Entscheidungsdatum
02.03.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z4Spruch
W147 1247164-2/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Kanhäuser als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29. Dezember 2017, Zl: 733876807-171318685/BMI_BGLD_RD, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 7 Abs. 4 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, § 8 Abs. 1 Z 2, AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, sowie §§ 55, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2017, und 57, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, und §§ 46, 52 Abs. 9, 53 Abs. 1 und Abs. 3 Z 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, sowie § 94 Abs. 5 iVm § 93 Abs. 1 Z 1 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 164/2013, nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der (zum damaligen Zeitpunkt minderjährige) Beschwerdeführer reiste im Dezember 2003 unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 23. Januar 2004, vertreten durch seine Mutter, einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei diese im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme den Antrag stellte, dass sein Asylantrag in einen Asylerstreckungsantrag auf den Asylantrag seiner Mutter umgedeutet werde.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13. Februar 2004, Zahl: 03 38.768-BAE, wurde der Asylerstreckungsantrag gemäß § 10 iVm § 11 Asylgesetz 1997 abgewiesen. Begründet wurde die Entscheidung im Wesentlichen, dass der Antrag der Mutter des Beschwerdeführers auf Asyl gemäß § 7 AsylG 1997 mit Bescheid vom selben Tag abgewiesen worden sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung.
2. Mit mündlich verkündetem Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 8. Juli 2014, Zahl: 247.164/0-VIII/23/04, wurde der Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes stattgegeben und dem Beschwerdeführer durch Erstreckung Asyl gewährt.
3. Mit XXXX wurde dem Beschwerdeführer der Konventionsreisepass mit der Nr. XXXX , gültig bis XXXX , ausgestellt.
4. Mit Urteil des XXXX vom XXXX , wurde der Beschwerdeführer gemäß § 142 Abs. 1, §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 2. Fall, § 142 Abs. 1 und Abs. 2, §§ 15, 142 Abs. 1, §§ 127, 129 Abs. 1 Z 3, 130 Abs. 1 und Abs. 2
2. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von drei Jahren verurteilt, wobei die Vorhaftzeit auf die verhängte Haftstrafe angerechnet wurde.
Das Urteil ist mit XXXX in Rechtskraft erwachsen.
5. Am 24. November 2017 leitete die belangte Behörde das Aberkennungsverfahren ein.
6. Im Zuge des nunmehr verfahrensgegenständlichen Aberkennungsverfahrens wurde der Beschwerdeführer am 7. Dezember 2017 von einem Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in einer Justizanstalt niederschriftlich einvernommen und gab zu Beginn der Befragung an, dass er keinerlei gesundheitlichen Probleme habe, an keiner lebensbedrohenden physischen und psychischen Erkrankung leide und sich in einem Substitutionsprogramm befinde. Weiters führte er aus, dass er die Taten, wegen derer er gerichtlich verurteilt worden sei, zur Finanzierung seiner Heroinsucht begangen habe. Auch habe er diese Straftaten "nur" gegen Drogendealer begangen. Befragt gab er weiters an, den Hauptschulabschluss in Österreich gemacht zu haben und eine Lehre als IT-Techniker begonnen zu haben, welche er jedoch nicht abgeschlossen habe. Für den Beruf des Bauspenglers habe er einen Abschluss. Der Beschwerdeführer sei weder verheiratet, noch habe er Kinder. In Österreich würden seine Mutter und Brüder sowie zwei seiner Onkel samt Familien leben. Auf Nachfrage, wovon der Beschwerdeführer in Österreich gelebt habe, gab dieser an, dass er manchmal gearbeitet und auch Arbeitslosengeld und Notstandshilfe bezogen habe. Auf Nachfrage, ob sich Verwandte des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation aufhalten würden, teilte der Beschwerdeführer mit, dass sein Großvater mütterlicherseits in XXXX wohnen würde und sie zuletzt vor drei Jahren telefonischen Kontakt gehabt hätte. Der Großvater würde eine Pension beziehen. Bei einer Rückkehr in die Russische Föderation befürchte der Beschwerdeführer, dass er als Kind seines Vaters, welcher als General unter Dudajev gearbeitet habe, umgebracht werde. Nachdem sein Vater verstorben sei, hätte das Haus der Familie in die Luft gesprengt werden sollen, was jedoch vom Bürgermeister der Stadt verhindert worden sei. Dies habe der Beschwerdeführer von seiner Tante im Heimatland erfahren. Drei Schwestern seines Vaters würden in Tschetschenien leben. Zuletzt führte der Beschwerdeführer aus, dass es nicht gesagt sei, dass er im Heimatland umgebracht werde, er jedoch in Österreich aufgewachsen sei und im Falle seiner Rückkehr ein Ausländer sei.
7. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der mit Bescheid vom 8. Juli 2014, Zahl:
247.164/0-VIII/23/04, zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.).
Unter Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt.
Unter Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 3 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.) und die Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.
Mit Spruchpunkt VII. wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von 8 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und schlussendlich gemäß § 94 Abs. 5 iVm § 93 Abs. 1 Z 1 und § 94 Abs. 1 FPG dem Beschwerdeführer der Konventionsreisepass mit der Nummer XXXX entzogen. Gemäß § 93 Abs. 2 FPG hat der Beschwerdeführer das Dokument unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen (Spruchpunkt VIII.).
Nach allgemeinen Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation und nach Wiedergabe des Verfahrensganges verwies die belangte Behörde auf die dargestellte Verurteilung im Bundesgebiet, insbesondere auf das genannte Urteil vom XXXX .
Der rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung wegen des Verbrechens des schweren bzw. bewaffneten Raubüberfalls sei der als erwiesen angenommene Sachverhalt zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum von Februar 2017 bis 1. Juni 2017 in XXXX unbekannten Personen in zumindest sieben Angriffen fremde bewegliche Sachen (sieben Fahrräder) durch Aufbrechen einer Sperrvorrichtung mit dem Vorsatz weggenommen habe, um sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern. Weiters ergebe sich aus dem genannten Urteil, dass sich der Beschwerdeführer bei mehreren Rauben - im Zusammenhang mit weiteren Tätern - penibel auf die Tatausführungen vorbereitet habe, der Waffengebrauch sei von seinem Vorsatz mitumfasst gewesen. Er habe ein Opfer weiters mit einer ausgefahrenen Stahlrute bedroht und habe dieses dadurch in Furcht und Unruhe versetzt, wobei nicht übersehen werden dürfe, welche Wirkung die Verwendung einer Waffe bei einer Tat auslöse.
Im Zuge der Strafbemessung habe das XXXX im vorliegenden rechtskräftigen Strafurteil den bisherigen ordentlichen Lebenswandel, seine vollumfassende geständige Verantwortung sowie den Beitrag zur Wahrheitsfindung und dass es teilweise beim Versuch geblieben sei als mildernd sowie die Faktenmehrheit als erschwerend gewertet.
Nach Ansicht der belangten Behörde habe der Beschwerdeführer das umfassende Geständnis abgegeben, weil er offensichtlich die Sinnlosigkeit, die Taten zu leugnen, aufgrund des aufgenommen Wortprotokolls erkannt habe. Die Behauptung des Beschwerdeführers, dass er lediglich Drogendealer aufgrund seiner Drogensucht beraubt habe, gehe ins Leere, zumal er darüber hinaus auch mehrere Fahrraddiebstähle begangen habe.
Dadurch habe der Beschwerdeführer einen Asylausschlussgrund gemäß § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG verwirklicht und sei ihm der Status abzuerkennen gewesen.
Betreffend die Feststellungen zur Situation im Fall der Rückkehr verneinte die belangte Behörde, dass eine Gefährdung der Person des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr in die Russische Föderation bestehe.
Der Beschwerdeführer sei jung und arbeitsfähig und sei weiters imstande eigenes Einkommen zu lukrieren. Der Beschwerdeführer spreche Russisch und Tschetschenisch, sei mit den kulturellen Gepflogenheiten des Herkunftsstaates vertraut und habe die Möglichkeit, sich allenfalls durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern. Auch würden sich Verwandte in der Russischen Föderation befinden. Weiters sei bekannt, dass die traditionelle Kernfamilie in Tschetschenien weit über die Kernfamilie hinausreiche. Daher bestehe die Möglichkeit einer raschen Eingliederung und allenfalls die zur Überbrückung von Anfangsschwierigkeiten notwendige Unterstützung von Verwandten und Bekannten in Anspruch zu nehmen.
Zu seinem Privat- und Familienleben führte die belangte Behörde aus, dass sich der Beschwerdeführer seit 26. Dezember 2003 in Österreich befinde, r über ein schützenwertes Privat- und Familienleben verfüge, jedoch der staatliche Eingriff verhältnismäßig sei.
Der Beschwerdeführer sei in Österreich sonst nicht verfestigt oder verankert, habe nur kurz eine Lehre begonnen, sei arbeitsunwillig und in großem Maße sozialschädlich. Weiters spreche der Beschwerdeführer Deutsch, Russisch und Tschetschenisch. In Österreich würden seine Mutter und zwei Brüder wohnen, mit welchen er bis 11. November 2009 in einem gemeinsam Haushalt gelebt habe. Danach habe er alleine gewohnt und seit 27. Januar 2014 habe er einen gemeinsamen Haushalt mit seinem Bruder. Zu den zwei seiner in Österreich wohnhaften Onkel bestehe kein Abhängigkeitsverhältnis. Während der in Österreich verbrachten Zeit sei der Beschwerdeführer einmal rechtskräftig verurteilt worden.
