewesen.

VR: Wie heißt die Familie des Verletzten?

BF: Er heißt XXXX , seinen Familiennamen weiß ich nicht. Er war nur einmal bei uns im Geschäft. In Afghanistan weiß man den Familiennamen des anderen nicht.

VR: Man hat Ihnen bereits beim BFA und auch in der Bescheidbegründung vorgehalten, dass Sie den Namen nicht wissen. Sie waren nicht in der Lage ihn bis heute herauszufinden?

BF: Nein, ich habe den Nachnamen nicht herausgefunden.

VR: Sind Sie gesund?

BF: Ja.

VR: Haben Sie noch Verwandte in Afghanistan? Wo leben die Verwandten?

BF: Ja. Mein Vater und meine Familie leben zurzeit im Iran. Seit ca. acht bis neun Monaten. Sie leben dort, weil diese Personen meine Familie schikaniert haben. Ich habe fünf Schwestern. Sie wurden am Schulweg schikaniert und mein Vater erstattete eine Anzeige (liegt im Akt). In dieser Anzeige steht, ....

VR: Ich werde es übersetzten lassen.

VR: Warum haben Sie bis jetzt noch nicht bekannt gegeben, dass Ihre Familie im Iran ist?

BF: Ja, ich habe auf meine Verhandlung gewartet.

VR: Was ist mit dem Geschäft passiert?

BF: Mein Vater hatte das Haus und das Geschäft verkauft. Diese Personen kamen immer wieder.

VR: Können Sie mir bitte die Adressen Ihrer Werkstatt und die Ihres Vaters nennen?

D, BFV und BF schreiben die Adressen sowohl auf Dari als auch transkribiert auf. Beilage A1 und A2

VR: Stehen Sie mit Ihrer Familie in Kontakt?

BF: Ja.

VR: Haben Sie Verwandte in Österreich?

BF: Nein, aber ich habe österreichische Freunde.

VR: Was machen Sie hier in Österreich?

BF: Ich spiele Fußball beim SV XXXX , ich lerne Deutsch. Ich arbeite auch beim Roten Kreuz. Ich helfe ihnen bei den anfallenden Festen und Veranstaltungen. Ich arbeite auch bei der Gemeinde.

VR: Sie wohnen direkt in XXXX ?

BF: Ja.

VR: Sprechen Sie schon deutsch?

BF antwortet in Deutsch: Ja.

VR: Können Sie mit mir sprechen?

BF antwortet in Deutsch: Ja.

VR: Beschreiben Sie mir einen Tag von Ihnen

BF antwortet in Deutsch: Um 7:00 Uhr aufstehe, dann laufe ich eine Stunde. Dann Frühstücken. Und dann deutsch lernen zu Hause.- Und Mittagessen und dann am Abend um 5:00 oder halb sechs habe ich Deutschkurse in XXXX in Pfarrheim. Nach dem Kurs habe ich Training. Manchmal mein Freund kommt mit dem Auto oder manchmal fahre ich mit dem Rad. Dann Abendessen um 11:00 Uhr, dann schlafen.

VR: Möchten Sie noch etwas vorbringen, was Ihnen für Ihren Asylantrag wichtig erscheint und Sie noch nicht vorgebracht haben?

BF: Nein.

VR: Haben Sie den Dolmetscher gut verstanden?

BF: Ja.

BF wird das Verhandlungsprotokoll rückübersetzt.

VR: Ist die Übersetzung in Ordnung, oder wollen Sie etwas berichtigen?

BF: Die Übersetzung ist in Ordnung, ich möchte nichts berichtigen.

VR: Ihre Familie ist im Iran, haben Sie Verwandte in Afghanistan?

BF: Ich habe einen Onkel väterlicherseits im Stadtteil XXXX , in Kabul, sechs Tanten väterlicherseits in Kabul.

VR: Ich werde Recherchen zur Werkstatt in Kabul durchführen lassen und Ihnen das Ergebnis zum Parteiengehör übermitteln."

Die Übersetzung der in der Verhandlung vorgelegten Anzeige ergab Folgendes:

"Islamische Republik Afghanistan

Ministerium für Inneres

Sicherheitsdirektion des Landes

Kriminaltechnischer Plan zur Vorgehensweise für Identifizierung, Verfolgung und Festnahme des Beschuldigten, der " XXXX " Sohn des " XXXX " mit dem Tod bedroht hatte

Beschreibung des Sachverhaltes:

Herr " XXXX " Sohn des " XXXX " hat eine Anzeige erstattet, dass sein Sohn namens " XXXX ", Hauptwohnsitz in XXXX , gegenüber der Moschee Koweiti, im fünften Bezirk in XXXX mit einem Mann namens " XXXX " gestritten hatte. Im Zuge dieses Streites wurde " XXXX " verletzt.

