TE Bvwg Erkenntnis 2018/2/23 W247 2149424-1

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Veröffentlicht am 23.02.2018
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Entscheidungsdatum

23.02.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W247 2149424-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Robert-Peter HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung-Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.02.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.02.2018, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005 idgF., § 9 BFA-VG idgF., und §§ 52, 55 FPG idgF., als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Die beschwerdeführenden Partei (BF) ist afghanischer Staatsangehörige und der Volksgruppe der Pashtunen und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zugehörig.

I. Verfahrensgang:

1. Der BF reiste spätestens am 24.12.2015 unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am 24.12.2015 polizeilich erstbefragt wurde. Nach Zulassung seines Verfahrens wurde die Beschwerdeführer am 30.06.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion Niederösterreich, im Beisein eines dem BF einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache PASHTU niederschriftlich einvernommen.

2. Der BF brachte im Rahmen seiner Erstbefragung vor, Afghanistan wegen der Taliban verlassen zu haben und mit dem Leben bedroht worden zu sein, da sie (d.h. der BF und sein Cousin, Anm. d. erkennenden Gerichts) die Regierung über die Taliban informiert hätten. Die Taliban hätten sie töten wollen, weshalb sie schlussendlich geflohen seien. Befragt, was er befürchten würde im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, gab der BF an, um sein Leben Angst zu haben.

3. Im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA am 30.06.2016 machte der BF geltend, dass er gesund und arbeitsfähig sei und keine Medikamente nehmen würde. Er heiße XXXX , sei in XXXX (Afghanistan) geboren, wo auch alle seine Verwandten leben würden, sei ledig und habe keine Kinder. Hinsichtlich seiner bisher hier in Österreich gemachten Angaben, insbesondere jenen vor der Exekutive, gab der BF zusammenfassend an, dass er nicht die Wahrheit gesagt habe und auch keine Arbeit bekommen habe. Hinsichtlich seiner Gründe die Heimat zu verlassen und befragt danach, warum er nicht zurück nach Afghanistan könne, meinte der BF, dass er von allen "verarscht" worden sei. Wegen seiner Größe sei er zu Hause nicht ernst genommen und belästigt worden. Mehr könne er dazu nicht sagen. Die Frage, ob es ein fluchtauslösendes Ereignis in Afghanistan gegeben habe, welches ihn zur Ausreise bewogen habe, verneinte er und meinte, er wolle so nicht mehr leben. Nachgefragt, blieb der BF bei seinem nunmehrigen Vorbringen und bestätigte, dass alles korrekt sei und der Wahrheit entspräche. Befragt, was eine Rückkehr nach Afghanistan bedeuten würde, meint der BF: "Tod".

4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde (BFA) vom 03.02.2017 wurden der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.) und ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zur Lage in seinem Herkunftsstaat und führte aus, dass nicht festzustellen sei, dass der Beschwerdeführer aus den von ihm vorgebrachten Gründen Afghanistan verlassen habe. Die von ihm vorgebrachten Gründe für das Verlassen Afghanistans seien nicht glaubwürdig. Es könne keine (wie auch immer geartete) Gefährdung für den BF im Falle einer Rückkehr in sein Herkunftsland festgestellt werden. Im Fall des Beschwerdeführers bestünde zudem eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative. Er könnte seinen Lebensunterhalt als alleinstehender Mann in Kabul bestreiten.

Beweiswürdigend führte das BFA im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen aus, dass der BF nicht am Verfahren zur Feststellung, ob er internationalen oder subsidiären Schutz bräuchte, mitgewirkt habe und somit die in den Raum gestellte Gefährdungslage nicht glaubhaft gemacht habe. Aufgrund der sehr volatilen Sicherheitslage in der Heimatprovinz Paktia habe die belangte Behörde festgestellt, dass der BF zwar nicht in diese Provinz, aber sehr wohl nach Kabul zurückkehren könne um sich dort als alleinstehender, arbeitsfähiger Mann ein Leben aufzubauen.

Eine tatsächliche Verfolgung durch die Taliban habe der BF in seiner Fluchtgeschichte nicht glaubhaft darlegen können. Außerdem habe sich der BF auf eine nicht glaubhafte Diskriminierung seiner Person aufgrund seiner unterdurchschnittlichen Körpergröße berufen. Aufgrund des Fehlens eines in der GFK genannten Grundes sei die Gewährung internationalen Schutzes nicht möglich. Eine IFA für Kabul wurde von belangter Behörde angenommen.

5. Mit Verfahrensanordnung vom 13.02.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

6. Mit fristgerecht eingebrachtem Schriftsatz vom 02.03.2018 wurde Beschwerde gegen den gegenständlichen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich der Spruchpunkte I., II., III. und IV. wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens eingebracht.

