Entscheidungsdatum
18.07.2017Index
41/02 Passrecht FremdenrechtNorm
NAG §64 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Trefil über die Beschwerde des Ü. U., vertreten durch Rechtsanwälte OG, vom 23.6.2017 gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Wien, Magistratsabteilung 35 - Einwanderung und Staatsbürgerschaft, Einwanderung der Bezirke ..., vom 30.5.2017, Zl. MA35-9/2850470-09, mit dem der Zweckänderungsantrag vom 18.7.2016 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, abgewiesen wurde,
zu Recht erkannt:
I. Gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 25a VwGG ist gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Das Verwaltungsgericht Wien sieht folgenden Sachverhalt als erwiesen an:
Der Beschwerdeführer ist ein am ...1988 geborener türkischer Staatsangehöriger, der seit dem 2.6.2009 durchgehend über einen Aufenthaltstitel für den Aufenthaltszweck "Studierender" verfügte. Die ihm zuletzt erteilte Aufenthaltsbewilligung hatte eine Gültigkeitsdauer vom 12.4.2016 bis 12.4.2017. Einen anderen Aufenthaltstitel mit einem anderen Aufenthaltszweck für das Bundesgebiet hatte er in der Vergangenheit nicht besessen.
Am 18.7.2016 stellte der Beschwerdeführer persönlich den vorliegenden Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Rot-Weiß-Rot - Karte plus". In der Antragsbegründung vom 18.7.2016 berief er sich auf entsprechend erworbene Rechte aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 und brachte vor, nach Erteilung der "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen zu wollen. In seinem Schreiben vom 13.2.2017 in Beantwortung der behördlichen Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme berief er sich zudem auf Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80.
Der Beschwerdeführer studiert seit Oktober 2011 an der Universität Wien "..." im Bachelorstudiengang und hat nach der zuletzt vorgelegten Bestätigung über den Studienerfolg vom 20.3.2017 während der vergangenen Semester regelmäßig Prüfungen positiv abgelegt.
Während seines Studiums ging der Beschwerdeführer bei unterschiedlichen Arbeitgebern vom 1.3.2013 bis 16.5.2013, vom 11.11.2013 bis 3.1.2014 und vom 25.2.2014 bis 30.4.2015 einer geringfügigen Beschäftigung nach.
Seit dem 7.5.2015 (versicherungspflichtig angemeldet seit dem 18.6.2015) und demnach heute (jedenfalls) seit etwas mehr als zwei Jahren ist der Beschwerdeführer (in unterschiedlicher Verwendung) bei der B. KG als Arbeitgeberin (Sitz in Wien, Handelsgericht Wien, FN ...) durchgehend beschäftigt. Vom 7.5.2015 bis 30.6.2016 ging er einer geringfügigen Beschäftigung nach, erhöhte in der Folge das Beschäftigungsausmaß auf 20 Stunden und ist dort seit dem 1.7.2016 in Teilzeit beschäftigt. Hierfür wurde ihm bescheidmäßig zunächst eine Beschäftigungsbewilligung für die Tätigkeit als Buffetgehilfe für den Zeitraum vom 15.6.2015 bis 14.6.2016 für 10 Stunden erteilt, die dann für die Tätigkeit als Kellner vom 15.6.2016 bis 14.6.2017 auf 20 Stunden erhöht und verlängert wurde.
Der Vater des Beschwerdeführers ist seit vielen Jahren unbefristet in Österreich niedergelassen, seit 1997 immer mit einem Wohnsitz in T. und nicht wie der Beschwerdeführer in Wien. Eine (dem derzeitigen Studium vorangegangene) Berufsausbildung hat der Beschwerdeführer im Inland nicht abgeschlossen.
II. Das Verwaltungsgericht Wien hat sich bei der Beweiswürdigung von folgenden Erwägungen leiten lassen:
Die Feststellungen gründen sich auf die im Verwaltungsakt einliegenden, bei Antragstellung vorgelegten unstrittigen und unbedenklichen Unterlagen, insbesondere auf die jeweils mit Bescheid vom 15.6.2015 (10 Stunden) und 20.6.2016 (20 Stunden) erteilten Beschäftigungsbewilligungen und den im Akt dokumentierten Meldungen des Beschwerdeführers als Arbeitnehmer bei der Sozialversicherung entsprechend den aktenkundigen Versicherungsdatenauszügen. Für den Beschwerdefall nicht (weiter) relevant war die Diskrepanz bei den Datumsangaben, wonach der Beschwerdeführer den Beginn der Beschäftigung bei der B. KG mit 7.5.2015 angegeben hatte, eine Meldung bei der Sozialversicherung aber - wie sich aus dem Versicherungsdatenauszug zuletzt vom 12.7.2017 ergibt - scheinbar erst mit dem 18.6.2015 erfolgt war.
III. Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:
III.1. Rechtlicher Rahmen
§ 64 Abs. 1 bis 3 NAG in der heute geltenden Fassung (des NAG, zuletzt geändert durch das am 14.7.2017 kundgemachte Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 - FrÄG 2017, BGBl. I Nr. 84/2017) samt Überschrift lautet:
"Studierende
§ 64. (1) Drittstaatsangehörigen kann eine Aufenthaltsbewilligung für Studierende ausgestellt werden, wenn sie
1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
2. ein ordentliches oder außerordentliches Studium an einer Universität, Fachhochschule, akkreditierten Privatuniversität, Pädagogischen Hochschule, anerkannten privaten Pädagogischen Hochschule oder einen anerkannten privaten Studiengang oder anerkannten privaten Hochschullehrgang absolvieren und im Fall eines Universitätslehrganges dieser nicht ausschließlich der Vermittlung einer Sprache dient.
Eine Haftungserklärung ist zulässig.
(2) Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit richtet sich nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz. Diese Erwerbstätigkeit darf das Erfordernis des Studiums als ausschließlicher Aufenthaltszweck nicht beeinträchtigen
(3) Dient der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen der Durchführung eines ordentlichen oder außerordentlichen Studiums, ist die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung für diesen Zweck nur zulässig, wenn dieser nach den maßgeblichen studienrechtlichen Vorschriften einen Studienerfolgsnachweis der Universität, Fachhochschule, akkreditierten Privatuniversität, Pädagogischen Hochschule oder anerkannten privaten Pädagogischen Hochschule erbringt. Gleiches gilt beim Besuch eines anerkannten privaten Studienganges oder anerkannten privaten Hochschullehrganges. Liegen Gründe vor, die der Einflusssphäre des Drittstaatsangehörigen entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar sind, kann trotz Fehlens des Studienerfolges eine Aufenthaltsbewilligung verlängert werden."
Art. 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des - durch das (am 12.9.1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnete und durch den Beschluss 64/732/EWG vom 23.12.1963, ABl. Nr. 217/1964, S. 3685, im Namen der Gemeinschaft geschlossene, gebilligte und bestätigte) Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrats über die Entwicklung der Assoziation vom 19.9.1980 (wie bisher und nachfolgend: ARB 1/80) lauten:
"Artikel 6
(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat
- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
- nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaats eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
- nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.
(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.
(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt.
Artikel 7
Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
- haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
- haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.
Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war."
III.2. Rechtliche Vorbemerkungen
Der Beschwerdeführer gründet seinen "Zweckänderungsantrag" auf Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" darauf, dass er seit dem 7.5.2015 bis heute dem österreichischen Arbeitsmarkt angehöre, weshalb er "daher spätestens seit dem 8.5.2016 ein Aufenthaltsrecht kraft Assoziationsabkommen EWG-Türkei" besitze (Beschwerde vom 23.6.2017, Seite 4 Seitenanfang). Somit "entstand das Aufenthaltsrecht … konstitutiv durch die Verwirklichung des Sachverhalts der ordnungsgemäßen durchgehenden Beschäftigung über einen Zeitraum eines, nämlich des ersten Jahres im Bundesgebiet" (Beschwerde vom 23.6.2017, Seite 4 Seitenende). Dem Beschwerdeführer sei daher die Rot-Weiß-Rot - Karte plus nach § 41a NAG zum Zwecke des deklarativen Nachweises des bereits konstitutiv entstandenen Rechts zu erteilen, weshalb die "Nichterteilung einer Rot-Weiß-Rot - Karte Plus trotz Vorliegens der Voraussetzungen … EU-rechtswidrig" sei und die belangte Behörde einem Rechtsirrtum unterliege (Beschwerde vom 23.6.2017, Seite 5 Seitenmitte). Weiters wird die Unterhaltsgewährung des Vaters des Beschwerdeführers und Art. 7 ARB 1/80 bei einem "Familiennachzug türkischer Staatsangehöriger mit Erwerbsabsicht zu einer österreichischen Ankerperson" ins Treffen geführt (Stellungnahme vom 13.2.2017, Seite 2 Seitenmitte).
