Entscheidungsdatum
27.02.2018Norm
KFG 1967 §102 Abs1Text
Im Namen der Republik!
Erkenntnis
Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hat durch sein Mitglied Mag. Pathy über die Beschwerde des Ö F, G, vertreten durch Mag. Martin Rützler, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft F vom 09.12.2016, Zl X-9-2016/59610, betreffend Übertretungen des KFG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
Gemäß § 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wird der Beschwerde insoweit Folge gegeben, als die Spruchpunkte 1 bis 3 und 8 des angefochtenen Straferkenntnisses aufgehoben werden und das Strafverfahren insoweit eingestellt wird.
Im Übrigen (hinsichtlich der Spruchpunkte 4 bis 7 und 9) wird der Beschwerde keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, dass im Spruchpunkt 4 im vorletzten Satz die Wortfolge „Felgen der Marke Brayton“ ersetzt wird durch die Wortfolge „Felgen der Marke breyton“.
Der gemäß § 64 Abs 1 und 2 Verwaltungsstrafgesetz (VStG) zu leistende Beitrag zu den Kosten des behördlichen Verfahrens beträgt nunmehr 55 Euro. Gemäß § 52 Abs 1 und 2 VwGVG hat der Beschwerdeführer einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens in Höhe von 20 % der über ihn verhängten Geldstrafe, mindestens jedoch 10 Euro zu bezahlen. Daher ergibt sich ein Kostenbeitrag von 110 Euro. Dieser Betrag ist zusammen mit der Geldstrafe und dem Beitrag zu den Kosten des behördlichen Verfahrens an die Bezirkshauptmannschaft F zu entrichten.
Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig.
Begründung
Angefochtenes Straferkenntnis
1. Im angefochtenen Straferkenntnis wurden dem Beschuldigten drei Übertretungen der StVO und sechs Übertretungen des KFG vorgeworfen. Der Spruch des Straferkenntnisses lautet auszugsweise:
„Fahrzeug: XXX
1. Sie haben das angeführte Fahrzeug verwendet wobei festgestellt wurde dass das Kontrollmaß an der 1. Achse von 350mm um zumindest 50mm unterschritten wurde, obwohl ein Fahrzeug auf Straßen nur verwendet werden darf, wenn es so gebaut und ausgerüstet ist, dass durch seinen sachgemäßen Betrieb Personen nicht gefährdet oder durch Geruch, Geräusch, Staub, Schmutz u. dgl. nicht über das gewöhnliche Maß hinaus belästigt oder Sachen, insbesondere die Fahrbahn, nicht beschädigt werden.
2. Sie haben das angeführte Fahrzeug verwendet wobei festgestellt wurde dass das Kontrollmaß an der 1. Achse von 320mm um zumindest 20mm unterschritten wurde, obwohl […].
3. Sie haben das angeführte Fahrzeug verwendet wobei festgestellt wurde dass das die Bodenfreiheit im Bereich des Krümmers unter 70mm (Tatsächlich ca. 60mm) betrug, obwohl […].
