Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Ikemba-Samuel M*****, und der mj Adaobi Lucy M*****, beide in Obsorge ihrer Mutter Judith M*****, vertreten durch Dr. Edwin Schubert, Rechtsanwalt in Neunkirchen, wegen Kontaktrechts, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Chima C*****, vertreten durch Dr. Alfred Steinbuch, Rechtsanwalt in Neunkirchen, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 13. Oktober 2017, GZ 16 R 247/17p-243, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Text
Begründung:
Das Erstgericht setzte über Antrag der Mutter das Kontaktrecht des Vaters zu seiner mj Tochter aus und wies die Anträge des Vaters, ihm ein Kontaktrecht zu seinem Sohn einzuräumen, über die Mutter eine Geldstrafe zu verhängen und ein weiteres psychologisches Sachverständigengutachten einzuholen, jeweils ab.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.
1. Die Neuerungserlaubnis des § 49 AußStrG lässt – unter den dort genannten Voraussetzungen – nur neue Tatsachen und Beweismittel zu, neue Sachanträge und Einwände bleiben hingegen ausgeschlossen (RIS-Justiz RS0006897). In Bezug auf die mj Adaobi war Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens der Antrag der Mutter auf Aussetzung des mit Beschluss des Erstgerichts vom 18. Februar 2016 (ON 201) eingeräumten begleiteten Kontaktrechts. Einen Antrag auf unbegleitetes Kontaktrecht zu seiner Tochter stellte der Vater hingegen im Verfahren erster Instanz nicht, sodass die Auffassung des Rekursgerichts, er könne dies im Rekurs nicht nachholen, nicht korrekturbedürftig ist. Vergleichbares gilt für den Revisionsrekursantrag des Vaters.
2.1. Grundsätzlich wünscht der Gesetzgeber die Ausübung des Kontaktrechts durch den nicht pflegeberechtigten und erziehungsberechtigten Elternteil aufrechtzuerhalten, und den persönlichen Kontakt zwischen diesem und dem Kind nicht abreißen zu lassen, sodass eine Unterbindung dieses Kontakts nur in Ausnahmefällen aus besonders schwerwiegenden Gründen zulässig ist (RIS-Justiz RS0047955). Das Recht auf persönlichen Verkehr zwischen Eltern und Kindern ist ein allgemein anzuerkennendes Grundrecht der Eltern-Kind-Beziehung, das aber im Konfliktfall gegenüber dem Wohl des Kindes zurückzustellen ist, wenn die nachteiligen Auswirkungen für das Kind klar jenes Maß überschreiten, das als Folge der Zerrüttung der Beziehung der Eltern ganz allgemein in Kauf genommen werden muss (RIS-Justiz RS0048068, RS0047777). Soweit die Ausübung des Rechts das Wohl des Kindes gefährdet, steht den Eltern das Recht auf persönlichen Verkehr nicht zu (RIS-Justiz RS0047754). Im Konfliktfall hat der Kontaktrechtsanspruch eines Elternteils daher gegenüber dem Kindeswohl zurückzutreten, auch wenn es immer nur vorübergehend oder bis auf weiteres, grundsätzlich aber nicht für immer untersagt werden kann (RIS-Justiz RS0047950 [T10], RS0048068 [T9]).
2.2. § 108 AußStrG ist auf noch nicht 14-jährige grundsätzlich nicht anzuwenden, dessen ungeachtet kommt der Verweigerung des Kontakts mit dem Vater durch unmündige Minderjährige ein gewisses Gewicht bei der Beurteilung zu, inwieweit gegen ihren feststehenden unbeeinflussten Willen die Ausübung des Besuchsrechts ermöglicht werden soll, weil dadurch die ablehnende Haltung des Kindes vertieft und verstärkt werden kann (5 Ob 59/08z = iFamZ 2008/95 mwN [Thoma-Twaroch]). Mündigkeit stellt somit keine starre Grenze für die Beachtlichkeit der Verweigerung des persönlichen Verkehrs durch Minderjährige dar; auch gewinnt ihre Einstellung zum Kontaktrecht mit zunehmendem Alter größeres Gewicht (RIS-Justiz RS0047981 [T9]). Ob die Weigerung einer bei ihrer Befragung noch nicht 11 1/2 Jahre alten Unmündigen zu beachten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0047981 [T5]), demgemäß widerspricht auch die Berücksichtigung der mehrfach erklärten ablehnenden Haltung einer bei ihrer Befragung im 11. Lebensjahr stehenden Minderjährigen der Rechtsprechung nicht (5 Ob 167/09h = Zak 2010/180).
