Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden und den Senatspräsidenten Dr. Schramm, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj L*****, geboren am ***** 2006, vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Amt für Jugend und Familie – Rechtsvertretung Bezirk 21, 1210 Wien, Franz-Jonas-Platz 12), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 23. August 2017, GZ 42 R 231/17g-18, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 13. April 2017, GZ 16 Pu 151/16a-7, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Mit einem am 25. Mai 2016 vor dem Bezirksgericht F***** geschlossenen Scheidungsvergleich verpflichtete sich der Vater zur Zahlung eines laufenden monatlichen Unterhalts von 350 EUR an seinen im Jahr 2006 geborenen Sohn. Vergleichsgrundlage war ein Monatseinkommen des Vaters von rund 2.000 EUR netto (12 mal jährlich). Im Vergleich wurde weiters festgehalten, dass das Kind auf Wunsch beider Eltern eine Privatschule besucht und das Schulgeld in Höhe von monatlich 500 EUR je zur Hälfte von den Eltern getragen wird. Unter einem verpflichtete sich der Vater, den auf ihn entfallenden Anteil am Schulgeld von derzeit 250 EUR gemeinsam mit dem monatlichen Unterhaltsbetrag (an die Mutter) zu überweisen.
Mit (rechtskräftigem) Beschluss vom 13. 4. 2017 wurden dem Kind monatliche Unterhaltsvorschüsse gemäß den §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von 350 EUR gewährt.
Am 11. 4. 2017 beantragte das Kind weiters die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß den §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von 250 EUR für die Kosten der von ihm besuchten Privatschule.
Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Bei den vom Vater zu leistenden anteiligen Kosten der Privatschule handle es sich nicht um laufende Geldunterhaltspflichten in Höhe des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs, sondern um andere Ansprüche.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kindes nicht Folge. Wenngleich ein einmaliger Sonderbedarf mangels „laufender Zahlung“ einer Bevorschussung nicht zugänglich sei, könne ein – etwa aufgrund einer Behinderung – laufend gegebener Mehrbedarf als Bestandteil des laufenden gesetzlichen Unterhalts im Rahmen der gesetzlichen Grenzen bevorschusst werden. Ein konkretes Vorbringen zum Sonderbedarfscharakter des Schulbesuchs sei jedoch nicht erstattet worden. Da in den Ferien keine Schulkosten anfallen, handle es sich auch nicht um einen laufend Monat für Monat gegebenen Bedarf des Kindes. Es könne außerdem nicht im Belieben der Eltern liegen, durch ihre Entscheidung, ihr Kind in eine Privatschule zu schicken, einen Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse zu schaffen.
Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs wegen Fehlens einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Bevorschussung des Sonderbedarfs für Schulkosten zu.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist – entgegen diesem, den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch – nicht zulässig.
1.1 Der Bund hat auf den „gesetzlichen“ Unterhalt minderjähriger Kinder Vorschüsse grundsätzlich in der beantragten Höhe bis zu dem im Exekutionstitel festgesetzten Unterhaltsbeitrag zu leisten (§ 5 Abs 1 UVG).
1.2 Der aufgrund eines Exekutionstitels gewährte Vorschuss muss der jeweiligen gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechen (3 Ob 257/05y; Neumayr in Schwimann/Kodek4 § 7 UVG Rz 1). Der Staat soll vor der Gewährung zu hoher Unterhaltsvorschüsse geschützt werden, die offensichtlich nicht der gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechen, etwa weil die Inanspruchnahme missbräuchlich wäre (zB bei überhöhten Unterhaltstiteln, die auf einem Konsensergebnis beruhen).
2. Das Gericht hat demnach die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit sich (in den Fällen der §§ 3 und 4 Z 1 UVG) „aus der Aktenlage ergibt, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht nicht (mehr) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist“ (§ 7 Abs 1 Z 1 UVG). Die materielle Unrichtigkeit des bestehenden Unterhaltstitels muss sich ohne weitere klärende Erhebungen aus der Aktenlage ergeben. Titelvorschüsse sollen danach nur versagt werden, wenn das Gericht bereits aufgrund der Aktenlage (also ohne weitere Erhebungen) mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen der Versagungsgründe des § 7 Abs 1 Z 1 UVG überzeugt ist (vgl RIS-Justiz RS0076391 [T16, T17]; RS0108443 [T7]).
3.1 Von dieser Rechtsprechung weicht die Ansicht der Vorinstanzen, auf Grundlage des dazu erstatteten Vorbringens seien die Schulkosten nicht als gesetzliche Unterhaltsansprüche (Sonderbedarf) zu qualifizieren, nicht ab:
3.2 Über den Regelbedarf (Nahrung, Kleidung, Wohnung, Unterricht und Erziehung etc) hinaus kann ein Kind Sonder- oder Individualbedarf haben, also einen Unterhaltsbedarf, der sich aus der Berücksichtigung beim Regelbedarf bewusst außer Acht gelassener Umstände des Einzelfalls ergibt (RIS-Justiz RS0109908; RS0117791).
3.3 Sonderbedarf wird jeweils durch die Momente der Außergewöhnlichkeit, Dringlichkeit und Individualität bestimmt (RIS-Justiz RS0047539); er fällt also nicht für die Mehrzahl der unterhaltsberechtigten Kinder mit weitgehender Regelmäßigkeit an. Darunter fallen hauptsächlich Aufwendungen für die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit und der Persönlichkeitsentwicklung, aber auch Ausbildungskosten.
3.4 Kosten des Besuchs einer Privatschule sind nach ständiger Rechtsprechung nur dann als Sonderbedarf zu qualifizieren, wenn die öffentliche Schule aus im jeweiligen Einzelfall zu prüfenden Gründen keine gleichwertige Alternative darstellt, beispielsweise wenn die Unterbringung des Kindes in einer fremdsprachigen Schule nach einem langjährigen Auslandsaufenthalt erforderlich ist (RIS-Justiz RS0107724 [T4]), eine besondere Begabung des Kindes gegeben ist, die gerade durch den besonderen Schultyp gefördert werden kann, oder ein besonderes berufliches Interesse und ein damit verbundener intensiver Wunsch des Kindes nach einem bestimmten Ausbildungsweg gegeben ist (RIS-Justiz RS0109906).
4.1 Wie die Vorinstanzen erkannten, fehlt es im vorliegenden Fall an einer Bescheinigung derartiger Tatsachen. Umstände, die eine Begründung für die Notwendigkeit des Besuchs einer Privatschule abgeben könnten, wurden auch im Revisionsrekurs nicht vorgebracht, sondern es wurde nur darauf verwiesen, dass sich das Kind in der Privatschule eingewöhnt habe.
4.2 Allein die ursprüngliche Bereitschaft des Unterhaltspflichtigen, die Kosten der Privatschule zu zahlen, ist für die Anerkennung eines entsprechenden Sonderbedarfs aber nicht ausreichend (RIS-Justiz RS0107724 [T4]).
5. Die Ansicht der Vorinstanzen, schon aufgrund der Aktenlage bestünden erhebliche Zweifel im Sinn des § 7 Abs 1 Z 1 UVG am materiellen Bestand einer Unterhaltspflicht für laufenden Sonderbedarf in Höhe von monatlich 250 EUR für Schulkosten bedarf daher keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof.
6. Der Revisionsrekurs war daher mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.
Textnummer
E120733European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0100OB00071.17I.0123.000Im RIS seit
09.03.2018Zuletzt aktualisiert am
16.05.2018