Ausgehend von einer etwas mehr als zweijährigen, bei derselben Arbeitgeberin bis heute durchgehend bestehenden (rechtmäßigen) Beschäftigung und allein aufgrund des langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts eines Elternteils im Inland kommt dem Beschwerdeführer die geltend gemachte Rechtsposition auf Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" aus nachfolgenden Gründen nicht zu, wobei in diesem Zusammenhang den oben genannten Bedenken zur Unionsrechtswidrigkeit bei Nichterteilung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" nicht beigepflichtet werden kann:
Dem Wortlaut des ARB 1/80 sind keine expliziten aufenthaltsrechtlichen Vergünstigungen zu entnehmen. Allerdings impliziert ein Recht auf Beschäftigung notwendigerweise ein Aufenthaltsrecht. Dieses Aufenthaltsrecht als Folge des Rechts auf Zugang zum Arbeitsmarkt und auf die tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung ist ab diesem Zeitpunkt unmittelbar aus dem ARB 1/80 herzuleiten und wird nicht erst durch die Erteilung einer entsprechenden nationalen Erlaubnis begründet. Deshalb hat eine Aufenthaltserlaubnis für die Anerkennung des Aufenthaltsrechts nur eine deklaratorische Bedeutung und Beweisfunktion (vgl. zuletzt das Erkenntnis des VwGH vom 23.6.2015, Ro 2014/22/0038, mit Verweis auf Akyürek, Das Assoziationsabkommen EWG-Türkei (2005), 124 f).
Aus dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 ergibt sich zudem, dass der erste und der zweite Spiegelstrich dieser Bestimmung lediglich die Voraussetzungen regeln, unter denen ein türkischer Arbeitnehmer, der rechtmäßig in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eingereist ist und dort die Erlaubnis erhalten hat, eine Beschäftigung auszuüben, seine Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat ausüben kann. Nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung darf er weiterhin bei demselben Arbeitgeber arbeiten (erster Spiegelstrich) und nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung kann er sich - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten einzuräumenden Vorrangs - für den gleichen Beruf auf ein Stellenangebot eines anderen Arbeitgebers bewerben (zweiter Spiegelstrich). Im Gegensatz dazu verleiht der dritte Spiegelstrich (nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung) dem türkischen Arbeitnehmer nicht nur das Recht, sich auf ein vorliegendes Stellenangebot zu bewerben, sondern auch uneingeschränkten Zugang zu jeder von ihm frei gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. Somit kann generell ein Recht nach Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 nicht allein aufgrund der Tatsache geltend gemacht werden, dass ein türkischer Staatsangehöriger im Aufnahmemitgliedstaat mehr als vier Jahre lang rechtmäßig eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübt hat, wenn er nicht (1.) mehr als ein Jahr bei demselben Arbeitgeber und (2.) zwei weitere Jahre für diesen gearbeitet hat (vgl. zuletzt das Erkenntnis des VwGH vom 21.3.2017, Ra 2016/22/0098, Rz. 15, mit weiteren Hinweisen zur Rechtsprechung des EuGH).
Das bedeutet, dass ein türkischer Arbeitnehmer, der noch nicht das Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nach Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 in Anspruch nehmen kann, im Aufnahmemitgliedstaat grundsätzlich eine ununterbrochene ordnungsgemäße Beschäftigung während der erforderlichen Zeit ausüben muss, sofern er keinen legitimen Grund der in Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 genannten Art für die Unterbrechung seiner Beschäftigungszeiten anführen kann (vgl. abermals das Erkenntnis des VwGH vom 21.3.2017, Ra 2016/22/0098, Rz. 17).