In rechtlicher Hinsicht verwies die belangte Behörde darauf, dass die zwingende Aberkennung des Status des Asylberechtigten vorliege.
Weiters hielt die belangte Behörde fest, dass eine aktuelle Verfolgungsgefahr bzw. die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung der Person des Beschwerdeführers aus einem asylrelevanten Grund zum aktuellen Zeitpunkt nicht angenommen werden könne. Der Beschwerdeführer sei im Alter von XXXX Jahren nach Österreich gereist und seien für ihn keine eigenen Verfolgungsgründe vorgebracht worden. Die Zuerkennung des Asylstatus sei aufgrund der Familienzugehörigkeit zu seiner Mutter erfolgt. Zudem seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, welche für eine aktuelle asylrelevante Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation, konkret Tschetschenien, sprechen würden. Im Rahmen der aktuellen Einvernahme vor dem BFA am 7. Dezember 2017 habe der Beschwerdeführer auf den Vorhalt, dass er selbst nie in der Russischen Föderation verfolgt worden wäre und alleine deshalb davon auszugehen sei, dass er dort wieder Aufenthalt nehmen könne, seine Tante und Cousin auch bereits einmal in die Russische Föderation gereist seien, und es unwahrscheinlich sei, dass er ob der behaupteten Aktivitäten seines Vaters im Tschetschenienkrieg heute noch Konsequenzen zu befürchten hätte, selbst ausgeführt, im Heimatland nicht umgebracht zu werden, jedoch dort als Ausländer zu gelten. Weiters sei nicht glaubhaft, dass er einer Verfolgung wegen seines Vaters ausgesetzt wäre, da sich auch laut den aktuellen Länderberichten keine Hinweise finden würden, dass Personen, welche Angehörige von Widerstandskämpfern seien, verfolgt werden würden. Weiters sei unwahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer, welcher mit XXXX Jahren seinen Herkunftsstaat verlassen habe und gegen den auch keine Verfolgungshandlung gesetzt worden sei, derzeit wegen der aktiven Teilnahme seines Vaters an den Tschetschenienkriegen nunmehr einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre, vor allem auch deshalb, weil kein Familienmitglied Widerstandskämpfer sei.
Auch sei den getroffenen Länderfeststellungen nicht zu entnehmen, dass in der Russischen Föderation Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe generell einer aktuellen Verfolgung maßgeblicher Intensität alleine aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, einer sogenannten Gruppenverfolgung, ausgesetzt wären.
Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 sei der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in sein Herkunftsland eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In Falle des Beschwerdeführers drohe ihm keine der obgenannten Gefahren.
Auch könne eine völlige Perspektivlosigkeit für die Person des Beschwerdeführers für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat schlichtweg nicht erblickt werden, da er jung und arbeitsfähig sei sowie familiäre Anknüpfungspunkte im Heimatland habe, von denen er sich Unterstützung erwarten könne. Soweit sich der Beschwerdeführer in Haft in einer Drogenersatztherapie befinde, sei anzumerken, dass es einerseits eine solche Therapie auch im Heimatland gebe und andererseits sei davon auszugehen, dass diese Therapie während der dreijährigen Haftstrafe abgeschlossen werde.
Aufgrund näher dargestellter Erwägungen könne davon ausgegangen werden, dass die gegenständliche Rückkehrentscheidung - sowie das im Folgenden gewürdigte Einreiseverbot - zwar mit einem Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden sein werde, jedoch in Folge der Interessenabwägung gerechtfertigt sei. Der Beschwerdeführer sei als 15-Jähriger gemeinsam mit dessen Mutter und seinen zwei Brüdern illegal in das Bundesgebiet eingereist. Seine erste Straftat habe er 2017 wegen Raubes, schweren Raubes und gewerbsmäßigen Diebstahles begangen, weshalb er zu einer unbedingt Haftstrafe von drei Jahren verurteilt worden sei. Sonstige besondere Bindungen zum Gastland seien nicht hervorgekommen und habe er die Zeit in Österreich nicht genützt, um sich zu integrieren. Abgesehen von Deutschkenntnissen seien keine Anknüpfungspunkte für eine berufliche oder soziale Integration ersichtlich. Meist habe er von finanziellen Zuwendungen gelebt.