Begründend wurde von Beschwerdeseite ausgeführt, dass der BF als Rechtsunkundiger im österreichischen Recht nicht in der Lage gewesen sei, zu beurteilen, welche Angaben für seinen Fall von Bedeutung sind. Wäre bei seiner Befragung angemessen manuduziert worden, wie es den Verfahrensgrundsätzen entsprochen hätte, hätte der BF im Rahmen der Einvernahme nähere Angaben zu den Diskriminierungen seiner Person machen können. Die erfolgte Einvernahme wäre also mangelhaft gewesen. Unter Behauptung der Verwendung mangelhafter Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid wurde von Beschwerdeseite eingewandt, dass sich im angefochtenen Bescheid keine Länderberichte zur Situation körperlich beeinträchtigter Personen in Afghanistan finden. Hätte die belangte Behörde solche Länderberichte in Verbindung mit den Vorbringen des BF einbezogen, hätte sie feststellen müssen, dass dem BF aufgrund seiner Kleinwüchsigkeit in Afghanistan Diskriminierung und Ausgrenzung drohe und somit seine Existenz massiv gefährdet wäre. Des Weiteren brachte die Beschwerdeseite vor, dass der BF die Voraussetzungen für die Asylgewährung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der körperlich Beeinträchtigten erfülle, wobei ihm der afghanische Staat nicht vor asylrelevanter Verfolgung schützen könne und ihm somit seinem Asylantrag stattzugeben wäre. Die Beschwerdeseite beantragte sinngemäß, das Bundesverwaltungsgericht möge I. den hier angefochtenen, oben bezeichneten Bescheid zur Gänze beheben und dem BF Asyl gemäß § 3 AsylG gewähren, in eventu II. für den Fall der Abweisung des obigen Beschwerdeantrages gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG feststellen, dass dem BF der Status des subsidiären Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zukommt, in eventu III. den hier angefochtenen Bescheid wegen der Rechtswidrigkeit zur Gänze beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückzuweisen (§ 66 Abs.2 AVG, § 28 Abs. 3 und 4 VwGVG), sowie IV. feststellen, dass die gem § 52 FPG erlassene Rückkehrentscheidung gem. § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist und die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung (plus) gem. § 55 AsylG vorliegen und dem BF daher gem. § 58 Abs. 2 AsylG eine Aufenthaltsberechtigung von Amts wegen zu erteilen ist. Sowie V. in eventu feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gem. § 57 AsylG vorliegen und dem BF daher eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gem. § 57 Abs. 1 AsylG von Amts wegen zu erteilen ist. VI eine mündliche Verhandlung gem. § 24 Abs.1 VwGVG durchzuführen.

7. Die Beschwerdevorlagen vom 06.03.2017 und der Verwaltungsakt langten beim Bundesverwaltungsgericht am 08.03.2017 ein.

8. Am 24.05.2017 wurde der BF vom LG Linz nach dem SMG zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt, unter Anrechnung der Vorhaft und der Nachsicht eines Teils der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 6 Monaten.

9. Mit Schriftsatz vom 21.12.2017 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer folgende Berichte

-

Staatendokumentation Afghanistan vom 02.03.2017, Gesamtaktualisierung vom 25.09.2017

-

Gutachten Mag. Karl Mahringer vom 05.03.2017

-

Gutachten Mag. Karl Mahringer Aktualisierung vom 15.05.2017

und wurde ihm Gelegenheit eingeräumt, dazu bis einlangend zum 12.01.2018 Stellung zu nehmen.

10. Mit Schriftsatz vom 19.01.2018 brachte der Beschwerdeführer durch seinen bevollmächtigten Vertreter in seiner Stellungnahme - im Wesentlichen zusammengefasst - vor, dass der BF jahrelanger systematischer Diskriminierung wegen seiner Kleinwüchsigkeit in Afghanistan ausgesetzt gewesen sei. Des Weiteren wurden schriftliche Beiträge von ACCORD von September 2017 und des UNO-Flüchtlingshochkommissariates von April 2016 zitiert, die Zugehörigkeit des BF zu einer sozialen Gruppe von Personen mit körperlichen Beeinträchtigungen behauptet, eine IFA für den BF in casu verneint und weitere Ausführungen der Afghanistan-Spezialistin Friederike STAHLMANN zur aktuellen humanitären Lage in Großstädten (Wohnungsmarkt, Arbeitsmarkt, Kriminalität), insbesondere Kabul, zur allgemeinen wirtschaftlichen Lage und Beziehungsnetzwerken und fehlenden Hilfsmöglichkeiten dargelegt. Die Beschwerdeseite resümierte, dass auch alleinstehende Rückkehrer ohne soziale Netzwerke aus eigener Kraft ihre Überleben nicht sichern könnten.

11. Am 12.02.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht unter der Beiziehung einer dem BF einwandfrei verständlichen Dolmetscherin für die Sprache PASHTU eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.

Die Niederschrift lautet auszugsweise:

"RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft, sowie Ihren Wohnort an dem Sie sich vor Ihrer Ausreise in Afghanistan aufgehalten haben.

BF: Mein Name ist XXXX , ich kenne mein Geburtsdatum nicht, ich habe keine Bildung. Ich wurde in der Provinz XXXX geboren, im Distrikt XXXX , Dorf XXXX . Ich bin afghanischer Staatsbürger.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF: Ich bin Pashthune und spreche Pashto.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an? Und wenn ja, welcher?

BF: Meine Religion ist der Islam und ich bin Sunnit.

RI: Haben Sie Dokumente oder Unterlagen aus Afghanistan, welche Ihre Identität beweisen?

BF: Nein, ich besitze nichts.