4. Sie haben sich als LenkerIn, obwohl es Ihnen zumutbar war, vor Antritt der Fahrt nicht davon überzeugt, dass das von Ihnen verwendete Fahrzeug den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes entspricht, da festgestellt wurde, dass die für die verkehrs- und betriebssichere Verwendung des PKW maßgebenden Teile nicht den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes entsprachen, obwohl Kraftfahrzeuge und Anhänger so gebaut und ausgerüstet sein müssen, dass durch ihren sachgemäßen Betrieb weder Gefahren für den Lenker oder beförderte Personen oder für andere Straßenbenützer noch Beschädigungen der Straße oder schädliche Erschütterungen noch übermäßig Lärm, Rauch, übler Geruch, schädliche Luftverunreinigungen oder vermeidbare Beschmutzungen anderer Straßenbenützer oder ihrer Fahrzeuge entstehen. Es wurde festgestellt, dass folgende nicht typisierte Teile angebracht waren: Es waren Felgen der Marke Brayton am Fahrzeug angebracht, welche nicht im Zulassungsschein eingetragen waren. […]
5. Sie haben sich als LenkerIn, obwohl es Ihnen zumutbar war, vor Antritt der Fahrt nicht davon überzeugt, dass […]. Es wurde festgestellt, dass folgende nicht typisierte Teile angebracht waren: Es waren an der 1. Achse Reifen der Dimension 215/40ZR17 angebracht, welche nicht im Zulassungsschein eingetragen waren. […]
6. Sie haben sich als LenkerIn, obwohl es Ihnen zumutbar war, vor Antritt der Fahrt nicht davon überzeugt, dass […]. Es wurde festgestellt, dass folgende nicht typisierteTeile angebracht waren: Es waren an der 2. Achse Reifen der Dimension 245/35ZR17 angebracht, welche nicht im Zulassungsschein eingetragen waren. […]
7. Sie haben sich als LenkerIn, obwohl es Ihnen zumutbar war, vor Antritt der Fahrt nicht davon überzeugt, dass […]. Es wurde festgestellt, dass folgende nicht typisierte Teile angebracht waren: Es war ein Heckspoiler angebracht, welcher nicht im Zulassungsschein eingetragen war. […]
8. Sie haben sich als LenkerIn, obwohl es Ihnen zumutbar war, vor Antritt der Fahrt nicht davon überzeugt, dass […]. Es wurde festgestellt, dass folgende nicht typisierte Teile angebracht waren: Es war eine Domstrebe angebracht, welche nicht im Zulassungsschein eingetragen war. […]
9. Sie haben sich als Lenker(in), obwohl es Ihnen zumutbar war, vor Antritt der Fahrt nicht davon überzeugt, dass das von Ihnen verwendete Fahrzeug den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes entspricht, da festgestellt wurde, dass die Sicht vom Lenkerplatz des verwendeten Kraftfahrzeuges für das sichere Lenken nicht gegeben war, da sie einen Sticker an der rechten Seite der Windschutzscheibe angebracht hatten.
Tatzeit:
30.10.2016, 00:22 Uhr
Tatort:
L, Höhe Km XX, Lstraße - Parkplatz bei der Metzgerei K
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:
4. § 102 Abs. 1 KFG i.V.m. § 4 Abs. 2 KFG
5. § 102 Abs. 1 KFG i.V.m. § 4 Abs. 2 KFG
6. § 102 Abs. 1 KFG i.V.m. § 4 Abs. 2 KFG
7. § 102 Abs. 1 KFG i.V.m. § 4 Abs. 2 KFG
8. § 102 Abs. 1 KFG i.V.m. § 4 Abs. 2 KFG
9. § 102 Abs. 2 KFG“
Es wurde für die Spruchpunkte 1 bis 4 jeweils eine Geldstrafe von 150 Euro verhängt (Ersatzfreiheitsstrafe: 69 Stunden und 30 Stunden [für den Spruchpunkt 4]). Für die Spruchpunkte 5 bis 9 wurde jeweils eine Geldstrafe von 100 Euro verhängt (Ersatzfreiheitsstrafe: 20 Stunden).
Beschwerde
2. Gegen dieses Straferkenntnis hat der Beschuldigte rechtzeitig Beschwerde erhoben. Sie lautet auszugsweise wie folgt:
„… Das Straferkenntnis bzw. deren Inhalt wird in seiner Gesamtheit bestritten.
Das Fahrzeug war bei der Kontrolle am 30.10.2016 in einem verkehrs- und betriebssicheren Zustand und hat der Typisierung entsprochen.
Der einschreitende Polizist war nicht befähigt, die Verkehrs- und Betriebssicherheit des gegenständlichen Fahrzeuges zu begutachten. Er wäre verpflichtet gewesen, einen fachkundigen Sachverständigen beizuziehen. Dies ist nicht erfolgt.
Das gegenständliche Straferkenntnis verstößt gegen das Doppelbestrafungsverbot. In Pkt. 1 bis 9. richten sich die einzelnen Spruchpunkte jeweils gegen gleiche Vergehen, welche aber ausdrücklich bestritten bleiben. Das gegenständliche Fahrzeug bzw. dessen Zustand kann nur einmal den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes widersprechen und nicht in jedem einzelnen Teil. So betrifft etwa Pkt. 1 bis Pkt. 3 jeweils das Problem der Bodenfreiheit. Auch Pkt. 5 und Pkt. 6 betrifft die Dimension der Reifen und somit das gleiche Problem.
