TE Bvwg Beschluss 2018/3/2 G304 2176700-1

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Veröffentlicht am 02.03.2018
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Entscheidungsdatum

02.03.2018

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

G304 2176700-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.09.2017,Zl. XXXX, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid

behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.09.2017 (im Folgenden: BFA), dem BF zugestellt am 28.09.2017, wurde der Antrag des Beschwerdeführers (im Folgenden: BF) auf internationalen Schutz vom 31.08.2015 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak ebenfalls abgewiesen (Spruchpunkt II.), ihm gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen, und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.), und festgehalten, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

2. Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung, dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und die Angelegenheit an die Verwaltungsbehörde zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen, in eventu die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären und dem BF einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK zu erteilen. Es wurde im Wesentlichen darauf hingewiesen, die belangte Behörde habe sich nicht hinreichend mit dem Vorbringen des BF vor dem Hintergrund allgemeiner Länderberichte auseinandergesetzt, um auf eine Verfolgungsgefahr oder ein Abschiebungshindernis im Irak schließen zu können.

3. Die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 16.11.2017 vorgelegt, wobei die belangte Behörde beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist irakischer Staatsangehöriger, arabischer Volksgruppenangehöriger und sunnitischer Moslem.

Sein Antrag auf internationalen Schutz vom 31.08.2015 wurde mit gegenständlich angefochtenem Bescheid des BFA abgewiesen, und zwar mit der Begründung, sein Fluchtvorbringen sei nicht asylrelevant und unglaubwürdig.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die unter II. getroffenen Feststellungen beruhen auf dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

3.1.1. Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche - zulässige und rechtzeitige - Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFAVG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu Spruchteil A):

3.2. Zurückverweisung:

3.2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Nach Abs. 2 kann die Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß

Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Anmerkung: sog. Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit. nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung des Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm11). Gemäß dieser Bestimmung kann die Berufungsbehörde, sofern der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Wie oben ausgeführt, ist aufgrund von § 17 VwGVG die subsidiäre Anwendung von § 66 Abs. 2 AVG durch die Verwaltungsgerichte ausgeschlossen.

Im Gegensatz zu § 66 Abs. 2 AVG setzt § 28 Abs. 3 VwGVG die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung nicht mehr voraus.

Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 (hier: Waffenverbot), in Bezug auf die grundsätzliche Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte nach

§ 28 VwGVG und die Möglichkeit der Zurückverweisung ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte darstellt. So kommt eine Aufhebung des Bescheides nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG nicht Gebraucht macht.

3.2.2. Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Die Begründung eines Bescheides bedeutet die Bekanntgabe der Erwägungen, aus denen die Behörde zur Überzeugung gelangt ist, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und dass damit der Tatbestand einer bestimmten Rechtsnorm verwirklicht ist. Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. In sachverhaltsmäßiger Hinsicht hat sie daher alle jene Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung dieses Sachverhaltes unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Denn nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 23.11.1993, Zl. 93/04/0156; 13.10.1991, Zl. 90/09/0186; 28.07.1994, Zl. 90/07/0029).

3.2.3. Im angefochtenen Bescheid wurde das Fluchtvorbringen des BF nicht als glaubwürdig gewertet, mit der Begründung, die Angaben des BF seien "weder gleichbleibend, substantiiert, noch wahrscheinlich bzw. einleuchtend" gewesen.

Die vom BF behaupteten Fluchtgründe können jedoch nicht bereits von vornherein als unglaubwürdig gewertet werden, war der BF seinen im Wesentlichen gleich gebliebenen Angaben und diesbezüglichen Nachweisen zufolge doch Bediensteter im XXXX - und sei er im März 2015 zusammen mit seiner Familie von IS-Angehörigen bedroht und verfolgt worden.

Der von der belangten Behörde erkannte Widerspruch zwischen der Angabe des BF in der Erstbefragung, der BF sei mittels Drohbrief bedroht worden, und seiner Angabe vor dem BFA, er habe von IS-Angehörigen Droh-SMS erhalten, kann jedenfalls nicht als entscheidungswesentlich gewertet werden. Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG dient die Erstbefragung außerdem insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen.

Fest steht, dass die belangte Behörde selbst aufgrund der vom BF vorgelegten Beweismittel von einer Tätigkeit des BF im XXXX, ausgegangen ist.

Die belangte Behörde wertete den Umstand, dass dem BF als sunnitischen Minderheitenangehörigen XXXX von IS-Angehörigen gedroht worden wäre, "keinesfalls als glaubwürdig", ohne sich näher mit dem Umstand auseinandergesetzt zu haben, dass sich das XXXX, in dem der BF tätig war, XXXX - einem dem Amtswissen nach von Schiiten dominierten XXXX - befindet und dieses XXXX dem Amtswissen nach dem Geheimdienst zugeordnet ist.