RI: Habe Sie nie solche Dokumente besessen oder sind diese unterwegs verloren gegangen?

BF: Ich hatte nie Dokumente.

RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Welche Schulausbildung haben Sie abgeschlossen? Welchen Beruf haben Sie gelernt und welchen Beruf haben Sie ausgeübt?

BF: Ich habe nicht lange die Schule besucht, ich weiß nicht wie lange ich in die Schule gegangen bin. Ich habe keine Bildung. Ich bin in die Schule gegangen, die Lehrer haben mich ausgelacht, ich bin sehr gerne in die Schule gegangen, aber die Mitschüler und die Lehrer haben mich gehänselt. Sie nannten mich immer "Der Kurze". Nein, in Afghanistan bekomme ich keine Arbeit, niemand wird mich auch in eine Arbeit aufnehmen. Man hat mir früher gesagt, dass ich nicht fähig bin zu arbeiten, weil ich so kurz geraten bin.

RI: Haben Sie sich außer an dem von Ihnen angegebenen, letzten Wohnort in Afghanistan auch an einem anderen Wohnort längere Zeit aufgehalten?

BF: Nein.

RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zur Zeit in Afghanistan und in welcher Stadt?

BF: Meine Verwandten sind alle in XXXX , sonst habe ich niemanden der in einer anderen Provinz in Afghanistan lebt. Mein Vater, meine Mutter, meine zwei jüngeren Brüder, zwei Schwestern von mir sind verheiratet und ich habe vier Schwestern, sind noch zu Hause. Ich habe noch weitere Verwandte, aber sie sind nicht gut mit uns.

RI: Haben Sie regelmäßigen Kontakt zu diesen Verwandten? Wenn ja, wie und wie oft?

BF: Seit längerem kann ich meine Familie nicht erreichen. Ich habe versucht meine Familie drei Mal anzurufen. Es hat nicht geklappt und meine Familie hat auch kein Facebook.

RI: Seit wann haben Sie keinen Kontakt mehr zu Ihrer Familie?

BF: Seit einem Jahr. In unserem Dorf funktionieren die Telefonnetze nicht immer.

RI: Haben Sie Verwandte, die außerhalb Afghanistans leben und haben Sie Kontakt zu diesen?

BF: Ich habe in Österreich noch einen Cousin väterlicherseits. Er wollte mich heute begleiten, aber er hat heute eine Prüfung und konnte deswegen nicht mit mir mitkommen.

RI: Der Cousin von Ihnen, der in Österreich wohnt, ist das der Herr XXXX?

BF: Ja.

RI: Planen Ihre in Afghanistan lebenden Verwandten auch nach Österreich zu kommen?

BF: Das weiß ich nicht. Mir haben sie davon nichts erzählt.

RI: Sind Sie verheiratet, befinden Sie sich in einer Lebensgemeinschaft? Haben Sie Kinder?

BF: Nein.

RI: Wann sind Sie in Österreich eingereist?

BF: Seit zweieinhalb oder drei Jahren bin ich in Österreich.

RI: Sind Sie seit Ihrer Ausreise aus Afghanistan in 2015 wieder einmal in Afghanistan gewesen, sei es auf Besuch oder auf Urlaub?

BF: Nein.

RI: Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe? Ich ersuche Sie mir ein möglichst klares und stimmiges Bild des Geschehenen zu vermitteln.

BF: Mein Problem ist, dass jeder mich ausgelacht hat. Ich wurde wegen meiner Größe gehänselt, sogar Lehrer lachten mich aus und die Mitschüler auch. Die Lehrer nannten mich "Der Kurze" und die Schüler lachten. Ich wollte gerne etwas lernen. Auch wenn ich in ein Geschäft gegangen bin um etwas einzukaufen, lachten mich die Leute aus. Viele Personen sind auch mir hinterhergelaufen und wollten mich verjagen. Ich wurde belästigt. Auch hier in Österreich belästigen mich die Leute. Hier werde ich sowohl von Afghanen als auch Österreichern diskriminiert. Jeder nennt mich das Kind.

RI: Wie äußert sich die Diskriminierung Ihrer Person?

BF: In Afghanistan hat man mich ausgelacht, man sagte mir, dass niemand bereit sein wird, seine Tochter mit mir zu verheiraten.

RI: Sind Sie in Afghanistan auf Grund Ihrer Größe auch angegriffen oder körperlich bedroht worden?

BF: Ja. Man sagte mir, dass ich nicht fähig bin zu arbeiten, ich sei viel zu klein. Außerdem wird auch niemand dort mich heiraten.

RI: Meine Frage an Sie: Hat es in Afghanistan jemals gegen Ihre Person gerichtet eine konkrete Bedrohungssituation gegeben?

BF: Die zivile Bevölkerung in Afghanistan hat mich ausgelacht und sagte mir, ich solle Anschläge verüben, damit ich zumindest ins Paradies komme.

RI: Welche Person hat Sie aufgefordert Anschläge zu verüben?

BF: Die Dorfbewohner. Sie sagten, ich würde sowieso nicht heiraten und ein Leben aufbauen können. Ich soll einen Anschlag verüben, damit ich als Märtyrer ins Paradies komme.

RI: Gegen wen sollten Sie einen Anschlag verüben?