Zudem trifft die gegenständliche Strafe den Rechtsmittelwerber unbillig hart. Dieser lebt am Existenzminimum und ist stark überschuldet. Die gegenständliche Strafe hätte zur Folge, dass ihm eine normale Lebensführung nicht mehr möglich ist.“
Der Beschuldigte hat beantragt, das Verfahren einzustellen, in eventu die Strafe herabzusetzen, in eventu eine Ermahnung nach § 21 VStG auszusprechen.
Sachverhalt
3. Der Beschuldigte hat einen PKW der Marke BMW (Handelsbezeichnung: 328 I Coupe E36) mit dem Kennzeichen XXX am 30.10.2016 um 00.22 Uhr in L auf der L, Höhe Km XX, Lstraße, gelenkt. Zulassungsbesitzerin des PKWs ist seine Mutter H F.
Der Beschuldigte wurde von der Polizei kontrolliert. Dabei wurde Folgendes festgestellt:
4. Beim Fahrzeug muss laut Zulassungsschein das Kontrollmaß, d.h. der Abstand zwischen der Radmitte und der Radhausoberkante an der 1. Achse 350mm und an der 2. Achse 320mm betragen.
Dieses Kontrollmaß wurde an der 1. Achse um zumindest 50mm und an der 2. Achse um zumindest 20mm unterschritten.
5. Beim Fahrzeug lag die Bodenfreiheit im Bereich des Krümmers bei ca. 60mm. Laut Zulassungsschein muss die Bodenfreiheit 110mm betragen.
6. Beim Fahrzeug waren Felgen der Marke Breyton angebracht. Diese Felgen waren nicht im Zulassungsschein eingetragen.
7. Beim Fahrzeug waren an der 1. Achse Reifen der Dimension 215/40ZR17 und an der 2. Achse Reifen der Dimension 245/35ZR17 angebracht. Diese Reifen waren nicht im Zulassungsschein eingetragen.
8. Am Fahrzeug war ein Heckspoiler angebracht, der nicht im Zulassungsschein eingetragen war.
9. Am rechten Rand der Windschutzscheibe war ein Sticker mit der Aufschrift „MOST WANTED“ angebracht; oberhalb und unterhalb des Schriftzuges befand sich eine weiße Linie. Die Aufschrift war vertikal angebracht und reichte vom oberen bis zum unteren Ende der Windschutzscheibe. Der Sticker war ca. 8 cm breit.
10. Am Fahrzeug war eine Domstrebe angebracht, die nicht im Zulassungsschein eingetragen war.
Erwägungen zur Feststellung des Sachverhalts
11. Es wurde eine gemeinsame mündliche Verhandlung über die Beschwerden des Beschuldigten (des Lenkers) und der Zulassungsbesitzerin H F (der Mutter des Beschuldigten) durchgeführt. Der Beschuldigte und sein Rechtsvertreter, der auch die Zulassungsbesitzerin vertritt, haben daran teilgenommen. Als Zeuge wurde der RI R M befragt. Der Zeuge ist Polizeibeamter und hat die Anzeige verfasst.
12. Die Sachverhaltsfeststellungen stützten sich im Wesentlichen auf die Anzeige der PI W vom 30.10.2016, die im Akt befindlichen Lichtbilder und die Angaben des Zeugen in der mündlichen Verhandlung.
Der Zeuge war glaubwürdig. Er ist Polizeibeamter und war als Zeuge zur Wahrheit verpflichtet. Es ist kein Grund ersichtlich, warum er die Beschuldigte zu Unrecht belasten und sich durch falsche Angaben der Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung aussetzen sollte.
Es ist auch kein Grund ersichtlich, warum der Polizeibeamte nicht in der Lage gewesen sein soll, die Übertretungen festzustellen.
Feststellung der Kontrollmaße
13. Gegen die Feststellung der Kontrollmaße wurde eingewendet, vom Beamten sei der Beladungszustand und die Oberflächenbeschaffenheit des Überprüfungsortes nicht in seine Beurteilung einbezogen worden.