Der Beschwerdeführer sei mehrfach straffällig geworden und stelle sein weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Infolge jener bei der Begehung einer solchen Straftat vorauszusetzenden kriminellen Energie hätten seine begangenen Straftaten eine maßgebliche Auswirkung auf die allgemeine Sicherheit von Menschen, zumal auch die mehrfache bzw. andauernde Begehung dieser Einstellung jedenfalls von einer permanenten zukünftigen Gefahr seitens der Person des Beschwerdeführers auszugehen sei.
Die Gesamtbeurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers, seine Lebensumstände sowie seine familiären und privaten Anknüpfungspunkte hätten daher im Zuge der von der belangten Behörde vorgenommenen Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung eines Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig sei, die von ihm ausgehende schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern.
8. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 29. Dezember 2017 wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die "ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien" als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
9. Gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29. Dezember 2017, Zl: 733876807-171318685/BMI_BGLD_RD, wurde mit Schriftsatz vom 26. Januar 2018 fristgerecht verfahrensgegenständliche Beschwerde erhoben und die erstinstanzliche Erledigung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften in vollem Umfang angefochten. Der Beschwerde wurde ein Schreiben des Sozialen Dienstes beigeschlossen, wonach der Beschwerdeführer an einer Therapie zur Behandlung seiner Suchtproblematik im Rahmen einer klinisch-psychologischen Behandlungsgruppe teilnimmt.
Das Bundesverwaltungsgericht hat zur vorliegenden Beschwerde wie folgt erwogen:
1. Feststellungen:
Der ledige und kinderlose Beschwerdeführer, dessen Identität feststeht, ist russischer Staatsbürger, der tschetschenische Volksgruppe zugehörig und muslimischen Glaubens.
Der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführer reiste am 26. Dezember 2003 gemeinsam mit seiner Mutter und seinen zwei Brüdern unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 23. Januar 2004 einen Asylerstreckungsantrag. Nach Durchführung eines inhaltlichen Verfahrens wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 13. Februar 2004, Zahl: 03 38.768-BAE, den Asylerstreckungsantrag des Beschwerdeführers gemäß § 10 iVm § 11 Abs. 1 AsylG 1997 ab.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung.
Mit mündlich verkündetem Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 8. Juli 2014, Zahl: 247.164/0-VIII/23/04, wurde der Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes stattgegeben und dem Beschwerdeführer durch Erstreckung Asyl gewährt.
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig, hat in Österreich die Hauptschule und eine Ausbildung als Bauspengler abgeschlossen, eine Lehre als IT-Techniker abgebrochen. Die letzten Jahre hat er monatsweise unregelmäßig gearbeitet und überwiegend (zumindest die letzten vier Jahre) von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe gelebt. Er beherrscht Deutsch, Russisch und Tschetschenisch. Bis 1999 lebte er in der Russischen Föderation, wurde dort sozialisiert, hat dort die Schule besucht und ist mit den örtlichen Gepflogenheiten vertraut. Angehörige des Beschwerdeführers leben im russischen Staatsgebiet.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer nach einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte. Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass dieser konkret Gefahr liefe, in seinem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden. Eine Wiedereinreise in die Russische Föderation kann ohne Gefährdung seiner Person erfolgen.
In Österreich leben seine Mutter, zwei seiner Brüder sowie zwei Onkel samt Familien. Im Heimatland leben drei Tanten väterlicherseits sowie sein Großvater mütterlicherseits.
Mit Urteil des XXXX , vom XXXX (rechtskräftig mit XXXX ) wurde der Beschwerdeführer gemäß § 142 Abs. 1 StGB, §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 zweiter Fall StGB, § 142 Abs. 1 und Abs. 2 StGB, §§ 15, 142 Abs. 1 StGB und §§ 127, 129 Abs. 1 Z 3, 130 Abs. 1 und Abs. 2 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von drei Jahren verurteilt.
Er ist seit 1. Juni 2017 im österreichischen Bundesgebiet durchgehend inhaftiert.
Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt und eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet.