BF: Die Dorfbewohner sagten, da ich keine anderen Fähigkeiten habe und auf Grund meiner Größe auch keiner Arbeit nachgehen kann, soll ich einen Anschlag verüben, damit ich zumindest als Märtyrer ins Paradies komme.

RI: Meine konkrete Frage ist, wer hat Sie aufgefordert einen Anschlag zu verüben und gegen wen sollten Sie den Anschlag verüben?

BF: Die Taliban aus dem Dorf sagten mir, ich soll einen Anschlag verüben, damit ich ins Paradies komme.

RI: Und gegen wen?

BF: Gegen unsere eigenen Leute.

RI: Gegen welche Leute?

BF: Gegen meine Verwandte, mit denen verstehen wir uns nicht so gut. Die Dorfbewohner sagten, ich soll eine Weste tragen und mich in die Luft sprengen.

RI: Um welche Verwandte geht es da genau?

BF: Cousins väterlicherseits. Sie leben im Nachbardorf.

RI: Warum sollten die Taliban in Ihrem Dorf daran interessiert sein, dass Sie gegen Ihre eigenen Cousins einen Sprengstoffanschlag verüben?

BF: Die Taliban sagten mir, ich kann mir sowieso kein Leben aufbauen, ich soll einen Anschlag verüben. Ob ich Verwandte, Ungläubige oder Amerikaner töte, spiele keine Rolle. Ich würde auf jeden Fall ins Paradies kommen.

RI: Wann sind Sie von den Taliban kontaktiert worden, mit dem Auftrag einen Sprengstoffanschlag zu verüben?

BF: Ich bin seit drei Jahren in Österreich, davor haben mir die Taliban das gesagt. Ich kann mich aber auch leider nicht ganz genau erinnern wann das war. Mein Rechtsberater kennt meine Geschichte, das was ich wusste, habe ich ihm gesagt. Ich habe auch von der heutigen Verhandlung angenommen, dass sie um 12:00 Uhr stattfindet. Kurz vor 10:00 hat mein Rechtsberater angerufen und gesagt, dass die Verhandlung früher stattfindet.

RI: Kehren wir bitte zurück zu Ihrem Fluchtvorbringen. Wie war der Name des Talib, der Sie zum Anschlag aufgefordert hat?

BF: Ich kenne den Namen des Talibs nicht. Dort gibt es hunderte von Taliban. Unser Dorf ist voller Taliben.

RI: Kannten Sie den Mann, der Sie kontaktiert hat?

BF: Nein.

RI: Ist das ein großes Dorf in dem Sie gelebt haben?

BF: Nein, es ist ein kleines Dorf, und zugänglich für die Taliban.

RI: Haben Sie den Talib schon davor gekannt oder gesehen, oder haben Sie Ihn zum ersten Mal gesehen, als er Sie zum Anschlag aufgefordert hat?

BF: Ich hatte Ihn gesehen. Die Taliban sind Tag und Nacht im Dorf unterwegs.

RI: Wurden Sie öfter aufgefordert einen Anschlag auszuüben oder war das einmal?

BF: Nur einmal.

RI: Wurden Sie nur von einem Talib aufgefordert den Anschlag zu verüben oder waren es mehrere?

BF: Ich wurde von einem Talib aufgefordert. Im Dorf gibt es aber sehr viele.

RI: Wie lange vor Ihrer Ausreise aus Afghanistan, hat dieser Kontakt mit dem Talib stattgefunden, der Sie aufgefordert hat den Anschlag zu verüben?

BF: Das weiß ich nicht, ich habe in Afghanistan Tabletten wegen meiner psychischen Probleme einnehmen müssen. Dadurch konnte ich nicht klar denken und ich weiß das Datum auch nicht mehr.

RI: Nur ungefähr? War es ein Jahr, ein Monat oder drei Jahre vor Ihrer Ausreise?

BF: Einen Monat vor der Ausreise hat mich dieser Talib aufgefordert, den Anschlag zu verüben. Die Diskriminierungen gab es schon seit vielen Jahren.

RI: Wie hat der Talib ausgesehen?

BF: Taliban sind im Dorf und jeder im Dorf unterhält sich auch mit den Taliban. Dieser Talib hatte lange Haare. Er war mit anderen Taliban im Dorf. Sie haben mich ausgelacht, sie sagten, ich sei verpflichtet in den Jihad zu ziehen. Ich habe diesen Leuten nichts gesagt, bin dann von dort weggegangen.

RI: VORHALTUNG: Sie haben vorhin angegeben, dass sie von einem Talib aufgefordert worden sind, einen Sprengstoffanschlag zu verüben gegen Verwandte. Danach haben Sie angegeben, dass dieser Talib gemeint hätte, sie sollten einen Sprengstoffanschlag verüben, gegen

Verwandte, Ungläubige oder Amerikaner. Danach sprachen Sie von mehreren Taliban, die Sie aufgefordert hätten, in den Jihad zu ziehen. Welche Version stimmt jetzt?

BF: Im Dorf ist niemals ein Talib alleine unterwegs. Er ist immer in einer Gruppierung. Zumindest zu fünft oder zu zehnt sind sie im Dorf unterwegs, aber niemals alleine.

RI wiederholt die Frage.