Der Zeuge hat angegeben, dass „das Auto […] auf dem Parkplatz bei der Firma K[…] gestanden [ist], annähernd waagrecht. Der Vorplatz ist nicht schiefer als eine normale Straße.“
Das Landesverwaltungsgericht ist davon überzeugt, dass ein Polizeibeamter abschätzen kann, ob ein Fahrzeug waagrecht auf einem ebenen Untergrund steht, sodass die Ermittlung der Kontrollmaße möglich ist. Auch auf den Lichtbildern sind keine Auffälligkeiten des Parkplatzes zu erkennen. Zudem hat der Beschuldigte nicht näher dargelegt, welche konkrete Oberflächenbeschaffenheit sich in welcher Form auf die Messung ausgewirkt haben soll.
Was den Beladungszustand angeht, hat der Beschuldigte in der mündlichen Verhandlung angegeben, „der Kofferraum war damals voll. Ich bin ganz normal einkaufen und habe auch Getränke eingekauft.“
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich der Kofferraum hinten befindet, sodass sich der Beladungszustand lediglich auf die Messung bei der hinteren Achse auswirken könnte.
Im Übrigen kann dieser Verantwortung nicht gefolgt werden: Der Beschuldigte hätte während der Kontrolle die Möglichkeit gehabt, den Polizeibeamten auf den Beladungszustand hinzuweisen, was er aber nicht getan hat. Auch im Verfahren vor der Behörde hat er nie auf den Beladungszustand verwiesen. Außerdem hat er von einem „normalen“ Einkauf gesprochen. Es ist unwahrscheinlich, dass ein „normaler“ Einkauf so schwer ist, dass er relevante Auswirkungen hatte.
Bodenfreiheit
14. Was die Feststellung der Bodenfreiheit betrifft, so hat der Polizeibeamte in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, wie der die Übertretung festgestellt hat, nämlich mit einem 7cm langen Kontrollklötzchen, das er unter das Fahrzeug geschoben hat, um zu sehen, ob es irgendwo ansteht. Auf den Lichtbildern ist ersichtlich, dass Fahrzeugteile, darunter auch das Auspuffrohr, weniger als 7cm vom Boden entfernt sind.
Felgen, Reifen, Heckspoiler, Sticker, Domstrebe
15. Auf den Lichtbildern, die der Zeuge angefertigt hat, sind deutlich zu erkennen:
? die Felgen mit der Aufschrift „breyton“;
? Reifen mit der Aufschrift „215/40ZR17“ und „245/35ZR17“;
? ein Heckspoiler;
? eine Domstrebe im Motorraum.
Dass diese Bauteile nicht im Zulassungsschein eingetragen waren, wurde auch vom Beschuldigten nicht ausdrücklich bestritten (er hat lediglich bestritten, dass diese Bauteile überhaupt in den Zulassungsschein eingetragen werden müssen).
Auf einem Lichtbild ist ersichtlich, dass ein Sticker mit der Aufschrift „MOST WANTED“ am rechten Rand der Windschutzscheibe angebracht war. Dieser Umstand wurde nicht bestritten.
16. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass das Fahrzeug im angeblichen Tatzeitpunkt völlig verkehrs- und betriebssicher war, war nicht erforderlich, weil nicht mehr zweifelsfrei festgestellt werden kann, ob der heutige Zustand des Fahrzeuges jenem zum Tatzeitpunkt entspricht.
Maßgebliche Rechtsvorschriften (in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung)
17. Das Kraftfahrgesetz 1967 (KFG) lautet auszugsweise wie folgt:
„II. ABSCHNITT
Bauart und Ausrüstung der Kraftfahrzeuge und Anhänger
§ 4. Allgemeines
[BGBl. Nr. 267/1967 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 73/2015]
(1) Kraftfahrzeuge und Anhänger müssen verkehrs- und betriebssicher gebaut und ausgerüstet sein. Die Sicht vom Lenkerplatz aus muss für das sichere Lenken des Fahrzeuges ausreichen. Die Vorrichtungen zum Betrieb eines Kraftfahrzeuges müssen so angeordnet sein, dass sie der Lenker auch bei bestimmungsgemäßer Verwendung eines geeigneten Sicherheitsgurtes, ohne das Augenmerk von der Fahrbahn abzuwenden, leicht und ohne Gefahr einer Verwechslung betätigen und das Fahrzeug sicher lenken kann. Die Wirksamkeit und Brauchbarkeit der für die verkehrs- und betriebssichere Verwendung dieser Fahrzeuge maßgebenden Teile muss bei sachgemäßer Wartung und Handhabung gegeben und zu erwarten sein; diese Teile müssen so ausgebildet und angeordnet sein, dass ihr ordnungsgemäßer Zustand leicht überwacht werden kann und ein entsprechender Austausch möglich ist.