2.3. Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, inwieweit einem Elternteil unter Bedachtnahme auf Persönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände das Kontaktrecht eingeräumt werden soll, ist grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig, sodass ihr keine Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zuerkannt werden kann, wenn nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung verletzt wurden (RIS-Justiz RS0097114), dies gilt auch für die Frage der Entziehung bzw Aussetzung des Besuchsrechts (RIS-Justiz RS0097114 [T8]). Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung der Vorinstanzen liegt hier nicht vor:
3. Fragen der Anwendung der Belehrungspflichten des § 108 AußStrG auf unter 14-jährige stellen sich hier nicht, demgemäß ist auch die Entscheidung 5 Ob 242/15x nicht einschlägig. Das Erstgericht stützte seine Entscheidung auch nicht auf § 108 AußStrG, sondern auf § 187 Abs 2 ABGB. Die Anwendung von § 108 AußStrG scheidet hier schon deshalb aus, weil die Minderjährigen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichts erst 12 bzw 10 Jahre alt waren, § 108 AußStrG aber unmissverständlich auf die Vollendung des 14. Lebensjahres abstellt. Die in § 108 AußStrG angeführte Mündigkeit ist mit der Lehre (Nademleinsky in Schwimann/Kodek ABGB4 § 187 ABGB Rz 29; Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 108 Rz 13) sehr wohl als „starre Grenze“ anzusehen. Erst ab dem vollendeten 14. Lebensjahr hat die Weigerung des Minderjährigen die gesetzlich unmissverständlich geregelten und verfahrensbeendenden Auswirkungen, was von der Frage zu unterscheiden ist, inwiefern die Willensäußerung eines Kindes und insbesondere eine Ablehnung von Kontakten auch vor Erreichen des 14. Lebensjahres für die gerichtliche Entscheidung über das Kontaktrecht beachtlich, wenn auch nicht allein maßgebend ist (6 Ob 148/10y; Beck aaO). Auf die Frage, ob aus dem Gespräch mit der Sozialarbeiterin und der Anhörung der mj Adaobi durch das Erstgericht eine Belehrung über die Rechtslage bzw ein Hinwirken auf eine gütliche Einigung iSd § 108 AußStrG abzuleiten sein könnte, kommt es hier somit nicht an, der in diesem Zusammenhang geltend gemachten Aktenwidrigkeit fehlt es an der erforderlichen Relevanz (vgl RIS-Justiz RS0043347 [T9]). Auch der Vorwurf, das Rekursgericht habe diesbezüglich überschießende Feststellungen getroffen, geht somit ins Leere.
4. Gemäß § 187 Abs 2 ABGB hat das Gericht nötigenfalls persönliche Kontakte einzuschränken oder zu untersagen, insbesondere soweit dies aufgrund der Anwendung von Gewalt gegen das Kind oder eine wichtige Bezugsperson geboten erscheint. Eine Besuchsrechtsversagung ist dann zulässig, wenn zuvor alle gelinderen Mittel, die unter Wahrung des Kindeswohls eine Kontaktrechtsausübung ermöglichen, ausgeschöpft wurden, dies etwa durch Einschaltung einer dritten Stelle wie etwa eines Kinderschutzzentrums oder Besuchscafes (Beck, Kindschaftsrecht2 Rz 834 mwN). Widerspricht der persönliche Kontakt der Kinder zum Vater allerdings derzeit dem Kindeswohl, ist es nicht angezeigt, die Familiengerichtshilfe zum Zweck einer Besuchsmittlung einzuschalten (3 Ob 226/14b).