BF: Ich meinte damit, dass ein Talib aus der Gruppe der Taliban das gesagt hat, aber ein Talib ist niemals alleine unterwegs.

RI: VORHALTUNG: Bei Ihrer Ersteinvernahme am 24.12.2015 haben Sie, befragt nach Ihrem Fluchtgrund, auf Seite 6 des Protokolls angegeben: "Afghanistan haben wir wegen der Taliban verlassen. Da wir die Regierung über die Taliban informiert haben, wurden wir von den Taliban mit dem Leben bedroht. Sie wollten uns töten, weshalb wir schlussendlich geflohen sind". Bei Ihrer Einvernahme vor dem BFA am 30.06.2016 haben Sie, befragt nach Ihrem Fluchtgrund, auf Seite 2 des Protokolls angegeben: "Ich wurde von allen "verarscht"! Wegen meiner Größe wurde ich zu Hause nicht ernst genommen und belästigt. Mehr kann ich nicht sagen". Auf die Frage, ob es ein fluchtauslösendes Ereignis gab, was Sie zur Ausreise bewogen hatte, meinten Sie: " Nein. Aber ich wollte so nicht mehr leben". Im Rahmen der heutigen Verhandlung sprachen Sie zuerst von der Aufforderung eines Talibs, einen Sprengstoffanschlag auf Ihre Verwandten zu verüben, danach einen Sprengstoffanschlag auf Ihre Verwandten, die Ungläubigen oder Amerikaner zu verüben und danach sprachen Sie von einer Aufforderung von den Taliban an Sie, in den Jihad zu ziehen. Ich möchte von Ihnen wissen, welche Version der Fluchtgründe nun stimmt und warum Sie dazu so abweichende Aussagen bisher getätigt haben?

BF: Ich wurde aufgefordert, gegen die Amerikaner einen Anschlag zu verüben. Es wurde mir gesagt ich würde dann ins Paradies kommen. Ich habe mich vorhin geirrt. Ich habe Medikamente wegen meiner psychischen Beschwerden eingenommen.

RI: Sie haben heute Medikamente eingenommen?

BF: Nein, das ist ein Missverständnis Ich bin sehr ungeduldig. In Afghanistan habe ich Medikamente für meine Psyche eingenommen und diese haben auch jetzt Auswirkungen. In der Heimat habe ich diese Medikamente eingenommen.

RI: Was sind das für Medikamente?

BF: Das sind Tabletten gewesen. Ich war sehr ungeduldig, wenn jemand lange mit mir gesprochen hat, habe ich die Geduld verloren zuzuhören. Ich bin gemeinsam mit meinem Cousin väterlicherseits nach Österreich eingereist, der Dolmetscher hat den Fluchtgrund meines Cousins auch als meinen Fluchtgrund protokolliert. Mein Cousin hatte Dokumente. Er hatte auch einen Aufenthaltstitel für Österreich bekommen.

RI: Sprechen Sie jetzt von der Ersteinvernahme oder der Einvernahme beim BFA?

BF: Ich hatte eine Einvernahme in Wr. Neustadt. Das was ich Ihnen heute angegeben habe und das was ich bei der Flüchtlingsbehörde gesagt habe, entspricht der Wahrheit.

RI: Welche Flüchtlingsbehörde?

BF: Bei der Erstbefragung wurde mein Fluchtvorbringen falsch protokolliert. Mein Cousin väterlicherseits hat ein eigenes Fluchtvorbringen und ich habe ein eigenes Fluchtvorbringen. Das was ich heute angegeben habe, entspricht der Wahrheit.

RI: Und was ist mit dem Fluchtvorbringen, das sie vor dem BFA am 30.06.2016 vorgebracht haben?

BF: Das was ich heute angegeben habe entspricht der Wahrheit. Bei der Erstbefragung hat der Dolmetscher das Fluchtvorbringen meines Cousins und von mir zusammengelegt.

RI: Und vor dem BFA?

BF: Das was ich Ihnen heute erzähle, ist mein Fluchtvorbringen.

RI: Was ist mit dem Fluchtvorbringen beim BFA?

BF: Das stimmt auch nicht.

RI: Ist Ihnen das Protokoll der Ersteinvernahme rückübersetzt worden?

BF: Ja.

RI: Wenn Ihnen das Protokoll der Ersteinvernahme rückübersetzt wurde, und sie haben dieses unterschrieben, warum haben sie nicht bei der Rückübersetzung nicht Einwände gegen dieses Protokoll erhoben, wenn der protokollierte Fluchtgrund nicht gestimmt hat?

BF: Ich bin total verwirrt, ich kenne mich nicht mehr aus. Bei meiner letzten Einvernahmen habe ich auch angegeben, dass ich gehänselt und ausgelacht wurde.

RI: Wurde Ihnen das Protokoll von der niederschriftlichen Einvernahme beim BFA rückübersetzt?

BF: Ja.

RI: Warum haben Sie gegen dieses Protokoll keine Einwände erhoben, wenn der darin protokollierte Fluchtgrund nicht gestimmt hat?

BF: Es war für mich selbst sehr komisch, dass der Referent und der Dolmetscher das Fluchtvorbringen meines Cousins und mein Fluchtvorbringen zusammengelegt haben.