Zur Lage in der Russischen Föderation/Tschetschenien wird festgestellt:
"Politische Lage
Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 20.6.2014, vgl. GIZ 2.2015c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12.6.1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12.12.1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Russischer Präsident ist seit dem 7.5.2012 Wladimir Wladimirowitsch Putin. Er wurde am 4.3.2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident; zuvor war er auch 1999-2000 und 2008-2012 Ministerpräsident. Dmitri Anatoljewitsch Medwedew, seinerseits Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8.5.2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Bei der letzten Dumawahl im Dezember 2011 hat die auf Putin ausgerichtete Partei "Einiges Russland" ihre bisherige Zweidrittelmehrheit in der Staatsduma verloren, konnte jedoch eine absolute Mehrheit bewahren. Die drei weiteren in der Duma vertretenen Parteien (Kommunistische Partei, "Gerechtes Russland" und Liberal-Demokratische Partei Russlands) konnten ihre Stimmenanteile ausbauen. Wahlfälschungsvorwürfe bei diesen Dumawahlen waren ein wesentlicher Auslöser für Massenproteste im Dezember 2011 und Anfang 2012. Seit Mai 2012 wird eine stete Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden im Sommer 2012 das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, 2013 ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen. Im Februar 2014 wurde die Extremismus-Gesetzgebung verschärft, sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, was die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zu Nichte macht (AA 11.2014a).
Russland ist eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum. In zahlreichen russischen Regionen fanden zuletzt am 14.9.2014 Gouverneurs- und Kommunalwahlen statt. In der Praxis kam es dabei wie schon im Vorjahr zur Bevorzugung regierungsnaher und Behinderung oppositioneller Kandidaten. Wie bereits 2013 war die Wahlbeteiligung zum Teil sehr niedrig, in Moskau nur bei rund 21% (AA 11.2014a). Am einheitlichen Wahltag 14.9.2014 fanden in Russland laut der Zentralen Wahlkommission mehr als 6.000 Wahlen unter Teilnahme von 63 Parteien auf regionaler und kommunaler Ebene statt. Die Regierungspartei "Einiges Russland" hat bei den Regionalwahlen fast überall ihre Spitzenposition gefestigt. Auf der Halbinsel Krim holte sie laut der Wahlleitung mehr als 70% der Stimmen. Bei den Gouverneurswahlen in 30 Föderationssubjekten wurden alle Kandidaten von "Einiges Russland" sowie von der Partei unterstützte Kandidaten gewählt. Die Partei gewann auch alle drei Bürgermeisterwahlen in den regionalen Hauptstädten und erzielte die Mehrheit in 14 Regionalparlamenten und 6 Stadtparlamenten regionaler Hauptstädte. Zwar konnten bei den Regionalwahlen mit der Senkung der Sperrklausel von sieben auf fünf Prozent auch den demokratischen Wettbewerb stärkende Entwicklungen festgestellt werden, allerdings wurden gleichzeitig das Verhältnis- zugunsten des Mehrheitswahlrechts geschwächt und die Registrierungsvorschriften verschärft. In Moskau, wo das Wahlrecht auf ein reines Mehrheitswahlsystem geändert wurde, gewannen "Einiges Russland" und die von ihr unterstützten Kandidaten bei einer Wahlbeteiligung von 21% 38 von 45 Sitzen der Stadtduma. Die Wahlrechtsassoziation "Golos" meldete einzelne Wahlverstöße, z. B. den Ausschluss unabhängiger Wahlbeobachter aus Wahllokalen und sagte die Wahlbeobachtung im Gebiet Tjumen nach Drohungen durch Polizei und Justiz ab (GIZ 3.2015a).
Quellen:
-
AA - Auswärtiges Amt (11.2014a): Russische Föderation - Innenpolitik,
http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 2.4.2015
-
CIA - Central Intelligence Agency (20.6.2014): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 2.4.2015
-
GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2015a): Russland, Geschichte, Staat und Politik, http://liportal.giz.de/russland/geschichte-staat/#c17900, Zugriff 2.4.2015
-
GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2015c): Russland, Gesellschaft, http://liportal.giz.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 2.4.2015
Tschetschenien
Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Gemäß der letzten offiziellen Volkszählung 2010 hat Tschetschenien 1,27 Millionen Einwohner/innen. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russ/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).
Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015). Die Macht von Ramsan Kadyrow ist in Tschetschenien unumstritten. Kadyrow versucht durch Förderung einer moderaten islamischen Identität einen gemeinsamen Nenner für die fragmentierte, tribalistische Bevölkerung zu schaffen. Politische Beobachter meinen, Ersatz für Kadyrow zu finden wäre sehr schwierig, da er alle potentiellen Rivalen ausgeschalten habe und über privilegierte Beziehungen zum Kreml und zu Präsident Putin verfüge (ÖB Moskau 10.2014).
Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zur russischen Präsidentschaft im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen (Welt 5.3.2012, Ria Novosti 5.12.2012, vgl. auch ICG 6.9.2013).