(2) Kraftfahrzeuge und Anhänger müssen so gebaut und ausgerüstet sein, dass durch ihren sachgemäßen Betrieb weder Gefahren für den Lenker oder beförderte Personen oder für andere Straßenbenützer noch Beschädigungen der Straße oder schädliche Erschütterungen noch übermäßig Lärm, Rauch, übler Geruch, schädliche Luftverunreinigungen oder vermeidbare Beschmutzungen anderer Straßenbenützer oder ihrer Fahrzeuge entstehen. Sie müssen so gebaut und ausgerüstet sein, dass der Lenker, beförderte Personen und andere Straßenbenützer bei Verkehrsunfällen möglichst geschützt sind. Sie dürfen innen und außen keine vermeidbaren vorspringenden Teile, Kanten oder zusätzlichen Vorrichtungen aufweisen, die bei Verkehrsunfällen schwere körperliche Verletzungen erwarten lassen. Unvermeidbare vorspringende Teile, Kanten oder zusätzliche Vorrichtungen, die bei Verkehrsunfällen schwere körperliche Verletzungen erwarten lassen, müssen durch geeignete Schutzvorrichtungen entsprechend abgedeckt oder, wenn dies nicht ohne schwere Beeinträchtigung der Verwendbarkeit des Fahrzeuges im Rahmen seiner Zweckbestimmung durchführbar ist, entsprechend gekennzeichnet sein.
[…]
[…]
§ 102. Pflichten des Kraftfahrzeuglenkers
[BGBl. Nr. 267/1967 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 67/2016]
(1) Der Kraftfahrzeuglenker darf ein Kraftfahrzeug erst in Betrieb nehmen, wenn er sich, soweit dies zumutbar ist, davon überzeugt hat, dass das von ihm zu lenkende Kraftfahrzeug und ein mit diesem zu ziehender Anhänger sowie deren Beladung den hiefür in Betracht kommenden Vorschriften entsprechen; die Überprüfung der Wirksamkeit der Vorrichtungen zum Abgeben von akustischen Warnzeichen darf jedoch nur erfolgen, sofern nicht ein Verbot gemäß § 43 Abs. 2 lit. a StVO 1960 besteht. […].
(1a) […]
(2) Der Lenker hat den Lenkerplatz in bestimmungsgemäßer Weise einzunehmen. Er hat dafür zu sorgen, dass die Sicht vom Lenkerplatz aus für das sichere Lenken des Fahrzeuges ausreicht und dass die Kennzeichen des von ihm gelenkten Kraftfahrzeuges und eines mit diesem gezogenen Anhängers vollständig sichtbar sind und nicht durch Verschmutzung, Schneebelag, Beschädigung oder Verformung der Kennzeichentafel unlesbar sind. […]
[…]
§ 134. Strafbestimmungen
[BGBl. Nr. 267/1967 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 40/2016]
(1) Wer diesem Bundesgesetz, den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen, […], zuwiderhandelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 5 000 Euro, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen. […] Wurde der Täter wegen der gleichen Zuwiderhandlung bereits einmal bestraft, so kann an Stelle der Geldstrafe Arrest bis zu sechs Wochen verhängt werden. Wurde der Täter wegen der gleichen Zuwiderhandlung bereits zweimal bestraft, so können Geld- und Arreststrafen auch nebeneinander verhängt werden. Die Verhängung einer Arreststrafe ist in diesen Fällen aber nur zulässig, wenn es ihrer bedarf, um den Täter von weiteren Verwaltungsübertretungen der gleichen Art abzuhalten. Auch der Versuch einer solchen Zuwiderhandlung ist strafbar.