RI: Sie haben vorhin gemeint, dass das bei Ihrer Ersteinvernahme Ihr Fluchtgrund und der Fluchtgrund Ihres Cousins zusammengelegt worden sei. Ich frage Sie aber jetzt, nach der Befragung vor dem BFA am 30.06.2016. Auch hier weicht der von Ihnen angegebene Fluchtgrund von den Angaben, die Sie heute getätigt haben ab. Wurde Ihnen jenes Protokoll rückübersetzt und wenn ja warum haben Sie gegen den darin protokollierten Fluchtgrund keine Einwände erhoben?

BF: Ich habe dem Dolmetscher gesagt, dass ich von der zivilen Bevölkerung ausgelacht und gehänselt wurde. Das ist das Problem des Dolmetschers, ich habe meinen Fluchtgrund angegeben.

RI: VORHALTUNG: Sie haben aber auch im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA auf S. 3 des Protokolls, auf die Frage, ob Sie konkrete Gegner haben geantwortet: "Nein, eigentlich nicht." Und auf die Frage, ob es ein Fluchtauslösendes

Ereignis gab haben Sie geantwortet: "Nein, aber ich wollte nicht mehr so leben." Dies steht zu Ihren heutigen Aussagen im Widerspruch.

BF: Ich habe angegeben, dass ich ausgespottet und gehänselt wurde.

RI: Gibt es noch andere Fluchtgründe als die eben Geschilderten?

BF: Nein.

RI: Hatten Sie in Afghanistan Probleme aufgrund Ihrer Rasse, Religion, Ethnie, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder Ihrer politischen Gesinnung? Hatten Sie Probleme mit den Behörden in Ihrem Heimatland?

BF: Nein, ich wurde von der zivilen Bevölkerung verspottet, gehänselt und ausgelacht. Schauen Sie, diese Verletzungen wurden mir von den Afghanen zugefügt.

RI: Was sind das für Verletzungen? Beschreiben Sie sie.

BF zeigt Verletzungen. Auf der linken Schulter des BF befinden sich Verfärbungen der Hautoberfläche, welche wie Hämatome aussehen. Vernarbungen sind nicht zu erkennen. Auf dem Unterarm sind zwei Narben zu erkennen, die nach Angaben des BF von brennenden Zigaretten stammen und ihm von anderen Afghanen hier in Österreich zugefügt worden sind.

RI: Stehen Sie zur Zeit unter Medikamenteneinfluss?

BF: Nein.

RI: Sie sagten, dass Sie in Afghanistan Medikamente wegen Ihrer Psyche eingenommen hatten. Welche psychischen Probleme hatten Sie in Afghanistan?

BF: Ich habe mich zurückgezogen. Ich hatte keine Geduld mit jemanden zu sprechen, ich wurde aggressiv.

RI: Was für Medikamente waren das?

BF: Es waren Tabletten für meine Nerven. Es waren Beruhigungsmittel.

RI: Nehmen Sie diese Medikamente in Österreich?

BF: Ich wollte hier zum Arzt, habe aber keinen Termin bekommen. Meine Beschwerden haben sich hier verschlechtert.

RI: Sie haben seit zweieinhalb Jahren keinen Termin beim Arzt bekommen?

BF: Nein. Ich bin volljährig und ich bekomme keine Betreuung. Ich alleine schaffe es nicht, meine Freunde unterstützen mich nicht, ich musste mir heute ein Taxi nehmen, um hierher kommen zu können. Ich habe mir ein Ticket kaufen müssen, habe dafür 20€ von meinem Unterkunftsgeber bekommen. Im Zug habe ich eine Strafe von 120€

bekommen. Ich weiß nicht, warum ich die Strafe bekommen habe.

RI: Haben Sie ein Ticket gelöst?

BF: Die 20€ waren nicht ausreichend für das Ticket, deshalb habe ich im Zug dann diese Strafe bekommen. Ich habe mir 10€ von einem Freund ausgeborgt und 20€ hatte ich selbst. Mit diesem Geld habe ich mir ein Taxi genommen, weil die Verhandlung heute für mich sehr wichtig ist.

RI: Was befürchten Sie konkret im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan?

BF: Was soll ich in Afghanistan tun?

RI wiederholt Frage.

BF: Mir gibt niemand eine Arbeit und die Taliban werden mich nicht in Frieden lassen. Bei uns ist es üblich, dass man mit 18 Jahren heiratet. Ich bin mittlerweile 25 Jahre alt und werde jetzt auch keine Frau bekommen.

RI: Wann haben Sie den Entschluss gefasst, Afghanistan in Richtung Europa zu verlassen?

BF: Das weiß ich nicht, mein Vater hat den Entschluss für mich gefasst.

RI: War Österreich von Anfang an das Ziel Ihrer Reise?

BF: Ja.

RI: Wieviel hat die Flucht aus Afghanistan nach Europa insgesamt gekostet?

BF: Ich glaube zwischen 4000 und 5000€ oder Dollar.

RI: Das ist eine stolze Summe. Wie konnten Sie sich das leisten?

BF: Ich weiß nicht genau, wie viel Geld für mich ausgegeben wurde. Mein Vater hat alles bezahlt.