III.3. Rechtliche Beurteilung (Spruchpunkt I)
Der Beschwerdeführer kann - derzeit - eine ununterbrochene Beschäftigung von knapp über zwei Jahren bei derselben Arbeitgeberin sowie die hierfür erforderliche Beschäftigungsbewilligung vorweisen. Damit erfüllt er - zum jetzigen Zeitpunkt und unabhängig von seinem Beschäftigungsbeginn am 7.5.2015 oder 18.6.2015 - lediglich die Voraussetzungen des ersten Spiegelstriches des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Ihm steht damit (implizit) ein aus dem ARB 1/80 direkt ableitbares Aufenthaltsrecht zu, jedoch ohne dass er bereits jetzt freien Zugang zum Arbeitsmarkt hätte. Dieses Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis im Sinne des dritten Spiegelstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 wird nämlich erst dann erworben, wenn eine ununterbrochene (ordnungsgemäße) Beschäftigung während des erforderlichen Zeitraums von vier Jahren vorliegt. Insoweit unterliegt die Stellung des Beschwerdeführers am Arbeitsmarkt den Beschränkungen der ersten Integrationsstufe des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Die Verlängerung seiner Beschäftigungsbewilligung ist gemäß § 4c AuslBG von Amts wegen zu erteilen, sodass der Beschwerdeführer auch unter diesem Aspekt im Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt nicht berührt bzw. beschränkt wird (vgl. die Erkenntnisse des VwGH vom 7.5.2014, 2013/22/0137; sowie zuletzt vom 18.1.2017, Ra 2016/22/0021).
Zutreffend ist, dass das NAG keinen spezifischen Aufenthaltstitel für jene türkischen Staatsangehörigen kennt, die bereits eine Rechtsposition nach dem ersten Spiegelstrich des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erreicht haben, aber noch nicht nach dessen drittem Spiegelstrich (vgl. Abermann/?Czech/?Kind/?Peyrl, Kommentar zum Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (2016), § 64 Rz. 9). Daraus lässt sich nach der hier vertretenen Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien nicht der Schluss ziehen, dass dem Beschwerdeführer (konstitutiv) ein über seine aus dem ARB 1/80 derzeit erlangte Rechtsposition hinausgehender Aufenthaltstitel (mit freiem Zugang zum Arbeitsmarkt) in Form der beantragten "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" zu erteilen wäre. Dies lässt sich auch aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nicht ableiten, weil die weitere Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit durch den Beschwerdeführer auf Grundlage der bisherigen Aufenthaltsbewilligung mit dem Zweck "Studierender" bei amtswegiger Erteilung arbeitsmarktrechtlicher Bewilligungen nicht eingeschränkt wird (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis des VwGH vom 7.5.2014, 2013/22/0137, zu einer verneinten Beschränkung im Zugang zum Arbeitsmarkt bei einer Kombination aus "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" und Beschäftigungsbewilligung bzw. Befreiungsschein). Zudem entfällt auch bei einer künftigen Vollzeitbeschäftigung des Beschwerdeführers das Erfordernis einer Arbeitsmarktprüfung gemäß § 4 Abs. 7 Z 2 AuslBG (vgl. abermals Abermann/?Czech/?Kind/?Peyrl, Kommentar zum Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (2016), § 64 Rz. 9, mit weiteren Hinweisen zur Rechtsprechung des EuGH und VwGH).
Durch die Nichterteilung des nunmehr für einen anderen Zweck beantragten Aufenthaltstitels wird der Beschwerdeführer daher weder in seinem (gegebenenfalls zu verlängernden bisherigen) Aufenthaltsrecht noch im Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt beschränkt, weshalb auch kein Verstoß gegen Unionsrecht vorliegt.
Der Beschwerdeführer verfügte bisher ausschließlich, erstmalig seit dem Jahr 2009, über Aufenthaltstitel für Studienzwecke. Dabei handelt es sich jedoch um keine behördliche Genehmigung, zu seinem Vater zu ziehen, um im Wege der Familienzusammenführung mit ihm in Österreich einen Wohnsitz zu begründen (vgl. die Erkenntnisse des VwGH vom 19.4.2012, 2008/18/0202; sowie zuletzt vom 16.12.2014, Ra 2014/22/0127, im Fall der Einreise aufgrund eines Visums). Daher erfüllt er schon aus diesem Grund nicht die Voraussetzungen des Art. 7 ARB 1/80. Eine Unterhaltsgewährung ist keine Tatbestandsvoraussetzung des Art. 7 ARB 1/1980 und demnach nicht maßgeblich (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 27.3.2003, 2000/09/0005). Damit lässt sich aus Art. 7 ARB 1/80 keine günstigere Rechtsposition des Beschwerdeführers auf Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" ableiten.