[…].“
18. Der § 60 Abs 1 Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159/1960 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 52/2005, lautet:
„(1) Ein Fahrzeug darf auf Straßen nur verwendet werden, wenn es so gebaut und ausgerüstet ist, daß durch seinen sachgemäßen Betrieb Personen nicht gefährdet oder durch Geruch, Geräusch, Staub, Schmutz u. dgl. nicht über das gewöhnliche Maß hinaus belästigt oder Sachen, insbesondere die Fahrbahn, nicht beschädigt werden.“
Rechtliche Beurteilung
Zu den Spruchpunkten 1 bis 3 des angefochtenen Straferkenntnisses
19. In den Spruchpunkten 1 bis 3 wurde dem Beschuldigten vorgeworfen, er habe das Fahrzeug verwendet wobei festgestellt worden sei, dass das Kontrollmaß unterschritten wurde und dass die Bodenfreiheit im Bereich des Krümmers unter 70 mm betragen habe. Die Behörde hat jeweils eine Übertretung des § 60 Abs 1 StVO angenommen.
Der § 60 StVO stellt Mindesterfordernisse für den Zustand und für die Beleuchtung aller Fahrzeuge auf.
Die Bauart und die Ausrüstung der Kraftfahrzeuge und Anhänger wird im § 4 KFG geregelt. Der § 4 Abs 2 KFG stellt die lex specialis für Kraftfahrzeuge gegenüber dem generellen, für alle Fahrzeuge geltenden § 60 Abs 1 StVO dar (vgl. Pürstl, StVO13 [2011] E2 zu § 60).
Der Beschuldigte wäre daher nach § 102 Abs 1 iVm § 4 Abs 2 KFG zu bestrafen gewesen. Ein entsprechender Tatvorwurf wurde dem Beschuldigten aber nie gemacht. Die Spruchpunkte 1 bis 3 mussten daher aufgehoben werden.
Zum Spruchpunkt 8 des angefochtenen Straferkenntnisses
20. Dem Beschuldigten wurde eine Übertretung des § 102 Abs 1 KFG iVm § 4 Abs 2 KFG vorgeworfen, weil beim Kraftfahrzeug, das der Beschuldigte gelenkt hat, eine Domstrebe angebracht war, die nicht im Zulassungsschein eingetragen war.
Nach § 102 Abs 1 KFG darf der Lenker ein Kraftfahrzeug erst in Betrieb nehmen, wenn er sich, soweit dies zumutbar ist, davon überzeugt hat, dass es den dafür in Betracht kommenden Vorschriften entspricht.
Die Domstrebe war im Motorraum angebracht. Der Lenker hätte daher die Motorhaube öffnen müssen, um festzustellen, dass die Domstrebe angebracht war. Es ist nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes einem Fahrzeuglenker nicht mehr zumutbar, dass er auch die Motorhaube öffnen und den Motorraum kontrollieren muss, um sich davon zu überzeugen, dass das Fahrzeug den in Betracht kommenden Vorschriften entspricht. Der Spruchpunkt 8 war daher aufzuheben.
Zu den Spruchpunkten 4 bis 7 und 9 des angefochtenen Straferkenntnisses
21. Der Beschuldigte hat ein Kraftfahrzeug gelenkt. Ein Kraftfahrzeuglenker darf ein Kraftfahrzeug erst in Betrieb nehmen, wenn er sich, soweit dies zumutbar ist, davon überzeugt hat, dass es den dafür in Betracht kommenden Vorschriften entspricht (vgl. § 102 Abs 1 KFG).
Tatsächlich hat das Kraftfahrzeug nicht den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes entsprochen. Bei diesem Kraftfahrzeug
? waren Felgen montiert, die nicht im Zulassungsschein eingetragen waren;
? wurden an der ersten (vorderen) Achse und an der zweiten (hinteren) Achse Reifen mit Dimensionen verwendet, die nicht im Zulassungsschein eingetragen waren;
? war ein Heckspoiler angebracht, der nicht im Zulassungsschein eingetragen war;
? war an der rechten Seite der Windschutzscheibe ein Sticker mit vertikaler Aufschrift angebracht.