RI: Warum haben Sie sich Österreich als Reiseziel ausgesucht? Was wussten Sie vor Ihrer Abreise von Österreich?

BF: Ich hatte gehört, dass die Menschen hier sehr freundlich sind. Als ich hier angekommen bin, haben mir sowohl das Land, als auch die Menschen gut gefallen.

RI: Wie gefällt es Ihnen nun in Österreich?

BF: Ich bin in Österreich zufrieden, aber die Afghanen belästigen mich hier auch, sogar in der U-Bahn werde ich diskriminiert. Ich weiß nicht, was ich mit mir machen soll.

RI: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder einem Klub in Österreich?

BF: Nein.

RI: Haben Sie österreichische Freunde?

BF: Ich habe Bekannte, aber ich kann mich mit Ihnen nicht verständigen.

RI: Haben Sie in Österreich Sprachkurse besucht?

BF: Ja, ich habe einen Deutschkurs besucht. Ich verstehe auch einiges, aber beim Sprechen tu ich mir noch schwer.

RI: Welches Sprachniveau haben Sie bisher abgeschlossen?

BF: Nur den Alphabetisierungskurs.

RI: Sind Sie zur Zeit in einem Kurs?

BF: Seit zwei Wochen besuche ich einen neuen Deutschkurs.

RI: Welche Stufe?

BF: Grundbasis. Ich lerne das Alphabet.

RI: Ist das auch ein Alphabetisierungskurs?

BF: Nein, A1.

RI: Haben Sie sonst Fortbildungskurse in Österreich besucht?

BF: Nein.

RI: Wie stellen Sie sich die Zukunft in Österreich vor?

BF: Ich möchte eine Berufsausbildung machen. Ich möchte, dass aus mir etwas wird.

RI: Was möchten Sie denn arbeiten?

BF: Ich möchte hier etwas lernen.

RI wiederholt die Frage.

BF: Ich möchte Dolmetscher werden.

RI: Haben Sie sich schon erkundigt, welche Voraussetzungen Sie für diesen Beruf in Österreich mitbringen müssten?

BF: Nein.

RI: Sind Sie seit Ihrer Einreise nach Österreich straffällig geworden?

BF: Wegen Afghanen musste ich ins Gefängnis. Ich war ein Monat in Haft.

RI: Was haben Sie genau Strafrechtswidriges gemacht, dass Sie ins Gefängnis mussten?

BF: Ich war am Bahnhof und wollte zum Billa gehen, mein Freund hat mir in meine Tasche Päckchen mit grünem Gras, was genau das war weiß ich nicht, eingesteckt. Er hat mir davor auch gesagt, ich soll nicht zum Billa gehen, da die Polizei dort steht. Ich wusste von nichts, ich bin dennoch zum Billa gegangen und dort wurde ich von der Polizei aufgehalten und durchsucht.

RI: Wenn Sie nichts mit diesen Päckchen zu tun hatten, warum haben Sie sie dann in Ihrer Tasche eingesteckt gelassen?

BF: Ich habe das nicht in meine Tasche eingesteckt. Ich habe eine dicke Winterjacke mit großen Taschen. Ohne dass ich es bemerkt habe, hat er mir das Päckchen eingesteckt.

RI: Ich dachte, Ihr Freund hätte Sie gewarnt zum Billa zu gehen, da diese Päckchen in Ihrer Tasche waren?

BF: Er hat mir nicht gesagt, dass er in meiner Jackentasche das Päckchen eingesteckt hat. Er hat mir das nicht gesagt und hat mich auch nicht gewarnt, deshalb bin ich auch zum Billa gegangen um Lebensmittel zu kaufen.

Um 12:44 Uhr wird die Verhandlung unterbrochen.

Um 12:46 Uhr wird die Verhandlung fortgesetzt.

RI: Sie bestreiten also jemals mit Cannabis gedealt oder zu dealen versucht oder dieses zum Eigenkonsum gekauft zu haben?

BF: Mein Freund hat es verkauft und er ist noch immer in Haft. Selbst habe ich es weder verkauft noch gekauft.

RI: Warum sind Sie dann verurteilt worden?

BF: Das weiß ich nicht, ich war ein Monat im Gefängnis. Mir wurde gesagt, dass ich das nicht mehr machen soll.

RI: Tragen Sie jetzt gerade Rauschgift bei sich?

BF: Nein.

RI: Wie schaut Ihr Tagesablauf in Österreich aus?

BF: Ich gehe um 10:00 Uhr am Abend ins Bett und stehe um 08:00 Uhr in der Früh auf. Ich halte mich eigentlich immer in der Unterkunft auf und lerne Deutsch. Ich schreibe sehr viel und zwei Mal in der Woche besuche ich einen Deutschkurs.

RI (ohne Übersetzung): Wie gefällt es Ihnen in Österreich?

BF nickt.

RI: Was haben Sie letztes Wochenende gemacht?

BF keine Antwort.

RI (mit Übersetzung): Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Sind Sie gesund?

BF: Ich habe Beschwerden, ich fühle mich eingeengt. Ich bin oft in Gedanken vertieft. Die Gedanken kommen einfach.

RI: Nehmen Sie Medikamente?

BF: Nein. Ich nehme gar keine Medikamente.

RI: Sind Sie in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung?

BF: Nein.