Die Beschwerde (gegen die Abweisung des Zweckänderungsantrags) ist daher abzuweisen.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden. Der Sachverhalt war im Beschwerdefall nicht strittig. Die im Vordergrund stehende Lösung der Rechtsfrage und der jeweilige Standpunkt der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wurden in der Bescheidbegründung sowie in den Beschwerdeausführungen dargelegt, sodass auch unter diesem Aspekt die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.
Für das fortgesetzte Verfahren weist das Verwaltungsgericht Wien darauf hin, dass im Einklang mit § 26 letzter Halbsatz NAG die Abweisung des Zweckänderungsantrags keine Auswirkung auf das bestehende (Beschäftigungs- und) Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers hat. Dabei ist der vorliegende Antrag (im Hinblick auf den Ablauf der Gültigkeitsdauer der bisherigen Aufenthaltsbewilligung des Beschwerdeführers mit 12.4.2017) nicht nur als bloßer Zweckänderungsantrag, sondern auch als Verlängerungsantrag anzusehen (und mit dem zwischenzeitig ebenfalls gestellten Verlängerungsantrag vom 3.4.2017 zu verbinden), sodass sich der Beschwerdeführer bis zum Abschluss des von der belangten Behörde (als Verlängerungsverfahren) fortzuführenden Verfahrens über die (insoweit ebenfalls mitbeantragte) Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung, über die noch nicht entschieden wurde, gemäß § 24 Abs. 1 Satz 3 NAG weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 14.5.2009, 2008/22/0075).
Weiters vertritt das Verwaltungsgericht Wien diesfalls die Rechtsansicht, dass in dem (als Verlängerungsverfahren) fortzuführenden Verfahren das Fehlen von (besonderen) Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 64 Abs. 1 bis 3 NAG (Absolvierung eines Studiums, Studium als ausschließlicher Aufenthaltszweck und Studienerfolg - was derzeit beim Beschwerdeführer scheinbar gegeben ist) der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu Studienzwecken bzw. der Erteilung einer weiteren Aufenthaltsbewilligung "Studierender" nicht entgegensteht (vgl. in diesem Sinn auch Abermann/?Czech/?Kind/?Peyrl, Kommentar zum Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (2016), § 64 Rz. 9). Dies setzt allerdings (bei ausbleibendem Studienerfolg) voraus, dass der Beschwerdeführer im Verlängerungszeitpunkt (unverändert) aufgrund der dann zurückgelegten (durchgehenden) Beschäftigungszeiten ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 ableiten kann oder aber (ausnahmsweise) ein legitimer Grund der in Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 genannten Art für die Unterbrechung seiner Beschäftigungszeiten vorliegt (vgl. etwa das Erkenntnis des VwGH vom 24.3.2015, Ro 2014/09/0057, zur gebotenen Ausstellung eines gesetzlich nicht mehr vorgesehenen Befreiungsscheins aufgrund unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs; sowie allgemein zum Prinzip der weitestmöglichen "Integrität des nationalen Rechts", sodass im Wege der Verdrängung nur jene von mehreren unionsrechtskonformen Lösungen zur Anwendung gelangen darf, mit der die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers so weit wie möglich erhalten bleibt, Öhlinger/Potacs, EU-Recht und staatliches Recht6 (2017), 91).
III.4. Zulässigkeit der ordentlichen Revision (Spruchpunkt II)
Die ordentliche Revision ist zulässig, weil eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Es fehlt an einer Rechtsprechung, welcher Aufenthaltstitel nach dem NAG aufenthaltsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zu erteilen ist, die Ansprüche nach Art. 6 erster Spiegelstrich des ARB 1/80 erworben haben und die Ausübung einer weiteren unselbstständigen Erwerbstätigkeit in Österreich auf Grundlage einer zur Niederlassung berechtigenden "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" beabsichtigen.
Schlagworte
Zweckänderungsantrag, Verlängerungsantrag, Assoziationsabkommen, Integrationsstufe, Recht auf Beschäftigung, Recht auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt, Aufenthaltsrecht, deklaratorische Wirkung, Tatbestandsvoraussetzung Art. 7 ARB 1/80Anmerkung
VfGH v. 27.2.2018; E 3967/2017; AblehnungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.151.082.9251.2017Zuletzt aktualisiert am
09.03.2018