Ohne nähere Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen des BF zog die belangte Behörde folgende Schlussfolgerung:

"Eine maßgebliche Bedrohung durch den islamischen Staat ist - auch im Falle der Wahrheitsunterstellung - inzwischen aufgrund des militärischen Sieges der irakischen Sicherheitskräfte und der daraus resultierenden Schwächung des staatsähnlichen Gebildes sowie des maßgeblichen Gebietsverlustes nahezu denkunmöglich. Im Übrigen ist zu erwähnen, dass aus Ihrem gesamten Vorbringen keine Verfolgung durch den Islamischen Staat ersichtlich ist."

Der BF gab vor dem BFA an: "Ich habe keine Anzeige gemacht, weil die Polizei dort nicht helfen wird und nichts herausfinden wird." Im angefochtenen Bescheid wurde auf diese Aussage des BF Bezug nehmend festgehalten, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der BF die von ihm behaupteten Vorfälle nicht an seine Vorgesetzten gemeldet bzw. diese nicht angezeigt habe. Seine "Vorgesetzten" bzw. "die Sicherheitsbehörden hätten bestimmt einen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes mit allen Mitteln unterstützt. Der BF hätte bestimmt jeden Schutz der Sicherheitsbehörden in Anspruch nehmen können. "Diese wären auch bestimmt nicht untätig geblieben, da es ja um die nationale Sicherheit XXXX gegangen wäre."

Die belangte Behörde nahm demnach nur an, dass seine Vorgesetzten bzw. die Sicherheitsbehörden den BF als "Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes" mit allen Mitteln unterstützt hätten und der BF bestimmt jeden Schutz der Sicherheitsbehörden in Anspruch nehmen hätte können, hat jedoch nicht näher geprüft, ob die irakischen Sicherheitsbehörden gegenüber dem BF als XXXX in Bagdad tatsächlich schutzfähig sind.

Dem angefochtenen Bescheid wurde vielmehr ein Länderbericht vom Auswärtigen Amt von Februar 2017 zugrunde gelegt, wonach es staatlichen Stellen derzeit nicht möglich sei, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen, insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen (sowie der IS) eigenmächtig handeln und dadurch die irakischen Sicherheitskräfte nicht in der Lage seien, den Schutz der Bürger sicherzustellen.

Die belangte Behörde hielt es zudem für nicht nachvollziehbar, weshalb nur der BF allein XXXX von IS-Angehörigen bedroht worden sein soll, könne doch von einer "Vielzahl an Mitarbeiter XXXX" ausgegangen werden, hat den BF jedoch nicht gefragt, ob auch andere XXXXmitarbeiter einer Bedrohung durch IS-Angehörige ausgesetzt waren.

Im angefochtenen Bescheid wurde auf die nicht gegebene staatliche Verfolgung des BF hingewiesen:

"Der Umstand, dass Sie offiziell legal ausreisen konnten und offenbar auch keine Bedenken hatten, sich der Passkontrolle auszusetzen, deutet darauf hin, dass Sie Verfolgungshandlungen seitens der Behörde Ihres Staates weder selbst befürchteten noch zu befürchten hatten."

Der BF nahm im Verfahren vor der belangten Behörde jedoch nie auf eine staatliche Verfolgung, sondern stets nur auf eine Bedrohung durch IS-Angehörige Bezug.

Seinen Angaben in der Erstbefragung zufolge wurde der BF im März 2015 von IS-Angehörigen "Volksverräter" und "Ungläubiger" und seinen Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA zufolge "Betrüger" und "Ungläubiger" genannt.

Der BF legte vor der belangten Behörde Nachweise für seine positiv absolvierten Deutschkurse auf Niveaustufe A2, B1/2 und B2/1, für sein in seinem Herkunftsstaat im Jahr 2010/2011 positiv abgeschlossenes Masterstudium XXXX, und für sein in Österreich verfolgtes Masterstudium XXXX, darunter eine Bestätigung der betreffenden Fachhochschule und einige Unterstützungsmails von Vortragenden von vom BF besuchten Lehrveranstaltungen von Februar 2017, vor. Es wurden vom BF auch Bestätigungen über absolvierte Praxisworkshops XXXX 2016 und XXXX 2017 vorgelegt.

Eine Auseinandersetzung mit diesen vorgelegten Bescheinigungsmitteln ist jedoch nicht erfolgt.

Im gegenständlichen Fall wäre jedoch zu prüfen gewesen, ob der BF aufgrund seiner in seinem Herkunftsstaat im XXXX - einem schiitischen XXXX- ausgeübten Tätigkeit und seines im Irak abgeschlossenen Masterstudiums XXXX bei Bekanntwerden seiner in Österreich gesetzten Integrationsschritte, wozu auch die von Vortragenden von Lehrveranstaltungen XXXX2017 mit E-Mails bestätigte erfolgreiche Verfolgung seines Masterstudiums XXXX zu zählen ist, bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr unterliegt, von IS-Angehörigen bedroht zu werden.