Quellen:
-
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):
Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg
-
ICG - International Crisis Group (6.9.2013): The North Caucasus:
The Challenges of Integration (III), Governance, Elections, Rule of Law,
http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1379094096_the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-226-the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-governance-elections-rule-of-law.pdf, Zugriff 1.4.2015
-
ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation
-
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (19.1.2015): The Unstoppable Rise Of Ramzan Kadyrov, http://www.rferl.org/content/profile-ramzan-kadyrov-chechnya-russia-putin/26802368.html, Zugriff 1.4.2015
-
Ria Novosti (5.12.2012): United Russia gets over 99 percent of votes in Chechnya,
http://en.rian.ru/society/20111205/169358392.html, Zugriff 1.4.2015
-
Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,
http://www.integrationsfonds.at/laenderinformation/laenderinformation_russiche_foederationtschetschenische_republik/, Zugriff 1.4.2015
-
Die Welt (5.3.2012): In Tschetschenien stimmen 99,76 Prozent für Putin,
http://www.welt.de/politik/ausland/article13903750/In-Tschetschenien-stimmen-99-76-Prozent-fuer-Putin.html, Zugriff 1.4.2015
Sicherheitslage
Russische Behörden gehen weiterhin von einer terroristischen Gefahr auch außerhalb des Nordkaukasus aus (SFH 25.7.2014, vgl. AA 1.4.2015b). Aus Sicht der Behörden versuchen die Aufständischen nicht nur den Nordkaukasus zu destabilisieren, sondern auch Terroranschläge in anderen Regionen Russlands zu verüben. Nach Angaben russischer Experten spiegelt die Wahl von Alaiskhab Kebekov als neuem Führer des kaukasischen Emirats, die Tatsache wider, dass mittlerweile Dagestan und nicht mehr Tschetschenien das Zentrum des Aufstands ist (SFH 25.7.2014).
Die Terroranschläge auf den zwischen Moskau und St. Petersburg verkehrenden Newski Express Ende November 2009 (28 Todesopfer), die beiden Anschläge in der Moskauer U-Bahn am 29.3.2010 (40 Todesopfer), der Anschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedowo am 24.1.2011 (37 Todesopfer darunter zwei österreichische Staatsbürger) sowie zwei Selbstmordanschläge auf den Bahnhof bzw. einen Trolley-Bus in Wolgograd Ende Dezember 2013 (33 Todesopfer) (ÖB Moskau 10.2014, vgl. AA 1.4.2015b) scheinen von Tätern aus dem Nordkaukasus verübt worden zu sein, um somit zu zeigen, dass die Unruhe im Nord-Kaukasus auch auf das russische Kernland ausstrahlt. Zuletzt häuften sich Berichte, wonach zahlreiche Personen aus dem Nordkaukasus sich an Kämpfen in Syrien und zuletzt auch dem Irak auf Seiten radikalislamischer Gruppierungen und Organisationen (IS, Al Nusra-Front,...) beteiligen sollen. Die diesbezüglichen Angaben schwanken: von offizieller Seite werden die russisch-stämmigen Kämpfer auf einige Hundert geschätzt. Experten gehen hingegen von bis zu 2.000 Kämpfern mit russ. Staatsbürgerschaft aus (davon 1500 aus Tschetschenien, 200 aus Dagestan, der Rest aus anderen Gebieten). Auch in Österreich wurden Fälle bekannt, in denen Personen tschetschenischer Herkunft sich an Kämpfen in Syrien beteiligt bzw. dies zumindest ernsthaft versucht haben sollen oder andere Personen als Kämpfer für den Nahen Osten angeworben haben.