Durch zu tief gelegte Fahrzeuge können Beschädigungen an der Straße entstehen. Der Einbau und die Verwendung der im Straferkenntnis angeführten Bauteile (Felgen, Reifen, Heckspoiler) berührt die Verkehrs- und Betriebssicherheit des Kraftfahrzeuges und bedarf der Prüfung durch einen amtlichen Sachverständigen und der Eintragung in den Zulassungsschein. Auch durch die Verwendung von nicht genehmigten Reifen und anderen Bauteilen können Gefahren für den Lenker, die beförderten Personen oder andere Straßenbenützer nicht ausgeschlossen werden. Der Beschuldigte hat daher gegen den § 4 Abs 2 KFG, der Gefahren und Umweltbeeinträchtigungen vermeiden soll, bzw gegen den § 102 Abs 2 KFG verstoßen
22. Zur Strafbarkeit genügt fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist bei Ungehorsamsdelikten ohne weiteres anzunehmen, wenn der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (vgl. § 5 Abs 1 VStG).
Der Beschuldigte war verpflichtet, den Zustand des Fahrzeuges zu kontrollieren und sich davon zu überzeugen, dass er den einschlägigen Vorschriften entspricht. Bei Einhaltung einer zumutbaren Sorgfalt hätte er erkennen können, dass Bauteile montiert waren, die nicht in der Zulassung eingetragen waren.
Die Beschuldigte hat die Übertretungen daher auch in subjektiver Hinsicht zu verantworten.
23. Der Beschuldigte hat vorgebracht, für die Felgen und die Reifen eine EG-Betriebserlaubnis zu haben. Mit Schreiben vom 02.11.2017 wurden verschiedene Prüfberichte und Bestätigungen vorgelegt. Damit hätte nachgewiesen werden sollen, dass die Bauteile auch ohne Eintragung in den Zulassungsschein verwendet werden durften.
Mit diesen Berichten wird aber nicht die Prüfung durch einen amtlichen Sachverständigen und damit auch nicht die Verkehrs- und Betriebssicherheit nachgewiesen:
Im Gutachten des TÜV Pfalz aus dem Jahre 1991 (samt Nachträgen aus dem Jahre 1992) betreffend die Felgen der Type „breyton“ wird wörtlich ausgeführt: „Dieser Prüfbericht dient als Arbeitsunterlage für den amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer bei Einzelabnahmen nach § 19 StVZO.“
Bei diesem Prüfbericht handelt es sich daher lediglich um eine Arbeitsunterlage für einen amtlichen Sachverständigen. Die Verkehrs- und Betriebssicherheit wird daher allein mit diesem Prüfbericht noch nicht nachgewiesen.
Dasselbe gilt in Bezug auf die Reifen. In der vorgelegten Herstellerbestätigung vom 27.10.2017 der Firma Hankook Reifen wird angeführt, dass sie „zur Vorlage bei den prüfenden Instanzen verwendet werden“ kann.
Auch bei den Unterlagen in Bezug auf die Domstrebe und den Heckspoiler handelt es sich lediglich um Herstellerbestätigungen, wonach die Bauteile unbedenklich sind oder werkseitig freigegeben sind. Damit kann aber die korrekte Montage im konkreten Fall nicht nachgewiesen werden.
Die vorgelegten Überprüfungen und Gutachten des TÜV SÜD stammen aus dem Jahr 2014. Über den Zustand des Fahrzeuges zum Tatzeitpunkt am 30.10.2016 können sie daher nichts aussagen.
24. Es wurde vorgebracht, dass der Sticker durchsichtig gewesen sei. Der kontrollierende Polizeibeamte hat dazu angegeben: „Durch den Aufkleber kann man schon durchschauen, abgesehen von den Buchstaben“. Das Landesverwaltungsgericht folgt diesen Angaben des Polizeibeamten. Durch den Sticker ist daher eine Sichtbehinderung aufgetreten, wenngleich durch den Aufkleber die Sicht auf der rechten Seite nicht vollständig verdeckt wurde. Auch diese Sichtbehinderung an der Windschutzscheibe beeinträchtigt die Sicht und damit auch die Verkehrs- und Betriebssicherheit.
25. In der Beschwerde wurde vorgebracht, das Straferkenntnis verstoße gegen das Doppelbestrafungsverbot. Die einzelnen Spruchpunkte würden sich gegen dasselbe Vergehen richten. Das Fahrzeug bzw dessen Zustand könne nur einmal den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes widersprechen und nicht in jedem einzelnen Teil.