Dabei ist auch das Vorbringen des BF aus seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 23.02.2017, der BF sei "bei hundert IS-Mitgliedern sehr bekannt" und könne von ihnen im gesamten Staatsgebiet gefunden werden, und halte einen Aufenthalt in der Türkei, wo er sich im Zuge seiner Reise nach Österreich 20 Tage lang legal aufgehalten habe, für gefährlich, könnte er doch auch dort von IS-Angehörigen gefunden werden, zu berücksichtigen.

Die Angaben des BF zu seiner Reise von seinem Herkunftsstaat nach Österreich erfordern auch insofern eine nähere Auseinandersetzung, als der BF in seiner Erstbefragung angab, er sei vom Irak zunächst nach Ankara und von dort weiter in die Stadt IZMIR geflogen, bevor er mit einem Schlauchboot weiter nach Griechenland und von dort über Mazedonien und Serbien weiter nach Österreich gekommen sei, spricht doch entgegen seiner Angabe vor der belangten Behörde am 23.02.2017, er habe sich 20 Tage lang legal in der Türkei aufgehalten, die bloße Aufzählung seiner Aufenthaltsorte in der Erstbefragung nicht für einen längeren Aufenthalt in der Türkei.

Die belangte Behörde nahm in ihrem angefochtenen Bescheid vom 26.09.2017 auf Seite 144 an:

"Selbst wenn man Ihrem Vorbringen Glauben schenken würde, könnten Sie sich - wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt - den von Ihnen dargelegten Bedrohungen dadurch entziehen, dass Sie sich in andere Teile Ihres Heimatlandes, in eine der Großstädte, beispielsweise nach Bagdad, Basra oder Baquba begeben. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass Ihnen im gesamten Staatsgebiet von Irak Gefahr drohen würde.

Zudem leben Ihre Eltern und Ihre Geschwister im Irak. Sie konnte keine Gründe glaubhaft machen, wieso Sie das nicht auch wieder dorthin könnten. (...) ist davon auszugehen, dass jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative (...) vorliegt."

Die belangte Behörde hat bei dieser Schlussfolgerung jedoch außer Acht gelassen, dass der Vater des BF der am 09.03.2017 bei der belangten Behörde eingelangten Sterbeurkunde zufolge bereits XXXX 2010 gestorben sei und entgegen der Annahme der belangten Behörde nur mehr seine Mutter und Geschwister in seinem Herkunftsstaat leben.

Den dem angefochtenen Bescheid vom 26.09.2017 zugrunde gelegten Länderberichten zufolge ist es im Irak zudem zu willkürlicher und diskriminierender Einschränkung der Bewegungsfreiheit vertriebener arabischer Sunniten durch staatliche Behörden gekommen und die Sicherheit von Rückkehrern von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, darunter auch von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort.

Zusammenfassend hat sich die belangte Behörde nicht hinreichend mit dem Vorbringen des BF - einem arabischen Volksgruppenzugehörigen und sunnitischen Moslem - vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte auseinandergesetzt, um mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auf eine dem BF im Irak drohende Verfolgung bzw. eine aufgrund seiner individuellen Rückkehrsituation erwartende aussichtslose Lage schließen zu können.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das BVwG kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das BFA als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist.

Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen der belangten Behörde nicht feststeht und diese Ermittlungstätigkeit sowie die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (erstmals) durch das BVwG selbst vorgenommen werden müsste, war der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufzuheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsbehörde (lediglich) an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG aufhebenden und zurückzuverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist (s. § 28 Abs. 3, 3. Satz VwGVG, vgl. auch z.B. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010, VwGH 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141 zu § 66 Abs. 2 AVG); durch eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG tritt das Verfahren aber in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hatte (Wirkung der Aufhebung ex tunc, s. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) Anm. 14 zu §28 VwGVG; vgl. auch 22.05.1984, Zl. 84/07/0012), sodass die belangte Behörde das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete weitere Parteivorbringen zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs. 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass dieses ergänzt bzw. vervollständig wird.

3.3. Entfall der mündlichen Verhandlung

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, zumal aufgrund der Aktenalge in Verbindung mit dem Vorbringen in der Beschwerde feststeht, dass er angefochtene Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen war.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/063) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.

Schlagworte

Befragung, Begründungspflicht, Ermittlungspflicht, Fluchtgründe,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Minderheitenzugehörigkeit, Rückkehrsituation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G304.2176700.1.00

Zuletzt aktualisiert am

13.03.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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