Er behauptet, dass jetzt drei Verwandten von " XXXX " nämlich " XXXX " Sohn des " XXXX " und XXXX " Sohn des " XXXX " und " XXXX " Sohn des " XXXX " aufgetaucht sind und " XXXX " mit dem Tod bedroht hatten. Er hat dringend darum gebeten, dass diese Personen festgenommen werden und für Schutzgewährleistung seines Sohnes die Schutzmaßnahmen ergriffen zu werden.

Aus diesem Grund wurde dieser Plan entwickelt.

Der entwickelte Sicherheitsplan:

Hiermit werden die zuständigen Beamten für Kriminalitätsbekämpfung und die Sicherheitsbeamten für Kontrolle dieser Gegend beauftragt bezüglich dieser Drohungen so schnell wie möglich reagieren und ein Team zu bilden, um die Täter zu identifizieren und festzunehmen. Die Aufgaben der Teammitglieder sollen klar definiert werden. Das Haus von Herrn " XXXX " Sohn des " XXXX " soll beobachtet werden, immer wenn er irgendwohin unterwegs ist, soll seine Sicherheit durch verdeckte und nicht verdeckte Beamten gewährleistet werden, damit jeder Art von terroristischen Anschlagversuche gegen " XXXX " oder seine Familie unmöglich wird. Die verdächtigte Personen sowie der Beschuldigte sollen identifiziert und ausgeforscht werden. Die Berichte dieses Teams soll genau analysiert werden, damit die zuständigen Beamten aufgrund dieser Informationen diese Täter festnehmen können.

Zuständige Abteilungen für Plandurchsetzung:

Beamten für Kriminalitätsbekämpfung und die Sicherheitsbeamten für Kontrolle dieser Gegend

Operationsdauer:

Die Operation wird solange gedauert, bis alle beteiligten Täter identifiziert und festgenommen werden.

Anmerkung:

---

Hochachtungsvoll:

Leiter des Kriminalamtes

Unterschrift

Leiter des Amtes für Kriminalitätsbekämpfung:

Unterschrift

Datum: 12.09.1395 (Anmerkung des Übersetzers: 02.12.2016)

Leiter der Sicherheitsdirektion der Zone 5

Brigadegeneral XXXX

Unterschrift und Stempel"

Die durchgeführten Recherchen führten zu folgendem Ergebnis:

1. Hat XXXX in XXXX eine Kfz-Werkstatt betrieben?

Herr XXXX , welcher unter anderem als " XXXX " beziehungsweise " XXXX bekannt ist, hat als Lehrling zusammen mit seinem Vater eine Werkstatt in XXXX betrieben.

(Anmerkung: Mitten in XXXX ist durchaus ein Herr XXXX namhaft, welcher eine Werkstatt betreibt. Allerdings sind ihm die Namen XXXX und XXXX nicht geläufig. Bekannt unter XXXX ist nur dieser Herr.

Anzumerken ist, dass die Geschäfte nicht nummeriert sind. Nur den Geschäftsinhabern ist laut Zulassung auf dem Genehmigungsschein bekannt, welche Nummer das Geschäft tatsächlich hat).

2. Hat XXXX in XXXX eine Kfz-Werkstatt betrieben oder betreibt er sie noch?

Herr XXXX betreibt seit einem Jahr und mindestens zwei Monaten das Geschäft nicht mehr.

3. Falls die KFZ Werkstätten geschlossen wurden - warum?

Der Grund, weshalb der Beschwerdeführer oder dessen Vater seine Tätigkeiten aufgegeben haben ist den Leuten der Umgebung nicht bekannt. Es werden jedoch Probleme mit einer Privatperson vermutet. Darüber hinaus wird von einigen Personen aus der Umgebung auf die Altersschwäche des Herrn XXXX hingewiesen und dass dadurch die Weiterführung der Werkstatt nicht möglich gewesen sein könnte. Zwischenfälle wurden auch auf Nachfrage keine genannt.

(Anmerkung: Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle, dass es immer wieder Konflikte aufgrund der Zahlungsunwilligkeit beziehungsweise Zahlungsfähigkeit mit Kunden gibt. Erst unlängst gab es einen Vorfall im Geschäft mit der Nummer XXXX , als ein Herr XXXX von einem Kunden mit einer Waffe bedroht wurde, da der Kunde sich ungerecht behandelt gefühlt hatte und der Meinung sei, dass der Inhaber "zu viel" verrechnet habe).

4. Ist die Familie des Beschwerdeführers tatsächlich in den Iran gegangen? Wenn ja- warum?

Laut Angaben der dortigen Geschäftspersonen sei es bekannt, dass der Sohn des XXXX sich im Iran aufhalten würde. Es gibt aber keinerlei Auskunft über die Familie des Beschwerdeführers und auch keine darüber, ob seine gesamte Familie tatsächlich in den Iran gezogen sei."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person: Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans, Tadschike, Sunnite, aus Kabul stammend, reiste im November 2015 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 26.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er ist ledig und hat keine Kinder. Er hat keine gesundheitlichen Einschränkungen und hat sieben Jahre die Schule besucht. Er war in seinem Heimatland als Mechaniker tätig.