Dem ist entgegen zu halten, dass an die Eigenschaften und Bauteile des Fahrzeuges unterschiedliche Anforderungen gestellt werden. Wenn der Lenker seiner Verpflichtung nicht nachgekommen ist, obwohl das Fahrzeug in mehrfacher Hinsicht nicht den in Betracht kommenden Vorschriften entspricht, so kommt das Kumulationsprinzip zum Tragen (vgl. Grundtner/Pürstl, KFG9 [2013] E8 zu § 102). Es waren daher mehrere Strafen zu verhängen.
26. Im vorletzten Satz des Spruchpunktes 4 wurde ein Schreibfehler korrigiert. Wie auf den Lichtbildern zu sehen lautet der Name der Felgen „breyton“.
Strafbemessung
27. Gemäß § 19 Verwaltungsstrafgesetz (VStG) iVm § 38 VwGVG sind Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat. Im ordentlichen Verfahren sind überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.
28. Schutzzweck des § 103 Abs 1 iVm § 4 Abs 2 KFG und des § 102 Abs 2 KFG ist die Vermeidung von Gefahren und Umweltbeeinträchtigungen durch Kraftfahrzeuge. Diese Vorschrift dient damit letztlich dem Interesse der Verkehrssicherheit. Die Beschuldigte hat durch ihr Verhalten dieses Interesse nicht unerheblich beeinträchtigt. Als Verschuldensform ist zumindest Fahrlässigkeit anzunehmen.
29. Erschwerung- oder Milderungsgründe liegen nicht vor.
30. Zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen hat der Beschuldigte angegeben, er sei momentan Leasingarbeiter und verdiene monatlich ca. 1.400 Euro netto. Sein Arbeitsvertrag ende im Dezember. Er habe Kreditschulden von ca. 10.000 Euro.
31. Der gesetzliche Strafrahmen reicht bis 5.000 Euro (vgl. § 134 Abs 1 KFG). Die Behörde hat Geldstrafen von 100 Euro und 150 Euro verhängt. Sie hat damit den gesetzlichen Strafrahmen zu 2 % und 3 % ausgeschöpft. Die verhängten Strafen bewegen sich damit am untersten Ende des Strafrahmens.
Diese Strafen sind nach Meinung des Landesverwaltungsgerichts auch bei schlechten Einkommens- und Vermögensverhältnissen nicht überhöht.
Unter Würdigung des vorgetragenen Sachverhaltes und unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers findet das Landesverwaltungsgericht die von der Behörde festgesetzte Strafe schuld-, tat-, vermögens- und einkommensangemessen.
32. Der Beschuldigte hat in der Beschwerde beantragt, eine Ermahnung auszusprechen.
Ein Ermahnung kann erteilt werden, wenn die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Täters gering sind (vgl. § 45 Abs 1 Z 4 VStG).
Bei der Auslegung dieser Bestimmung kann auf die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs 1 VStG (alt) verwiesen werden. Danach kann von einem geringen Verschulden im Sinne des § 21 Abs 1 VStG (alt) nur dann gesprochen werden, wenn das tatbildmäßige Verhalten des Täters hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurückbleibt. Das ist hier nicht der Fall, sodass bereits aus diesem Grund eine Ermahnung nicht möglich ist.
33. Da der Beschwerde teilweise Folge geben wurde, entfällt gemäß § 52 Abs 8 VwGVG insoweit die Vorschreibung eines Beitrages zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens von 20 % der verhängten Strafen. Außerdem verringert sich der Beitrag zu den Kosten des behördlichen Verfahrens auf 10 % der nunmehr verhängten Strafen.
Unzulässigkeit der Revision
34. Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Pflichten des Kraftfahrzeuglenkers, Kontrolle vor Inbetriebnahme, Motorraum, nicht zumutbarAnmerkung
Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof (29.05.2018. Ra 2018/02/0166 und Ra 2018/02/0167) zurückgewiesen (keine Verfahrensfehler).European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGVO:2018:LVwG.1.31.2017.R11Zuletzt aktualisiert am
28.06.2018