Beobachter sehen dies als neues Phänomen an: bis vor kurzem hätten Tschetschenen und andere Kaukasier fast ausschließlich in ihrer Heimatregion gekämpft, um diese von der russischen Herrschaft zu befreien. Der Bürgerkrieg in Syrien zeige insofern eine Neuausrichtung des bisher stark nationalistischen Jihadismus der Kaukasier hin zu mehr Integration in die transnationale Szene. In Syrien sollen Kaukasier mittlerweile die größte nicht-arabische Gruppe unter den ausländischen Kämpfern darstellen und zugleich auch aufgrund ihrer Kampferfahrung und Homogenität eine der effektivsten Gruppierungen sein. Russische Offizielle warnten wiederholt vor den Gefahren, die für Russland (und andere Staaten) entstünden, wenn diese Personen mit der gesammelten Kampferfahrung in ihre Heimat zurückkehren. Berichten russischer Zeitungen zu Folge werden aus Syrien zurückkehrende Kämpfer bei ihrer Rückkehr nach Russland in der Regel umgehend verhaftet und vor Gericht gestellt (ÖB Moskau 10.2014).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (1.4.2015b): Russische Föderation - Reise- und Sicherheitshinweise,
http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html, Zugriff 1.4.2015
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SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (25.7.2014): Russland:
Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger außerhalb Dagestans,
http://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/russland/russland-verfolgung-von-verwandten-dagestanischer-terrorverdaechtiger-ausserhalb-dagestans.pdf, Zugriff 1.4.2015
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ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation
Nordkaukasus allgemein
Die Lage im Nordkaukasus war 2014 weiterhin instabil; bewaffnete Gruppen griffen wiederholt Angehörige der Sicherheitskräfte an. Bei verschiedenen Anschlägen sollen mehr als 200 Personen getötet worden sein, darunter zahlreiche Zivilpersonen (AI 25.2.2015). Im Sicherheitsbereich ist gegenwärtig ein Trend zu beobachten, der auf eine Stabilisierung Tschetscheniens bei gleichzeitiger Verschlechterung der Lage in Dagestan hinausläuft. In manchen Regionen konstatieren Beobachter auch ein Übergreifen der Gewalt auf bisher ruhige Gebiete. So haben sich seit Sommer 2010 auch in Kabardino-Balkarien die Anschlagstätigkeiten intensiviert. Nach zwei Anschlägen auf Touristen und touristische Infrastruktur, bei denen drei Touristen getötet wurden, wurde im Februar 2011 in zwei Distrikten Kabardino-Balkariens (Elbrus und Baksan) der Ausnahmezustand verhängt. Vor dem Hintergrund zunehmender ethnischer Rivalitäten warnen Experten auch vor einer Destabilisierung Karatschaj-Tscherkessiens. Zusätzlich werden zahlreiche "kleinere" Anschläge verübt, die überregional kaum mehr Aufmerksamkeit finden. Dabei werden neben Sicherheitskräften zunehmend auch belebte Märkte sowie Geschäfte und Cafés, in denen Alkohol verkauft wird, Ziele von Anschlägen. Dieser Zunahme von Anschlägen korrespondiert eine Steigerung von Anti-Terror Operationen, die auch regelmäßig Todesopfer fordern. Die russischen Sicherheitskräfte gehen mit einiger Härte gegen Rebellen und deren Unterstützer vor. Dabei wird auch von Fällen von Sippenhaftung berichtet, insbesondere der Zerstörung der Häuser der Angehörigen von Rebellen (ÖB Moskau 10.2014).
Im Jahr 2014 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 525 Opfer des bewaffneten Konfliktes. 341 davon wurden getötet, 184 verwundet. Im Vergleich zu 2013 fiel die Zahl der Opfer um 46,9% (Caucasian Knot 31.1.2015). Mehr als zwei Drittel aller Todesopfer im Kampf gegen den islamistischen Widerstand im Nordkaukasus wurden 2014 in Dagestan gezählt (HRW 29.1.2015).
Quellen:
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AI - Amnesty International (25.2.2015): Amnesty International Report 2014/15 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation,
https://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/russische-foederation, Zugriff 1.4.2015
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Caucasian Knot (31.1.2015): In 2014, there were 525 victims of armed conflict in Northern Caucasus, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/30689/, Zugriff 1.4.2015
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HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/295447/430479_de.html, Zugriff 1.4.2015
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ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation
Tschetschenien
In Tschetschenien ist es seit 2010 zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt (teilweise bewirkte dies ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien). Als besonders unruhig gilt die an die Nachbarrepublik Dagestan angrenzende Region (ÖB Moskau 10.2014).