5. Die Entscheidungen der Vorinstanzen entsprechen diesen Rechtsprechungsgrundsätzen. Der zum Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz 12 Jahre alte Minderjährige lehnt den Vater und Kontakte zu ihm klar, beharrlich, aus Eigenem und begründet (insbesondere mit früheren Gewalterfahrungen) ab. Er erlebte die letzten begleiteten Besuchskontakte im November 2011 negativ, zumal ihn sein Vater beschimpfte und er schon durch die Befassung mit dem Wunsch des Vaters nach Kontaktrecht verunsichert und psychisch stark belastet wird. Auch die zum Entscheidungszeitpunkt 10 Jahre alte Minderjährige lehnt den Vater und Kontakte zu ihm ebenso eindeutig, beharrlich, aus Eigenem und begründet (wegen fehlendem Einfühlungsvermögen des Vaters bei bisherigen Kontaktterminen und früheren Gewalterfahrungen) ab. Auch sie erlebte die letzten Kontakte im November 2015 und Jänner 2016 negativ und wird schon durch die Befassung mit dem Wunsch des Vaters nach Kontaktrecht verunsichert und psychisch stark belastet. Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung stellte das Erstgericht weiters – in Übereinstimmung mit der Aktenlage – fest, dass gelindere Mittel wie die Durchführung begleiteter Kontakte schon in der Vergangenheit scheiterten, weshalb deren neuerliche Anordnung aussichtslos sei. Die Aussetzung des Kontaktrechts des Vaters zu seiner Tochter ist daher ebenso vertretbar wie die Abweisung des Kontaktrechtsantrags des Vaters für seinen Sohn.
5.1. Grundsätzlich kann ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz keinen Revisionsrekursgrund bilden (RIS-Justiz RS0050037). Dieser Grundsatz ist im Pflegschaftsverfahren aber dann nicht anzuwenden, wenn das die Interessen des Kindeswohls erfordern (RIS-Justiz RS0050037 [T1, T4]), was im Regelfall im Obsorge- und Besuchsrechtsverfahren Bedeutung hat (RIS-Justiz RS0050037 [T8]). Wenn auch bei Anzeichen von schädlichen Auswirkungen der Ausübung des Kontaktrechts im Allgemeinen eine sorgfältige und fachkundige Untersuchung durch entsprechende Gutachtenseinholung notwendig sein wird (RIS-Justiz RS0047777), gibt es einen generellen Grundsatz dahingehend, dass das Pflegschaftsgericht im Verfahren über die Festsetzung des Kontaktrechts jedenfalls einen Sachverständigen beizuziehen hätte, nicht (6 Ob 86/15p; RIS-Justiz RS0006319 [T7]). Dem Pflegschaftsrichter steht im Außerstreitverfahren Beweisaufnahmeermessen zu. Im Einzelfall ist es daher keineswegs auszuschließen, dass etwa eine Stellungnahme eines Psychologen der Familiengerichtshilfe im Zusammenhang mit anderen Beweismitteln eine ausreichende Entscheidungsgrundlage bildet (6 Ob 86/15p; vgl 9 Ob 20/17g).
5.2. Hier lagen den Vorinstanzen die Aussage der Minderjährigen vor dem Erstgericht, schriftliche Stellungnahmen des Kinderbeistands, des Jugendwohlfahrtsträgers und der Familiengerichtshilfe sowie ein Sachverständigengutachten vor (bereits mehr als vier Jahre alt). Das Erstgericht ging davon aus, dass eine umfangreiche Befundaufnahme durch einen weiteren Sachverständigen das Kindeswohl gefährdet, zumal beide Minderjährige bereits durch die Beschäftigung mit dem Vater und dem Thema Kontaktrecht massiv psychisch belastet werden.
§ 105 Abs 2 AußStrG sieht vor, dass die Befragung von Minderjährigen, die grundsätzlich iSd § 105 Abs 1 AußStrG vom Gericht persönlich zu hören sind, zu unterbleiben hat, soweit durch sie oder durch einen damit verbundenen Aufschub der Verfügung das Wohl des Minderjährigen gefährdet wäre. Dass die Interessen des Kindeswohls hier die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens erfordert, ist nicht zu erkennen.
6. Bei wesentlicher Änderung der Umstände seit der Letztentscheidung hat das Gericht jedenfalls auf Antrag des Kindes oder eines Elternteils die Kontakte in einer dem Wohl des Kindes entsprechenden Weise zu regeln und Pflichten festzulegen (6 Ob 253/10i; Nademleinsky in Schwimann/Kodek ABGB4 § 187 Rz 22, 31). Eine neuerliche Antragstellung im Fall geänderter Verhältnisse steht dem Vater somit ohnedies offen.
7. Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen, einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Textnummer
E120852European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0050OB00219.17T.0213.000Im RIS seit
13.03.2018Zuletzt aktualisiert am
18.12.2018