Der Vater des Beschwerdeführers hat mit dem Beschwerdeführer als Mechanikerlehrling zusammen eine KFZ-Werkstatt in XXXX betrieben. Der Vater des Beschwerdeführers betreibt seit mindestens Herbst 2016 das Geschäft nicht mehr.

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt und wurden von ihm asylrelevante Gründe für das Verlassen seines Heimatstaates nicht glaubhaft dargetan. Es ist nicht glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung Verfolgung droht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von Mitgliedern der Polizei Parwan verfolgt wurde.

Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und arbeitsfähig. Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

Im Bundesgebiet verfügt er über keine Familienangehörige. Er spricht Deutsch, besucht Deutschkurse und spielt beim SV XXXX Fußball. Er ist beim Roten Kreuz als Helfer bei Festen und Veranstaltungen aktiv.

Zu Afghanistan:

Neuste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 21.12.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).

Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017).Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

High-profile Angriffe:

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)

Interreligiöse Angriffe

Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele, veranlassten die afghanische Regierung neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempeln vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).

Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).

Im Jahr 2016 und 2017 registrierte die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnten großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:

Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um

3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen - was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):

Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften die Taliban zurück zu drängen - in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen - dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich - laut afghanischen Beamten - ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vgl. BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).

Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar - in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriff auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden, und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten; hielt das die Gruppierungen nicht davon ab ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017).

Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).

Politische Entwicklungen

Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).

Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als "Rücktritt" verlautbarte, sprach dieser selbst von einer "Entlassung" - er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer "unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung" richte (NZZ 18.12.2017).

Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).

Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).

In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).

Quellen:

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al Jazeera (20.10.2017): Deadly attacks hit mosques in Kabul and Ghor,

http://www.aljazeera.com/news/2017/10/dozens-feared-dead-attacks-afghanistan-171020142936566.html, Zugriff 20.12.2017

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BBC (31.10.2017): Kabul Green Zone attacked by suicide bomber, http://www.bbc.com/news/world-asia-41819850, Zugriff 20.12.2017

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BBC (21.10.2017): Afghan suicide mosque attacks kill scores of worshippers, http://www.bbc.com/news/world-asia-41699320, Zugriff 20.12.2017

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BS - Business Standard (24.11.2017): Key Haqqani network leader among dozens killed in Afghanistan, http://www.business-standard.com/article/news-ani/key-haqqani-network-leader-among-dozens-killed-in-afghanistan-117112400292_1.html, Zugriff 21.12.2017

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Guardian (7.11.2017): Kabul TV station defiantly resumes broadcasting moments after Isis attack ends, https://www.theguardian.com/world/2017/nov/07/gunmen-attack-kabul-tv-station-after-explosion, Zugriff 20.12.2017

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Handelsblatt (20.12.2017): Afghanistan stürzt in politische Krise, http://www.handelsblatt.com/politik/international/gouverneurs-abloesung-afghanistan-stuerzt-in-politische-krise/20759742.html, Zugriff 21.12.2017

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KUNA - Kuwait News Agency (15.12.2017): Security operations kill 12 rebels in Afghanistan,

http://www.kuna.net.kw/ArticleDetails.aspx?id=2669249&language=en, Zugriff 21.12.2017

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Independent (20.10.2017): Kabul attack: Isis claims responsibility for Shia mosque suicide bombing killing at least 30 in Afghan capital,

http://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/kabul-attack-latest-update-shia-mosque-suicide-bomb-kills-death-afghanistan-capital-prayers-a8011466.html, Zugriff 20.12.2017

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INSO - International NGO Safety Organisation (o.D.): Afghanistan - Total incidents per month for the current year to date, http://www.ngosafety.org/country/afghanistan, Zugriff 19.9.2017

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INSO - The International NGO Safety Organisation (2017):

Afghanistan - Gross Incident Rate, http://www.ngosafety.org/country/afghanistan, Zugriff 19.9.2017

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NYT - The New York Times (11.12.2017): Hunting Taliban and Islamic State Fighters, From 20,000 Feet, https://www.nytimes.com/2017/12/11/world/asia/taliban-isis-afghanistan-drugs-b52s.html, Zugriff 21.12.2017

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NYT - The New York Times (7.11.2017): A Leading Afghan TV Station Is Attacked in Kabul,

https://www.nytimes.com/2017/11/07/world/asia/kabul-shamshad-tv-attack.html, Zugriff 20.12.2017

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NYT - The New York Times (20.10.2017): Twin Mosque Attacks Kill Scores in One of Afghanistan's Deadliest Weeks, https://www.nytimes.com/2017/10/20/world/asia/afghanistan-kabul-attack-mosque.html, Zugriff 20.12.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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