RI: Haben Sie vor, zu einem Arzt zu gehen?

BF: Ja, ich muss mich behandeln lassen.

RI: Gegen was?

BF: Ich muss mich behandeln lassen, damit ich etwas größer werde.

RI: Sie haben vorhin angegeben, in Afghanistan Medikamente wegen Ihrer Psyche eingenommen zu haben. Haben sie vor, auch in Österreich deswegen zum Arzt zu gehen?

BF: Ich habe nach wie vor psychische Beschwerden.

RI: Sind Sie arbeitsfähig?

BF: Ja.

RI an RV: Haben Sie Fragen an den BF?

RV: Keine Fragen.

RI: Ihnen wurden gemeinsam mit der Ladung Länderfeststellungen und Gutachten zu Afghanistan übermittelt und Sie wurden aufgefordert bis 12.01.2018 dazu Stellung zu nehmen. Sie haben am 19.01.2018 eine schriftliche Stellungnahme abgegeben. Wollen Sie sich dazu auch noch mündlich äußern?

BF: Das was mir passiert ist, habe ich Ihnen heute erzählt.

RI: Ihnen wird das Protokoll nun rückübersetzt.

RI: Die Taliban, die Sie in Afghanistan bedroht haben, haben die in Ihrem Dorf gelebt, oder kamen sie von Außerhalb?

BF: Das waren die Taliban aus dem Dorf. Sie haben im Dorf gelebt und sind aber auch von Außerhalb gekommen.

RI: Haben Sie im Dorf gelebt, oder sind sie von Außerhalb gekommen?

BF: Das weiß ich nicht.

Schluss der Verhandlung [...]"

12. Mit Schreiben vom 12.02.2018, hg eingelangt am 13.02.2018, hat die Beschwerdeseite ein Gutachten von Doz. Dr. XXXX zur Einhaltung der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis übermittelt, womit das Gutachten des Ländersachverständigen Mag. XXXX von März 2017 kritisch bewertet wird und diesem eine mangelnde gutachterliche Qualität bescheinigt wird. Darüber hinaus wurden weitere (Medien-) Berichte, sowie Aussagen des Ländersachverständigen Dr. XXXX übermittelt, welche die aktuelle, prekäre Sicherheitslage in Afghanistan im Allgemeinen und auch in Kabul beschreiben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrags des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 24.12.2015, dessen polizeilicher Erstbefragung vom 24.12.2015, dessen niederschriftlicher Einvernahme am 30.06.2016 vor dem BFA, der vom Beschwerdeführer eingebrachten Beschwerde vom 02.03.2017 gegen den angefochtenen Bescheid des BFA vom 03.02.2017, der Einsichtnahme in die Verwaltungsakte, sowie nach mündlicher Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.02.2018 werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

1.1. Zur Personen der Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Pashtunen und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an. Der BF wurde in Afghanistan in der Provinz XXXX , im Dorf XXXX , geboren, hat dort mit seiner Familie bis zu seiner Ausreise nach Österreich gelebt und ist ledig und kinderlos.

Spätestens am 24.12.2015 ist er gemeinsam mit seinem Cousin illegal in Österreich eingereist.

Der BF hat mehrere Jahre die Grundschule in XXXX besucht, kann aber keine Berufserfahrung vorweisen. Der BF verfügt in Afghanistan über beide Eltern und 8 Geschwister, sowie über weitere - nicht näher benannte - Verwandte. Seine Eltern und Geschwister leben bis heute in seinem Dorf XXXX .

Der Beschwerdeführer verfügt im Bundesgebiet über einen Cousin väterlicherseits, welcher mit ihm nach Österreich gereist ist. Der BF ist weder Mitglied in einem österreichischen Klub oder Verein, noch hat er österreichische Freunde.

Der Beschwerdeführer ist kleinwüchsig, leidet aber an keiner gefährlichen oder lebensbedrohlichen Krankheit. Er ist in Österreich weder in ärztlicher, noch therapeutischer Behandlung, nimmt zurzeit auch keine Medikamente ein und ist nach eigenen Angaben arbeitsfähig. Der BF hat in Österreich einen Alphabetisierungskurs abgeschlossen und besucht nun einen Deutschkurs auf dem Niveau A1.

Der BF ist durch Suchtmitteldelikte in Österreich straffällig geworden und wurde zu sieben Monaten Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt. Er hat eine einmonatige Freiheitsstrafe verbüßt.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das Vorbringen der Beschwerdeseite betreffend die Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung wird den Feststellungen mangels Glaubhaftmachung nicht zugrunde gelegt. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung - weder durch die Taliban, noch aufgrund seiner Kleinwüchsigkeit - droht.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat

Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

1.4.1. Auszug aus der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 25.09.2017 (Aktualisierung der Sicherheitslage -Q3.2017):

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

[...]

Regierungsfeindliche Gruppierungen: Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh.

Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

[...]

1.4.2. Auszug aus der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 22.06.2017 (Aktualisierung der Sicherheitslage -Q2.2107):

"[...]

Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:

improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten - gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kundus, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).

[...]

High-profile Angriffe:

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kundus (DW 31.5.2017).

[...]

Regierungsfeindliche Gruppierungen: Taliban

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch:

BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).

Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al- Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).

Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).

Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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