2014 gab es in Tschetschenien 117 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 52 Tote und 65 Verwundete. Dies bedeutet einen Anstieg um 15,8% im Vergleich zu 2013 (39 Tote, 62 Verwundete). Tschetschenien ist die einzige Region im Nordkaukasus in der die Opferzahlen 2014 im Vergleich zu 2013 anstiegen (Caucasian Knot 31.1.2015). Tschetschenien ist von den schwersten Gefechten zwischen islamistischen Kämpfern und Sicherheitskräften seit Jahren erschüttert worden. Dabei wurden am Donnerstag, den 4.12.2014, in der Hauptstadt Grosny mindestens 10 Angreifer und 10 Beamte getötet sowie 20 weitere Personen verletzt (NZZ 4.12.2014). Zu der Attacke soll sich in einem Video das Kaukasus Emirat bekannt haben. Ob das Material und die Angaben authentisch sind, wird genauso kontrovers diskutiert wie die Frage, wie stark die Gruppe der Angreifer war. Die Zahlen reichen von 10 bis über 200 Bewaffneten. Moskau und das Oberhaupt Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, gehen dagegen von einem internationalen Hintergrund aus und stellen die Attacke in Verbindung mit Vorgängen innerhalb der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien. Nach einem Schusswechsel mit Polizisten an einem Kontrollposten teilten sich die Angreifer, in mehrere Gruppen auf. Eine davon verschanzte sich im "Haus der Presse". Die Sicherheitsbehörden umstellten das Gebäude und nahmen es unter Feuer. In den oberen Stockwerken brachen Brände aus, es kam zu Explosionen. Ein anderer Teil der Angreifer setzte sich nur einige Straßen weiter in einer Schule fest. Andere Personen sollen sich nicht darin befunden haben. Die Feuergefechte hielten bis zum Donnerstagnachmittag an. Am selben Tag hielt Putin seine Rede zur Lage der Nation. In letzter Zeit nahmen die Aktivitäten des als zersplittert und geschwächt eingeschätzten islamistischen Untergrunds wieder etwas zu. Im Oktober 2014 sprengte sich in Grosny ein Selbstmordattentäter in die Luft und riss fünf Personen mit in den Tod. Hinter dem 19-jährigen Täter aus Grosny wird allerdings eher eine autonom agierende Splittergruppe vermutet. Zu vergleichen sind die beiden Vorfälle ohnehin nicht. Die Attacke am 4.12.2014 glich einer komplexen militärischen Operation. Dafür bedarf es Planung, Erfahrung und Geld. Dass die russischen Behörden dabei eine Verbindung ins Ausland vermuten, überrascht nicht. In den Reihen des IS stehen auch Extremisten mit nordkaukasischen Wurzeln, von einigen hundert ist die Rede. Schon mehrmals in diesem Jahr stießen Fraktionen der Terrormiliz Drohungen gegen Russland aus. Die Gefahr für Russland geht laut Experten dabei jedoch mehr von Rückkehrern aus Syrien oder dem Irak aus, als dass die Strategen des IS den Nordkaukasus als neues Kampffeld für ihren Jihad auserkoren hätten (NZZ 4.12.2014, vgl. Die Presse 4.12.2014).
Quellen:
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Caucasian Knot (31.1.2015): In 2014, there were 525 victims of armed conflict in Northern Caucasus, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/30689/, Zugriff 19.3.2015
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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (4.12.2014): Tote bei Gefechten in Grosny,
http://www.nzz.ch/international/asien-und-pazifik/tote-bei-gefechten-in-grosny-1.18438064, Zugriff 19.3.2015
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ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation
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Die Presse (4.12.2014): Tschetschenien: Gefechte mit Islamisten im Zentrum Grosnys,
http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/4612135/Tschetschenien_Gefechte-mit-Islamisten-im-Zentrum-Grosnys?from=gl.home_politik, Zugriff 19.3.2015
Rechtsschutz/Justizwesen
Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig; allerdings haben sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der russische Ombudsmann als auch russische NGOs wiederholt Missstände im russischen Justizwesen kritisiert: Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen. In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen: Lediglich 1,1% der eingeleiteten Strafverfahren enden mit Freispruch des Angeklagten. Das geringe Vertrauen der russischen Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Justiz wird durch Umfragen belegt: einer im Juli 2013 veröffentlichten Umfrage des Lewada-Zentrums zu Folge glauben nur 27% der Bevölkerung an die Unabhängigkeit der russischen Justiz. Der Europarat empfahl Russland im November 2013 substantielle Reformen zur Beseitigung systemischer Defizite in der Justizverwaltung und zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz. Großes auch internationales Aufsehen erregten zuletzt etwa die Verurteilung des Oppositionellen Alexej Nawalny am 18.7.2013 zu 5 Jahren Haft wegen Unterschlagung (wurde in eine bedingte Strafe umgewandelt). Zudem wurden zahlreiche Personen im Zusammenhang mit Ausschreitungen bei einer großen regierungskritischen Demonstration auf dem Bolotnaja-Platz am 6.5.2012 wegen Teilnahme an "Massenunruhen" und Gewalt gegen Staatsbeamte zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Amnesty International betrachtet die Verurteilten als gewaltlose politische Gefangene. Während seiner Präsidentschaft hatte der nunmehrige Premierminister Medwedjew versucht, Reformen des Justizwesens zu initiieren, etwa durch die Möglichkeit einer Kaution anstelle von Untersuchungshaft bei Wirtschaftsdelikten oder die Förderung von Geldstrafen und anderen alternativen Strafformen. Diese werden in der Praxis jedoch nach wie vor kaum angewandt. Anfang Juli 2013 wurde auf Initiative des russischen Unternehmens-Ombudsmanns eine Amnestie für Personen verfügt, die wegen bestimmten Wirtschaftsdelikten inhaftiert sind. Die Amnestie soll für jene gelten, die zum ersten Mal wegen Wirtschaftsdelikten verurteilt wurden und entweder den Schaden bereits gu